Miasanrot Roundtable: Sechs Fragen vor dem Atlético-Rückspiel

Justin Trenner 02.05.2016

Wir laden vor dem Spiel gegen Atlético Madrid zum Miasanrot-Roundtable. Neben unseren Autoren Steffen, Justin und Felix, hat auch Martin Schneider von der SZ die wichtigsten Fragen zum Spiel beantwortet.

Im Hinspiel zog sich Atlético erst in der zweiten Halbzeit verstärkt in die eigene Hälfte zurück. Werden die Spanier in München von Anfang an so defensiv spielen?

Justin: Ich erwarte sie genauso wie im Hinspiel. Atlético wird mit Sicherheit nicht ins offene Messer laufen, aber zu Beginn kontrolliert und hoch pressen. Schießen sie tatsächlich wieder ein frühes Tor, wäre das vermutlich die Vorentscheidung. Die Bayern würden dann drei Tore benötigen und das gelang in dieser Saison nur Celta Vigo beim 2:3 in Madrid. Sobald die Guardiola-Elf allerdings Kontrolle in ihr Spiel bekommt, wird Atlético sich wieder zurückfallen lassen.

Felix: Ich bin mir ehrlich gesagt gar nicht mal sicher, ob Atlético im Hinspiel bewusst zurückgezogen hat oder ob nicht doch wir sie dazu gedrängt haben. Jedenfalls glaube ich, dass Bayern in der Lage ist, den Gegner auch von Anfang an reinzudrücken und ein frühes Tor zu erzielen. Sollte Simeone am Anfang wieder auf Pressing setzen, müssten wir auch damit klarkommen und Geduld haben. Selbst eine so hervorragende Mannschaft kann das nicht über 90 Minuten durchhalten.

Martin: Irgendwann wird Atlético dieses Angriffs-Pressing bis hin zu Manuel Neuer spielen, es ist die beste Möglichkeit, das Auswärtstor zu schießen. Diese ersten 20 Minuten im Calderón, ich habe selten (eher: noch nie) eine so perfekt choreographierte Pressingmaschine gesehen. Bayern kommt mit dieser Taktik nicht klar, gegen Turin schon nicht, obwohl sie vermutlich vorher genau wussten, was auf sie zu kommt. Dieses Trommelfeuer dauert dann so 15-20 Minuten, dann schiebt Atlético zurück. In der zweiten Halbzeit kommt das je nach Spielstand wieder auf Bayern zu.

Steffen: Guardiola hat in der Abschluss-PK auch gesagt, dass er definitiv davon ausgeht, dass Atlético beginnen wird wie im Hinspiel. Er wird die Mannschaft noch stärker dafür sensibilisieren. Es war wie Martin schon richtig sagt, eine bemerkenswert dominante Anfangsphase im Hinspiel. Selbst Torres oder Griezmann sahen in jedem Laufduell und Zweikampf so aus, als seien sie ihren Gegenspielern deutlich überlegen. Ich bin froh, dass nicht mal Atlético das über 90 Minuten durchziehen kann…

Welchen Einfluss könnte die Rückkehr von Diego Godín auf Atlético haben?

Justin: Bei aller Wichtigkeit dieser Personalie denke ich nicht, dass Godín einen großen Einfluss haben wird. Natürlich ist er der Abwehrchef und seine 73% Zweikampfquote in der Champions League helfen jedem Team weiter. Letztendlich ist das System von Diego Simeone jedoch so gut, dass auch die Ersatzspieler in der Lage sind seine Position zu übernehmen. Wenn er in der Startelf steht macht es die Aufgabe für die Bayern sicher nicht einfacher, aber das war sie auch gegen die Abwehrreihe aus dem Hinspiel nicht.

Felix: Ich bin da bei Justin. Godín hin oder her, Atlético hat im Hinspiel gezeigt, dass es als Kollektiv stark ist und nicht durch einzelne Akteure besticht. So gesehen denke ich nicht, dass uns mit Godín auf dem Platz ein anderes Spiel erwartet, auch wenn seine Kopfballstärke auch im gegnerischen Strafraum eine echte Waffe ist.

Martin: Ein Kopfball-Turm, ein schlachtenerfahrener Schweinehund und natürlich ein super Abwehrspieler. Aber eben nicht völlig fit. Ist Abwägungssache, ihn zu bringen, aber eher nicht spielentscheidend, dafür verteidigt Atlético zu gut im Kollektiv. Außer, er wuchtet im Sergio-Ramos-Stil eine Flanke nach Standardsituation rein. Die Südkurve wird sich erinnern.

Steffen: Ich nehme zurückkommende, angeschlagene, wahrscheinlich übermotivierte Gegner immer gern. Da geht meistens was schief. Bayern hat trotz der Ausfälle der Abwehrrecken kein einziges Tor nach einer Ecke kassiert. Godin hat hier sicher eine Qualität. Sorgen mache ich mir deshalb aber nicht.

Auf der anderen Seite hat Jérôme Boateng am Wochenende erste Minuten gesammelt. Wie sinnvoll erscheint seine Rückkehr?

Martin: Uff. Puh. Ähm. Das Fiese ist ja: Kein Spieler wäre besser gegen diesen Gegner als Boateng (Spieleröffnung, lange Bälle, Spiel gegen Pressing, klassischer Verteidigerkram). Das Fiese ist aber ja auch: Er kann unmöglich fit sein. Jeder, der schonmal ein bisschen ernsthafter Sport gemacht hat, weiß, dass man nach so einer Verletzung nicht sofort wieder springt wie ein junger Vidal. Ich traue Guardiola zu, dass er darüber nachdenkt, ihn zu bringen. Weil er (wie man seit dem Perarnau-Buch weiß) unabhängig vom Gesundheitszustand seine Schachfiguren haben will. Falls er das macht, und falls es schief geht, traue ich aber Joachim Löw zu, dass er Pep mit dem Seiden-Schal würgt ohne auf seinen Gesundheitszustand zu achten.

Steffen: Er wird spielen. Wenn nicht esse ich Löws Seiden-Schal. Ich mache mir bei seiner Sprintfähigkeit gegen Atléticos lange Bälle ein wenig Sorgen. Gerade später im Spiel, aber ich bringe jetzt mal ein ganz untaktisches, altmodisches Argument, weil ihr die anderen Punkte richtig benennt. Ich will jemanden der ein CL-Finale und ein WM-Finale gewonnen hat in so einem Spiel auf dem Platz haben. An einer Kante wie Boateng können sich alle festhalten – auch wenn es mal eine schwierige Phase in einem Spiel gibt.

Justin:Boateng hatte ein gutes Comeback. In Ansätzen zeigte er, warum er auch am Dienstag eine wichtige Rolle einnehmen könnte. Seine Spieleröffnung fehlte den Bayern in den letzten Monaten mehr als viele vermuten würden. Es gibt ein paar Spieler die auch mit dem breitesten Kader der Welt nicht zu ersetzen wären. Einer davon ist Jérôme Boateng. Ich glaube dass Pep Guardiola ihn von Anfang an bringen wird. Gegen eine starke Gladbacher Offensive gewann er 75% seiner Zweikämpfe. Für den Finaleinzug brauchen die Münchner eine gute Spieleröffnung um die eng gestaffelten Gäste zu überraschen. Boateng wäre dafür ideal und er scheint bereit zu sein, wenngleich er noch nicht in seiner besten Verfassung sein kann.

Felix: Ich erwarte nicht, dass Boateng am Dienstag eingesetzt wird. Sicher, sein Comeback war ordentlich, aber bei weitem nicht auf dem Niveau, auf dem wir ihn brauchen würden. Während viele aus dem Gladbach-Spiel die Lehre ziehen, dass Boateng zurückkam, würde ich vielmehr auf Medhi Benatia achten, der ein hervorragendes Spiel machte und sich für einen Einsatz empfahl.


Pep Guardiola sprach auf einer Pressekonferenz von seiner „letzten Patrone“. Was könnte er damit gemeint haben, welche Ausrichtung ist zu erwarten und was spricht für einen Finaleinzug der Bayern?

Die Bayern setzten zuletzt selten auf die Taktik aus der Hinrunde, als häufig fünf Offensivkräfte vorne spielten. Eine mögliche Lösung?

Felix: Ja, auf jeden Fall. Es sollte zumindest darauf hinauslaufen, ein Mitglied der Achse Alonso-Thiago-Vidal (am besten Thiago) für Müller herauszunehmen. Somit könnte man noch leichter Übergewicht erzeugen, auch wenn dann natürlich einiges an Verantwortung auf Alonso lasten würde. Das Zusammenspiel mit Lahm-Martinez-Benatia-Alaba (meine Wunsch-Viererkette) könnte allerdings für genug Konterabsicherung sorgen.

Justin: Pep Guardiola sagte schon nach dem Hinspiel, dass ein ähnlicher Fehler wie damals gegen Real nicht nochmal passieren würde. Ich rechne deshalb nicht mit großen Überraschungen und auch keinem besonderen Offensivlauf. Stand jetzt benötigen die Bayern ein Tor für die Verlängerung. In der Allianz Arena treffen sie fast immer und deshalb sollte die Offensive das kleinste Problem sein. Ich rechne mit Thomas Müller und Robert Lewandowski sowie zwei Flügelspielern. Franck Ribéry hatte vor dem Spiel Rückenprobleme und sollte deshalb vielleicht nicht starten. Sein sportlicher Einfluss auf das Team ist im Moment ohnehin nicht der größte und von der Bank wäre er eventuell wertvoller.

Martin: Ganz ehrlich: Was meint ihr, wie die Arena reagiert, wenn Müller wirklich wieder auf der Bank sitzt? Auch wenn es taktisch-theoretisch tausendmal nachvollziehbar ist. Atlético macht das Zentrum dicht, ich muss über außen spielen, brauche Costa und Coman, kann von den drei im Zentrum eigentlich keinen opfern, gibt leichtere Puzzle. Dazu muss ja das erste Ziel sein (wie Justin sagt) kein Tor zu bekommen. Drei kassiert Atlético nämlich nicht.

Steffen: Zu Müller: Ich will nicht drüber nachdenken… Ich hatte wie Justin auch das Real-Spiel aus 2014 im Kopf. Im Nachinein kam es mir aber so vor, als hätte Guardiola seinen “Fehler” auf ein offenes Spiel zu setzen selbst ein wenig überhöht. Die ersten beiden Gegentreffer fielen nach Standards. Dann war das Spiel eh durch und Toni Kroos durfte noch ein paar Kontern hinterhertraben… Wir haben hier im Blog in der Hinrunde anhand von Zahlen dargestellt wie stark das “Lineup of Death” mit 5 Offensiven war. Knapp 30 Torschüsse pro 90 Minuten. Das ist ein Pfund. Ich liebe es einen dritten dribbelstarken Spieler auf dem Feld zu haben. Guardiola sollte das bei einem 0:0 in der 50./60. Minute definitiv im Hinterkopf behalten. Zum Start erwarte ich eine Ausrichtung auf Passsicherheit und Ballkontrolle.

Pep Guardiola sprach von seiner “letzten Patrone”. Was könnte seine entscheidende, zündende Idee sein?

Justin: Wie ich bereits angedeutet habe, glaube ich nicht an große Überraschungen. Seine “letzte Patrone” wird wohl eine geschlossene Mannschaftsleistung sein, die alle derzeitigen Probleme kaschiert und zu einer erneuten Kehrtwende in der Allianz Arena führen könnte. Kontrolle im Mittelfeld, eine stabile Defensive, die möglichst kein Tor kassieren sollte und eine bessere Chancenverwertung als im Hinspiel werden der Schlüssel zum Erfolg sein. Vor allem die Anfangsphase gilt es nicht wieder zu verschlafen. Zu allen taktischen Plänen benötigen sie allerdings auch etwas Glück.

Felix: Entscheidende, zündende Idee? Schwierig vorherzusagen, ich traue ihm aber im Gegensatz zu Justin schon auch eine offensivere Aufstellung zu, die Atlético mehr unter Druck setzen könnte. Seine “letzte Patrone” wird allerdings auch Glück brauchen, um (im Bild bleibend) den Gegner zu verwunden.

Martin: Ich spekuliere mal wild vor mich hin: Ich würde Kimmich bringen (von mir aus auch Benatia, auch wenn mir dafür v.a. nach seinem Auftritt gegen Juve die Fantasie fehlt) um Alaba als Linksverteidiger frei zu haben. Dann sieht die Geschichte im Spielaufbau über die Außenverteidiger schonmal ganz anders aus, als mit dem fleißigen aber limitierten Bernat. Und ich würde Alonso opfern. Den stellt Simeone (wie jeder intelligente Gegner) eh konsequent zu und gegen diese Zweikampfberserker kommt Xabi mit seinen 34 nicht mehr an. Ich würde Vidal nach hinten ziehen (im Calderón war er der offensivere Part) damit er seine Zweikämpfe gewinnen kann und Thiago ein bisschen weiter nach vorne packen. Ich habe ihn nicht soooo schlecht gesehen wie alle anderen, obwohl das Gegentor und diverse Zweikämpfe ja a Wahnsinn waren, wie man hier sagt. Dann ist Müller drin und kann mäandern. Oder Lewandowski raus und Xabi rein. Lewandowski ist ja noch eher Joker als Müller. Oder halt Kimmich/Boateng und Martínez/Vidal im Mittelfeld. Das wäre dann wirklich der letzte Hase aus dem Hut. Gar nicht so einfach, das alles. Aber die Leute erzählen sich ja, dieser Guardiola könne was.   

Steffen: Meine Idee: 3-5-2. Lewandowski und Müller als echter Zweier-Sturm am und im Strafraum. Immer in Bewegung, immer anspielbar, immer Unruhe. Dazu Martínez im zentralen Mittelfeld neben Alonso, Costa, Coman und Lahm. Das wäre die perfekte Balance aus Pressing Umspielung und geballter Offensivpower vorne. Ich würde es gern sehen.

Was spricht für ein Weiterkommen der Münchner?

Steffen: Ehrlich gesagt spricht auf dem Papier recht wenig für ein Weiterkommen. Weder die Form noch die Ausgangslage. Ich rechne absolut nicht damit, dass die Münchner hier mit einem klaren 3:0 oder höher rausgehen. Es braucht vielleicht ein krummes Spiel. Ein Tor zu rechten Zeit, vielleicht einen geschenkten Elfmeter und einen Torwart. 

Felix: So blöd es klingen mag: Der FC Bayern ist einmal nicht der Favorit, und das könnte Kräfte freisetzen. Die Mannschaft kann es mal wieder allen beweisen, das hat sie in den letzten Jahre oft genug geschafft. Die “mental strength” kann der entscheidende Faktor sein, Atlético hat schon einmal ein wichtiges Spiel gegen einen Gegner verloren, der nicht immer überlegen war.

Justin: Viele haben die Hoffnung bereits verloren, einige bereiten den Abgesang auf Guardiola vor und das Team steht mit dem Rücken zur Wand. Traditionell sind das die Grundlagen für die besten Leistungen der Bayern. Ich schrieb in meiner Vorschau, dass 90 Minuten im Vicente Caldéron sehr lang sein können. In der Allianz Arena gilt dasselbe und abschreiben würde ich den FC Bayern nie.

Martin: Ich seh’s wie Felix. Diese Mannschaft hat zuweilen wirklich eine beeindruckende Mentalität (Turin), kommt selten raus, weil es selten raus kommen muss. Ah, und wen ich noch gar nicht erwähnt habe: Philipp Lahm. Im Hinspiel bester Mann auf dem Platz. Wie ich als Rechtsverteidiger in der zweiten Halbzeit dieses Spiel gegen einen – nunja – nicht grad so einfachen Gegner, so lenken kann – mehr als beeindruckend. Ich mache aber den Spielverderber hier: Bayern packt’s nicht. Einen Fehler machen sie in der Abwehr und es hängt alles am Gegentor. Und dann Feuer frei zur großen Diskussion, ob Pep Guardiola nun gescheitert ist oder nicht.