Kommentar: Leon Goretzka ist aktuell ein Problem für den FC Bayern

Justin Trenner 26.01.2023

Es ist eine eher unscheinbare Situation in der ersten Halbzeit im Bundesliga-Duell zwischen dem FC Bayern und dem 1. FC Köln. Die Gäste machen Druck, erspielen sich über die linke Seite etwas Raum. Dann aber die Balleroberung der Münchner und die Chance, einen schnellen Konter auszuspielen. Leroy Sané bekommt die Kugel. Der Nationalspieler hatte abermals einen wechselhaften Tag erwischt. Engagiert, laufstark, hier und da aber schläfrig und mit Fehlern beziehungsweise Ungenauigkeiten.

In dieser Situation macht er jedoch alles richtig: Er sucht den Weg in den Halbraum, wo Leon Goretzka eigentlich Meter machen müsste. Sané spielt ihm den Ball in den Lauf. Doch Goretzka bewegt sich kaum. Ballverlust. Unruhe im Stadion. Viele Pfiffe gab es an diesem Abend noch nicht, aber Meckern, Hadern und auch etwas Wut waren selbst vor dem TV-Gerät zu spüren, wenn Sané eine Aktion misslang.

Die beschriebene Szene ist aus mehreren Gründen bezeichnend. Vermutlich dürften die meisten Zuschauerinnen und Zuschauer auch hier Sané die Schuld am Ballverlust gegeben haben. Dabei war es Goretzka, der geschlafen hat. Zur Pause wurde der 27-Jährige ausgewechselt. Zu Recht. Julian Nagelsmann hatte womöglich erkannt, dass der gebürtige Bochumer dem Spielfluss eher schadet, als ihm zu helfen – begründet hat er seinen Wechsel allerdings mit einer Kopfverletzung Goretzkas. Zumindest gegen Frankfurt wird er auch ausfallen.

FC Bayern München: Leon Goretzka kann ein Problem für den FCB sein

Nun wird es sicher die Argumentationslinie geben, dass diese Verletzung zur Schläfrigkeit des Mittelfeldspielers geführt habe. Ein berechtigter Punkt. Mit Kopfverletzungen ist nicht zu spaßen. Gleichwohl ist es nicht das erste Mal gewesen, dass Goretzka ein Problem im Umschaltverhalten des FC Bayern darstellt.

In der Arbeit gegen den Ball, aber auch in der Vorwärtsbewegung und mit seiner Dynamik, die er ins Offensivspiel einbringt, ist Goretzka ein oft unterschätzter Spieler. Doch gerade unter Gegnerdruck trifft er zu oft falsche Entscheidungen. Sei es in der Positionierung oder im Passspiel. Für einen zentralen Mittelfeldspieler des FC Bayern hat er regelmäßig sehr wenig Ballkontakte. Gegen Leipzig waren es beispielsweise 64 im Vergleich zu den 94 von Joshua KImmich. Gegen Köln war er mit 43 Kontakten im ersten Durchgang näher dran an seinem Partner (51).

Die Frage ist aber eher, wo er diese Ballberührungen hat. Meist in vorderen Zonen – und da tut er dem Rekordmeister oft gut. Im Spielaufbau allerdings ist er in zu vielen Fällen nicht existent. Im ersten Durchgang gegen Köln musste Kimmich den Sechserraum nahezu alleine beackern. So fiel es den Kölnern leicht, Bayern nach außen zu drängen, indem im vorderen Zentrum Überzahl hergestellt wurde. Dahinter hatten die Münchner meist Vorteile – allerdings kamen sie fast nie dazu, diese auszuspielen.

Denn der Weg dorthin war zu weit. Im Zentrum gab es kaum Verbindungsstücke und außen war man darauf angewiesen, dass Alphonso Davies sich durch Dribblings aus Unterzahlsituationen befreit. Köln eroberte dadurch viele Bälle, bevor Bayern überhaupt nach vorn kam. Gegen Leipzig war es vor allem im zweiten Durchgang ähnlich.

FC Bayern München: Leon Goretzka ist verzichtbarer als andere

Als Ryan Gravenberch eingewechselt wurde, veränderte sich das Spiel der Münchner abrupt. Der Niederländer unterstützte Kimmich viel besser, Köln zog sich immer weiter zurück. Einerseits vermutlich aus Kraftgründen, andererseits, weil vorn nichts mehr zu holen war. Bayern bekam Kontrolle in die Ballzirkulation und Kimmich wurde ganz nebenbei dominanter.

Insgesamt gab es mehr Flexibilität im Spiel nach vorn. Der zweite Durchgang gehörte klar dem FCB – wenn auch im letzten Drittel der letzte Punch zu oft ausblieb. Ohne Goretzka, das ist die für ihn bittere Erkenntnis der ersten beiden Spiele, läuft es spielerisch mindestens in Teilen besser.

Seine Qualitäten wird der Rekordmeister weiterhin brauchen. Goretzka hat in der Vergangenheit auch schon bewiesen, dass er es mit dem Ball besser kann als in den letzten beiden Spielen. Insofern wäre es falsch, seinen Wert grundsätzlich in Frage zu stellen.

In den kommenden Wochen aber – und speziell gegen Eintracht Frankfurt – könnte Gravenberch die bessere Option im Mittelfeld sein. Das hat er gegen Köln angedeutet. Goretzka hat sich in Deutschland ein Standing erarbeitet, das ihm in solchen Situationen hilft. Er wird kaum hinterfragt, Phasen wie die aktuelle werden ihm schnell verziehen – spätestens beim nächsten wichtigen Tor, das er durch sein kluges Nachrücken erzielt. Und doch fehlt ihm zu oft die Konstanz. Auch die vielen Verletzungen dürften eine Rolle spielen. Gravenberch dürfte zumindest gegen Frankfurt eine große Chance winken. So wichtig Goretzka für den FC Bayern ist: Er ist sportlich verzichtbarer als andere Achsenspieler des Teams.