Ein Missverständnis in drei Akten

Maurice Trenner 31.08.2017

Von den Medien wird eine Leihgebühr von 8,5 Millionen kolportiert, wobei Swansea laut dem „kicker“ keine Option auf eine feste Verpflichtung des jungen Mittelfeldspielers für den Sommer 2018 hat.

Doch wie konnte es so weit kommen, dass der hochgelobte Sanches nach nur einem Jahr leihweise von Bayern nach Wales übersiedelt? Wir blicken zurück auf ein Missverständnis in drei Akten.

Erster Akt: Verpatzte Ankunft des „Wunderkinds“

Am selben Tag an dem Bayern die Heimkehr von Mats Hummels verkündete, wurde auch der Transfer eines gewissen Renato Sanches publik. Für die beachtliche Ablösesumme von 35 Millionen Euro hatte man sich die Dienste des damals erst 18-jährigen Portugiesen gesichert. Der Großteil der Bayern-Fans kannte Sanches zu diesem Zeitpunkt höchstens aus den Viertelfinal-Partien der Roten gegen Benfica im Frühling des gleichen Jahres, in denen Sanches einer der besseren Spieler auf Seiten der Portugiesen war.

Doch der Name Renato Sanches sollte schnell deutlich bekannter werden. Bei der Europameisterschaft in Frankreich lief der Neuzugang für den späteren Titelträger Portugal auf und lieferte dabei eine starke Leistung nach der nächsten ab.

Der frisch gebackene Europameister wusste so zu überzeugen, dass sich Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge weit aus dem Fenster lehnte und in Sanches den Alonso-Nachfolger sah. Die europäische Konkurrenz belächelte er, ob der verpassten Chance den Youngster vor seiner Breakout-Performance in Frankreich zu verpflichten. „Die anderen haben Urlaub gemacht“, so Rummenigge damals.

Allerdings stand der Start von Sanches an der Säbener Straße bereits unter keinem guten Stern. Aus dem EM-Finale brachte der Vielgelobte eine Oberschenkelverletzung mit, die ihm die komplette Vorbereitung kosteten. Aufgrund von Trainingsrückstand stand er die ersten drei Pflichtspiele der Saison 2016/17 nicht im Kader der Münchner.

Hierdurch verpasste der Youngster es, wenn auch nicht von ihm selbst unverschuldet, bereits während der ersten Wochen des ebenfalls neuen Trainers einen positiven ersten Eindruck zu hinterlassen. Er konnte Ancelotti gar nicht zeigen, zu was er im Stande war, bevor sich der Trainer auf eine Formation und eine Aufstellung festlegte.

Zweiter Akt: Eine Saison zum Vergessen

Zum ersten Einsatz kam die Neuverpflichtung dann im Liga-Spiel gegen Schalke. Dort durfte Sanches anstelle von Vidal im Mittelfeld auflaufen. In seinem ersten Spiel zeigten sich bereits die Probleme, die ihn über die gesamte erste Saison verfolgen sollten. Der Portugiese wirkte fehlerhaft im Spielaufbau, teilweise zu langsam im Kopf und am Ball und blieb unauffällig bis wirkungslos.

Der Youngster hatte dauerhaft Probleme sich im System des Rekordmeisters zurecht zufinden. Hier konnte ihn auch Trainer Ancelotti nicht ausreichend entlasten oder unterstützen. Während unter Guardiola jedem Spieler noch zu jeder Spielminute eine feste Position bzw. Zone auf dem Spielfeld zugeteilt war, ließ Ancelotti die Taktik-Zügel etwas lockerer. Gerade Sanches litt hierunter.

Die fehlenden Anspielstationen im Mittelfeld in Kombination mit dem für ihn eher ungewohntem, aber Bundesliga-typischen Mittelfeldpressing überforderten ihn häufig. Die Folge waren Fehlpässe und daraus resultierend eine steigende Verunsicherung. Auch Neuzugang Tolisso hatte damit in seinen ersten Spielen im Dress der Roten zu kämpfen. Hier bedarf es einer gewissen Anpassung des Spielers an die gesteigerten Anforderungen des Bundesliga-Alltags. Am sicheren Passspiel der Münchner, das als Grundlage des Bayern-Spiels zu sehen ist, nahm Renato Sanches dadurch nur selten teil. Das Spiel lief phasenweise an ihm vorbei.

Allzu häufig wirkte Renato Sanches ratlos und überfordert. Allerdings fehlte ihm auch die Unterstützung.
(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Bei der EM gefiel Sanches noch vorrangig durch seine Physis in den Zweikämpfen und Dribblings weit in die gegnerische Hälfte. Steffen bezeichnete die größte Stärke von Renato Sanches in seinem Scouting-Report damals als „unheimlichen Motor„. Diese Spielweise ist im Bayern-System jedoch nicht so etabliert. Eine Konstellation die auch einen Arturo Vidal an schlechten Tagen wie einen Fremdkörper im Ballbesitzspiel der Bayern wirken lässt. Gerade hier fehlte dem Portugiesen eine führende Hand im Team oder Trainerstab, die ihn unterstützt und weiterentwickelt um seine Stärken im Sinne des eigenen Systems sinnvoll einzubringen.

Man mag nicht daran denken, was für einen solchen Rohdiamant wie Sanches unter einem Taktik-Tüftler wie Guardiola möglich gewesen wäre. So aber war Sanches einer der wenigen Spieler im Bayern-Kader, die nie das Privileg hatten unter einem der großen Taktik-Maestros wie Pep oder auch Tuchel zu trainieren.

Bis zur Winterpause kam Sanches auf einige Einsätze, während Ancelotti noch auf der Suche nach dem richtigen System, der richtigen Elf war. Insgesamt 15 Einsätze hatte der mittlerweile 19-jährige bis Weihnachten. Doch im neuen Jahr, als Ancelotti sich auf sein Team festlegte, war Sanches außen vor. Der Youngster kam nur noch auf zehn Kurzeinsätze, spielte nur zwei Mal mehr als eine Halbzeit.

Natürlich besteht gerade bei so jungen Spielern dann die Gefahr in einen Abwärtsstrudel zu geraten. Im Februar äußerte Sanches in einem Interview, dass der Wechsel für ihn „heftig“ war. Auch die Sprachbarriere tat ihr Übriges, so spricht er nur wenig Englisch und noch weniger Deutsch. Ein Teufelskreis aus Isolation, Frust und Verzweiflung.

Dritter Akt: Eine neue Hoffnung?

Doch Sanches gab sich kämpferisch. Zum Ende der Saison zeigt er sich sehr reflektiert: „Davon lasse ich mich nicht unterkriegen. Ich bin sicher, dass die kommende Saison auch in individueller Hinsicht besser laufen wird für mich. Ich habe mir persönlich auch mehr erwartet von meinem ersten Jahr, aber das nächste Jahr wird ein besseres. Mit Sicherheit.“

Den Beginn sollte wiederum die Nationalelf machen. Zwar durfte der Europameister nicht mit seinen Kollegen der Herrennationalelf zum Confed-Cup nach Russland, aber dafür sollte er die portugiesische U21 bei der EM in Polen anführen. Doch auch hier erfolgte ein Rückschlag. Portugal musste bereits nach der Vorrunde die Koffer packen. Sanches hatte zwar sein Potential aufblitzen lassen und spielte gegen Serbien einen wunderbaren Traumpass, aber es war nicht genug.

Somit konnte der Portugiese wenigstens die Vorbereitung in München früher als in der Vorsaison beginnen. Allerdings kochten direkt mit seiner Rückkehr an die Säbener Straße die Gerüchte über einen Abschied hoch. Es wurden viele mögliche Ziele spekuliert und von Hoffenheim über Mailand bis Liverpool fielen alle Namen.

In den Vorbereitungsspielen durfte Sanches nochmals für Bayern auflaufen und zeigte ordentliche Leistungen, die Lust auf mehr machten. Als es jedoch an die ersten Pflichtspiele ging war der Portugiese wieder einmal außen vor. Ancelotti gab den Neuzugängen Rudy und Tolisso sowie den nicht komplett fitten Thiago und Vidal den Vorzug.

Was bleibt von Sanches?

Nun geht es also auf die Insel. Eine verpasste Chance für den FC Bayern. Auch wir hier im Blog hatten bereits über eine Leihe von Sanches diskutiert. Eine Leihe in die Bundesliga wäre gut, eine Leihe nach Hoffenheim optimal gewesen. Dort hätte Sanches die Sprache und Spielkultur der Bundesliga lernen können. Unter einem Trainer wie Nagelsmann hätte er zudem an seiner Technik und seinem Positionsspiel arbeiten können.

Eine Leihe ins Ausland bedeutet nun nichts von alledem. Der größte Pluspunkt an der Lösung Swansea ist sicherlich der Trainer, Paul Clement, der schon heute in der Lage sein sollte zu bewerten, ob Sanches die benötigte Spielzeit erhalten wird. Der vermeintlich größte Nachteil ist das Thema Integration. Sprachlich und (spiel-)kulturell klaffen natürlichen Welten zwischen Swansea und der Premier League auf der einen Seite und dem FC Bayern und der Bundesliga auf der anderen Seite. Sanches wird also auch im kommenden Sommer wieder eine Phase der Integration durchlaufen müssen.

Einen finalen Schlussstricht wollen wir an der Stelle unter die Akte Renato Sanches beim FC Bayern zwar noch nicht ziehen, aber dennoch sollte diese Episode die Möglichkeit bieten auch auf Seiten des Vereins einen Lerneffekt zu erzielen, um für zukünftige Transfers dieser Kategorie einen höheren Nutzen erzielen zu können.

Mit der Ankunft des Portugiesen letzten Sommer hatte man sich als attraktives Ziel auch für international gefragte junge Spieler mit großem Potential etabliert. Laut Medienberichten hatte sich Bayern gegen Manchester United im Rennen um Sanches durchgesetzt. Da der FC Bayern bewusst nicht beim Wettbieten im dreistelligen Millionenbereich um die Weltklassespieler von heute mitmachen möchte, steht Renato Sanches für den Versuch einen potentiell zukünftigen Weltklassespieler in jungen Jahren für eine noch vertretbare Summe zu verpflichten und innerhalb des Vereins zu entwickeln. Gerade mal ein Jahr später muss diese Strategie hinterfragt werden. Welches internationale Toptalent hat jetzt noch Lust beim FC Bayern die wichtigsten Jahre seiner Karriere zu „verschwenden“.

In den Vorbereitungsspielen zur Saison zeigte Sanches nochmal sein Potential. Jetzt soll er sich auf der Insel weiterentwickeln.
(Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Der FC Bayern muss sich hier hinterfragen, wie es so weit kommen konnte. Hierbei muss klar der Trainerstab der erste Ansprechpartner sein. Dieser muss einen jungen Spieler besser einbeziehen und die Schwächen bzw. notwendigen Entwicklungsschritte direkt adressieren. Sonderschichten oder Einzelgespräche mit Bezug auf Taktik und Positionsspiel können hier effektiv sein. Nur so kann sich ein Talent weiterentwickeln.

Darüber hinaus muss darüber nachgedacht werden, inwiefern man die Integration von Sanches hätte besser gestalten können. An dieser Stelle sollten auch die Führungsspieler mit der Situation konfrontiert werden. Wurden dem Portugiesen alle Möglichkeiten und Türen offen gehalten sich in die Truppe einzufinden?

Besonders brisant ist, dass mit dem Co-Trainer und Sportdirektor zwei Positionen, die als wichtiger Ansprechpartner für Spieler fungieren können und sollen, für Großteile der vergangenen Saison bewusst vakant blieben.

Die letzten beiden Punkte sind hierbei von außen natürlich schwer zu bewerten. Dennoch besteht die Hoffnung, dass durch die Ernennungen von Willy Sagnol und Hasan Salihamidzic hier fachlich und menschlich Personen installiert wurden, um vergleichbare Entwicklungen zu verhindern.

Für Sanches gilt es nun ebenfalls sich zu hinterfragen. Etwas das er ja bereits nach der letzten Saison öffentlich machte. In Swansea hat er die Möglichkeit für einen kompletten Neuanfang. Dort startet er nicht mit den Vorschusslorbeeren aus dem EM-Sommer 2016. Dort soll er keinen Alonso ersetzen. Eventuell hilft ihm diese Außenseiter-Rolle und er findet zurück zu seinen alten Stärken und einen neuen Rhythmus. Dann steht ihm ja immer noch die Rückkehr nach München für einen zweiten Anlauf offen.

Beim FC Bayern stehen nach dem Abgang von Sanches nur noch 18 Feldspieler mit Erfahrung im Profi-Bereich im Kader. Ein sehr kleiner Kader, der im Saisonverlauf zu Problemen führen könnte. Gerade weil mit Ribery, Robben, Boateng, Martinez und Thiago gleich fünf verletzungsanfällige Spieler im Team sind. Zwar sind die meisten Positionen durch polyvalente Spieler – auch hochklassig – doppelt besetzt, aber die Tiefe der vergangenen Jahre ist dem Kader abhanden gekommen. Eine durchauserstaunliche Entwicklung, da speziell das Ausscheiden aus der Champions League in den vergangenen Jahren häufig durch den Ausfall von wichtigen Spielern „begünstigt“ wurde.