Taktik-Blog #003 – Grundbegriffe des Pressings

Justin Trenner 14.04.2020

In nahezu jeder Taktikanalyse sprechen wir vom Pressing der Bayern oder vom Pressing des Gegners. Wir nutzen Begriffe wie „Gegenpressing“, „Angriffspressing“, „Mittelfeldpressing“, „Abwehrpressing“, „Mannorientierungen“ oder „Raumorientierungen“. Zeit, diesen Begriffen nun auch hier bei uns im Blog eine Definition zu verpassen.

Früher wurde gern vom „Forechecking“ gesprochen, wenn eine Mannschaft ohne Ball als Kollektiv nach vorn schob, um den Gegner zu stören. Fälschlicherweise wird dieser Begriff aber mit dem heutigen Pressing gleichgesetzt, wenn man danach googelt.

Wikipedia definiert den Begriff darüber hinaus wie folgt: „Pressing nennt man das (kurzzeitige, längere oder ständige) Anrennen auf den oder die ballführenden gegnerischen Spieler […].“ Im späteren Verlauf dieses Artikels soll aber klar werden, dass diese Definition unvollständig ist. Denn im Abwehrpressing kann keinesfalls von „Anrennen“ die Rede sein und dennoch wird es als eine Art von „Pressing“ beschrieben.

Genauer wäre dementsprechend, dass Pressing neben dem klassischen „Anrennen“ auch die Formierung und Organisation einer Mannschaft gegen den Ball umfasst, die es dem Gegner erschweren soll, Tore zu erzielen. Während die gängige Definition also vor allem impliziert, dass der Gegner durch möglichst frühzeitiges Anlaufen unter Druck gesetzt wird, gibt es auch Pressingvarianten, die nahezu ohne direktes und aggressives Anlaufen auskommen. So besteht Lucien Favre fast schon penibel darauf, dass Spieler auch gegen den Ball ihre Positionen halten und eben nicht unnötig „anrennen“.

Die Höhe des Pressings

Angriffspressing

Was die Wikipedia-Definition ursprünglich meint, lässt sich am „Angriffspressing“ gut erklären. Beim Angriffspressing setzt eine Mannschaft ihren Gegner möglichst früh unter Druck, wobei sich „früh“ hier auf den Fortschritt des gegnerischen Spielaufbaus bezieht. Manche Teams pressen bereits den Torwart des Gegners, andere beschränken sich auf die Abwehrkette. Unabhängig von detaillierten Variationen steht eine Mannschaft im Angriffspressing aber sehr hoch. Die Bayern praktizierten diese Form des Pressings besonders konsequent unter Pep Guardiola, aber auch zuletzt unter Hansi Flick. Besonders vorteilhaft ist der Druck, den man damit auf Mannschaften ausüben kann. Nachteilig kann die eigene Konterabsicherung sein, wenn der Gegner die erste Pressinglinie überspielt hat.

Flicks Taktik beinhaltet in vielen Spielphasen ein Angriffspressing, bei dem die Mannschaft als Kollektiv sehr hoch positioniert ist.

Mittelfeldpressing

Da das hohe Pressing kaum über 90 Minuten durchzuhalten ist, gehen Mannschaften unterschiedlich mit den Phasen um, in denen sie die Intensität nicht hochhalten können. Guardiola setzt auf Ruhephasen mit dem Ball, während Diego Simeone stark in der Höhe variiert. Sein Atlético wechselt Phasen des Angriffspressings mit Phasen des Mittelfeldpressings gekonnt ab. Das Mittelfeldpressing lässt den Gegner das Spiel mehr oder weniger in Ruhe aufbauen. Stattdessen wird oft versucht, die vertikalen Passwege zuzustellen. Die Mannschaft steht also im Vergleich etwas tiefer und versucht vor allem, über ihr Stellungsspiel zum Ballgewinn zu kommen und weniger durch aggressives und hohes Anlaufen. Das bedeutet aber nicht, dass sie automatisch passiv(er) agiert. Der Punkt, an dem aggressiver verteidigt wird, liegt nur etwas tiefer auf dem Spielfeld, meist in der Spielfeldmitte. Vorteilhaft ist, dass man Druck auf den Gegner ausüben kann und die letzte Verteidigungslinie dennoch relativ nah am eigenen Tor bleibt. Andererseits kann das Mittelfeldpressing aber auch zu passiv sein, wenn der Gegner besonders stark im Spielaufbau ist. Man benötigt viel Disziplin und eine gute Organisation für eine gute Umsetzung. Trotzdem nutzen die meisten Teams hauptsächlich ein Mittelfeldpressing.

Olympiakos versucht in dieser Szene allein durch gutes Positionsspiel im Zentrum zu Ballgewinnen zu kommen. Erst ungefähr ab der Mittellinie fangen die Stürmer an, die Bayern anzulaufen. Ein klassisches Mittelfeldpressing.

Abwehrpressing

Das Abwehrpressing lässt dem Gegner im Spielaufbau noch mehr Freiheiten. Oft wird diese Art des Pressings etwas süffisant als „Mauerfußball“ beschrieben. Das präsenteste Beispiel für Bayern-Fans dürfte Chelsea 2012 sein. Das Prinzip ist ähnlich wie beim Mittelfeldpressing, nur dass hier das zugestellte Zentrum weiter nach hinten geschoben wird, wodurch die Räume für den Gegner im Angriffsdrittel besonders eng werden. Der große Nachteil liegt darin, dass es immer schwieriger wird Entlastungsphasen zu finden, je tiefer man in der eigenen Hälfte steht. Auch die Konterwege werden immer länger.

In dieser Grafik steht das Team in Grau so tief, dass von einem Abwehrpressing gesprochen werden kann.

Wichtig: Diese drei Pressingvariationen gehen Hand in Hand. Eine Mannschaft sollte in der Lage sein, sie alle zu beherrschen. Lediglich der Fokus ist von Mannschaft zu Mannschaft und von Trainer zu Trainer unterschiedlich gesetzt.

Die Orientierung

Neben der Höhe spielt auch die Orientierung eine große Rolle. Mannschaften verschieben auf dem Platz, um bestimmte Räume aus bestimmten Gründen zuverlässig verteidigen zu können. Defensivreihen sind (besonders heutzutage) so detailliert organisiert, dass Orientierungspunkte beim Einhalten der Vorgaben helfen.

Mannorientiertes Pressing

Beim mannorientierten Pressing orientieren sich die Spieler an ihren Gegenspielern. Im krassesten Fall bedeutet das also, dass zehn Feldspieler die zehn Feldspieler des Gegners Mann decken und ihnen somit auf den Füßen stehen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Es gibt in der Theorie keine freien Spieler mehr und der Druck ist für die ballführende Mannschaft sehr hoch. Andererseits ist ein solches System heute nur noch schwer umsetzbar. Konditionell, aber auch kognitiv wird es besonders dann kompliziert, wenn der Gegner mit vielen Läufen und Positionswechseln arbeitet. Man ist sehr abhängig von der individuellen Klasse der eigenen Spieler und muss darauf vertrauen, dass diese in der Defensivarbeit stark genug sind, um in Eins-gegen-eins-Situationen zu bestehen. Ausnahmespielern wie Thiago gelingt es aber immer wieder, diese Duelle für sich zu entscheiden und dann droht das ganze Pressing zu zerfallen. Deshalb nutzen nur noch wenige Trainer Manndeckung auf dem gesamten Spielfeld. André Schubert hat das 2015 phasenweise gegen die Bayern gemacht – nicht unerfolgreich, Gladbach gewann mit 3:1. Sich am Gegenspieler zu orientieren, ist jedoch nicht unüblich und muss nicht zwingend mit Manndeckung einhergehen und schon gar nicht auf dem ganzen Platz.

Raumorientiertes Pressing

Das raumorientierte Pressing zielt darauf ab, wie es der Name bereits andeutet, sich an Spielfeldzonen zu orientieren, die je nach Trainer und Mannschaft unterschiedlich festgelegt werden. In einem Mittelfeldpressing kann es darum gehen, das Mittelfeldzentrum zu verteidigen. Dementsprechend ist dann nicht nur die Höhe des eigenen Pressings entscheidend, sondern auch die Organisation und Positionierung. In welcher Grundformation verteidigt die Mannschaft? Wer besetzt welchen Raum und mit welchem Ziel? Es geht maßgeblich darum, die Räume zu verteidigen, die man als besonders gefährlich und entscheidend erachtet. Man kann dadurch auch Überzahlsituationen in bestimmten Spielfeldbereichen herbeiführen.

Ballorientiertes Pressing

Eine dritte Variante ist die Ballorientierung. Hier orientieren sich die Spieler also nicht hauptsächlich am Gegenspieler oder an bestimmten Räumen oder Spielfeldzonen, sie orientieren sich vor allem an der Position des Balls. Ist der Ball beispielsweise auf der linken Spielfeldseite, schiebt jeder Spieler innerhalb der Grundformation nach links.

Wichtig: Auch bei diesen drei Variationen ist zu beachten, dass sie zusammen funktionieren (können). Beim oben dargestellten Beispiel des Flick-Pressings gegen Dortmund wird deutlich, dass alle drei Faktoren eine Rolle spielen: Mannorientierungen (im Zentrum), Raumorientierung (Organisation, und bewusstes öffnen der Flügelräume) und Ballorientierung (Verschieben nach Ballposition). Alle drei Begriffe ließen sich zusätzlich auch noch weiter verkomplizieren – so gibt es beispielsweise die mannorientierte Raumdeckung, wie diese hervorragende Erklärung von René Marić auf Spielverlagerung zeigt.

Weitere Begrifflichkeiten zum Pressing

Gegenpressing

Das Gegenpressing wird häufig mit Jürgen Klopp in Verbindung gebracht, wird mittlerweile aber von sehr vielen Teams praktiziert. Es bezeichnet das sofortige Umschalten in ein aggressives Anlaufverhalten nach Ballverlusten. Nach Louis van Gaals Vier-Phasen-Modell ist anzunehmen, dass eine Mannschaft nach einem Ballverlust unsortiert ist. Das Gegenpressing soll dem zuvorkommen. Durch vorausschauende Positionierung in Ballbesitz wird ein schneller Zugriff auf den Gegner bei Ballverlusten ermöglicht und so ein Ballgewinn ermöglicht, der wiederum den gerade in die Offensive umschaltenden Gegner überrumpeln soll. Viele Trainer gehen hier von ungefähr sechs Sekunden aus, die maximal zwischen Ballverlust und erneutem Ballbesitz vergehen dürfen. Wird der Ball dann nicht gewonnen, ist oft ein Zurückziehen zu beobachten.

Trigger

Als Trigger werden die Momente bezeichnet, die ein bestimmtes Verhalten im Pressing auslösen. Erneut das Beispiel des Flick-Pressings gegen Dortmund: Geht der Ball auf den Flügel, wird das Herausrücken des eigenen Außenverteidigers getriggert/provoziert und damit verbunden weitere Mechanismen, um den Gegner dort zu isolieren. Spielt Bürki also den linken Verteidiger mit einem Chipball an, kann die Kombination aus „Zuspiel“ und „Chipball“ der Trigger für Pavard als Rechtsverteidiger sein, der dann im Vollsprint anläuft. Der Vorteil: Jeder Spieler weiß genau, was er zu welchem Zeitpunkt zu tun hat.

Deckungsschatten

Der Deckungsschatten fällt ebenfalls häufig als Begriff während der Beschreibung einer Pressingsituation. Stellt sich Spieler A von Mannschaft A (unten RaBa Leipzig) in den Passweg zwischen Spieler B (ballführend) und Spieler C von Mannschaft B (Wolfsburg), stellt er Spieler C in seinen Deckungsschatten.

Merkzettel

  • Pressing lässt sich grob als Anlaufverhalten einer Mannschaft ohne Ball bezeichnen, ist aber nicht zwingend mit einem „Forechecking“ gleichzusetzen, bei dem der Gegner aktiv durch hohes Anlaufen unter Druck gesetzt wird.
  • Die Höhe des Pressings lässt sich in Angriffs-, Mittelfeld- und Abwehrpressing einteilen. Sie alle gehen Hand in Hand und müssen nicht zwingend isoliert voneinander betrachtet werden.
  • Beim Pressing orientieren sich die Mannschaften an Gegenspielern (Mannorientierung), Spielfeldzonen (Raumorientierung) oder am Ball (Ballorientierung). Auch diese Varianten sind nicht unabhängig voneinander zu betrachten und können innerhalb eines Systems verwendet werden.
  • Das Gegenpressing ist ein aggressives Anlaufverhalten nach Ballverlusten, das durch kluge Positionierung in Ballbesitz bereits vorstrukturiert wird.
  • Trigger sind wiederkehrende und vorher definierte Abläufe während eines Spiels, die ein bestimmtes Pressingverhalten bei der eigenen Mannschaft auslösen.

Weiterführende Lektüre: Taktik-Lexikon von Spielverlagerung.de