Malaise in Mainz

Marc Trenner 23.04.2023

Thomas Tuchel ging heute mit einer sehr veränderten Aufstellung in die Partie: Yann Sommer, Josip Stanišić, Dayot Upamecano, Matthijs de Ligt, Joāo Cancelo, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Alphonso Davies, Jamal Musiala, Thomas Müller und Sadio Mané. Nicht wenige mögen von diesen Namen überrascht gewesen sein.

Das Spiel begann recht komfortabel für die Bayern, die kaum Schwierigkeiten hatten, mit viel Ballbesitz Kontrolle auszuüben und Mainz weit in die eigene Hälfte zu drängen.

Doch das Problem der letzten Wochen, echte Chancen zu kreieren und diese in Tore umzumünzen, blieb weiter bestehen – bis zur 29. Minute, als Cancelo eine sehr schöne Flanke auf Mané spielte, der knapp nicht im Abseits stand und mühelos zum 0:1 einköpfen konnte.

Dieses Tor beendete endlich die 519-minütige Torflaute der Offensivabteilung. Noch wichtiger aber war, dass es zunächst so aussah, als könnte es eine Aufbruchstimmung in der Mannschaft erzeugen, da die nächste Phase bis zum Ende der Halbzeit relativ positiv verlief.

In der zweiten Halbzeit wurden die Bayern jedoch brutal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. In der 65. Minute glich Mainz aus, nachdem ein von Sommer nur schlecht parierter Ball direkt zu Ajorque gefallen war, der den Abpraller problemlos am Torwart vorbei zum 1:1 einköpfte.

Von da an war Mainz am Drücker. In der 73. Minute traf Barreiro mit einem Flachschuss in den Winkel zum 2:1 und nur sechs Minuten später setzte Caricol mit einem schönen Schuss in die rechte untere Ecke den Schlusspunkt zum 3:1.

Drei Dinge, die uns aufgefallen sind

Zusammenbruch

In diesem Spiel haben die Bayern einen neuen Tiefpunkt erreicht. Es war von vornherein klar, dass dies ein schwieriges Spiel werden würde, wenn man die Enttäuschungen der letzten Wochen und vor allem die des Mittwochs bedenkt. Es ist schwer für eine Mannschaft nach Rückschlägen dieser Art und Dichte, unter diesen Umständen die Konzentration und Energie aufrechtzuerhalten.

Die Art und Weise, wie die Bayern verloren haben, war jedoch beunruhigend. Dieses Spiel fühlte sich nicht wie ein Stolperer an, sondern wie ein Knock-out-Haken. Es war fast so, als hätte Mainz mit den Bayern gespielt wie eine Katze mit einer Maus, sie in Führung gehen lassen, ihnen das Gefühl gegeben, dass sie sich wohlfühlen und vielleicht ein bisschen Selbstbewusstsein aufbauen können, bevor sie Ihnen am bitteren Ende den Boden unter den Füßen wegzogen und sie völlig zerstörten.

Nachdem das erste Gegentor gefallen war, brach das Spiel völlig zusammen. Die Reaktionen der Spieler sprach Bände. Ihre Körpersprache und Mimik war wie ein offenes Buch. Diese Mannschaft war unverkennbar an der Grenze zur Demoralisierung angelangt.

Wie sich das Spiel in der verbleibenden halben Stunde entwickeln würde, schien damit unausweichlich. In dieser Mannschaft gibt es keine Spieler mehr, die weiter unbeirrt an Sieg und Erfolg glauben, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen.

Führung

Das führt zu der unvermeidlichen Frage nach der Führung. Wer genau ist jetzt die Führungspersönlichkeit bei den Bayern? Nicht nur in der Mannschaft, sondern im gesamten Verein.

Führung, Zutrauen, Selbstvertrauen und Stabilität beginnen an der Spitze eines jeden Unternehmens. Die Aktionen von Kahn, Hainer und Salihamidžić am 24. März haben die Axt an die Fähigkeit der Spieler gelegt, diese Werte zu verkörpern. Damals waren viele Beobachter über den Zeitpunkt von Nagelsmanns Entlassung verwundert. Im Nachhinein ist diese Verwunderung mehr als berechtigt.

Die Bayern sehen aus wie eine Mannschaft, die versucht, herauszufinden, wer sie sind und was ihre Identität ist. Noch vor knapp einem Monat waren die Bayern in zwei der drei Wettbewerbe, in denen sie noch spielten, der klare Favorit und im dritten Wettbewerb eine der Mannschaften, die realistisch um den Sieg mitspielen konnte.

Aber so ist das nun einmal, wenn man Chaos stiftet. Und so ist eine Mannschaft, die bereits ohne ihren Kapitän auskommen muss, gezwungen, zum kritischsten Zeitpunkt der Saison einen Trainerwechsel zu verkraften.

In der Mannschaft schwelen die Probleme schon seit langem. Neuer ist eine stabile Größe, aber seit dem Rücktritt von Lahm fehlt ein klarer Anführer auf dem Feld. Müller hat sein Bestes getan, um diese Rolle auszufüllen, aber seine Persönlichkeit ist eher für eine unterstützende Rolle hinter einem anderen Anführer geeignet.

Ich hatte gehofft, dass Kimmich diese Person sein könnte, aber selbst ich fange an zu zweifeln, ob das langfristig die beste Option ist. Es gibt anscheinend zu viele Cliquen und Fraktionen in dieser Mannschaft, und sie brauchen dringend jemanden, der sie alle zusammenbringen kann, zumindest auf dem Spielfeld.

Vielleicht kann de Ligt dieser Spieler werden. Zumindest seine Leistungen sind während dieser ganzen Zeit der Misere stabil geblieben. Er war einer der wenigen Spieler, die einen kühlen Kopf bewahrt haben, gut gespielt haben und nie wirklich niedergeschlagen aussahen.

Aber wer auch immer es sein mag, die Bayern müssen die Mentalität und die Führungsstärke, die sie während des größten Teils der Vereinsgeschichte hatten, wiedergewinnen. Solange das nicht der Fall ist, ist es schwer vorstellbar, dass sie mit den Spitzenteams in Europa mithalten können und vielleicht sogar mit einigen der besseren in Deutschland.

Keine Mannschaft

Was in den letzten Wochen überdeutlich geworden ist, ist, dass es sich bei den Bayern nicht mehr um eine Mannschaft handelt. Es handelt sich um eine Ansammlung sehr talentierter Einzelspieler, die aber keinen Zusammenhalt haben.

Ich denke, dass einiges davon neu ist, aber der überwiegende Teil ist es wohl nicht. Die wachsenden Differenzen zwischen bestimmten Spielern sind schon seit geraumer Zeit offensichtlich. Es ist nur so, dass ihre individuellen Fähigkeiten diese Tatsache bisher noch einigermaßen verschleiern konnten, aber diese Zeit ist nunmehr offenkundig vorbei.

Vor allem in der offensiven Hälfte scheint es massive Probleme in der Kommunikation und im Zusammenspiel zu geben. Das Schlimmste ist, dass die Spieler nicht nur den anderen nicht mehr zu vertrauen scheinen, sondern auch sich selbst nicht mehr trauen.

Jeder Spieler, der in letzter Zeit auf dem Platz stand, ist ein Weltklassespieler. Sie alle haben die Fähigkeit, bei fast jedem Verein der Welt zu spielen. Doch nur sehr wenige von ihnen zeigen diese Fähigkeit konsequent auf dem Spielfeld, und echtes Teamplay ist fast nicht vorhanden.

Wir haben es also mit einem weiteren Problem zu tun, das der Vorstand und Tuchel im Sommer lösen müssen. So talentiert die einzelnen Spieler auch sein mögen, wenn sie nicht zusammenarbeiten, ist das völlig irrelevant.

Die Verantwortlichen müssen versuchen, sicherzustellen, dass alle Spieler, die verkauft, gehalten oder geholt werden, zusammen einen Sinn ergeben. Dass die Spieler sich gegenseitig ergänzen. Dass es eine klar definierte Hierarchie gibt. Und, was vielleicht am wichtigsten ist, dass es Konsistenz und Stabilität gibt.