Miasanrot-Awards 2021/2022: FC Bayern Aufsteiger der Saison
Einmal mehr ist es Jamal Musiala, der sich in die Herzen nicht nur der der Bayernfans gespielt hat. So ist es keine Überraschung, dass er mit großer Mehrheit zum Miasanrot Aufsteiger der Saison gewählt wurde.
Der 19-jährige feierte in seiner dritten Saison in München seine dritte Meisterschaft, an der er einen veritablen Anteil hatte. Im Laufe der Saison machte der gebürtige Stuttgarter einen Schritt ins internationale Rampenlicht. Mit seinen Anlagen und Möglichkeiten stehen große weitere Schritte vor ihm.
Musialas Saison 2021/22
Musiala spielt sich in die A-Rotation
Musiala kam in der abgelaufenen Saison in 40 von 47 Pflichtspielen zum Einsatz und absolvierte dabei 1.980 Minuten (47% der möglichen Spielzeit). Das reicht für Rang 14 in der Einsatzstatistik des Kaders. Im Vorjahr belegte er noch Rang 17.
Damit einher ging auch ein Aufstieg in der Rotation vom Talent hin zum Kandidaten für die Stammelf, auch wenn Konkurrenten fit sind. Immerhin 18-mal durfte Musiala von Beginn an ran.
In den großen Spielen vertraute Trainer Julian Nagelsmann ihm eingeschränkt. In den Ligaspielen gegen Borussia Dortmund und RB Leipzig stand er nie in der Startelf, in zehn Champions-League-Spielen immerhin fünfmal.
Musiala als polyvalenter Allesspieler
Links, rechts, Mitte? Offensiv, zentral, defensiv? Könnte er gar ganz vorne?
Laut Transfermarkt.de kam Musiala auf sechs verschiedenen Positionen zum Einsatz, hauptsächlich im Zentrum.
Insbesondere seine Aufstellung als Goretzka-Vertreter als Teil der Doppelsechs neben Joshua Kimmich kam für einige Außenstehende überraschend. Doch Musiala nahm die Defensivaufgaben der Rolle sichtlich engagiert an. Laut Whoscored kam er in seinen Startelfeinsätzen im zentralen Mittelfeld im Schnitt auf 6,9 erfolgreiche Defensivaktionen (erfolgreiche Tacklings, abgefangene Pässe, geblockte Pässe oder Schüsse) pro 90 Minuten. Das ist quantitativ die Bandbreite, die ein internationaler Defensivspezialist wie Casemiro abliefert (6,6 in der abgelaufenen Saison). Auch wenn er defensiv qualitativ wahrscheinlich nie mit Reals Brasilianer mithalten kann und hier und da falsche Entscheidungen traf, zeigen die Zahlen, dass er auch diese Position ausfüllen kann.
Musiala als Scorer
Aufs Scoring-Tableau schaffte er es mit acht Toren und sechs Vorlagen 14-mal, was eine Steigerung von sechs Scorerpunkten gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Im Schnitt scorte er 0,64-mal pro 90 Minuten.
Damit reiht er sich in Punkto Effizienz hinter Müller, Gnabry und Sané ein und schneidet besser ab als Coman, Kimmich oder Goretzka.
Mittelfeldspieler des FC Bayern Scorer Scorer pro 90 Minuten Thomas Müller 38 0,96 Serge Gnabry 27 0,88 Leroy Sané 29 0,88 Jamal Musiala 14 0,64 Kingsley Coman 14 0,60 Corentin Tolisso 3 0,51 Joshua Kimmich 15 0,40 Leon Goretzka 6 0,27 Marcel Sabitzer 2 0,18
Musialas Stärken und ideale Rolle
Sieht er schneller?
Im Artikel zu Musialas Wahl zum Spieler des Monats Anfang der Saison schrieb ich: “Er bringt Elemente ins Spiel, die nicht viele andere Fußballer mitbringen. Weiträumige Tempodribblings können viele. Musiala aber dribbelt auch in Engen hinein und aus Engen heraus. Ob per Dribbling oder präzisem Kurzpass, Musiala findet Lösungen, die andere gar nicht sehen. Er blüht regelrecht auf, wenn er unter Druck gesetzt wird. Je enger der Raum, desto klarer sieht Musiala die Lücken.”
Musiala wirkt in solchen Szenen, als sehe er schneller. Als verarbeite er Geschehnisse auf dem Platz und die Situation um ihn herum schneller als Mit- und Gegenspieler.
Was nach Science Fiction klingt, ist bei einigen Vereinen bereits in Scouting und neuroathletischer Trainingstheorie angekommen. Denn tatsächlich sehen nicht alle Menschen gleich schnell. Einige Menschen “sehen schneller”, das heißt, sie verarbeiten die Informationen, die sie mit den Augen aufnehmen, schneller. Die Zeit um die schneller Sehenden herum läuft in ihrer Wahrnehmung dadurch langsamer ab. Man kann sich diesen Effekt so vorstellen wie im Filmklassiker “Matrix”, wenngleich natürlich deutlich weniger ausgeprägt. Wenn Musialas grätschender Gegenspieler in Zeitlupe auf ihn zukommt, ist es einfacher für ihn, dieser Grätsche auszuweichen.
Während man diese Seh- bzw. Verarbeitungsgeschwindigkeit mittlerweile messen kann, ist es in den Neurowissenschaften derzeit noch eine offene Forschungsfrage, inwieweit dieses Talent angeboren und inwieweit es trainierbar ist.
Unabhängig davon, ob Musiala wirklich “schneller sieht”, schafft er es mit seinen Fähigkeiten, Probleme auf dem Fußballplatz zu lösen, die andere nicht lösen können.
Zu den wesentlichen Herausforderungen im modernen Fußball gehört es, sich im Aufbau aus gegnerischen Pressing zu befreien. Musialas Talent, auch unter Gegnerdruck angespielt werden zu können, ohne dass der FC Bayern den Ball verliert, ist hierfür immens wichtig. Das gilt umso mehr, als die Viererkette des FCB nicht mehr das ganz hohe spielerische Niveau von Alaba, Hummels, Boateng und Lahm mitbringt und insofern leichter unter Druck zu setzen ist.
Nicht minder wertvoll ist Musiala im Angriffsspiel des FC Bayern im vorderen Drittel. In den meisten Spielen hat es Nagelsmanns Team mit tief verteidigenden Gegnern und wenig Räumen fürs eigene Kombinationsspiel zu tun. Musialas Talent, Gegner auf dem sprichwörtlichen Bierdeckel ausdribbeln zu können und seine präzisen Pässe auf engstem Raum, sorgen dafür, trotz geparkter Busse, spielerisch zu Torchancen zu kommen.
Wo soll er spielen?
Wenn Musiala in verschiedenen Funktionen wertvoll für den FC Bayern ist, wo sollte Nagelsmann ihn dann am besten einsetzen?
Entscheidend ist weniger die nominelle Position als vielmehr die Rolle, die er ausfüllt.
Er ist kein Flügelstürmer wie Robben oder Coman. Er hat weder Robbens Durchschlagskraft und Weiträumigkeit; er ist nicht der Typ Dribbler, der wie Coman über außen durchbricht und dann eine Flanke schlägt. Er könnte aber der Typ Winger sein, wie Ribéry es einst war. Ebenfalls Rechtsfuß könnte er von links außen nach innen dribbeln, im Slalom durch den Strafraum, dann ablegen oder selbst abschließen. Der offensivstarke und Breite gebende Alphonso Davies wäre ein passender Tandempartner.
Er ist kein Zehner wie Müller es im 4-2-3-1 spielt. Gegen den Ball ist er, auch altersbedingt, noch nicht der Pressingorganisator. Mit dem Ball kommt er noch nicht an Müllers Scoring-Output heran. Und doch bringt Musiala für die Zehnerposition wichtige Qualitäten mit. Wer, wenn nicht Musiala, ist in der Lage, aus der Zehnerpositon heraus in den Strafraum hinein zu dribbeln oder auf engstem Raum seine Nebenleute in Szene zu setzen. Bisher war Müller bei Nagelsmann gesetzt, auch als er in der Rückrunde phasenweise nicht an die herausragenden Leistungen aus der Hinrunde anknüpfen konnte. Kommt es in Zukunft zum Generationenduell um die zentrale Position im Bayernteam? Oder findet Nagelsmann ein System für beide Spieler?
Er ist kein Achter wie Leon Goretzka, der Box-to-Box alle Räume covern kann. Dafür fehlt ihm insbesondere gegen den Ball noch die Präsenz. Er kann aber ein spielstarker Achter sein. Die Parallelen zu Modric und noch mehr Iniesta sind offenkundig. Beide fühl(t)en sich am wohlsten, wenn sie in einem echten Dreier-Mittelfeld in V-Formation mit strukturgebendem Ankersechser (Casemiro, Busquets) hinter sich und einem weiteren spielstarken Achter neben sich (Kroos, Xavi) zusammenspielen. Zwar stünde mit Kimmich ein Weltklassepartner zur Verfügung, für ein Dreiermittelfeld nach Real- oder Barca-Vorbild fehlt im Bayernkader bisher aber der tiefe Sechser, losgelöst davon ob dieser die Rolle a là Casemiro, Busquets oder Xabi Alonso interpretieren würde.
Im Zuge der Transferdiskussionen um Robert Lewandowski und Sadio Mané wurde thematisiert, dass Nagelsmann in einer Zeit nach Lewandowski auf ein flexibleres System, vielleicht trotz des fehlenden Ankersechsers im 4-3-3, vielleicht im 4-2-2-2, vielleicht auch ganz anders umstellen könnte. Es wird spannend zu beobachten, welche Pläne der Bayerntrainer mit Jamal Musiala hat.
Musialas nächste Schritte
Seit er vor drei Jahren aus der Jugend vom FC Chelsea nach München wechselte, verlief Musialas Weg steil nach oben. Die Entwicklung junger Spieler verläuft nicht immer linear. Wer weiß, wie Musiala die kommende eng getaktete Saison inklusive WM-Belastung verkraften wird. Der FC Bayern und seine Fans sollten geduldig sein.
Verläuft die Saison jedoch ohne größere Rückschritte, dann sollte Jamals nächster Schritt an folgenden Meilensteinen gemessen werden:
- Feste Rolle/Position im Team finden
- Platz unter den Top 10 in der Einsatzstatistik nach Spielminuten
- Über 20 Scorerpunkte in allen Wettbewerben
Schafft er diese Meilensteine, dann kandidiert er demnächst vielleicht um die Auszeichnung des Spielers der Saison.