Mach’s noch einmal, Hans!
Eines vorab: Für sich betrachtet ist die Entscheidung, Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt als Mannschaftsarzt zu reaktivieren, nachvollziehbar. Einen Arzt vor Ort zu haben, der nach wie vor das Vertrauen internationaler Sportstars besitzt und für dessen Expertise z.B. ein Usain Bolt extra nach Europa geflogen kommt, ist ein Luxus, den sich manch anderer Verein wünschen würde. Da Müller-Wohlfahrt zudem noch einen Stab jüngerer Ärzte aus seiner Praxis anleiten soll, könnte man meinen, dass dem Verein damit geradezu ein zukunftsorientierter Coup gelungen ist.
Allerdings reiht sich die Reaktivierung Müller-Wohlfahrts in eine Reihe von Personalentscheidungen, die man zusammengefasst als eine Art Roll-Back bezeichnen könnte. Rufen wir uns die Personalsituation des FCB zum Zeitpunkt seines (jüngsten) Rücktritts im April 2015 in Erinnerung: Pep Guardiola war Trainer, Mathias Sammer Sportvorstand, Michael Reschke Technischer Direktor, Karl Hopfner fungierte als Präsident. Einzig Karl-Heinz Rummenigge war damals wie heute im Amt, hatte jedoch seinen schrittweise geordneten Rückzug zunächst vom ECA-Vorsitz und später vom Amt des Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern bereits angekündigt. Man kann sagen, dass zu jenem Zeitpunkt der personelle Umbruch in der Führungsebene, der zwangsläufig zugleich auch eine Emanzipation von Uli Hoeneß darstellen muss, mindestens bereits im Gange, wenn nicht sogar schon zu einem guten Teil erfolgt war. Mit Müller-Wohlfahrt verließ damals einer der letzten Repräsentanten des FC Bayern der Hoeneß-Ära den Verein; eine neue Generation war am Ruder, deren herausstechendes Merkmal die Sachkompetenz, nicht der Stallgeruch war.
Nur zweieinhalb Jahre später ist von dieser Generation niemand mehr da. Es scheint wie eine Zeitreise zurück, als hätte es die Guardiola-Jahre nie gegeben: Uli Hoeneß ist Präsident, Jupp Heynckes Trainer, Hermann Gerland Co-Trainer & Nachwuchskoordinator und Müller-Wohlfahrt kehrt nun auch noch zurück. Dabei mag jede Personalentscheidung für sich so vernünftig sein, wie sie will: Der Gesamteindruck bleibt problematisch, zumal für Uli Hoeneß nach eigenen Worten ein Hauptgrund seiner Rückkehr war, die Nachfolge zu regeln und den Verein in einem Top-Zustand in gute Hände zu übergeben.
Wenn dies tatsächlich sein Antrieb sein sollte, dann muss Uli Hoeneß für sich ein katastrophales Urteil über das verantwortliche Führungspersonal während seiner Abwesenheit gefällt haben, anders lässt sich der Versuch, die Zeit zurückzudrehen kaum erklären. Denn der von ihm zum Ziel erklärte Umbruch scheint zum jetzigen Zeitpunkt weiter entfernt denn je. Vorrangig scheint ihm zu sein, den Verein zunächst wieder in einen Top-Zustand zu bringen, um erst dann in einem zweiten Schritt die Übergabe an die nächste Generation ins Auge zu fassen. Eine Interpretation der zurückliegenden Jahre, die zugegebenermaßen konträr zu meiner eigenen Bewertung verläuft.
Nun kann man einwenden, dass mit Salihamidzic bereits ein Vertreter dieser nächsten Generation in Amt und Würden gebracht worden ist. Das mag zwar hinsichtlich des Alters stimmen, wichtiger als das Alter selbst und bedeutend nachhaltiger wäre meiner Meinung nach jedoch, ein derart profiliertes Personal zu installieren, das seine eigenen Vorstellungen auch dann verfolgen würde, wenn Hoeneß & Co. einmal nicht mehr zugegen sind. Und ein Salihamidzic z.B. erweckt eben nicht den Eindruck, ein wirklich eigenständiges Profil zu besitzen, gerade wenn man ihn in Vergleich zu den vormals Verantwortlichen wie Sammer oder Reschke setzt.
Genau das aber ist das Wichtigste bezüglich der Nachfolge: Dass die neue Generation nicht nur ein Erbe verwaltet und in alle Ewigkeit im „Was würde Uli tun“-Handbuch nachschlägt, sondern bei all den Herausforderungen, die auf den FCB in Zeiten von schwerreichen Investoren zukommen werden, ein Konzept entwickelt, das den Verein selbst bei abnehmender finanzieller Stärke qualitativ von der Konkurrenz abhebt. Das bedeutet nicht, mit der Generation Hoeneß zu brechen und deren Art, den Verein zu führen, zu verteufeln. Gerade hinsichtlich der Parameter „finanzielle Vernunft/Solidität“ und „FCB als Familie“ hat Uli Hoeneß dem Verein ein Profil gegeben, das sich zu wahren lohnen dürfte.
Damit der Verein in einer Zeit nach Uli Hoeneß aber nicht völlig kopflos und planlos agiert, wäre es wichtig, wenn die Verantwortung Schritt für Schritt auf andere Schultern verteilt wird und man diesen auch eine eigenständige Gestaltung zugesteht. Uli Hoeneß muss zulassen, dass sich der Verein von ihm emanzipiert; aber davon ist der Verein derzeit weiter entfernt als im April 2015; auch die Reaktivierung Müller-Wohlfahrts muss leider vor diesem Hintergrund gesehen werden.
Bleibt zu hoffen, dass Müller-Wohlfahrt es besser versteht, sich von seiner Alleinverantwortung zu lösen und sein zweites Comeback nutzt, um die Ärzte seiner Praxis so anzuleiten, dass diese mittelfristig auch ohne ihn die medizinische Versorgung des Vereins auf Top-Level gewährleisten können. Dann wäre dieser Schritt zurück tatsächlich ein erster Schritt nach vorne gewesen.