FC Bayern: Magisches Dreieck in der Szenenanalyse

Louisa Trenner 09.11.2022

Dieses Tor verdeutlicht die Relevanz des Ineinandergreifens gruppentaktischer Abläufe und individueller Klasse in Form von guten Entscheidungen im richtigen Moment und kreativen, technisch anspruchsvollen Anpassungsleistungen an veränderte Situationen. 

Wenn wir vom Tor aus gesehen 10 Sekunden zurückspulen, landen wir in einer Art Mittelfeldgeplänkel mit mehreren aufeinanderfolgenden Einwürfen. Nach einem missglückten Klärungsversuch des BVB kann der FC Bayern sich aus dem engen Raum befreien und der Ball landet schlussendlich bei Mané, der sich im Moment der Ballmitnahme in einer eher ungünstigen Situation befindet: Er muss den Ball mit dem Rücken zum Verteidiger mitnehmen und hat zunächst keine Anspielstationen. Er dribbelt mit Zug schräg Richtung Zentrum an, während Musiala zeitgleich erkennt, dass er Mané einen Laufweg anbieten muss. Dieser Laufweg löst in Kombination mit Manés Entscheidungen die gefährliche Situation aus. 

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(ab 00:52)

Was war in der Entstehung des Tores auffällig?

Musialas Laufweg

Musiala zieht durch seinen Laufweg Hummels auf sich, wodurch eine Lücke zwischen den beiden Innenverteidigern entsteht. Genau diese Lücke dribbelt Mané an und zwingt Hummels dadurch zu einer Entscheidung: Entweder Musialas Weg mitmachen und die Lücke für Mané öffnen, oder die Lücke schließen und sich von Musiala wegorientieren. Hummels entscheidet sich für die zweite (und in dieser Situation theoretisch auch bessere) Option, lässt Musiala laufen und schließt die Lücke (Bild 2). 

Manés Handlungsschnelligkeit

Mané dribbelt so lange an, bis er vier Verteidiger auf sich gezogen hat (1:05 min) und durch Musialas Laufweg eine neue Situation entsteht. Nun muss er innerhalb kürzester Zeit eine Entscheidung treffen. Er erkennt sofort, dass Musiala keinen direkten Gegenspieler mehr hat, vertikal in die Box einläuft und damit in einer besseren Ausgangsposition ist als er selbst. Er entscheidet sich für den Pass auf Musiala. 

Manés Kreativität

Die Möglichkeit für einen sauberen Steckpass ist aufgrund der Positionierung von Süle und Hummels kaum möglich. Dass Mané den Ball hinter dem Standbein mit der Hacke spielt, ist in diesem Fall also keine Show, sondern sorgt zum einen dafür, dass seine Körperhaltung und die Ausrichtung seines Standbeines für die Verteidiger keinen Aufschluss über seine Intention geben und ist zum anderen eine sinnvoll kreative Option, Musiala gegen die Laufrichtung der Verteidiger in Szene zu setzen. Der Pass erwischt Süle auf dem falschen Fuß und verschafft Musiala mehr Zeit und Raum. Theoretisch. Denn der Pass gerät auf der einzigen offenen Spur außerhalb von Süles Deckungsschatten etwas zu weit nach außen.

Musialas Anpassungsfähigkeit und Ballkontrolle

Musiala bekommt den Ball in den Rücken und der Zeitvorteil scheint zunächst verspielt. Hier zeigt sich jedoch die technische Finesse und die Anpassungsleistung, die Musiala innerhalb von Sekundenbruchteilen vornehmen und umsetzen kann. Er schafft es, den Ball im Moment der Überraschung bereits in der Drehung mit dem rechten Fuß zu kontrollieren und sich sofort wieder mit Blickrichtung zum Tor auszurichten. Dieses kleine Manöver verschafft den Dortmundern etwas Zeit, sich zu orientieren und zu stellen und Musialas direkter Weg zum Tor ist versperrt (1:07 min). Er hat keine direkte, gefährliche Anspielstation, da Mané und Gnabry statisch im Deckungsschatten mehrerer Verteidiger stehen. 

Da Musiala davon ausgehen kann, dass Süle ihn im Strafraum nur stellen wird, hat er folgende Optionen: 

  1. Selbst ins Dribbling gehen und Dynamik erzeugen, um ggf. eine freie Lücke für einen eigenen Abschluss oder ein Abspiel auf einen Mitspieler in besserer Abschlussposition zu finden.
  2. Flanke auf den einlaufenden Sané (technisch anspruchsvoll, da es ein sehr präziser Chipball sein müsste).
  3. Pass auf Davies im Rückraum. Der steht zwar zentral in theoretisch guter Abschlussposition, Can wäre aber mit wenigen Schritten bei ihm. 

Musiala entscheidet sich für die erste Option. Er geht ins Dribbling und bindet dadurch zwei Dortmunder Gegenspieler. 

Musiala erkennt sofort, dass er nicht in eine aussichtsreiche Abschlussposition kommt und nutzt den Moment, in dem die Aufmerksamkeit aufgrund der von ihm ausgehenden Gefahr auf ihn gerichtet ist, um einen scharfen und eher unerwarteten Pass auf Goretzka zu spielen. Im Augenblick höchster Dynamik und Geschwindigkeit ist Musiala sowohl Mitspieler- als auch Gegnerorientiert und erkennt innerhalb eines winzigen Zeitfensters den nicht direkt ersichtlichen Passweg.  

Der Rest ist schnell erzählt.

Goretzka legt sich den Ball mit einem guten ersten Kontakt in genau die Abschlussposition, die er haben möchte. Er schließt scharf, flach ins lange Eck ab. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass eine große Portion Glück dabei war, dass der Schuss nicht geblockt wurde, da sich zwei Spieler in Goretzkas direkter Schussbahn befinden. Zudem müssen Torhüter-Expert*innen die Frage beantworten, ob Alexander Meyer zum Zeitpunkt des Abschlusses richtig positioniert war. 

In den 10 Sekunden vor Goretzkas Tor stecken viele Details. Wir heben in diesem Artikel vor allem die Entstehungsgeschichte und die individuell starken Aktionen und Entscheidungen von Mané und Musiala hervor. Dieses Tor macht auch deutlich, dass Mané bei aller (teilweise) berechtigten Kritik an seiner fehlenden Bindung zum Spiel mit seiner Handlungsschnelligkeit immer wieder einen großen Einfluss auf das Spielgeschehen nimmt, der sich nicht direkt aus der Statistik ablesen lässt. Auch bei diesem Tor bleibt er ohne Scorerpunkt, hat jedoch einen entscheidenden Anteil.