Kommentar: Wo ist die Strategie?

Justin Trenner 27.06.2019

Wochenlang hatte Salihamidžić Gespräche mit Miroslav Klose geführt. Der ehemalige Nationalstürmer war die Wunschlösung des Sportdirektors für den Posten des U19-Trainers. Nachdem Klose mit der U17 zu überzeugen wusste und er sich dort auch als (Trainer-)Persönlichkeit entwickelt hatte, schien er prädestiniert zu sein für die Rolle direkt an der Schnittstelle zu den Amateuren und den Profis.

Doch Klose hatte darauf keine Lust. Das machte der 41-Jährige in den Gesprächen von Anfang an mehr als deutlich. Weil Salihamidžić bis zuletzt aber nicht nachlassen wollte und die Verhandlungen sogar in die Öffentlichkeit trug, war Klose so genervt, dass er sogar mit einer Kündigung drohte. Letztendlich wurde am heutigen Donnerstag aber Martín Demichelis präsentiert und Klose darf weiterhin als U17-Trainer arbeiten. Alles gut also? Mitnichten.

Mit etwas Ironie könnte man Salihamidžić unterstellen, dass er von seinem Lehrer Uli Hoeneß gelernt hat: Auch Hoeneß baggerte letztes Jahr so penetrant an Trainer Jupp Heynckes, dass ihm und den Bayern schlussendlich die Optionen ausgingen. Bis heute darf daran gezweifelt werden, ob Niko Kovač die Wunschlösung oder lediglich „the best of the rest“ für den FC Bayern war. Doch auch aus ganz unironischer Perspektive präsentiert sich Salihamidžić nicht zum ersten Mal von einer wenig professionellen Seite – und scheitert damit.

Reaktion statt Aktion

Martín Demichelis wirkt durch die öffentlichen Bemühungen um Klose und die plötzliche Kehrtwende nun schon ganz unabhängig von der fehlenden Erfahrung und der Qualitätsfrage wie eine B-Lösung. Nach Sagnol, Kovač und Klose ist er zudem der vierte Spieler, den Salihamidžić noch aus seiner aktiven Zeit kennt – was Schlüsse auf das Netzwerk des Sportdirektors zulässt. Es wirkt beinahe wie eine Einigung unter guten alten Freunden: Salihamidžić hat so auf einer der unzähligen Baustellen vorübergehend Ruhe und Demichelis bekommt die Möglichkeit, sich als Trainer zu beweisen.

Dafür werden ihm Danny Schwarz und Stefan Buck zur Seite gestellt, die den Argentiniern mit ihrer Erfahrung im Jugendbereich und ihren Trainerscheinen unterstützen sollen. Was sich liest wie ein spontan zusammengepuzzeltes Trainerteam, ist die Realität einer Vereinspolitik, die seit einigen Jahren eher reagierenden als agierenden Charakter hat.

Obwohl der Klub seit über einem Jahr weiß, dass in diesem Sommer wichtige Entscheidungen zu treffen sind und der große Umbruch ansteht, sind neben den vielen offenen Baustellen sogar noch welche dazu gekommen. Neben der Kaderplanung bei den Profis zählen auch wichtige Rollen im Jugendbereich ebenso dazu wie die Ausrichtung der Amateure für die 3. Liga. Der Name Salihamidžić fällt überall, die Ergebnisse lassen aber auf sich warten.

Unprofessionelle Außendarstellung

Den Welpenschutz durch seine Vorgesetzten hat der Sportdirektor dabei längst verloren: Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß betonen immer wieder, dass der 42-Jährige die Verantwortung trägt. Wie er damit umgehen kann, lässt sich endgültig erst in ein paar Monaten bewerten. Doch es gibt klare Zeichen der Überforderung.

Allein die Klose-Debatte hat Salihamidžić viele Kapazitäten gekostet. Auf dem Transfermarkt kursieren seit Wochen die immer gleichen Namen. Auch hier scheinen die Bayern vor allem zu reagieren statt endlich mal zu agieren. Während Wunschlösung Sané sich mit seiner Entscheidung Zeit lässt und Bayern noch versucht, Boateng an einen anderen Klub zu verkaufen, hat sich Kabak wohl für Schalke 04 entschieden, statt die Bayern-Innenverteidigung zu verstärken. Hier war man wie in vielen anderen Stellen aufgrund der eigenen Ohnmacht viel zu spät dran.

Es wäre Unsinn, die ganze Trägheit des Klubs nur an einer Person festzumachen. Doch Salihamidžić trägt eben die Verantwortung und präsentiert sich und den Klub nach außen nicht den Ansprüchen entsprechend. Ein weiteres Beispiel gefällig? Mehreren Quellen zu Folge habe der FC Bayern bei Talent van den Berg alles versucht, um den Deal mit Liverpool noch zu verhindern und selbst dann noch beim Berater angerufen, als der Spieler schon beim Medizincheck in England war. Dass solche Dinge an die Öffentlichkeit gelangen, ist die eine Sache. Die andere ist, dass die Münchner selbst mit ihren Aussagen und Entscheidungen zur negativen Außendarstellung beitragen.

Der FC Bayern steht vor einer Zäsur

Die Bayern tun sich schwer mit Alternativen. Funktioniert der Plan nicht, kommen die Verantwortlichen ins Schwimmen. Vermeintliche Zusagen von Spielern werden wie von Hoeneß in die Öffentlichkeit getragen und können einige Monate später gegen ihn verwendet werden, weil zu der Zusage des Spielers eben noch weitere Parteien eine gewichtige Rolle spielen.

Auch der ganze Transfer von Mats Hummels lief nicht reibungslos ab. Hier kann man den Bayern immerhin zu Gute halten, dass sie eine angemessene Ablösesumme verhandelt haben. Doch die Unzufriedenheit des Nationalspielers sowie der Wunsch, den Klub eventuell bald zu verlassen, waren Salihamidžić und Kovač bereits länger bekannt – Hummels hatte aus mehreren Gründen schon im vergangenen Jahr über einen Wechsel nachgedacht. Dass auch Tage danach noch über eine Lösung debattiert werden muss, unterstreicht die reaktive Vereinspolitik.

Der FC Bayern steht vor einer Zäsur. Im August habe man eine schlagkräftige Truppe auf dem Rasen, sagte Hoeneß etwas genervt. Diese Zeit sollte man den Münchnern auch geben, bevor man endgültig urteilt. Doch dass vier Tage vor Öffnung des Transferfensters immer noch mindestens vier Spieler für das Grundgerüst des Kaders fehlen und einige Leerstellen im Jugendbereich noch zu klären und besetzen sind, spricht nicht dafür, dass die Bayern und Salihamidžić einen Plan verfolgen.

Das Greifen nach Strohhalmen

Für den Sportdirektor ist es ein entscheidender Sommer. Er wird sich an den Ergebnissen in allen Bereichen besonders messen lassen müssen. Das Argument, dass der Sommer noch lang ist, hat seine Berechtigung. Doch dann müsste der Klub nach Außen mehr Sicherheit und Ruhe präsentieren können.

Stattdessen fuchteln die Bayern wild mit den Armen und versuchen, sich an jeden Strohhalm zu klammern, den sie finden können. Ob diese Strohhalme auch zueinander und ins gesamte Bild des Klubs passen, spielt keine übergeordnete Rolle. Und greifen die Bayern mal daneben, muss der nächste Strohhalm dem vorherigen offenbar auch nicht ähneln. Das gilt für Verpflichtungen von Spielern meist ebenso wie bei den Besetzungen für wichtige Jobs rund um die Teams.

Da muss die Frage gestellt werden: Wo ist die Strategie? Die einzelnen Puzzleteile muss man schon mit sehr viel Wohlwollen zusammenfügen, um überhaupt ein einheitliches Bild von der derzeitigen Vereinspolitik zu erhalten. Dass Salihamidžić jetzt im Fall Klose ein weiteres Mal öffentlich an seinen eigentlichen Zielen scheitert und eine Notlösung präsentieren muss, ist da die passende Zugabe.