Ronny Blaschke im Interview: Über den Fußball knüpft Katar politische Kontakte nach Europa
Ronny Blaschke beschäftigt sich seit Jahren mit den gesellschaftlichen und politischen Hintergründen des Sports. In seinem Buch “Machtspieler – Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution” schreibt er unter anderem über den Fußball als Spielball der mächtigen Staaten – beispielsweise Katar.
Am Wochenende treffen mit Paris und dem FC Bayern zwei Klubs aufeinander, die enge Kontakte in das Emirat pflegen. Einerseits die Franzosen, die fest in der Hand Katars liegen und andererseits die Bayern, die in den letzten Jahren ihre Partnerschaft mit Qatar Airways stetig erweitert haben und sich regelmäßig zu Trainingslagern dort blicken lassen. Mit Ronny Blaschke sprachen wir darüber, worin das große Interesse Katars am Fußball eigentlich liegt und welche Folgen das mit sich bringt. Außerdem geht es um Chancen, Risiken und die moralische Ebene hinsichtlich der Verbindungen des FC Bayern nach Katar.
Miasanrot.de: Wie und warum nutzt Katar den Fußball für sich aus und weshalb lassen Teile des Fußballs das mit sich machen?
Ronny Blaschke: Einer von vielen Gründen ist die Sicherheitspolitik. Der Nahe und Mittlere Osten ist eine komplexe Region mit vielen machtbewussten Regimen. Katar als kleine Halbinsel mit nur 2,5 Millionen Einwohnern ist Staaten wie Iran und Saudi-Arabien militärisch klar unterlegen. Stattdessen investiert das Emirat in „Soft Power“. Neben dem eigenen Sender Al Jazeera knüpft Katar enge Partnerschaften zum Westen, vor allem in Kultur, Wissenschaft und Fußball. Über den Einfluss bei Paris Saint-Germain und beim FC Bayern kann Katar auch Kontakte in die französische und deutsche Politik knüpfen. Eine Invasion Saudi-Arabiens in Doha wird damit ein bisschen unwahrscheinlicher. Der FC Bayern mit seiner enormen Reichweite verleiht dieser smarten Außenpolitik eine vermeintlich unpolitische Fassade. Dafür erhält er viel Geld und lukrative Zugänge in die arabische Welt, in der immerhin rund 400 Millionen Menschen leben.
Am kommenden Sonntag stehen Paris Saint-Germain und der FC Bayern München im Champions-League-Finale. „Qatar Airways“ schreibt als Partner beider Klubs auf Twitter vom “#Qlassico”, die Sportschau vom “Katar-Derby in Lissabon”. Nun ist PSG ein Klub, der fest in den Händen Katars liegt, während die Bayern “lediglich” eine gut bezahlte Partnerschaft pflegen. Lässt sich das aus Perspektive der Münchner so leicht differenzieren und rechtfertigen oder gibt es mehr Gemeinsamkeiten mit PSG als ihnen selbst lieb sein dürfte?
Ich würde grundsätzlich keine Rangliste von Fußball-Despoten aufstellen. In dieser Industrie hängt alles mit allem zusammen. Selbst wenn der FC Bayern nicht regelmäßig nach Katar oder China reisen würde – er würde noch immer von Zahlungen, Medienrechten oder Merchandise-Verkäufen aus Ländern profitieren, die autokratisch regiert werden. Er würde noch immer Trikots und Fanartikel verkaufen, die in Südostasien von Niedriglohnarbeiterinnen produziert wurden. Aber wir sollten uns darüber nicht allzu stark empören. Denn viele von uns kaufen diese Produkte und zahlen für Pay-TV-Abos von Konzernen, in denen auch arabische Investoren aktiv sind. Doch auch in einem schlechten System kann man für eigene, demokratische Werte eintreten.
Der finanzielle Aspekt der Partnerschaft zwischen Katar und dem FC Bayern scheint vergleichsweise gering. Dem Klub könnte daher mehr an der Präsenz in diesem neuen, weniger gesättigten Markt gelegen sein. Halten Sie das für ein legitimes Anliegen des Klubs oder halten Sie Kontakte in der Region aus ethischer Perspektive für grundsätzlich unvertretbar?
Ich versuche nicht, aus der Perspektive des Westeuropäers zu argumentieren, dem von Autokraten der wahre Fußball gestohlen wird. Wir sollten Katar, China oder Russland nicht auf die Regime reduzieren. Ich habe kreative und kritische Fans aus Palästina, Jemen oder Ägypten kennengelernt, die es toll finden, dass der FC Bayern sich für die arabische Welt öffnet. Und gerade durch das Brennglas Fußball können wir enorm viel lernen über andere Regionen. In einem globalisierten Sport müssen Geldverdienen und Sozialpolitik auch kein Widerspruch sein. Im Gegenteil: Mit glaubwürdigen Projekten könnte der FC Bayern sogar neue Sponsoren gewinnen.
Wie bewerten Sie das Verhältnis aus Chancen und Risiken bei einer Partnerschaft zwischen dem FC Bayern und Katar und auf welche Aspekte sollte der Klub ihrer Meinung nach besonderen Wert legen?
Unter den vielen Millionen Followern, die der FC Bayern hat, interessiert sich nur eine Minderheit für politische Fragen, doch diese Minderheit wächst. Fans in München weisen immer wieder auf die Thematik hin, zum Beispiel mit Veranstaltungen zu Katar oder regelmäßigen Kommentaren. Der FC Bayern sollte diese kritische und gut organisierte Strömung als Bereicherung begreifen. Doch auch das sollte nur ein Puzzlestück sein. Der FC Bayern galt unter Uli Hoeneß lange als sozial und spendenfreundlich. Es geht aber nicht nur darum, ein paar Spenden und Benefizspiele zu organisieren. Sondern wir sollten hinterfragen, wie genau Gewinne und Wertschöpfung bei einem Klub zustande kommen. Eine Abteilung für Gesellschaftspolitik mit vielleicht 20 oder 30 Mitarbeitenden könnte den Marketing- und Medienleuten des FC Bayern, die andere Interessen haben, deutlicher widersprechen.
Neben der politischen Dimension gibt es ja auch noch die menschenrechtliche in Katar. Der FC Bayern gibt zumindest nach außen vor, er würde aktiv versuchen, Veränderungen anzustoßen und es gibt durchaus auch Stimmen, die behaupten, ohne die Aufmerksamkeit durch den Fußball wäre die Situation weitaus schlechter. Wie ist Ihre Position dazu?
Es ist unwahrscheinlich, dass Karl-Heinz-Rummenigge oder Herbert Hainer den Emir direkt kritisieren. Nach Jahrhunderten europäischer Kolonialgeschichte im Nahen Osten wäre das auch ziemlich arrogant. Und wir wissen aus Russland und China, dass die herrschende Elite ihren Frust über westliche Kritik gern an der bedrohten Zivilgesellschaft auslässt. Aber es kommt auch auf Zwischentöne und Gesten an. Wie genau lässt sich der FC Bayern von Menschenrechtsorganisationen beraten? Welchen Aktivisten und Gewerkschaften in Katar schenkt er Gehör? Welche Verbindungen kann er zu deutschen Menschenrechtlern herstellen? Dieser Austausch kann, muss aber nicht in der Öffentlichkeit stattfinden. Es gibt viele NGO’s, Agenturen und Bündnisse, die dafür ein gutes Instrumentarium besitzen. Im Vergleich zu Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Bahrain hat Katar in den vergangenen zehn Jahren einige Reformen zugelassen, die sonst wesentlich länger gedauert hätten. Ob das ausreichend ist, kann jeder selbst entscheiden. Einer der Anstöße war sicherlich die Fußball-Brücke in den Westen.
In seinem aktuellsten Buch beleuchtet Ronny Blaschke den Fußball in Propaganda, Krieg und Revolution. Dafür recherchierte er auf vier Kontinenten. Hier bestellen.