Vom Rechtsverteidiger zum Co-Trainer

Maurice Trenner 10.06.2017

Bereits kurz nach dem bitteren Aus im DFB-Pokal gegen Borussia Dortmund veröffentlichten wir im Blog fünf Aufgaben für den FC Bayern über die Sommerpause. Als erste Aufgabe an die ein Haken gesetzt werden kann, ist Willy Sagnol nun als Co-Trainer verpflichtet worden. Die Stelle des Assistenten war zur neuen Saison frei geworden, nachdem Ancelotti-Vertrauter Paul Clement in der Winterpause die Freigabe des Vereins für die Übernahme des Postens als neuer Cheftrainer von Swansea City erteilt wurde. Zudem wechselt Hermann Gerland, der seit 2009 unter verschiedenen Trainern als Co-Trainer fungierte, zur kommenden Saison ins neue Nachwuchsleistungszentrum, wo er die Leitung übernimmt.

Die Wahl eines Co-Trainers ist keine leichte Aufgabe. In der Regel kommen hierfür zwei Typen in Frage: der langjährige Begleiter des Trainers oder der Taktik-Nerd (auch bekannt als „Laptop-Trainer“). Jeder der letzten Bayern-Trainer hatte seinen langjährigen Begleiter an seiner Seite. Angefangen mit dem Duo Hitzfeld und Henke, über Magath und Eichkorn bis hin zu Guardiola und Torrent. In Clement ist Ancelotti dieser Vertraute im Januar abhanden gekommen.

Die Idee mit dem Taktik-Nerd ist sehr verbreitet im US-Sport, wo die Spezialisierung der einzelnen Trainerpositionen bereits weiter fortgeschritten ist und beispielweise im American Football für Angriff und Verteidigung jeweils ein eigener Coach eingestellt wird, der noch einem Head-Coach unterstellt ist. Das Konzept kam zuletzt zum Beispiel beim FC Sevilla zutragen, wo Trainer Sampaoli von Assistent Juanma Lillo unterstützt wurde. Lillo war zuvor jahrelang selbst Trainer in der Premiera Division und in Mexico. Guardiola bezeichnet ebenjenen Lillo oft als Mentor und wechselte für seine letzte Saison als aktiver Spieler in die Mexikanische Liga, nur um direkt mit Lillo arbeiten zu können.

Mit Sagnol fällt nun die Wahl auf keinen der beiden oben genannten Typen. Viel mehr kommt ein Assistent, der mit dem FC Bayern sehr vertraut und verbandelt ist, der aber auch schon einige Erfahrungen im Trainergeschäft gesammelt hat. Wir blicken kurz zurück auf die Personalie Sagnol und welche Fähigkeiten er mitbringt.

Wer ist Willy Sagnol?

Für jeden Bayern-Fan ist diese Frage leicht zu beantworten. Zu vertraut sind die lang gezogenen „Willy“-Rufe die erst durch das Olympiastadion und später durch die Allianz-Arena schallten. Zu vertraut sind auch die typischen Sagnol-Flanken, die allzu oft zu einer Torchance führten.

Der damals 23-jährige Franzose kam im Sommer 2000 für die damalige Rekordablöse von 15 Millionen Mark zum FC Bayern. Zusammen mit dem Basken Bixente Lizarazu bildete er die französische Außenverteidiger-Zange in der Viererkette der Münchner. Direkt in seiner ersten Saison wurde Sagnol als Stammspieler deutscher Meister und absolvierte auch beim Champions-League-Sieg der Bayern in Mailand eine Halbzeit.

Durfte als Fan-Liebling in München auch immer wieder die Kapitänsbinde tragen: Willy Sagnol
(Foto: Sandra Behne/Bongarts/Getty Images)

Insgesamt absolvierte der Franzose 184 Liga-Spiele für die Münchner und damit die zweitmeisten eines Franzosen nach Franck Ribéry. Über acht Saisons, in denen er insgesamt fünf Meisterschaften und vier Pokalsiege feiern durfte, traf Sagnol sieben Mal ins gegnerische Netz und verbuchte 38 Assists.

Mit der Nationalmannschaft von Frankreich wurde der nimmermüde Rechtsverteidiger 2006 Vize-Weltmeister und 2003 Confederations-Cup-Sieger, wobei er insgesamt 59 Partien für die Équipe Tricolore absolvierte. Bei der WM 2006 in seiner Wahlheimat Deutschland stand Sagnol sogar alle 660 Minuten für Frankreich auf dem Platz.

Ab Januar 2009 stoppten die „Willy“-Rufe in der Allianz-Arena. Ein letztes Mal waren sie wohl beim 4:1-Sieg gegen Stuttgart am 30. Spieltag in seiner vorletzten Saison zu hören – Sagnols letztem Heimspiel für die Rot-Weißen. Mit gerade einmal 31 Jahren wurde der immer wieder verletzte Rechtsverteidiger, trotz bis 2010 laufendem Vertrag, von anhaltender Schmerzen in der Achillessehne zum Karriereende gezwungen. Nach einer OP im Sommer 2008 kam Sagnol nicht mehr auf die Beine und absolvierte bis zum Winter kein Spiel mehr.

Nach dem Ende der Karriere ging es für Sagnol rasant und abwechslungsreich weiter. Der smarte Franzose übernahm verschiedene Rollen und war kurzzeitig bei seinem Heimatverein AS Saint-Étienne als Aufsichtsratmitglied, bei den Bayern als Scout und in diversen Rollen beim französischen Fußballverband tätig. Für insgesamt acht Spiele betreute er auch die französische U21-Auswahl. Diese verließ er jedoch bei der ersten Möglichkeit einen Trainerposten in der ersten Liga zu ergattern.

Zur Saison 2014/15 wurde der ehemalige Rechtsverteidiger neuer Chef-Coach beim französischen Erstligisten Girondins Bordeaux. Nach einer erfolgreichen ersten Saison, die die Bordelais in die Europa League führte, wurde Sagnol nach wettbewerbsübergreifend 88 Spielen im März 2016 in seiner gerademal zweiten Saison aufgrund ausbleibendem Erfolg entlassen.

Warum Sagnol?

In der Pressemitteilung des FC Bayern wird explizit erwähnt, dass mit Sagnol der Wunsch von Ancelotti nach einem Co-Trainer, der sowohl ehemaliger Bayern-Spieler ist als auch über Erfahrung als Cheftrainer verfügt, erfüllt wurde. Dies war dem Italiener nach dem Abgang seiner beiden Co-Trainer wichtig. Doch wie kann Sagnol Ancelotti unter die Arme greifen?

Ein großer Vorteil von Sagnol ist, dass er die Bundesliga und den FC Bayern kennt oder zumindest eine frühere Version der beiden. Natürlich haben sich Liga und Verein seit 2009 extrem weiterentwickelt, gerade in der internationalen Darstellung. Dennoch füllt hier Sagnol die Lücke von Gerland als Bayern- und Liga-Versteher, der dem Cosmopolit Ancelotti die eine oder andere Feinheit und Sitte nahe bringen kann. Zudem spricht Sagnol gut Deutsch.

Zusätzlich zeigte sich Sagnol in der Vergangenheit, gerade nach seiner Entlassung bei Bordeux, als sehr interessiert am Werdegang des FC Bayern. Alleine im letzten halben Jahr äußerte er sich zwei Mal in der deutschen Medienlandschaft. Zuerst nannte er die Mannschaft nach dem Ausscheiden gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokal als zu alt. Weiterhin kritisierte er in dem gleichen Interview eine fehlende Club-Philosophie. In beiden diesen Belangen kann der Franzose nun direkt mit Ancelotti diskutieren und gegebenenfalls eine Neuausrichtung anstoßen. Ob der Italiener sich hierfür offen zeigt, bleibt abzuwarten.

In einem zweiten Interview äußerte er sich zur aktuellen Rechtsverteidiger-Situation der Münchner. Hier sieht er Kimmich nicht als Optimalbesetzung, da dieser „mehr Potenzial [hat], in der Mitte zu spielen“ und ihm die nötige Erfahrung im Eins-gegen-Eins fehle. Auch wird es spannend zu sehen sein, ob Sagnol diesen Standpunkt beibehält und seine Bedenken einbringt. Immerhin hat Club-Chef Karl-Heinz Rummenigge Kimmich das Lahm-Erbe hinten rechts öffentlich mehrmals anvertraut. Ancelotti hingegen ließ den 22-jährigen nur selten auf dieser Position auflaufen.

Mit Sagnol hat sich der FC Bayern also einen Co-Trainer mit Stallgeruch ausgesucht. Zudem hat der Franzose bereits einige Standpunkte öffentlich präsentiert, was zeigt, dass er die aktuelle Situation der Münchner auch aus der Ferne im Auge hatte. Es wird spannend zu sehen sein, wie er seine Meinungen intern anbringen wird.

Was bringt Sagnol mit?

Durch seine vielfältigen Tätigkeiten von Aufsichtsratmitglied über Scout bis Trainer bringt Sagnol eine große Bandbreite an Erfahrungen mit. Allerdings übte er keine seiner bisherigen Aufgaben für mehr als drei Jahre aus. Auch der Co-Trainerposten beim FC Bayern kann und wird nicht auf Dauer seinen Ansprüchen genügen. Doch wie kann sich der Franzose hier profilieren?

Eine Komponente des Trainer-Jobs, bei der auch wir im Blog bei Ancelotti immer noch Potential gesehen haben, ist die Taktik. Kann hier die Addition von einem Ex-Cheftrainer einer Europa-League-Mannschaft Früchte tragen? Um das zu beantworten genügt ein kurzer Blick auf die Amtszeit von Sagnol in Bordeaux.

Sagnol an der Seitenlinie im Europa-League-Spiel gegen Klopps Liverpool
(Foto: OLI SCARFF/AFP/Getty Images)

Die erste Saison hätte für Sagnol bei Bordeaux nicht besser starten können. Nach drei Spieltagen grüßte der Trainer-Novize von der Tabellenspitze und war damit der erste Girondins-Trainer, der mit drei Siegen in seinen neuen Job startete. Symptomatisch für den frischen Wind den Sagnol ins Team brachte war ein 4:1-Sieg daheim gegen Monaco. Lag man zur Halbzeit noch mit 0:1 zurück und wurde phasenweise vorgeführt, so entschied sich der Ex-Profi aus dem klassischen 4-4-2 ein flügellastigeres 4-2-3-1 zu machen. Beflügelt von der neuen Formation schoss ein entfesseltes Bordeaux vier Tore in 25 Minuten und gewann das Spiel.

Der Ex-Münchener wurde allerseits für seinen taktischen Mut und seine frische Spielweise mit vielen jungen Spielern gelobt. Am Ende der Saison stand ein respektabler sechster Tabellenplatz, der nach erfolgreicher Qualifikation zur Teilnahme an der Europa-League berechtigte.

Doch in der nächsten Saison sollte es für den erst 38-jährigen Trainer-Neuling nicht gut laufen. Bedingt durch einige Verletzungen und mehrere Sperren, fiel Bordeaux ins untere Tabellendrittel. Immer mehr wurde Sagnol angezählt. Seine taktischen Änderungen, sein In-Game-Coaching, das nach dem Sieg gegen Monaco noch so gelobt wurde, wurde ihm nun zum Strick. Jede Anpassung zur Halbzeit wurde als Eingeständnis einer fehlerhaften Grundformation gesehen.

Auf der Suche nach einer funktionierenden Startelf und Taktik experimentierte Sagnol viel herum. Alleine im Februar 2016, einen Monat vor seiner Entlassung, versuchte er fünf verschiedene Formationen zu etablieren – mit ausbleibendem Erfolg.

Zudem verlor Sagnol in dieser Zeit auch die Mannschaft. So zumindest deutete die französische Presse die teils öffentlichen Handgemenge zwischen den Top-Spielern der Mannschaft. Auch Sagnol blieb nicht ohne Ausrutscher und wurde nach einer öffentlichen Kritik am Schiedsrichter für drei Spiele gesperrt.

Was bringt Sagnol nun also mit? Definitiv den Mut taktisch etwas auszuprobieren. Er selbst will einen offensiven und attraktiven Fußball spielen lassen, etwas das er mit Bordeaux zuletzt nicht schaffte. In einem ruhigeren Umfeld, das gefestigt ist, und deutlich besseren Spielern könnte der Heimkehrer nun allerdings durchaus den ein oder anderen taktischen Kniff für Ancelotti bereit halten. Ob dieser sich dann ultimativ in die Taktik reinreden lässt, steht allerdings auf einem anderen Blatt.