Peter Hermann: Der Arbeiter im Hintergrund
Als am 19. Mai 2012 wenige Meter entfernt Frank Lampard, John Terry, Didier Drogba und all die anderen ganz in Blau gekleideten Spieler des FC Chelsea den Champions-League-Pokal in den Münchner Abendhimmel rissen, schweiften die Gedanken von Bayerns Co-Trainer Peter Hermann 10 Jahre zurück. Er hatte das alles schon einmal erlebt. Als Co-Trainer von Klaus Toppmöller in Leverkusen. Damals machte Real Madrid um Zinedine Zidane alle Träume des Underdogs, der am Ende in drei Wettbewerben Zweiter wurde zu Nichte.
Und obwohl es für die Münchner im eigenen Stadion und nach 120 dominanten Minuten mit Siegchancen en masse auf den ersten Blick deutlich dramatischer wirkte, war Hermanns Gefühl ein anderes. Damals mit Leverkusen sei ihm klar gewesen, dass diese Chance nie wieder käme. Die Mannschaft brach auseinander. Ballack ging. Ze Roberto. Später auch Lucio. „Klar war das mit dem Finale zu Hause richtig bitter. Vor allem für die Jungs auf dem Platz. Aber ich habe mir auch sofort gedacht: der FC Bayern hat mit diesem Kader auch nächstes Jahr eine Chance, ins Finale zu kommen. Ob er es schafft, ist eine andere Frage. Aber die Chance ist mit so einer Mannschaft auch im nächsten Jahr wieder da.“ Ein wohltuend realistischer Gedanke nach einem völlig unrealistischen Spiel. Ein echter Peter Hermann eben.
Es ist sicher auch dieser nüchterne Blick des erfahrenen Co-Trainers, der es dem FC Bayern gemeinsam mit Heynckes unheimlicher Akribie und Sammers Feuer ermöglichte, von der ersten Trainingseinheit der neuen Saison an wieder in die Spur zu finden. Hermann, das merkt man schnell wenn man sich mit ihm unterhält, ist kein Mann für Pathos und große Reden. Dafür ist jeder Satz ehrlich.
Jupp Heynckes und Peter Hermann finden spät zueinander, obwohl sie jahrzehntelang in unterschiedlichen Funktionen in der Bundesliga nebeneinander herarbeiteten. Als Spieler und als Trainer. Allerdings in unterschiedlichen Flughöhen.
2009. In Leverkusen, wo Heynckes, der Champions-League-Sieger von 1998 seiner Laufbahn völlig neuen Schwung verlieh, treffen sie sich. Heynckes ist damals bereits 63. Hermann, der bis auf einen Abstecher in Nürnberg seit 1989 in Leverkusen arbeitete, war 57. Beide ergänzen sich. Hermann imponiert Heynckes‘ Fähigkeit ein Team zu führen. Das Team auf dem Feld und das hinter der Mannschaft. Heynckes schätzt den stetigen Austausch über Fußball und Hermanns hochprofessionelle Arbeit auf dem Trainingsplatz. 2011 wechseln Heynckes und Hermann gemeinsam nach München.
In einer Zeit in der zwischen Beobachtern und Akteuren beinahe ein Kulturkampf um den modernen Trainer ausgefochten wird, vereint Hermann auf eine Art beide Welten. Er kann herrlich unkompliziert über Fußball sprechen. „Gegenpressing geht halt nur, wenn alle mitmachen“, ist so ein Satz. Das Spiel bekommt so bei aller Professionalisierung ein Stück Leichtigkeit zurück. Davon täuschen lassen sollte sich aber niemand. Hermann greift auf ein schier unerschöpfliches Reservoir an Trainingsformen zurück. Vor allem bestimmte Spielformen kamen dabei in der Zeit in München immer wieder vor. Positionsspiel. Umschalten mit Felderwechsel. Zonenorientiertes Pressing. Umschalten nach Balleroberung. Wechsel zwischen Angriffs- und Mittelfeldpressing. Auch die Videoanalyse mit Blick fürs Detail gehört zu seinen Schwerpunkten. Ohnehin schaut er sehr viel Fußball. Nicht nur Spiele der eigenen Mannschaft, sondern alles was gerade irgendwo verfügbar ist.
Der Mann für die Trainingsarbeit
Hermann ist nicht der Typ Co-Trainer, dem egal ist, wer gerade unter ihm Cheftrainer ist. Er kennt seine Rolle. Er ist der Arbeiter im Hintergrund. Der Trainingsanzug sein Blaumann. In Leverkusen und München war Heynckes immer der Chef, der Dirigent, der Maestro, der Hinweise dankbar aufnahm, aber am Ende die Entscheidungen traf und die Richtung vorgab. Hermann war der Helfer. Im allerbesten Wortsinne. So wird es auch in den kommenden Monaten sein.
Auf dem Trainingsplatz hallen Hermanns Kommandos lautstark über das Feld. Hermann, der im Gespräch ruhig, beinahe zurückhaltend wirkt, geht in dieser Rolle auf. Er ist Vertrauensperson der Spieler und Ratgeber in all den kleinen und großen Dingen des Fußball-Alltags. Hermann arbeitet mit Bastian Schweinsteiger an den richtigen Winkeln im Aufbauspiel, wenn dieser sich mal wieder zu tief und passiv in die Kette fallen lässt. Er arbeitet mit Jerome Boateng am richtigen Timing in der Luft. Er trainiert mit Xherdan Shaqiri Freistöße. Er bleibt für die Zusatzschichten von Arjen Robben auf dem Feld, wenn dieser wieder und wieder nach innen zieht und den kontrollierten Abschluss übt. Nie aufdringlich, aber immer mit offenem Ohr. Nicht nur für die Stars, sondern für jeden im Kader. Gerade für die, die gerade nicht so zum Zug kommen.
Hermann denkt in anderen Kategorien als die meisten Fußballbeobachter. Viel dreht sich um die tägliche Arbeit im Training, die meist im Schatten des großen Bundesligazirkusses stattfindet und doch die Grundlage für so vieles ist. Gefragt nach kritischen Momenten in der Triple-Saison, nennt Hermann nicht die Niederlage gegen Borisov oder das knappe Achtelfinal-Rückspiel gegen Arsenal, sondern die Trainingswoche vor dem Pokalfinale gegen Stuttgart. Da sei zum ersten und einzigen Mal in der Saison nicht so gut trainiert worden. Die Spannung sei nicht richtig da gewesen. Wenige Tage nach dem Sieg im Champions-League-Finale irgendwie nachvollziehbar. Aber eben mit Blick auf das letzte Saisonspiel nicht positiv. Und das zählt. Erst in der letzten Trainingseinheit vor dem Pokalfinale kehrte die Spannung, die die Mannschaft über die ganze Saison ausgezeichnet hatte, zurück.
Teuerster Co-Trainer aller Zeiten
„Der Philipp Lahm hat in seiner Karriere nicht einmal schlecht trainiert.“ Auch das ist so ein Hermann-Satz. Seine Augen leuchten, wenn er über die Zeit mit Lahm und Schweinsteiger spricht. Wissbegierig, ehrgeizig, hochprofessionell in jedem Training. So beschreibt er die beiden Co-Kapitäne der 2013er Saison, die damit exemplarisch für eine außergewöhnliche Mannschaft stehen. „Ich habe ihnen das so gegönnt“, sagt Hermann und meint das Triple als endgültigen Gegenbeweis gegen all die klugen Kommentatoren und Experten, die gerade diesen beiden Ausnahmespielern immer wieder das Label „unvollendet“ angeheftet hatten. Das Triple ist auch Hermanns größter Erfolg in seiner langen Karriere. Aber über sich spricht er weniger.
Dass der 65-Jährige nun – vier Jahre nach der Triple-Saison – mit kolportierten 1,75 Millionen Euro Ablöse zum teuersten Co-Trainer der Bundesliga- vielleicht sogar des Weltfußballs wird, ist ihm wahrscheinlich selbst eher unangenehm. Viel Geld für einen Mann, den selbst 99% der hartgesottenen Fußball-Fans wahrscheinlich noch nie reden gehört haben. Heynckes wird dies als wichtige Bedingung für seine Rückkehr auf Zeit formuliert haben. Heynckes, Hermann, Gerland, Tapalovic. Er hat seine Band wieder beisammen.
Die Akribie des alten und neuen Bayern-Cheftrainers ist berüchtigt. Er wird auch dieses Mal nichts dem Zufall überlassen. Und so wird Peter Hermann auch in den kommenden Wochen nach Champions-League-Abenden bis tief in die Nacht die Spiele nachbereiten, damit diese am nächsten Tag sauber und ordentlich besprochen und abgeschlossen werden können.
So wie es sich als Arbeiter im Hintergrund gehört.