Miasanrot-Awards 2020/2021: Team der Saison
Die Feierlichkeiten nach dem Abpfiff gegen Eintracht Frankfurt am Sonntagnachmittag haben abermals gezeigt, wie eng dieses Team miteinander zusammengewachsen ist. Vielleicht wäre es deshalb gar nicht mal so falsch, jegliche Analyse der Erfolgsfaktoren genau darauf zu beschränken: Mannschaftliche Geschlossenheit. Deshalb sind sie auch unser Bayern-Team der Saison. Knapp vor den Basketballern und recht deutlich vor den Herren und den Amateuren.
In den letzten Jahren hatten die Bayern auch ordentlich Qualität in ihrem Kader, aber auf dem Platz wirkte das Team unausgewogen. Letztendlich war es vor allem das Problem, dass die Mannschaft im Ligaalltag zu instabil agierte. Das Spiel nach vorn war holprig, es gab kaum wiederkehrende Angriffsmuster und defensiv war man stets anfällig für den einen oder anderen Gegentreffer.
In dieser Saison war es davon nur noch wenig zu sehen. Die Bayern marschierten durch die Liga, bauten sich eine Serie von 26 Siegen auf und retteten ihren Vorsprung in der Bundesliga schließlich über die Ziellinie. Eine beeindruckende Leistung.
Drei Faktoren für den Erfolg
1. Teamgeist
Um einen ersten Eindruck davon zu bekommen, wie eng diese Mannschaft miteinander verbunden ist, reicht ein Blick in die sozialen Netzwerke. Insbesondere auf Instagram haben die Spielerinnen im Laufe der Saison immer wieder Einblicke gegeben, die kaum einen anderen Schluss zulassen konnten: Die verstehen sich auch außerhalb des Platzes recht gut miteinander. Das zeigt sich dann vor allem in den Momenten, in denen Fußballspiele kritisch werden.
Trotz der Dominanz gab es in der Liga immer wieder Spiele, in denen letztendlich nur ein Tor über Sieg oder Unentschieden entschieden hat. Immer wieder zogen die Bayern den Sieg. Weil sie nach schwachem Start in die Partie oder Rückschlägen nicht in sich zusammenfielen, sondern weiter gemeinsam am Treffer arbeiteten.
In den Vorjahren gab es durchaus Momente, in denen der Glaube daran zu fehlen scheinte, gemeinsam erfolgreich zu sein. Momente, die letztendlich wichtige Punkte kosteten, um Wolfsburg unter Druck zu setzen. Diesmal ließen sie sich selbst im Saisonendspurt, der vor allem aufgrund der unnötigen Niederlage gegen Hoffenheim nochmal heiß wurde, nicht aus der Ruhe bringen. Der Meistertitel ist kein Erfolg einzelner Spielerinnen, sondern einer des gesamten Teams.
2. Kaderbaustellen geschlossen
Und doch wäre eine Analyse, die nur auf einen so kaum greifbaren Aspekt wie den Teamgeist beschränkt ist, zu knapp. Natürlich muss man nach einem solchen Jahr konstatieren, dass auch qualitativ Schritte nach vorn gemacht wurden. Obwohl u. a. mit Melanie Leupolz und Verena Schweers zwei wichtige Spielerinnen und Persönlichkeiten den Verein verlassen haben, konnte die sportliche Leitung unter der Führung von Bianca Rech auf dem Transfermarkt klug nachlegen. Vier Spielerinnen sind dabei besonders hervorzuheben: Hanna Glas, Marina Hegering, Sarah Zadrazil und Lea Schüller.
Seit Vivianne Miedema den Verein 2017 verlassen hatte, fehlte den Bayern eine Angreiferin auf Top-Niveau, die nicht nur verlässlich Tore erzielt, sondern darüber hinaus auch die technische Qualität mitbringt, um am Spiel teilzunehmen. Jovana Damnjanović schien sich in der letzten Saison dahingehend gut weiterzuentwickeln, verletzte sich dann aber schwer. In dieser Saison kam mit Lea Schüller aber eine junge Angreiferin, die nach kurzer Anlaufzeit zu überzeugen wusste. In den letzten 11 Bundesliga-Partien traf die 23-Jährige 14-mal – insgesamt waren es 16 Treffer. Schüller lässt sich aber nicht nur auf ihre Vielzahl an Toren reduzieren. Sie arbeitet mit und gegen den Ball sehr diszipliniert für die Mannschaft und ist mit ihren Laufwegen nicht nur klassische Vollstreckerin, sondern auch Raumöffnerin für die Flügelspieler.
Auch auf der Rechtsverteidigerposition konnten sich die Münchnerinnen erheblich verstärken. Mit Hanna Glas kam eine Spielerin, die vor der Saison von vielen nur schwer eingeschätzt werden konnte. Bei den Bayern hat sie aber unter Beweis gestellt, dass sie über riesige Qualität verfügt. Vor allem ihre Ruhe am Ball und die meist zuverlässige Entscheidungsfindung in Drucksituationen helfen dem Team von Jens Scheuer enorm. Glas ist nur schwer zu pressen und ihr Passspiel ist eine große Bereicherung für den Spielaufbau. Auch offensiv nimmt sie sehr aktiv am Spiel teil. Nicht nur ihr sehenswertes Tor im Hinspiel gegen Chelsea sowie die Vorlage für Sydney Lohmann im gleichen Spiel sind dafür stellvertretend, sondern schon ihre vielen kleinen Vorstöße, die die gegnerische Defensivlinie immer wieder vor knifflige Entscheidungen stellen, sind eine hochwertige Ergänzung im Offensivwerkzeugkasten der Mannschaft.
Unter dem Radar läuft manchmal Sarah Zadrazil. Die Österreicherin hat im Mittelfeld aber eine Qualitätslücke geschlossen, die vor der Saison riesig erschien. Melanie Leupolz hatte München in Richtung London verlassen, wo sie nun für den Chelsea WFC kickt. Die ehemalige Bayern-Kapitänin war der Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld. In unserem Artikel zur Spielerin der Saison haben wir bereits gewürdigt, dass Lina Magull den Abgang gut kompensieren konnte. Das aber ist nur die halbe Wahrheit. Magull und auch Lohmann können deshalb so befreit aufspielen, weil Zadrazil neben ihnen so einen überragenden Job macht. Sie ist die perfekte Verbindungsspielerin, stopft die Löcher im Mittelfeld und zeigt sich robust sowie zweikampfstark gegen den Ball.
Eine weitere wichtige Verstärkung für die Stammelf war gewiss Marina Hegering, die wir in unserem Artikel neulich bereits gewürdigt haben. Doch auch darüber hinaus hat die sportliche Leitung des FC Bayern vieles richtig gemacht. Klara Bühl und Viviane Asseyi waren immer wieder Teil der Startelf oder überzeugten von der Bank. Mit dem vergangenen Transfersommer ist die Mannschaft von Scheuer vor allem im technischen Bereich nochmal viel stärker geworden und das zeigt sich dann eben vor allem im Bundesliga-Alltag, wo es meist gegen tiefstehende Defensivreihe Tempo und Kreativität braucht. Beides kam im Transfersommer dazu. Die Kaderplanung verlief somit optimal.
3. Taktischer Fortschritt
Zu guter Letzt gebührt auch dem Trainer große Anerkennung für die erfolgreiche Saison. Scheuer ging nicht ohne Kritik in dieses wegweisende Jahr. Sein Team wirkte in großen Spielen oft mutlos und in den alltäglichen Partien nicht selten zu unkreativ. In dieser Saison gab es vor allem hinsichtlich der Kreativität durchaus große Fortschritte.
Ein in den Vorjahren viel zu selten genutztes taktisches Stilmittel der Bayern war das Steil-Klatsch-Spiel. Gerade in der Besetzung des Angriffsdrittels haben sich die Münchnerinnen in dieser Saison entscheidend weiterentwickelt, weil sie dort viel dynamischer unterwegs sind. Die Spielerinnen wechseln die Positionen, ziehen Gegenspielerinnen effizienter aus ihren Positionen und bieten in Ballnähe mehr Passoptionen an.
Ein wiederkehrendes Muster ist dabei, dass die Gegenspielerinnen auf der Außenbahn gelockt werden, um sich schließlich über den Halbraum mit den technisch starken Spielerinnen Hegering und Magull zu befreien. Gleichzeitig werden im Angriffsdrittel Positionen durch gegenläufige Bewegungen geöffnet, was dazu führt, dass die Abstände in der gegnerischen Abwehrkette auseinandergezogen werden.
Und auch gegen tiefstehende Mannschaften, die sich nur schwer locken ließen, gab es immer wieder Lösungsvarianten, die einstudiert wirkten. Auffällig war, dass die Frauen häufiger über die Mitte kombinieren konnten als noch im Vorjahr. Die Flügelstürmer rückten häufig ein, damit im Zentrum eine weitere Anspielstation vorhanden war. So konnte sich entweder die Sturmspitze mal fallen lassen, um sich für einen Pass zwischen die Linien anzubieten oder in die Tiefe gehen, während sich die Außenspielerin zwischen den Linien anbot. Damit die gegnerische Abwehrkette sich nicht zu einfach darauf einstellen kann, arbeitete Scheuer mit teils sehr hoch agierenden Außenverteidigerinnen – mindestens ballnah. Diese Dynamik über die Spielfeldmitte gab dem Spiel mehr Variation.
Insgesamt waren die Bayern stabiler in ihrem Passspiel als noch in der letzten Saison. Einer der wichtigsten Schlüssel dürfte aber die Arbeit gegen den Ball gewesen sein. Trotz des hohen Risikos im Angriff konnten die Münchnerinnen sich meist auf eine starke Restverteidigung verlassen. Die Konterabsicherung war auch deshalb gut, weil im Ansatz viel verhindert werden konnte. Das Pressing der Münchnerinnen war im nationalen Vergleich herausragend. Vorn liefen die Angreiferinnen die Räume meist so zu, dass der Ball entweder über den Umweg der Außenverteidigerin oder direkt ins Mittelfeldzentrum eröffnet wurde. Dort waren vor allem Zadrazil und Magull immer wieder zur Stelle, die mit ihrer Zweikampfstärke kaum etwas anbrennen ließen und im Gegenteil durch ihre Handlungsschnelligkeit noch dafür gesorgt haben, dass im Gegenzug direkt Gefahr entsteht.
Dinge, die noch besser werden können
1. Mehr Mut zum Ballbesitz unter Druck
An der Stelle lässt sich aber auch der erste Punkt anführen, der nach wie vor verbesserungswürdig ist. Gerade in den Partien gegen Wolfsburg und Chelsea war zu sehen, dass die Bayern unter gegnerischem Druck anfällig für Fehler sind. Zugleich führte das noch zu oft dazu, dass sie lieber lange Bälle nach vorn geprügelt haben, als in ihre technischen Fähigkeiten zu vertrauen. Mal ist ein langer Ball durchaus notwendig, um zu entlasten oder eine hochstehende Abwehrkette zu überspielen. Gerade bei der Pokalniederlage in Wolfsburg, dem Bundesliga-Rückspiel dort und den beiden Spielen gegen Chelsea waren es aber zu viele lange Bälle. Dadurch gab man die Spielkontrolle aus der Hand und holte die Gegnerinnen ins Spiel.
Hegering, Zadrazil, Magull, Lohmann. ab der kommenden Saison sogar noch Saki Kumagai – das ist Qualität auf sehr hohem Level im Zentrum. Spätestens dann muss es der Mannschaft gelingen, den Ball und die Gegenspielerinnen auch dann mal laufen zu lassen, wenn der Druck wächst. Das spart Energie und kostet bei der anderen Mannschaft Kraft. Ein Blick zu den aktuellen Champions-League-Siegerinnen kann dabei nicht schaden. Barcelona hat in beeindruckender Art und Weise gezeigt, wie wichtig ein sauberes Kurzpass- und Positionsspiel sind. Scheuer und sein Team haben hier nach wie vor einiges an Luft nach oben.
2. Links hinten
In Sachen Kaderplanung könnte für die Bayern auf der linken Defensivseite nochmal etwas passieren. Carolin Simon ist auf Bundesliga-Niveau eine überaus verlässliche Spielerin, die im Kombinationsspiel kaum abfällt und hinten in ihren Kernaufgaben einen ordentlichen Job macht. Mit den gewachsenen Ansprüchen des Klubs könnte es aber passieren, dass sie ihren Stammplatz bald abgeben muss. Eine Spielerin vom Kaliber Glas ist sie aktuell jedenfalls nicht.
Vor allem im Rückspiel gegen Chelsea im Champions-League-Halbfinale hatte die Trainerin Emma Hayes diese Seite als Schwachstelle ausgemacht. Einerseits spielte Scheuers Viererkette diesem Plan in die Karten, andererseits zeigte sich Simon sehr überfordert mit der Klasse von Fran Kirby. Auf diesem Niveau hat es einfach nicht gereicht.
3. Vertrauen in die eigene Taktik
Dass die Bayern gegen Chelsea oder im Vorjahr gegen Lyon nicht ins offene Messer laufen wollten, ist allzu verständlich. Doch Scheuer konnte auch in dieser Saison nicht so richtig seinen Ruf ablegen, ein sehr vorsichtiger Trainer zu sein. Zu vorsichtig? Durch den Titelgewinn hat er sich den Kredit erarbeitet, in den kommenden Monaten das Gegenteil zu beweisen.
Die Qualität in der Mannschaft ist enorm und auch wenn sie gerade erst dabei ist, wichtige Erfahrungswerte zu sammeln und sich durch diese weiterzuentwickeln, gab es Momente, in denen die taktische Herangehensweise sie eher zu hemmen schien. Gegen Wolfsburg und Chelsea waren die Bayern mitunter zu passiv und defensiv. Statt in das zu vertrauen, was sie eigentlich stark macht (siehe oben), verloren sie sich in einer zu abwartenden Haltung.
Hier muss Scheuer in der kommenden Saison ansetzen. Am stärksten waren die Münchnerinnen auch gegen Top-Teams, wenn sie sich zugetraut haben, Druck aufzubauen. Im Hinspiel hatte Chelsea vor allem deshalb kaum gute Chancen, weil die Bayern ein in Phasen mutiges Mittelfeldpressing aufzogen und nicht nur am eigenen Strafraum auf die Blues warteten. Scheuer legt viel Wert auf eine stabile Defensive, aber er sollte sich in Zukunft nicht zu sehr darauf versteifen, wenn man auch in Europa nochmal einen weiteren Entwicklungsschritt machen möchte.