Kommentar zur Ausbildung von Trainer:innen: Ihren Ansatz halten wir für falsch, Herr Lahm!
„In Deutschland baut man seit Jahren auf Trainer ohne nennenswerte Karriere. Manche waren Fußballer in der siebten Liga oder tiefer, sind 35 Jahre oder jünger. Dafür haben sie ein sehr gutes Diplom. Man folgt Ralf Rangnick, der einst sagte, Fußballer und Trainer seien zwei verschiedene Berufe. Diesen Ansatz halte ich für falsch.“Philipp Lahm in der Zeit
Erst die Praxis, dann könne man die Theorie nachholen, so Lahm. Diesen Ansatz halten wir für falsch.
Die Bundesliga gehe „einen Sonderweg“, schreibt der Weltmeister von 2014: „Mit seiner Trophäensammlung ist Xabi Alonso die Ausnahme.“ Lahm führt legitime und gute Argumente dafür an, warum erfolgreiche Ex-Profis gute Trainer:innen sein können. „Als Praktiker wissen sie, wie eine Kabine tickt“, so der ehemalige Bayern-Kapitän: „Sie erkennen, mit welchen Spielern Triumphe möglich sind. Sie nutzen die natürliche Hierarchie einer Mannschaft. Fußballer riechen es, wenn ihren Trainern dieser Instinkt fehlt.“
Wer ein erfolgreicher Profi war, weiß tatsächlich in vielen Bereichen des Geschäfts gut Bescheid – vermutlich zunächst auch besser als die meisten Quereinsteiger:innen. Carlo Ancelotti, Pep Guardiola, Jupp Heynckes, Felix Magath – sie alle nennt Lahm als ehemalige Weltmeister oder Europapokalsieger, die er in seiner Karriere sehr geschätzt habe.
Eine Liste, die unterschiedlicher nicht sein könnte. Aber auch eine Liste, die eindrucksvoll zeigt, auf wie viele unterschiedliche Art und Weisen man als Trainer:in erfolgreich sein kann. Gerade diese Liste steht aber in Teilen für eine Qualität, die einem nicht als erfolgreicher Profi in die Wiege gelegt wird. Als Trainer:in müssen teils komplexe Ideen so vermittelt werden, dass sie beim Team ankommen. Dafür benötigt es pädagogisch-psychologische Kompetenzen, die in der Karriere von Fußballer:innen keine große Rolle spielen. Etwas zu wissen (ob in der Theorie und/oder der Praxis) und es gut weitergeben und erklären können, sind zwei vollkommen unterschiedliche Kompetenzen.
Philipp Lahm hat einen Punkt, aber …
Lahms Argumentation ist an einigen Stellen also legitim. Und doch ist es verwunderlich, dass ihm Arrigo Sacchi als großer Beleg für erfolgreiche Trainer:innen einfällt, die keine ganz große Profikarriere hatten. Im Fußball der Männer dominieren neben Pep Guardiola und Carlo Ancelotti aktuell Trainer das Geschehen, die nicht die allergrößten Karrieren hatten. Beispielsweise Thomas Tuchel, Jürgen Klopp oder Julian Nagelsmann.
Jürgen Klopp sagte einst im Interview mit dem SportBuzzer: „Von der Einstellung her war ich erste Liga, vom Talent her vierte. Heraus kam die zweite.“ Seine Qualität als Trainer würde heute niemand mehr infrage stellen.
In den vergangenen beiden Jahren wurde international darüber diskutiert, warum die deutschen Trainer im Fußball der Männer so gut sind. Jetzt soll die Bundesliga plötzlich alles falsch machen, wenn sie diesen Weg weitergeht?
Deutscher Fußball (m) wird durch Quereinsteiger geprägt
Der deutsche Fußball (m) wird in der Moderne durch Trainer geprägt, die als Spieler kaum große Erfolge feierten. Und er geht damit keinen „Sonderweg“. In Deutschland arbeiten sechs Trainer, die selbst nie höher als dritte Liga gespielt haben. In England sind es vier, in Spanien drei. Wir können an dieser Stelle auch darüber sprechen, warum eine ganze Generation von Spielern des FC Bayern München es (bisher) nicht geschafft hat, sich als Top-Trainer zu etablieren.
Lothar Matthäus, Stefan Effenberg, Mehmet Scholl, Markus Babbel und viele mehr: Sie alle scheiterten daran. Sie alle haben etwas gemeinsam: Grenzenloses Selbstbewusstsein und die Überzeugung, dass sie wissen, wie das Geschäft läuft. Was ihnen auch zu Recht niemand absprechen würde. Dieses Wissen aber auch in einem Trainerjob anzuwenden, der in der Moderne deutlich komplexer geworden ist, ist eine grundlegend andere Geschichte. Insofern geht die von Lahm aufgestellte Rechnung einfach nicht auf. Die Individualität der Erfahrungen (im und außerhalb des Fußball-Kontextes!), der Qualifikationen, des Netzwerks, der Reflexionsfähigkeit, der pädagogischen Kompetenzen und vieles mehr wird dabei vollkommen außer Acht gelassen.
Denn ja, natürlich gibt es erfolgreiche Profi-Spieler:innen, die zu erfolgreichen Profi-Trainer:innen werden. Doch genauso gilt, dass es erfolgreiche Profi-Trainer:innen gibt, die Quereinsteiger:innen sind. Die Essenz für den Erfolg kann also nicht nur im Profitum als Spieler:in liegen. Das ist deutlich zu kurz gegriffen.
Klopp, Tuchel, Nagelsmann, selbst Hansi Flick, der als Spieler immerhin viermal Deutscher Meister wurde – sie alle sind auch deshalb erfolgreich, weil sie sich strecken mussten. Weil sie nicht von Beginn an den Status eines unantastbaren Profis hatten. Und weil sie fähig sind, sich selbst zu hinterfragen und zu lernen. Sie zeigen, dass der Weg in den Profifußball und auf die Trainerbank sehr individuell sein kann.
Sind Quereinsteiger:innen die besseren Trainer:innen?
Sind Quereinsteiger:innen deshalb die besseren Trainer:innen? Natürlich nicht. Die von Lahm angesprochenen Vorteile liegen auf der Hand. Ex-Profis werden aber nur dann zu Top-Trainer:innen, wenn sie bereit sind, sich weiterzuentwickeln, dazuzulernen und wenn Talente und Qualitäten vorhanden sind, die als Trainer:in einen anderen Stellenwert einnehmen als in der Rolle als Spieler:in – auch im persönlichen und sozialen Bereich.
So individuell, wie Menschen und ihre Karrieren sind, so individuell können auch Wege in den professionellen Trainer:innenbereich sein. Theoretisch. Denn für erfolgreiche Ex-Profis ist der Weg ins professionelle Trainer:innengeschäft deutlich einfacher als für Quereinsteiger:innen. Wenn sie männlich sind. Das liegt an einer wie von Lahm vorgetragenen Grundeinstellung, die der Realität nicht entspricht. Es liegt aber auch am DFB und seinem Ausbildungssystem, denn kurz gesagt ist es prinzipiell kaum möglich, die Voraussetzungen für die A oder A+ Lizenz zu erfüllen, wenn man nicht bereits sehr hochklassig Fußball gespielt und ein entsprechendes Netzwerk aufgebaut hat. Für die Zulassung muss Erfahrung als Trainer:in in Bereichen vorgelegt werden, die man ohne diese Lizenzen in der Regel nicht erreicht.
Der DFB sollte in Zukunft eher daran arbeiten, die Hürden bei der Zugänglichkeit zur Trainer:innenausbildung abzubauen. Hier greifen zu viele gesellschaftlich etablierte Strukturen, die es benachteiligten Gruppen erschweren, dieses Ziel zu erreichen.
DFB muss diverser werden
Mit seinen erst kürzlich geschaffenen Veränderungen hat der Verband diese Strukturen sogar nochmal manifestiert. Es gibt Aufnahmeprüfverfahren, in denen laut der DFB-Website in den Kategorien „Trainer*in-Erfahrung“, „Spieler*in-Erfahrung“ und „relevante Bildung“ Punkte erzielt werden können. Ganz im Sinne der Argumentation von Lahm.
Hinzu kommen preisliche Hürden. Aktuell kostet allein die höchste Trainerlizenz satte 19.000 Euro – exklusive Unterkunft. Ex-Bundesliga-Spielerin Marie-Louise Eta ist derzeit neben 15 Männern die einzige Frau, die den Pro-Lizenz-Trainerkurs absolviert. Finanzielle Hürden, das Standing in der Fußballwelt und gesellschaftliche Rollenbilder – es gibt viele Gründe, warum Frauen der Weg in die Ausbildung erschwert wird.
Selbst in der Bundesliga der Frauen arbeiten derzeit nur zwei Cheftrainerinnen: Theresa Merk (SC Freiburg) und Carin Bakhuis (SV Meppen). „Als Mann kann man in allen Bereichen arbeiten: Bei den Frauen, in der Jugend, bei den Männern, beim Verband“, erklärte Merk kürzlich bei Eurosport: „Und wenn man ganz ehrlich ist, muss man sagen: Der Männerbereich ist für Frauen im Moment einfach zu. Punkt. Keine von den Frauen, die es bisher versucht haben, hat es geschafft, sich in dem Bereich zu halten.“ Und das liegt nicht an mangelndem Talent.
Der DFB muss für mehr Diversität in der Ausbildung sorgen. Neue Perspektiven, Weiterentwicklung und damit verbunden Fortschritt sowie neue Ansätze – das macht erfolgreiche Trainer:innen und erfolgreichen Fußball aus. Diversität kann das fördern. Dafür muss aber einiges passieren.
Lahms Thesen bringen Implikationen mit sich, die dem System Fußball langfristig in seiner Weiterentwicklung schaden. Denn in einem System, das sich selbst erhält, sind wir schnell bei einer sich selbst bestätigenden Kultur, in der Normen, Werte und Verhaltensweisen weder hinterfragt noch herausgefordert werden. Sollten Quereinsteiger:innen deshalb Teil des professionellen Trainer:innen-Bereichs sein? Definitiv ja.
Unsere Quintessenz: Wir brauchen beides im professionellen Trainer:innen-Bereich. Ex-Profis und Quereinsteiger:innen. Wir brauchen eine Kultur des Miteinanders, des Voneinander-Lernens und vor allem: Mehr Diversität im professionellen Trainer:innen-Bereich.