Scouting-Report: Leon Goretzka

Tobias Trenner 23.05.2018

Mit der Verpflichtung von Leon Goretzka schafften es die Bayern eines der größten deutschen Talente nach München zu lotsen. Bereits vor seinem Wechsel zu Schalke 04 wurde den Bayern das Interesse an Goretzka nachgesagt. Gerade Herrmann Gerland, der weiterhin gute Beziehungen nach Bochum hat – Goretzkas damaligen Verein – pflegt, drängte auf einen Transfer des Youngstars. Fünf Jahre später wechselt der mittlerweile 23-jährige Goretzka also nach München. Was zeichnet ihn aus? Warum war er in Europa so begehrt?

Der Spielertyp Leon Goretzka

Leon Goretzka vereint eine Vielzahl von Eigenschaften. Grundsätzlich fühlt er sich in höheren Zonen auf dem Feld wohler. Seine vertikalen Vorstöße und Dribblings können diesbezüglich zu seinen großen Stärken gezählt werden. Auch sein Passspiel ist auf einem sehr hohen Niveau. Er ist in der Lage den finalen Pass im Angriffsdrittel zu spielen. Doch auch die kurzen Pässe im Spielaufbau beherrscht Goretzka und kann damit die Sechserposition ohne Probleme bekleiden. Gegen den Ball profitiert der Nationalspieler besonders von seinen körperlichen Fähigkeiten. Zu seinen Stärken komme ich im Detail noch einmal im Laufe des Artikels.

Sein breit gefächertes Fähigkeitenprofil erlauben es einem Trainer Leon Goretzka auf vielen Positionen einzusetzen. Gerade bei der Konkurrenzsituation im Mittelfeld der Münchner ein Vorteil, um regelmäßig Spielzeit zu erhalten. Sein Ex-Trainer Domenico Tedesco ließ seine Mannschaft in der abgelaufenen Saison hauptsächlich in einem 3-4-3 agieren. Goretzka spielte dabei die meiste Zeit neben Max Meyer auf der Sechserposition. Hier hatte er aber den offensiveren Part inne und konnte so seine Stärken im Angriffsdrittel besser einbringen. Max Meyer kümmerte sich meist um den Spielaufbau.

Auch Niko Kovac könnte bei den Bayern auf eine Dreierkette setzen, wie er es bereits in Frankfurt tat. Goretzka könnte dabei als Sechser neben einem spielstärkeren Akteur wie Sebastian Rudy oder Thiago auflaufen. Dabei würde er wie auch schon auf Schalke den offensiveren Part bekleiden. Neben der Sechserposition ist Goretzka aber auch auf einer der Zehnerpositionen in Kovacs 3-4-2-1/3-4-3 auflaufen. Seine Fähigkeit Schnittstellenpässe zu spielen würde auf der Zehn noch besser genutzt werden. Darüber hinaus ließ Joachim Löw ihn bei der Nationalmannschaft auf der rechten Seite spielen. Goretzka bringt die athletischen und technischen Fähigkeiten mit, um bei Niko Kovac möglicherweise eine der Flügelverteidigerpositionen zu bekleiden. Jedoch wird es dort mit beispielsweise Joshua Kimmich andere Kandidaten geben.

Leon Goretzka mit einem der aktuellen Bayern-Akteure zu vergleichen ist eher schwieriger. Corentin Tolisso kommt Goretzka vielleicht am nächsten. Auch Tolisso agiert eher etwas offensiver und kann mit seinen Dribblings für Gefahr sorgen. Allerdings sind Goretzkas Fähigkeiten im Passspiel stärker einzuschätzen als die des Franzosen. Gerüchte darüber, dass Goretzka Sebastian Rudy ersetzen könnte, sollten nicht zu ernst genommen werden. Die beiden Spieler sind von ihrer Spielweise und Rolle in einer Mannschaft grundverschieden. Arturo Vidal könnte Probleme bekommen. Leon Goretzka besitzt ähnliche Fähigkeiten wie der Chilene, ist aber zusätzlich im Passspiel, bei der Entscheidungsfindung und unter Druck stärker. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Arturo Vidal den Verein im Sommer verlässt.

Der Mann für den letzten Pass

Gehen wir aber davon aus, dass er als Sechser oder höherer Achter auflaufen wird. Speziell für das Zentrale Mittelfeld bringt er alle Anlagen mit. Goretzka besitzt eine gute Übersicht und eine saubere Technik. Aus dem zentralen Raum heraus konnte er hin und wieder mit guten Vertikalpässen die Schalker Offensivspieler einsetzen. Auch sonst bietet er sich meist gut an und ist in der Lage die Ballzirkulation am Laufen zu halten.

Allerdings ist er in diesen Bereichen nicht mit Akteuren wie Thiago und James zu vergleichen. Goretzka fühlt sich in höheren Zonen wohler. Dort kann er auch unter Druck den Ball behaupten und schnell in die Spitze weiterleiten. In der Rückrunde zeigte er gegen die Bayern beispielsweise eine starke Leistung und schaffte es nach einer Balleroberung im genau richtigen Moment den Pass zwischen die Linien zu spielen.

Speziell seine Pässe in die Tiefe zeugen von einem guten Spielverständnis und Gefühl für die Dynamik des Spiels. Er spielt diese Steilpässe sehr oft im richtigen Moment, mit der richtigen Geschwindigkeit und half diese Saison so, der schwächelnden Schalker Offensive Akzente zu verleihen. Beispielsweise konnte Goretzka durch einfache Ablagen mit dem ersten Kontakt die Schalker Stürmer, meist Guido Burgstaller einsetzen. Neben seiner guten Übersicht und Technik sind auch seine Bewegungen ohne Ball sehr intelligent. Er erkennt freie Räume in der gegnerischen Defensive frühzeitig und ist dabei sehr schwer zu verteidigen.

Die Besonderheit von Leon Goretzka

Wer an die Stärken von Mittelfeldspielern denkt, wird in aller erster Linie an das Passspiel, die Zweikampfführung oder das Stellungsspiel denken. Jedoch spielt auch das Dribbling eine wichtige Rolle für zentrale Mittelfeldspieler, man denke nur mal an Andres Iniesta. Auch Thiago zeigt hin und wieder, dass Dribblings helfen können, die gegnerischen Linien zu überwinden.

Leon Goretzka ist ebenfalls ein guter Dribbler. Im Vergleich zu Iniesta sind seine Dribblings auf das Überbrücken von größeren Räumen ausgelegt. Gerade in Kontersituationen, wenn er etwas mehr Raum erhält kommt ihm das zu Gute. Doch auch bei Schalke konnte man gelegentlich beobachten, wie Goretzka gerade über die Außenbahn oder den Halbraum durch schnelle vertikale Vorstöße mit dem Ball am Fuß für Probleme beim Gegner sorgen konnte.

Er schafft es dabei, eine elegante und enge Ballführung mit seinen körperlichen Vorteilen zu vereinen. Seine Größe und relative Robustheit helfen ihm dabei den Ball geschickt abzuschirmen.

Auch ohne Ball bewegt sich Leon Goretzka sehr intelligent. Seine vertikalen Vorstöße aus der Tiefe sind sehr effektiv und schwierig zu verteidigen. Meist bewegt er sich nämlich recht spät in die Tiefe und lauert am Sechzehner auf Hereingaben in den Rücken der Abwehr. Dabei nutzt er den Vorteil, dass sich viele Teams beim Verteidigen von Flanken zu sehr auf die Spieler im Sechzehner konzentrieren und die Absicherung nicht immer ideal ist. Gerade bei der Flankenlastigkeit des FC Bayerns wird Goretzka sich hin und wieder in guten Abschlusspositionen befinden.

Sein Tor gegen Mexiko beim Confederations Cup 2017 ist dabei ein sehr gutes Beispiel für seine Qualitäten. Nach einer Balleroberung leitet er den Konter mit einem Steilpass für Henrichs ein. Er erkennt im Laufe des Sprints, dass sich auf der linken Seite ein Mitspieler befindet, der von keinem Verteidiger verfolgt wird.

Dementsprechend bewegt sich der zentrale Akteur von Mexiko in Richtung linke Seite. Bei der Hereingabe von Henrichs muss er abstoppen, während Goretzka zuvor nicht in vollem Tempo nach vorne sprintete. Dafür hat er aber nun den Vorteil hat, dass er mit Geschwindigkeit vor dem Mexikaner am Ball ist und mit dem ersten Kontakt abschließen kann.

Seine Defensivqualitäten

In der Defensive kommen Goretzka seine körperlichen Gegebenheiten zu Gute. Durch seine lange Statur schafft er es im Zweikampf seinen Körper einfacher zwischen Ball und Gegner zu bekommen. Auch ermöglichen ihm seine langen Beine bei Tacklings an viele Bälle zu gelangen, die andere Akteure vielleicht nicht mehr erreichen. Darüber hinaus, findet er eine gute Balance zwischen aggressivem Anlaufen und abwartender Haltung.

Sein Stellungsspiel ist des Weiteren auf einem bereits hohen Niveau, nicht umsonst stellte Schalke 04 diese Saison eine der besten Defensiven der Liga. Goretzka kann besonders in Gegenpressing-Situationen Bälle gut abfangen und beweist auch sonst durch das Anpassen seiner Position seine Qualitäten.

Fazit

Leon Goretzka verfügt über eine Vielzahl an Qualitäten, die bereits jetzt auf einem hohen Niveau sind. In München will er den nächsten Schritt in seiner Entwicklung machen. Akteure wie Joshua Kimmich oder Niklas Süle können hier als Vorbild für ihn dienen. Welche Position er letztlich bekleiden wird, hängt natürlich auch von den Präferenzen von Niko Kovac ab. Ähnlich wie Joshua Kimmich hat 23-Jährige den Vorteil, dass er auf vielen Positionen auflaufen kann.

In der ersten Saison ist davon auszugehen, dass Goretzka noch kein Stammspieler ist. Er wird wahrscheinlich mit Tolisso um seine Minuten kämpfen. Die für ihn ideale Position wäre auf der Sechs zusammen mit einem Akteur, der das Aufbauspiel strukturiert. Thiago wäre hierfür der ideale Kandidat. Ein Mittelfeld bestehend aus Goretzka und Tolisso/Vidal würde für zu wenig spielerische Lösungen im Aufbau sorgen. Natürlich könnte Goretzka auch auf der Zehnerposition mit James auflaufen, das hängt aber von Niko Kovacs konkreten Ideen ab.

Langfristig traue ich Goretzka aber zu, sich zum Stammspieler zu entwickeln und ähnlich wie Joshua Kimmich einen großen Einfluss auf das Spiel des FC Bayern zu haben. Um den Sprung in die absolute Weltklasse zu machen, muss er sich in allen Bereichen noch ein wenig steigern und mehr Konstanz in seine Leistungen bekommen. Ein Trainer, der seine Fähigkeiten passend in das System einbaut, besonders seine Dribblings und Vorstöße ist unerlässlich.