Spiel des Lebens #01: VENI, VIDI, JAVI

Katrin Trenner 23.12.2019

Ausgerechnet Chelsea!, mögen sich viele Fans des FC Bayern gedacht haben, als sie kürzlich von der Auslosung der Champions-League-Achtelfinal-Begegnungen erfuhren, denn das verlorene Champions-League-Finale von 2012 gegen die Blues hat eine tiefe, klaffende Wunde hinterlassen. Es ist und bleibt Bayerns größtes Trauma der jüngeren Vergangenheit – trotz des Triple-Gewinns ein Jahr später.

Doch der FC Bayern hatte auch spannende, gute Spiele gegen Chelsea mit Happy End. Der UEFA Supercup im August 2013 ist definitiv eines davon. 

15 Monate nach der bitteren Niederlage im Endspiel der Champions League, bei dem die Bayern im eigenen Stadion im Elfmeterschießen gegen Chelsea verloren, kam es also zu einer Neuauflage der Begegnung, wenngleich unter veränderten Bedingungen: Bayern München reiste dieses Mal als Champions-League-Gewinner an, während die Blues einige Monate zuvor die Europa League gewonnen hatten. 

Mit Pep Guardiola, der nach Jupp Heynckes den Trainerposten bei den Bayern übernommen hatte, wollte die Mannschaft unter keinen Umständen ein zweites Mal den Blues einen weiteren Titel überlassen, und auch die Fans sehnten sich nach einer kleinen Wiedergutmachung.

Falls ihr es verpasst habt

Die Aufstellungen

Die Saison 2013/14 begann für die Bayern zunächst mit drei Siegen. In der letzten Bundesliga-Partie vor dem UEFA Supercup in der Eden Arena in Prag kamen sie über ein 1:1-Unentschieden gegen Freiburg nicht hinaus. 

Bastian Schweinsteiger, damals der tragische Held im Champions-League-Finale 2012, musste passen – er hatte sich im Spiel gegen Freiburg eine Verletzung am Knöchel zugezogen – und so war Pep Guardiola dazu gezwungen zu experimentieren. Er setzte auf das 4-1-4-1 System, wobei Toni Kroos zunächst als Sechser vor der Abwehr fungierte und Philipp Lahm ins Mittelfeld rückte. Seine Position übernahm Rafinha.

Erste Halbzeit

Das Spiel begann alles andere als optimal für die Bayern. Schon in der 8. Minute nutzten die Blues eiskalt ihren ersten Konter, um den Führungstreffer zu erzielen: Alaba war nach vorne gerückt und fehlte hinten links, so dass Andre Schürrle sehr viel Platz hatte, um auf Torres zu flanken, der den Ball unhaltbar ins rechte Eck versenkte. Mit der Führung im Rücken ließ Chelsea die Bayern danach zum größten Teil das Spiel machen und lauerte auf Konter.

In der Folge hatten die Bayern mehr Ballbesitz, erspielten sich aber nur wenig zwingende Torchancen, da Chelsea  hinten kompakt stand – es war Franck Ribery, Europas frisch gekürter Fußballer des Jahres, der am meisten Torgefahr ausstrahlte, mit dem bislang besten Versuch der Münchner in der 22. Minute. Seinen Schuss in Richtung rechtes unteres Eck, nach einem ansehnlichen Doppelpass mit Mandzukic, konnte Torwart Cech jedoch noch zur Ecke lenken. In der 38. Minute traf Thomas Müller nach einem feinen Pass von Robben nur das Außennetz.

Guardiola reagierte relativ früh auf den Rückstand und ließ den in der Rückwärtsbewegung nicht ganz so flinken Kroos die Position tauschen mit Lahm. Auf der Acht fühlte sich Kroos sichtlich wohler, dennoch ging der FC Bayern mit dem 0:1-Rückstand in die Pause.

Zweite Halbzeit

Beinahe unmittelbar nach Wiederanpfiff belohnte sich Ribery für seinen Einsatz in der ersten Hälfte und donnerte den Ball aus 20 Metern ins Tor (47. Minute). Zum Torjubel sprintete der Franzose zu Pep Guardiola an die Seitenlinie. Die Umarmung erinnerte schon fast an einen Ringkampf zwischen den beiden Jubelnden. Kurz danach kam Martinez für den blass gebliebenen Rafinha ins Spiel. Lahm rückte wieder auf seine Stammposition, und der Spanier bekleidete die Sechser-Position. Dadurch war Kroos nach hinten gut abgesichert, und Müller konnte noch offensiver agieren. Die Bayern kontrollierten das Spiel, während Chelsea sich zunächst aufs Verteidigen beschränkte.

„Ganz normale Emotionen“ zwischen Ribery und Guardiola nach dem 1:1.
(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Je näher sich das Spiel aber der Schlussphase näherte, desto spannender wurde es – beide Teams hatten jetzt gute Chancen. Neuer hielt in der 64. Minute das Unentschieden mit einer Glanzparade fest. Nach einer Ecke knallte der Kopfball von Ivanovic an die Latte (78. Minute). Auf der anderen Seite verfehlte ein Schuss von Kroos in der 82. Minute nur knapp sein Ziel. Drei Minuten später zeigte Neuer erneut, warum er der beste Torwart der Welt ist, als er einen Schuss von David Luiz parierte. In der 85. Minute sah Ramires für wiederholtes Foulspiel die gelb-rote Karte, und Chelsea musste in Unterzahl in die Verlängerung.

Verlängerung und Elfmeterschießen

Obwohl die Blues nur noch zu zehnt auf dem Platz standen, starteten sie mit einem echten Knaller in die Verlängerung. In echter Robben-Manier zog Hazard vom Flügel nach innen, ließ Lahm und Boateng stehen, bevor er zur 2:1-Führung traf. Danach waren die Bayern am Drücker und stürmten fröhlich-verzweifelt auf Cechs Tor zu, auch nach dem Seitenwechsel.

Cech trieb die Bayern in den Wahnsinn, indem er eine Großchance nach der anderen vereitelte (Mandzukic in der 108., Martinez – der nun als Sturmpartner des Kroaten fungierte – in der 109. Minute und Ribery in der 118. Minute). Es war wie verhext – der Ball wollte einfach nicht ins Tor! Erst in der wirklich allerletzten Sekunde gelang es Martinez nach einer Vorlage von Dante, die Kugel über die Linie und die Bayern somit ins Elfmeterschießen zu befördern.

Es ging also – mal wieder – ins Elfmeterschießen gegen Chelsea. Dieses Mal jedoch blieben Bayerns Schützen cool: Alaba, Kroos, Lahm, Ribery und Shaqiri verwandelten. Bei den Blues trafen zunächst David Luiz, Oscar, Lampard und Cole. Den letzten und entscheidenden Elfmeter von Lukaku konnte Neuer jedoch halten. Die Bayern gewannen den Supercup nach einer packenden und dramatischen Partie.

Manuel Neuer mit der Parade gegen Romelu Lukaku zum Sieg des UEFA Supercups.
(Foto: Shaun Botterill/Getty Images )

Dinge, die auffielen

1. Veni, Vidi, Javi

Eigentlich saß Javi Martinez angeschlagen auf der Bank, und so rechnete kaum einer damit, dass der Spanier an diesem Abend zum Einsatz kommen würde. Doch schon in der 56. Minute fand er sich – mit noch nicht auskurierten Leistenproblemen und so gut wie keiner Spielpraxis – mitten im Getümmel wieder. Er sollte die Defensive der Bayern stabilisieren, nachdem das Experiment Kroos und Lahm im Mittelfeld zunächst gescheitert war – und das auch noch ohne seinen kongenialen Partner Schweinsteiger, der von der Tribüne aus mitfieberte.  

Nach einem fiesen Tritt von Fernando Torres lag er mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden, und es sah beinahe so aus, als müsste er wieder ausgewechselt werden. Doch Martinez biss die Zähne zusammen und machte weiter. Er wurde schließlich zum Held des Abends, als er in der allerletzten Sekunde der Nachspielzeit ein Tor erzielte und sein Team somit ins entscheidende Elfmeterschießen rettete. An der Reaktion des Spaniers und seiner Teamkollegen erkannte man, wie wichtig dieses – zumindest auf dem Papier – eher unbedeutende Spiel war.

Javi Martinez hatte bereits in der Triple-Saison gezeigt, dass er die 40 Millionen, die man für seine Verpflichtung investiert hatte, wert war. Mit seinem kämpferischen Auftritt im UEFA Supercup sollte er auch die letzten Zweifler überzeugen und spielte sich endgültig in die Herzen der Bayern-Fans. 

In allerletzter Sekunde erzielt Javi Martinez den erlösenden Ausgleich.
(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

2. Bayerns neue Flexibilität – und Nervenstärke

Pep Guardiola konnte einem fast leidtun: als neuer Trainer zu den Bayern zu kommen, nachdem der Verein mit Jupp Heynckes in der Saison zuvor das historische Triple gewonnen hatte, ist eine undankbare Aufgabe – doch im Supercup wurde deutlich, dass der Spanier bereits damit begonnen hatte, dem Team seine eigene Spielphilosophie zu vermitteln. 

Unter Heynckes spielten die Bayern meist 4-2-3-1. Bei Guardiola hingegen kann man häufiger Systemwechsel beobachten: mal spielt er mit einer Doppelsechs, mal mit nur einem Spieler vor der Abwehr im 4-1-4-1 System. Die Mannschaft hat mehr Ballbesitz, eine offensivere Grundausrichtung und steht generell höher – was sie natürlich auch anfälliger für Konter macht, die dann durch die Verteidiger abgefangen werden müssen.

Nicht nur das Spielsystem ist unter Guardiola flexibler geworden, sondern auch die Spieler selbst. So wurde Lahm ins defensive Mittelfeld beordert, und Javi Martinez fungierte am Ende plötzlich als Mittelstürmer: Bayerns neue Flexibilität ist ein Gewinn.

Auch bewiesen die Spieler dieses Mal Nervenstärke im Elfmeterschießen. Kein einziger Bayern-Schütze verfehlte sein Ziel. Am Ende war es der erst 20-jährige Romelu Lukaku vom FC Chelsea, der seinen Elfer nicht verwandeln konnte und somit den Bayern den Sieg schenkte. 

3. Pep vs. Mou

Im Champions-League-Endspiel 2012 trafen zwar auch der FC Bayern und Chelsea aufeinander, auf der Trainerbank aber saßen damals noch Jupp Heynckes und Roberto di Matteo. Beim Supercup standen sich Pep Guardiola und Jose Mourinho gegenüber – eine durchaus brisante Begegnung also auch am Spielfeldrand. Die langjährige Fehde der beiden Trainer ging in die nächste Runde, dieses Mal mit dem besseren Ende für Guardiola. 

Mourinho konnte nach der Niederlage seinen Ärger nicht zurückhalten und suchte die Schuld bei allen, nur nicht sich selbst: beim Schiedsrichtergespann und bei der UEFA, und er beklagte, dass das bessere Team verloren hatte. Er konnte sich natürlich auch einen Seitenhieb gegen Pep Guardiola nicht verkneifen: „Er ist ein glücklicher Mann, dass er wieder mit Elf gegen Zehn spielen durfte.“ 

Guardiola hingegen ließ sich nicht weiter auf Wortgefechte ein, sondern fand stattdessen lobende Worte für seinen Vorgänger: „Jupp Heynckes ist der Architekt, ich möchte ihm für dieses Finale danken.“ 

Alles richtig gemacht, Pep!

Bedeutung des Spiels

Der FC Bayern war (und ist bis heute) die einzige deutsche Mannschaft, die den UEFA Supercup gewinnen konnte. Rein sportlich gesehen war es wichtig und schön, dass der Verein nun endlich seine Titelsammlung vervollständigen konnte, doch die Begegnung war vor allem auf emotionaler Ebene von Bedeutung. 

Natürlich kann der Gewinn des Supercups niemals das verlorene Endspiel in der Champions League 2012 aufwiegen. Trotzdem war es ein wenig Balsam für die geschundene Bayern-Seele, vor allem auch, da die Partien gewisse Parallelen aufzeigten. Noch einmal gegen Chelsea im Elfmeterschießen zu verlieren – nein, das wäre einfach zu viel des Guten Schlechten gewesen!

Unter der Führung Guardiolas gelang es den Bayern, ihre Dominanz aus der Triple-Saison beizubehalten. Bereits am 27. Spieltag standen sie als erneuter Deutscher Meister fest. Das hatte vorher noch kein anderer Verein geschafft. Im DFB-Pokal-Finale besiegten sie Borussia Dortmund mit 2:0 und sicherten sich so zum zehnten Mal in der Vereinsgeschichte das Double. Lediglich die Mission Titelverteidigung in der Champions League missglückte: das Hinspiel gegen Real Madrid ging mit 0:1 verloren, und im Rückspiel mussten sich die Bayern mit 0:4 vor heimischem Publikum geschlagen geben. 

Dennoch war der gewonnene Supercup der Auftakt zu einer erfolgreichen Ära unter Pep Guardiola – eine Zeit, nach der sich heute viele Fans zurücksehnen. Obwohl es dem Spanier nicht gelang, mit seinem Team die Champions League zu gewinnen, spielten die Bayern unter seiner Führung solch einen dominanten und ansehnlichen Fußball, der sie in der Bundesliga beinahe unantastbar machte und sie auch international zu den Besten Europas gehören ließ.