Mit weißer Weste zum Topspiel nach Hoffenheim

Justin Trenner 09.10.2020

Vor dem Spiel gegen Duisburg setzen die Frauen des FC Bayern München ein Zeichen. Mit selbstbedruckten T-Shirts wollen sie nicht nur ihren Teamgeist nach außen transportieren, sondern auch der aktuell schwer verletzten Giulia Gwinn (Kreuzbandriss) zeigen, dass sie nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft ist. Vorn sind gekreuzte Finger zu sehen, darunter steht „Together“. Auf der Rückseite ist Gwinns Zopf in Form ihrer Rückennummer 7 abgedruckt.

Von außen ist im Prinzip kaum zu beurteilen, wie nah die Spielerinnen wirklich beieinander sind. Aber wer einigen von ihnen in den sozialen Netzwerken folgt, dürfte über diese Aktion hinaus den Eindruck gewinnen, dass da etwas zusammengewachsen ist, oder zumindest gerade zusammenwächst.

Das zeigt sich auch auf dem Platz. Die Bayern sind perfekt in die neue Bundesliga-Saison gestartet. 6:0 gegen Sand, 4:0 in Bremen, 1:0 gegen defensiv starke Freiburgerinnen, 2:0 bei Essen und nun 3:0 gegen Duisburg – 16 Tore, kein Gegentreffer, die volle Anzahl an Punkten. Nur Wolfsburg hat bei gleicher Ausbeute an Siegen ein Tor mehr erzielt, weshalb sie trotz der gleichen Tordifferenz (17:1) auf Platz 1 stehen und nicht die Bayern.

Jens Scheuer, Trainer der Bayern Frauen, kann deshalb zufrieden sein. Insbesondere in der Arbeit gegen den Ball zeigen die Münchnerinnen bisher eine sehr disziplinierte und starke Leistung. Die ersten fünf Gegnerinnen konnten dem aggressiven und gut organisierten Pressing der Bayern nichts entgegensetzen.

Vor allem aber gelang es ihnen nicht, den Spielfluss des amtierenden Vizemeisters zu stören. Zu großen Teilen liegt das daran, dass die Frauen des FC Bayern in Ballbesitz gut strukturiert und geduldig agieren. Aus ihrem 4-2-3-1 heraus arbeiten sie viel mit Asymmetrie.

Die ungefähre taktische Ausrichtung der Bayern Frauen.

Insbesondere die Rolle der Außenverteidigerinnen spielt hier eine Rolle. Während Simone Laudehr häufig eher tiefer steht und in der Spielaufbauphase mit den Innenverteidigerinnen eine Dreierkette bildet, schiebt Hanna Glas häufig sehr weit nach vorn.

Rotation und kluges Positionsspiel

Damit die Dreierkette nicht in der Luft hängt und das Vorschieben von Glas nicht zu offensichtlich zu durchschauen ist, herrschen gerade im Mittelfeldzentrum viel Rotation und Bewegung. Die in der Grafik transparent dargestellte Position auf der Sechs wird mal von Kapitänin Lina Magull, mal aber auch von Sydney Lohmann besetzt. Zwischen den beiden wechselt sich ständig ein „Kommen“ und „Gehen“ ab, was es den Gegnerinnen schwerer macht, sie zu pressen.

Durch die Raute in erster Aufbaulinie konnten die Bayern Frauen bisher immer Überzahl herstellen und so den Ball laufen lassen, bis eine Lücke aufging. Ob das auch gegen hochpressende und druckvolle Gegnerinnen funktioniert, könnte sich womöglich erst im Dezember gegen den VfL Wolfsburg zeigen, aber im Moment wirkt der Spielaufbau sehr stabil.

Im Angriffsbereich wird ebenfalls stark rotiert. Rückt Glas weiter auf, bewegt sich Viviane Asseyi meist von außen nach innen, wo sie viel mit Linda Dallmann und Lea Schüller rotiert. Die drei stehen meist mit den beiden Sechserinnen eng beieinander, ohne sich dadurch aber Räume wegzunehmen. Das führt dazu, dass sich Gegnerinnen oft auf diesen Fünferblock fokussieren, dabei aber die Flügel öffnen, wo dann Glas und die dribbelstarke Klara Bühl ihren Raum nutzen sollen.

Players to watch

Neben diesen taktischen Schemen ist es aber auch die individuelle Klasse, die aktuell oft den Unterschied macht. Neben der Ballsicherheit, die gerade schon erfahrene Spielerinnen ausstrahlen, muss hier vor allem Lina Magull nochmal herausgehoben werden. Die 26-Jährige ist mit und ohne Ball extrem wichtig für die Struktur des Teams. Im Spielaufbau positioniert sie sich immer klug, befreit sich aus Drucksituationen und findet Lösungen, um den Ball nach vorn zu bringen. Sie ist die Taktgeberin und läuft viele Lücken zu.

Auch Hanna Glas spielt bisher eine tolle Saison. Abgesehen von ihrem Traumtor gegen Essen ist sie auf der rechten Außenbahn die Ruhe selbst. Ihr Stellungsspiel ist großartig und sie weiß mit ihrer Spielintelligenz stets zu überzeugen. Über Glas kann die Mannschaft in jeder Situation spielen, weil sie weiß, dass in den meisten Fällen etwas Gutes rauskommt. Die 27-Jährige ist routiniert, zweikampfstark und eine absolute Bereicherung für die Bayern. Ein Top-Transfer.

In den letzten Spielen konnte sich darüber hinaus auch Klara Bühl zeigen. Die erst 19-Jährige rutschte zuletzt in Scheuers Startelf und konnte überzeugen. Insbesondere ihre Dribblings sind belebend für das Bayern-Spiel, dem gerade im letzten Drittel oft noch die Kreativität abgeht. Natürlich hat Bühl noch eine gewisse Streuung in der Qualität ihrer Aktionen, aber gerade mit der Verletzung von Gwinn ist es gut, eine Spielerin im Kader zu haben, die auch mal für Überraschungen sorgt. Bühl könnte vom Ausfall der Nationalspielerin am meisten profitieren.

Die Bayern stehen vor wichtigen Wochen

Es gibt noch einige weitere Spielerinnen, die in den letzten Wochen überzeugt haben. Doch irgendwie führt dann doch alles wieder zum angesprochenen Teamgeist. Dieses Team funktioniert nicht wegen der Einzelteile, sondern weil es gemeinsam an seinen Zielen arbeitet.

Trotzdem sollte eine so frühzeitige Bewertung mit aller Vorsicht erfolgen. Die letzte Saison hat gezeigt, wie weit der Weg zu Mannschaften wie Lyon oder Wolfsburg noch ist. Und das ist der Anspruch. Gerade im Spiel nach vorn muss auf die guten Mechanismen im Aufbauspiel und das eigentlich gute Positionsspiel im offensiven Zentrum noch mehr folgen. In vielen Spielphasen ist das Offensivspiel zu wenig druckvoll.

Die Variabilität fehlt den Bayern nicht. Mal geht es über Steil-Klatsch-Spielzüge durch die Mitte – also ein vertikaler Pass in die Offensive, wo die Passempfängerin den Ball nochmal auf eine Mitspielerin klatschen lässt, die sich zwischen den Verteidigungslinien der Gegnerinnen positioniert und das Spiel nun vor sich hat.

Andere Spielzüge laufen über die Flügel, indem die Halbräume überladen werden. Nicht selten scheitern diese anspruchsvollen Angriffe aber an der Präzision und dann entstehen Spiele wie gegen Freiburg oder Essen, wo lange die Durchschlagskraft fehlte und der Brustlöser durch Standards oder Traumtore kam.

Erst Hoffenheim, dann Potsdam und bald Wolfsburg

Daran gilt es in den kommenden Wochen zu arbeiten, will man Wolfsburg tatsächlich Konkurrenz machen. Am Sonntagnachmittag wartet mit der TSG Hoffenheim ein schwer einzuschätzender Prüfstein. Die Hoffenheimerinnen stehen mit nur 7 Punkten nach 5 Spielen auf Platz 5 der Tabelle. 8:8 Tore stehen bisher auf dem Konto, wobei gerade die 1:3-Niederlage am ersten Spieltag gegen Turbine Potsdam schmerzte. Auch gegen die womöglich direkte Konkurrenz aus Frankfurt gelang nur ein 0:0, während die deutliche 1:4-Niederlage gegen Wolfsburg gezeigt hat, dass Hoffenheim nach oben viel fehlt.

Es ist deshalb erneut eine Pflichtaufgabe, die die Bayern Frauen zu lösen haben. Doch Hoffenheim ist an guten Tagen ein anderes Kaliber als die bisherigen Gegnerinnen. Das kurzfristige Ziel der Bayern muss es sein, den Druck auf Wolfsburg bis zum direkten Aufeinandertreffen am 9. Spieltag aufrecht zu erhalten.

Nach dem Hoffenheim-Spiel kommen die aktuell drittplatzierten Potsdamerinnen nach München. Es kann eine ganz wichtige Woche für das eigene Selbstvertrauen werden. Es kann der Auftakt zu einem engen Titelrennen sein. Doch der Weg, er ist für die Bayern bei all der positiven Stimmung immer noch weit. Es gilt nun von Spiel zu Spiel und von Woche zu Woche zu schauen. Der Auftakt ist jedenfalls gelungen. Für Scheuer folgt nun die Arbeit am Detail.

Das Spiel gegen die TSG Hoffenheim läuft am Sonntag (11.10.2020) um 14 Uhr bei Magenta Sport.



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