Top-Elf der EM 2024
Nach der Vorrunde hatte ich ja schon ein Team der Gruppenphase zusammengestellt. Wie erwartet sind die meisten Spieler kleinerer Nationen mit der Dauer des Turniers allmählich fast alle aus dem Team geflogen. Zu jeder Position sind dazu noch drei Spieler in qualitativ absteigender Rolle gerankt. Beispielsweise ist Joshua Kimmich unter den Alternativen als erstgenannter Rechtsverteidiger auch der für mich zweitbeste Rechtsverteidiger des Turniers gewesen.
Trainer: Murat Yakin
Goldener Ball: Rodri
Silberner Ball: Dani Carvajal
Bronzener Ball: William Saliba
KEINEN ARTIKEL MEHR VERPASSEN – JETZT UNSEREN WHATSAPP-KANAL ABONNIEREN!
Torwart: Giorgi Mamardashvili
Alternativen: Gianluigi Donnarumma, Anatolij Trubin, Bart Verbruggen
Es war nicht das Turnier der Torhüter. Das sage ich gar nicht, weil wir Zeugen von überaus vielen echten Patzern wurden, sondern weil zum einen die besten Spieler dieser Position allesamt recht früh aus dem Turnier ausschieden und zum anderen es beachtlich viele technische Probleme von eigentlich richtig guten Leuten gab.
Diogo Costa gegen Tschechien, Andrij Lunin gegen Rumänien, Mike Maignan bei Yamals Ausgleichs-, Pickford beim niederländischen Führungstor. Alle verweigerten sich krampfhaft dem Übergreifen. Einige der aufgelisteten Tore sind zwar selbst mit bester Technik aus der Kategorie “Unhaltbare”, doch mit der falschen Armhaltung oder Sprungtechnik nimmt man sich jedwede Chance auf eine Parade und das ist auch ein Faktor bei der Leistungsbeurteilung.
Einer, der diese technischen Probleme nicht hatte, war Georgiens Mamardashvili. Jeder Sprung saß perfekt, jede Armwahl korrekt, jede abgefangene Flanke sicher in den Armen, selbst wirklich harte Schüsse wurden mühelos gefangen. Eine wichtige Funktion eines großen Torhüters ist die Strafraumbeherrschung und ausstrahlende Ruhe. Mamardashvili übermittelte eine derartige Sicherheit seiner ja eigentlich fragwürdigen, teils im Iran spielenden Abwehr.
Das größtmögliche Kompliment an den jungen Schlussmann von Valencia ist es, diesen überragenden Donnarumma auf die Bank zu verdrängen. Der Italiener spielte ein besseres Turnier als drei Jahre zuvor, wo er (unverdientermaßen) Spieler des Turniers wurde, aber Mamardashvilis knapp sieben Paraden pro Spiel, viele davon ungeheuerliche, geben den Ausschlag.
- EM-Blog, Tag 31: ¡Gracias España!
- Thomas Müller geht: Danke, Raumdeuter!
- EM-Blog, Tag 30: Der FC Bayern bei der EM – Ein Zeugnis
Außenverteidiger: Michel Aebischer & Dani Carvajal
Alternativen: Marc Cucurella, Ferdi Kadıoğlu, Theo Hernández | Joshua Kimmich, Jules Koundé, Andrei Rațiu
Die Ebbe an hochwertigen Außenverteidiger scheint wenigstens vier Wochen lang abgeklungen zu sein. Das sieht man schon alleine an den Alternativen und wer es nicht auf diese Liste geschafft hat. Hollands Aké und Dumfries und Portugals Mendes und Cancelo wären in vielen anderen Turnieren die klare Nummer eins gewesen.
Auf rechts ist Carvajal ein absoluter No-Brainer, spätestens mit den Fabelleistungen gegen Deutschland und England. Musiala eine Stunde lang aus dem Spiel zu nehmen und selbst danach seinen Mann zu stehen, ist schon aller Ehren wert, nimmt man dann noch diesen außerirdisch guten Außenristpass dazu vom dem spanischen Führung im Finale und es ist kein Wettbewerb mehr rechts hinten.
Auf links wird die Sache schon haariger, speziell weil auch Cucurella seinen großen Moment im Finale hatte beim 2:1, am Ende entscheide ich mich aber für die Schweizer EM-Entdeckung. Ich kannte Michel Aebischer nicht, überhaupt nicht. Im ersten Spiel gegen Ungarn war Viertelstunde vorüber, als ich erstmals googelte wer dieser Aebischer sei und wieso dieser Linksverteidiger gerade beim Tor der spielmachende Nadelspieler war. Tatsächlich ist Aebischer gar kein Linksverteidiger, sondern ein zum Außenspieler umfunktionierender Mittelfeldmann. Er war quasi der Philipp Lahm dieses Turniers, Xhakas spielmachender Partner. Wann immer die Schweiz im Ballbesitz war, rückte er ins Zentrum und wurde zum Kreativkopf. Zwei tolle Vorlagen und ein Tor hatte er so am Turnierende verbucht, dazu stand er auch defensiv wie eine Eins, wie insbesondere Deutschland und Italien bezeugen können.
Innenverteidigung: Manuel Akanji & William Saliba
Alternativen: Pepé, Dayot Upamecano, Aymeric Laporte, Antonio Rüdiger, Jaka Bijol, Riccardo Calafiori
Die Innenverteidigung gibt seit jeher eine breite Spitze her, so auch bei diesem Turnier. Saliba thront als bester Innenverteidiger des Turniers über allen, insbesondere seine Deckungsarbeit gegen Romelu Lukaku hat das Zeug für Legenden. In einem Turnier, in dem auch die besten Verteidiger ihre kleinen oder größeren Wackler hatten, war er der einzig Makellose.
Akanji bestätigte bei seiner Rückkehr nach Deutschland einmal mehr, wie sehr man ihn in diesem Land verkannt hatte, gerade seine Leistung gegen eben diesen Gastgeber war ein Highlight. Auch gegen Italien und England verteidigte er das bisschen, welches ihm entgegengeschleudert wurde, mühelos weg, leider konnte er das vom Punkt nicht bestätigen. Neben Laporte und Calafiori war er zudem der beste Spielaufbauer des Turniers.
Defensives Mittelfeld: Rodri
Alternativen: Aurélien Tchouaméni, Kobbie Mainoo, Granit Xhaka
Es lief die paarundfünfzigste Minute gegen Frankreich, als Rodri einmal mehr mit einer kleinen Körpertäuschung einen Pressingversuch locker abschüttelte und mir ein Licht aufging: Ist Rodri nicht klar ersichtlich der Spieler des Turniers? Gewinnt er mit diesem Turnier gar den Ballon d’Or?
Meine Einschätzung bestätigte sich, schon vor dem Finale gab es weitgehende Einigkeit, dass Rodri der beste, konstanteste Spieler dieser EM war und tatsächlich folgte die UEFA dem, trotz seines Fehlens in der alles entscheidenden letzten Hälfte. Es ist die beste Wahl eines Spielers des Turniers seit 2008 mit Xavi. Die beiden Wetlfußballer-Ausschreibungen sind zwar mehr ein schlechter Witz, aber es würde einen dann doch freuen, wenn oft wenig beachtete Spieler auf meist ignorierten Positionen die großen Einzelspieler-Preise gewinnen könnten.
Seine Partner mochten wechseln, oder um ihm herum schwächeln, er war immer der absolute Ruhepol Spaniens, nie mit auch nur dem geringsten Anzeichen eines Schwächeanfalls, immer produktiv.
Er produziert leider nicht die aufregenden Highlight-Momente für Clips wie Sergio Busquets, sei es durch Dribblings, die Reihenweise Spieler wie Kinnladen zu Fall bringen, oder plötzliche Vertikalpässe, doch dieser Vergleich ist auch das einzige, bei dem Rodri den Kürzeren zieht.
Offensives Mittelfeld: Jamal Musiala
Alternativen: Fabián Ruiz, N’Golo Kanté, Giorgi Chakvetadze
Einer meiner beiden Kompromisslösungen. Wie man an den Alternativen klar sieht, sollte das eigentlich eine zentrale Mittelfeldposition werden, doch nach überragender Vorrunde, fiel Fabián mir dann zu sehr in den letzten drei Partien ab. Vielleicht spielte auch der kleine Wunsch eine Rolle, wenigstens einen Deutschen zu inkludieren, schließlich war der Gastgeber die zweitstärkste Mannschaft des Turniers.
Über Musiala schrieb ich ausführlich schon im Zeugnis der Bayern-Spieler, hier also nur die Kurzfassung, wieso er trotzdem hier landet. Musiala hatte zwar ebenfalls seine stillen Momente im Turnier, doch bis auf das Schweiz-Spiel schaffte er es trotzdem, sich freizuschwimmen. Gegen Dänemark machte er das entscheidende 2:0, gegen Spanien kämpfte er sich in die Partie, blühte später regelrecht auf. Das ist eine nicht zu unterschätzende Qualität. Viele Spieler gehen ein, wenn sie merken, heute schiene nicht ihr Tag zu sein, Deutschlands Nummer 10 allerdings gab nie auf und trug doch den Sturm seiner Mannschaft.
Offensives Mittelfeld: Dani Olmo
Alternativen: Xavi Simons, Remo Freuler, İlkay Gündoğan
Hätte Dani Olmo in der Gruppenphase mehr gespielt, wäre er wahrscheinlich Spieler des Turniers geworden, so gut war er in den K.o.-Spielen. Der inoffizielle Spieler der Knockout-Phase, wenn man diesen Titel erfinden mag.
Im Gegensatz zu wirklich allen RaBa-Trainern der letzten Jahre, erkennen ihre spanischen Kollegen Olmos Talent im letzten Drittel. Er ist ein guter Spielaufbauer, sicher, aber ein noch viel besserer, sogar torgefährlicher Nadelspieler. Luis Enrique postierte ihn sogar als falsche Neun, de la Fuente gab ihm seine beste Position als offensivster Spieler im Mittelfeld.
Bis auf das Finale traf er in jedem K.o.-Spiel zuvor. Bereitete das 2:1 gegen Deutschland mit einer tollen Flanke vor. Weder Deutschland, noch Frankreich oder England kamen mit seinen schleichenden Bewegungen und Auge für sich öffnende Räume klar. Paart er das noch mit absoluter technischer Brillanz, wie beim 2:1 im Halbfinale, als er die beste Abwehr des Turniers mit einem perfekt dosierten Außenspann-Lupfer übertölpelte und wir reden von absoluter Weltklasse und dem besten Offensivspieler des Turniers.
Außenstürmer: Nico Williams & Lamine Yamal
Alternativen: Rubén Vargas, Florian Wirtz, Marcel Sabitzer | Ivan Schranz, Bukayo Saka, Dan Ndoye
Das spanische Spiel mochte noch so sehr auf ihre beiden Flügelflitzer zugeschnitten sein, bis zum Halbfinale war ich bei dem einen mehr als dem anderen skeptisch, was ihre Inklusion hier angeht.
Beide haben sehr unstete Turniere hinter sich, Williams gelang gegen Kroatien wenig, explodierte gegen Italien und Georgien, blieb gegen Deutschland jedoch blass und schoss dann das wichtige Finaltor. Yamal scorte viel, fiel aber neben diesen gegen Kroatien, Deutschland und Frankreich gar nicht so sehr auf. Bei all dem Gerede, wie gut er für sein Alter schon ist, wird immer suggeriert, er sei jetzt schon die unbestrittene Weltklasse, mit der er immer verglichen wird. Das ist er nicht ganz. Er taucht immer noch oft ab, presst zu halbherzig für einen Spieler, der eben nicht den Ertrag Lionel Messis bringt.
Nun habe ich gerade bei Musiala die Wertigkeit von Scorern hervorgehoben und das gilt auch bei den beiden jungen Spaniern. Spätestens ab dem Halbfinale hatten sie so viel Zählbares abgeliefert, dass sie in jede Top-Elf gehören. Insbesondere zu Yamal muss man allerdings noch sagen, dass alle kleinen Probleme, die ich eben aufgelistet habe, für seine Finalleistung nicht zutreffen, als ihn England nur eine Halbzeit lang kontrollieren konnte.
Mittelstürmer: Cody Gakpo
Alternativen: Kai Havertz, Georges Mikautadze, Memphis Depay
Es war nicht das Turnier der Mittelstürmer, was man auch an den Alternativen erkennt. Daher war im Zentrum ein weiterer Trick nötig. Cody Gakpo war zwar die meiste Zeit Linksaußen, aber gegen England stellte Oranje nach 35 Minuten auf 4-4-2 um. Gakpo zum Mittelstürmer zu machen, ist also nicht komplett geschummelt.
Ich hatte während des Turniers Gakpo mit Xherdan Shaqiri verglichen, beide sind (bisher) bessere National- als Vereinsspieler und beide scheinen international die Fähigkeit zu besitzen, aus dem Nichts sich Torszenen zu erschaffen. Seine Führung im Achtelfinale kündigte sich ja nicht an, Gakpo tankt sich einfach in seiner eigenen, durchaus filigranen Art durch. Für die Niederlande ist Gakpo offensiv ihr Unterschiedsspieler, schoss drei Tore selbst und erzwang das 2:1-Eigentor gegen die Türkei. Schaut man sich seine Körpergröße von 1,93 Metern an, liegt seine Zukunft vielleicht wirklich im Sturmzentrum.
Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal bei allen Lesern und Leserinnen bedanken! Einem Bayern-Blog kann man durchaus auch mal den monatlangen Umschwung zum Nationalmannschafts-Blog nicht abkaufen, wir wurden aber nur mit positiven Feedback bestätigt! Vielen Dank dafür!
Hier weiterlesen