“Ich habe hundert Prozent Vertrauen in mich selbst” – Interview mit Nora Holstad
Nora, Du bist Teil der norwegischen Nationalmannschaft, hast aber auch in Schweden erstklassig gespielt. Wie sieht es aus, wenn Du die Spielanlage Deines schwedischen Teams, den Linköpings FC, und die der norwegischen Nationalmannschaft mit der des FC Bayern vergleichst?
Ein Unterschied ist sicherlich die Formation, dass wir mit Norwegen und auch in Schweden zum Beispiel ein 4-4-2 oder 4-2-3-1 mit Viererkette spielen bzw. gespielt haben. Norwegen ist zudem nicht so spielstark wie Bayern. Wenn du es nicht gewohnt bist, in der Enge zu spielen, dann hast du auch nicht das entsprechende Selbstbewusstsein dafür. Die individuelle Qualität und die technischen Fähigkeiten hier bei Bayern sind schon auf Nationalmannschaftsniveau. Schweden und Norwegen spielen sehr physisch. Schweden und Deutschland sind sich aber auch recht ähnlich. Beide setzen auf Krafttraining und haben ein ähnliches Level an Professionalität, so dass die Spielerinnen nicht unbedingt darauf angewiesen sind, nebenher zu arbeiten. In Norwegen ist das noch nicht der Fall.
Du bist im Winter der Vorsaison nach München gekommen und warst somit sowohl Teil des alten Teams als auch des neuen nach dem großen Umbruch im letzten Sommer. Was ist der größte Unterschied, was die Spielidee beider Teams angeht?
In der letzten Saison haben wir in der Rückrunde in einer Viererkette gespielt mit mir und Raffa [Raffaella Manieri] zusammen in der Mitte. Von Beginn dieser Saison an spielen wir in einer Fünfer-/ Dreierkette, was etwas ganz anderes ist. Aber natürlich stehen auch ganz andere Leute auf dem Platz. Diese neue Spielform passt sehr gut zu uns. Raffa und Caro [Caroline Abbé, die zwei Halbverteidigerinnen in der Dreierkette] sind beide unglaublich aggressiv.
Die brauchen hinter sich noch jemanden, der den Raum abdeckt und zur Stelle ist, damit Mel und Melly [Melanie Behringer und Melanie Leupolz auf der Doppelsechs] nach vorn gehen können und nicht so viel nach hinten arbeiten müssen. Für mich passt das perfekt. Ich kann hinten stehen, das komplette Spiel überblicken und balanciere dann die Bewegungen meiner Mitspielerinnen aus. Caro und Raffa können machen, was sie wollen. Wenn zum Beispiel Raffa rausgeht, weiß ich, dass ich nach hinten laufen muss.
Was sind die Unterschiede zwischen den Aufgaben einer zentralen Innenverteidigerin in einer Dreier-/ Fünferkette zu denen in einer Viererkette?
Mit dem Ball wollen wir, dass die Halbverteidigerinnen viel nach vorne spielen, daher ist meine Aufgabe in der Mitte, anzudribbeln und sie so freizuspielen. In einer Viererkette muss ich selbst mehr das Spiel eröffnen. Das ist in dieser Saison eigentlich nicht mehr meine Aufgabe, aber wenn Caro und Raffa außen zugestellt sind, ist es für mich oft einfacher, Melly und Mel direkt auf der Sechs zu finden. In diesen Situationen unterscheiden sich beide Spielweisen gar nicht so sehr.
Meinst Du mit der Spieleröffnung die Pässe oder, dass Du mit dem Ball am Fuß nach vorne gehst?
Beides, ich fühle mich aber meist wohler, den Pass zu spielen. Wenn ich eine Passoption sehe, muss ich den Ball ja nur noch spielen. Wenn ich dagegen erst andribble, verändert sich vielleicht die Situation noch, plötzlich ist der Weg zu und ich laufe in eine Gegnerin. In der Defensive sind wir hinten eine Spielerin mehr. Das macht es einfacher, den Gegnerinnen keinerlei Räume anzubieten. Wir haben in diesem Jahr enorm wenig Chancen gegen uns zugelassen.
Wer bestimmt, wie hoch die Abwehrlinie bei Euch steht und wie koordiniert Ihr Euch auf dem Platz?
Oft muss ich was sagen. Ich bin hinten in der Mitte. Ich entscheide und gebe dann die Kommandos, ob raus, zurück oder halten. Aber natürlich geben auch die anderen in der Abwehrreihe Bescheid, wenn sie das Gefühl haben, dass wir etwas anpassen müssen. Generell wollen wir in fast jedem Spiel extrem weit nach vorn schieben, aber wie hoch, das kommt immer drauf an. Wenn der Ball weit nach vorn geht, müssen wir nachschieben und kompakt bleiben, damit keine Lücken entstehen und wir nah bei unseren Mitspielerinnen sind.
Eine hohe Abwehrlinie hat den Vorteil, dass der Ball schon mal angenehm weit entfernt vom eigenen Tor ist. Andererseits — und von der Anfälligkeit für Konter mal abgesehen — hat nicht eine hohe Abwehrlinie den Nachteil, dass man die Räume für sein eigenes Offensivspiel verkleinert?
Es stimmt, dass die Räume dann viel enger sind. Darauf bereiten wir uns im Training mit einer Art Ping-Pong-Spiel vor, einer Passübung auf kleinem Raum, in dem wir mit wenigen Kontakten den Ball laufen lassen müssen. Das versuchen wir, auch im Spiel umzusetzen, obwohl uns das in der Hinrunde besser gelungen ist als in der Rückrunde. Wenn der Ball schnell läuft, kommen wir auch in der Enge gut zurecht. Wenn der Platz sehr uneben ist, tun wir uns schwerer.
Vor der Winterpause hast Du die 13 Ligaspiele auf der zentralen Innenverteidigerposition durchgespielt, warst dann zum Rückrundenauftakt verletzt und bist im letzten Spiel gegen Jena eingewechselt worden. Es war spät im Spiel, Ihr habt lange geführt, aber Jena schoss eine gute Viertelstunde vor Schluss den Anschlusstreffer. Der Trainer Tom Wörle wollte mit Dir eine weitere Defensivkraft einsetzen und brachte Dich auf der Sechs. Was unterscheidet diese Position von Deiner und wie hast Du Dich dort gefühlt?
Vom Kopf her bin ich eigentlich eine Mittelfeldspielerin. Dort habe ich als Kind gespielt, aber auch noch häufig in meiner ersten Saison in Schweden 2010. Zuletzt wurde ich in der Vorbereitung gegen Zürich auf der Sechs eingesetzt. Diese Position ist schon supercool. Man kann mehr nach vorne gehen und hat viel mehr Ballkontakte. Aber manchmal bricht die Verteidigerin in mir durch. Intuitiv denke ich dann, ich sei die letzte Spielerin und dass ich weiter zurück müsste. Dann muss ich mich schnell korrigieren und den vorderen Raum besetzen. Von den Winkeln her sind sich die beiden Positionen sehr ähnlich. Man muss anspielbereit sein und die Bälle weiterleiten. Auf der Sechs gibt es allerdings mehr Zweikämpfe. Auch offensiv. Offensive Zweikämpfe mit Ball führen wir in der Abwehr eigentlich überhaupt nicht. Das macht zu fünft keinen Sinn. Da gilt es stattdessen, schnell mit Pässen zu spielen. Aber auf der Sechs kann man auch mal ins Eins-gegen-eins gehen. Im letzten Spiel wollte Tom mit mir auch eine kopfballstarke Spielerin einwechseln. Zudem kann ich als Defensivspielerin das Spiel gut lesen und weiß, wann ich dafür zu sorgen habe, den Ball zu klären.
Zu diesem Zeitpunkt musstet Ihr nur eines tun: die Führung verteidigen. Du hattest also keine kreativen Aufgaben, um Angriffe einzuleiten. So konntest Du im Mittelfeld aufräumen, ohne gleich die ganz große Verantwortung in der letzten Linie übernehmen zu müssen. Das ist doch nach einer Verletzungspause eigentlich ideal, oder?
Ja, das stimmt, das war sehr schön für mich. Von der Aufgabe her habe ich aber nicht anders gespielt, als wenn ich ganz hinten eingesetzt worden wäre.
Wie machst Du den anderen dann klar, wer wohin gehört?
Tom gibt mir vor: „Du gehst auf die Sechs, Mel und Melly gehen nach vorne“ und dann muss ich ihnen bei meiner Einwechslung Bescheid geben. Aber das sagt sich so leicht. Es herrscht dann für kurze Zeit auch mal ein bisschen Chaos. Ich bewege mich dann irgendwo zwischen Mittelfeld und Abwehr und eine Minute nach meiner Ansage fragt jemand, „Was spielst Du überhaupt? Und wo bin ich dann?“. Die kürzeste Antwort ist dann erstmal: „Egal, nimm einfach den Ball!“ [Lacht]
Wenn der Trainer taktische Anweisungen aufs Feld geben möchte, aber gerade keine Spielerin eingewechselt wird, die dann als Vermittlerin fungiert, wie stimmt Ihr Euch dann ab?
Das kommt ein bisschen drauf an, in welcher Minute wir stehen und wie das Klima im Spiel ist. Normalerweise bringen wie gesagt die Leute, die eingewechselt werden, die Informationen mit oder Tom gibt [Kapitänin] Mel [Behringer] Bescheid, in welcher Formation wir spielen sollen. Das geben wir dann von Person zu Person weiter. Aber in der Regel spielen wir mit einer Formation durch und wechseln sie eventuell nur einmal in der Partie.
Welche Eigenschaften braucht man für Deine Position? Was ist entscheidend, um dort gut spielen zu können?
Vor allem muss man gut in den Zweikämpfen und kopfballstark sein. Dann brauchst du eine gewisse Schnelligkeit. Schließlich bist du die Letzte vor der Torhüterin und im heutigen Fußball gibt es jede Menge schnelle Stürmerinnen. Gerade, weil wir so weit vorne spielen, musst du schnell zurücksprinten können. Darüber hinaus musst du das Spiel gut lesen und antizipieren können, was als nächstes passieren könnte. Nicht nur, was die Gegner machen, sondern auch die Mitspielerinnen. Spielt sie kurz oder spielt sie lang? Muss ich zurückfallen oder vorrücken? Persönlich denke ich, dass es auch meine Aufgabe ist, Ruhe auszustrahlen. Die anderen müssen das Vertrauen haben, mich jederzeit anspielen zu können, ohne zu zweifeln, ob ich damit umgehen kann. Sie müssen wissen, dass ich keine Fehler machen werde. Diese Verantwortung zu übernehmen, gehört ins Profil einer Führungsspielerin.
Du hattest gesagt, dass die Spieleröffnung nicht primär Deine Aufgabe ist, sondern die der Halbverteidigerinnen.
Genau. Meist haben wir zwei Gegenspielerinnen und es ist die Aufgabe von uns dreien, hinter diese beiden zu kommen. Wie wir das dann machen, ist eigentlich egal. Aber oft ist es einfacher, erst nach außen und dann nach vorn zu spielen.
Was passiert, wenn Ihr mal einem 4-3-3-Pressing begegnet und Ihr nicht automatisch in der Überzahl seid?
Es gibt immer Räume, die du bespielen kannst. Wir haben noch die zwei Außenverteidigerinnen in der Fünferkette, die wir einbinden können. Melly und Mel können abkippen und uns entgegenkommen, so dass wir zentral eine Drei-gegen-eins-Überzahl haben. Wir trainieren auch, in solchen Momenten Lücken zu suchen, die Lücke zu finden. Wenn die Passwege nach außen und auch auf die Sechs zu sind, muss es weiter vorne Lücken geben.
Klar, wenn der Gegner in einer Zone Überzahl hat, muss er woanders in Unterzahl sein. Welche Trainingsformen helfen Dir persönlich dabei, diese Situationen lesen zu lernen und Lösungen zu finden?
Tom teilt den Platz häufig in bestimmte Formen auf, zum Beispiel eine Sanduhr. Im Spiel sind wir manchmal zu kompakt, wenn die Stürmerinnen aufs Mittelfeld zukommen und die Bälle für Nachrücker abprallen lassen.
Dann trainieren wir mit der Sanduhr, dass auch jemand in die Tiefe starten muss. Oder der Platz ist abgesteckt wie eine Banane, bei der man außenrumpassen muss und nicht diagonal spielen darf. Das gibt uns zusätzliche Denkaufgaben, um die Räume zu interpretieren. Wir sind dann gezwungen, auf weitere Aspekte als nur den Ball und den direkten Passweg Acht zu geben.
Wenn wir die Abwehr und den Spielaufbau trainieren, machen wir das häufig in einem großen Spiel Elf-gegen-elf und das ist für mich persönlich das Beste. Dann gestalten sich die Räume genauso, wie du sie dann auch im Spiel vorfindest. Wir variieren und starten zum Beispiel mit einem Mittelfeldpressing, gegen das du viel Raum zum spielen hast. Dann wird umgeschaltet auf Angriffspressing und es ist viel schwerer, die gleichen Dinge gegen Druck umzusetzen. Aber dann kann man sehen: „Dort gibt es oft Platz, sie steht oft frei“, wenn der Gegner in einer bestimmten Formation spielt. Da unser Trainerteam die Gegner gut analysiert und viel Videomaterial studiert, wissen wir meist ziemlich genau, womit wir es zu tun bekommen und was wir am besten dagegen tun. Wir sind nie überrascht. Das einzige Mal, das wir auf dem falschen Fuß erwischt worden sind, war das Pokalspiel gegen Frankfurt vor Weihnachten, das wir 3:1 verloren haben. Wir waren nicht darauf vorbereitet, dass sie unsere Außenspielerinnen komplett zustellen würden. Das war uns eine Lehre, sehr schwer, aber solche Erfahrungen müssen wir machen, um noch auf dem Platz Lösungen entwickeln zu können, um uns zu befreien.
Wenn dann nach einem solchen Spiel die Denkprozesse einsetzen, was man eigentlich hätte besser machen können, ist es dann hinderlich, dass Ihr direkt in die Winterpause gegangen seid und Eure Fehler nicht verbessern konntet oder tat die Pause zu dem Zeitpunkt einfach nur gut?
Das hat im Nachhinein keine große Rolle gespielt. Sicher war es sehr schade für uns, weil wir bis zu diesem Zeitpunkt sehr gut gespielt hatten, aber man sieht ja, dass wir auch im neuen Jahr an unsere gute Leistung anknüpfen konnten. Viele Leute haben diese Pause gebraucht und so hatten wir genug Zeit, um genau diese Probleme anzugehen und Strategien gegen Situationen zu entwickeln, in denen wir zum Beispiel im 3-5-2 angegriffen werden. Im Vorbereitungscamp haben wir an vielen taktischen Aspekten gearbeitet, damit wir in unterschiedlichen Formationen wie dem 5-1-2-2 oder dem 5-2-1-2 spielen können. Das war für uns sehr wichtig, um es den Gegnern schwerer zu machen, uns zu lesen und bei uns trotzdem jede genau weiß, wo sie hingehört. Wenn Tom umstellen möchte, klappt das sofort. Jede hat ihren Platz. Zudem spielen jetzt andere Leute als in der Hinrunde. Vanessa [Bürki] hat sich verletzt, dafür ist Lena [Lotzen] zurück. Da wird das System jeweils anders interpretiert.
In Eurem System müssen die Außenverteidigerinnen als Flügelläuferinnen die komplette Linie nach vorne und zurückarbeiten. Fehlt Euch dann manchmal eine richtige Flügelstürmerin oder sind die Wege durch das Auffächern und die hohe Positionierung der Abwehrkette kurz genug?
Es soll so sein, dass sie jedes Mal nach vorn gehen, aber das funktioniert nicht immer, weil der Gegner sie zum Beispiel gut einengt oder die Tagesform nicht ideal ist. Dann müssen wir überlegen, was wir machen. Inzwischen können wir beispielsweise auf einen Dreiersturm im 5-2-3 umstellen und bekommen die Außenspielerinnen so in die Angriffsreihe.
Wie vermittelt Euch Euer Trainer seine Spielidee und was er von Euch sehen möchte?
Tom redet ausgesprochen viel mit uns. Wir wissen immer, was er will und was wir machen sollen. Zum Beispiel kommt er mit einer Idee zum Training, wir gehen auf den Platz, er sagt uns, wie die Gegner wohl spielen werden und welche zwei Vorschläge er sich dagegen überlegt hat. Dann können wir das gemeinsam durchgehen und besprechen. Er fragt uns auch: „Was meint Ihr, was das Beste ist, was funktionieren könnte?“ Ich denke, es ist perfekt, wenn wir so eingebunden sind, denn du glaubst als Spielerin an die Idee, wenn du sie mitentwickelt hast.
Was machst Du, wenn Du das Gefühl hast, dass eine Vorgabe nicht richtig funktioniert und irgendetwas nicht passt? Gibt es solche Situationen im Training?
Es passiert schon, dass man denkt „Ich kann nicht mit in den Sturm gehen, das ist zu weit“ oder „Den Pass kann ich nicht spielen, der wird immer abgefangen“. Häufig haben wir dann alle das gleiche Gefühl und sprechen miteinander darüber und mit Tom. Dann müssen wir so lange probieren, reden und eine Lösung suchen, bis es funktioniert. Ich habe das Gefühl, dass wir immer mit Tom reden, ihm Fragen stellen und diskutieren können.
Im Spiel oder in der Halbzeit hat man weniger Zeit für Analyse und Diskussion. Wie macht Ihr es dann?
Wenn uns noch vor der Halbzeit etwas auffällt, versuchen wir uns untereinander bei einer Spielunterbrechung zu sammeln, zu sprechen und zu überlegen, was wir machen müssen. Bei großen Änderungen müssen wir uns natürlich mit Tom abstimmen und das geht in der Halbzeit. Allerdings war es in dieser Saison noch nicht häufig der Fall, dass es ganz schlecht lief oder wir in Rückstand geraten sind. Von daher waren so viele Anpassungen gar nicht nötig.
Das stimmt. Wie geht Ihr auf der anderen Seite damit um, wenn vorne das Tor einfach nicht reingehen will?
Das ist nicht einfach. Nach dem Duisburgspiel [am 17. Spieltag, das auswärts 0:0 ausging, während Wolfsburg überraschend gegen Potsdam verlor] waren wir sehr enttäuscht, vor allem die Leute, die große Chancen hatten. Aber was soll man machen? Wir können nur weiter alles im Training geben und positiv nach vorne schauen. Wir sind zwar eine richtig gute Mannschaft, aber an solche Situationen sind wir nicht gewöhnt. Jetzt stehen wir auf Platz 2 mit Chancen auf den ersten Platz. Da macht sich vielleicht bei einigen auch eine Anspannung breit, die man irgendwo im Mittelfeld der Tabelle nicht hat. Da hilft nur Geduld und im Spiel ein kleiner Pep-Talk, um auf einem höheren Niveau zu spielen. Aber man muss uns nicht antreiben. Wir haben ohnehin eine tolle Stimmung, gute Laune, die Leute geben alles. Auch die vielen Jokertore sprechen meiner Meinung nach für diesen Geist in der Mannschaft. Auch diejenigen, die zunächst nicht spielen, bringen sich dann mit all ihrer Energie ins Spiel ein. Das ist für uns auch mit Blick auf die vielen Verletzungen sehr wichtig.
Beim Basketball gibt es viele Spielzüge mit festgelegten Laufwegen, um die Verteidigung zu bewegen und Mitspieler freizuspielen. Beim Fußball ist das zwar weniger ausgeprägt aber auch vorhanden. Gerade, wenn man sich festspielt oder zu wenig Bewegung im Spiel ist, kann es helfen, einen kollektiven Plan zu haben statt lauter Einzelimpulse. Habt Ihr solche Routinen und wenn ja, erklären sie die zahlreichen Schnittstellenpässe in Eurem Spiel?
Im Training haben wir bestimmte Spiel- und Passformen, bei denen klar ist, wenn die eine den Ball hat, geht die andere Spielerin rein, die nächste geht raus, der Pass geht da rüber und so weiter. Die können wir immer durchspielen und im Spiel darauf zurückgreifen. Wenn wir nicht durchs Mittelfeld kommen, können unsere Halbverteidigerinnen als letzte Lösung grundsätzlich immer lange Bälle nach außen hinter die gegnerische Abwehr spielen und die Stürmerinnen wissen automatisch, welche Zonen sie besetzen müssen. Dadurch werden häufig wiederum Räume im Mittelfeld frei. Tom zeigt uns auch in der Videoanalyse die Räume, die die Stürmerinnen anlaufen sollen. Die lauern häufig nur darauf, dorthin zu starten und können dann selbst antizipieren, durch welche Schnittstelle der Pass kommen müsste.
Kann es passieren, dass man vor lauter Routine zu starr an den Abfolgen festhält und die völlig freie Option übersieht, die sich in der Dynamik ergeben hat?
Das passiert ständig. Wir verpassen die Leute immerzu, weil man sich manchmal nur auf einen bestimmten Bereich konzentriert, dort die Spielerinnen aber zugestellt sind und man mit dem Ball ein bisschen gestresst ist. Ich schaue mir deshalb unsere Partien anschließend immer nochmal auf Video an. Da gibt es dann häufig Situationen, bei denen ich im Spiel dachte, niemand war frei, dabei stimmt das gar nicht. In Norwegen spiele ich die linke Innenverteidigerin in einer Viererkette. Dadurch passiert es manchmal, dass ich nur den linken Halbraum wie einen Kanal sehe, dabei ist auf der rechten Seite eine Anspielstation. Wenn ich das zehnmal auf dem Video sehe, dann kann ich mir dieses Wissen auch auf dem Platz in Erinnerung rufen und weiß dann, wo sich Optionen ergeben müssten, wenn ich angedribbelt habe.
Eure Entscheidungsfindung sieht von außen sehr gut aus. Wenn die Anspielstationen zugestellt sind, traut Ihr Verteidigerinnen Euch auch in den richtigen Momenten, einfach mit dem Ball am Fuß zu gehen, Gegenspielerinnen auf Euch zu ziehen, die sich dafür von den Mitspielerinnen lösen, die dann wiederum anspielbar sind.
Den Spielaufbau trainieren wir schließlich auch und wissen, wo wie wir die freien Mitspielerinnen finden können.
Wie frei seid Ihr in Euren Entscheidungen, zum Beispiel die Position zu verlassen und selbst nach vorn zu gehen bzw. wovon machst Du das abhängig?
Das lernst du durch Erfahrung. Ich habe hundert Prozent Vertrauen in mich selbst, dass ich die korrekte Entscheidung treffe. Und wenn nicht, hoffe ich, dass jemand da ist, um mir zu helfen. So ist es zwischen Raffa und Caro neben mir und im Mittelfeld. Es gibt keine Zeit, um nachzudenken. Deshalb musst du entscheiden und agieren. Mit purem Reagieren kommst du immer zu spät.
Im Spiel gegen Jena gab es neulich wieder die typische Situation, dass Raffa den Ball nicht einfach hinten rausdrischt, sondern die spielerische Lösung sucht und findet. Den Zuschauern stockte kurz der Atem. Wie geht es Dir in solchen Momenten?
Das ist Raffa. Aber das ist auch unser Spiel. Schau dir Melly an, wenn sie auch ganz enge, riskante Bälle nach hinten spielt. Wenn du eine Ballbesitzmannschaft sein willst — und das sind wir — musst du so agieren. Wir wollen den Ball haben und das Spiel aufziehen. Du kannst schlecht sagen, wir wollen den Ball spielen, aber erst ab dem Mittelfeld. Meistens funktioniert das, manchmal geht es auch nicht. Zum Beispiel haben wir im Hinspiel gegen Jena in den ersten zehn Minuten zwei riesige Chancen gegen uns zugelassen, weil wir versucht haben, hinten rauszuspielen, aber der Druck von Jena zu groß und der Platz schwer zu bespielen war. Da haben wir Geduld bewiesen, weiter gespielt und im Endeffekt ist es richtig gut gelaufen. Und speziell zu Raffa: sie hat eine so herausragende Technik und macht das so gut da hinten. Man weiß nicht immer, was sie als nächstes macht [lacht], aber dann muss ich mich einfach bereit halten, damit ich für sie da bin, falls etwas nicht klappt, aber wenn es klappt: perfekt.
Man sieht Raffa ja auch ab und zu tief in der gegnerischen Hälfte oder auf der gegenüberliegenden Außenlinie.
Das stimmt. Deshalb brauchen wir manchmal jemanden da hinten, der sagt: „Du bleibst. Ich gehe“, jemanden, der entscheidet.
Und das bist Du?
Ja, [lacht] das bin ich.
Du sagst, Euer Spiel verlangt eine gewisse Risikobereitschaft. Verzeiht Euer Trainer Fehler oder wie geht Ihr mit Fehlern um?
Das juckt ihn überhaupt nicht. Das ist super. Er sagt immer: „Das ist mir egal, habt Geduld, wir müssen weiterspielen und weiterprobieren. Ihr versteht, was nicht gut war, dass es zu eng war, dass Ihr da hinten keine Zweikämpfe führen sollt, dass Ihr Druck bekommt, wenn Ihr nicht schnell genug spielt. Macht es beim nächsten Mal besser.“ Wir brauchen niemanden, der uns anschreit und beleidigt, dann traust du dir den Pass beim nächsten Mal vielleicht nicht zu. Aber so ist Tom zum Glück nicht.
Woran machst Du persönlich fest, ob Du Deine Aufgaben im Spiel oder im Training gut erfüllt hast?
Im Training spielen wir häufig auf einem kleineren Platz. Das lässt sich dann schwer vergleichen, weil es eine andere Art von Spiel ist. Da gibt es auch für mich viel mehr Ballkontakte, ich kann meine Technik verbessern und mehr spielen. Im Spiel muss dagegen alles perfekt sein. Ich darf keine Fehler machen, denn sonst bekommen wir direkt ein Gegentor. Da mache ich nur einfache Dinge, klare Aktionen, keine Experimente. Ich spiele nur, was ich sehe und probiere keine krassen Sachen aus. Das kann Raffa machen. Das heißt, im Training und im Spiel habe ich ganz unterschiedliche Aufgaben. Gleich ist jeweils, dass ich viel reden und Kommandos geben muss. Nach dem Spiel erinnere ich mich oft nur an die guten Situationen, nicht an die schlechten [lacht]. Dafür gibt es dann die Videos.
Ein Spiel ist für mich gut gelaufen, wenn wir wenige Defensivsituationen hatten und ich die Bälle klar klären konnte. Außerdem darf ich in den Gesichtern meiner Mitspielerinnen keine Zweifel sehen. Das geht für mich nicht. Sie müssen mir vertrauen, deshalb muss ich immer Konstanz zeigen und Zuversicht ausstrahlen. Dazu kommt, dass ich mit Bayern auch viele offensive Aktionen habe, weil wir so häufig in Ballbesitz sind. Ich denke also, dass ich eine gute Leistung gebracht habe, wenn ich keine Fehler nach hinten gemacht, aber auch viele gute Pässe nach vorne gespielt habe.
In der Fußballberichterstattung gibt es bei den Frauen wesentlich weniger Daten als bei den Männern. Habt Ihr intern noch ein paar mehr Kennzahlen zu Fehlpässen, Flanken, Ballgewinnen, Schüssen etc.?
Nein, wir haben leider nicht sonderlich viele personenbezogene Daten. Wir bilden nach jedem Spiel unsere eigene subjektive Meinung und fragen uns: Wie war das Gegenpressing, wie war unser taktisches Verhalten, Standardtore für oder gegen uns. Da fällt dann auf, dass wir vielleicht im letzten Spiel ganz stark im Gegenpressing waren, aber eine schlechte Balance zwischen Ballbesitz und Angriff hatten. So reflektieren wir und identifizieren, was wir verbessern müssen.
Von den Positionen her habt Ihr ganz unterschiedliche Rollen auf dem Platz. Im letzten Spiel war die Rollenverteilung zwischen Lena Lotzen und Vivianne Miedema so, dass Lena wesentlich weiträumiger unterwegs war, während Viv häufig in der Tiefe auf Anspiele lauerte. Sind das Anweisungen oder ergibt sich das schon durch die Spielertypen?
Bei Lena ist klar, dass sie das ganze Spiel über den kompletten Platz laufen wird, bis sie fertig ist und so ist auch die Vorgabe, dass Lena etwas tiefer kommt und Viv höher bleibt. Auch Viv fällt ab und zu für Abpraller ins Mittelfeld zurück. Im Spiel gegen Potsdam hat sie zum Beispiel unglaublich viel und hart in der Defensive mitgearbeitet und viele Wege mit nach hinten gemacht. Wir sind eine Mannschaft, da müssen alle sowohl in der Abwehr als auch im Angriff eine Topleistung bringen. Noch hat sie nicht die Konstanz, dass sie das in jedem Spiel zeigt. Wenn sie das macht, ist sie eine absolute Weltklassespielerin. Aber Viv ist 18, noch sehr jung und hat unendlich viele Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Es braucht Zeit, bis man alles hat und auch körperlich auf dem höchsten Niveau ist. Es ist ihre erste Saison, in der Lauf- und Krafttraining eine so große Rolle spielen. Wenn ich da an meine Zeit zurückdenke, habe ich bis zu meinem ersten Jahr in Schweden auch kein Krafttraining gemacht. Die norwegische Liga war bei weitem nicht so professionell. Was Viv jetzt erlebt, hab ich erst mit 23 gemacht. Es braucht alles seine Zeit.
Zu Deinen Stärken gehören Ruhe und Übersicht, Dein Kopfballspiel und Deine Führungsstärke. Warum kannst Du so gut führen und Verantwortung übernehmen?
Puh, ich bin schon immer so gewesen, das ist ganz natürlich für mich. Ich weiß, was ich will oder habe eine Meinung, wie etwas sein sollte. Aber ich habe auch gelernt, anderen Leuten zuzuhören und deren Einschätzung einzuholen. Meine Mutter ist Psychologin. Ich musste also auch schon, als ich klein war, viel reden, denken, reflektieren. Vermutlich müsste ich mich eher zurückhalten, um nicht zu sagen, was ich denke. Das habe ich so mitgebracht in den Verein. Zusammen mit Lena bin ich zwar zweite Kapitänin hinter Melanie Behringer, aber diese Rolle würde ich auch ohne das Amt so einnehmen. Ich verstehe mich gut mit allen in der Mannschaft, kann mit allen reden, habe für jede einzelne Respekt und denke auch, dass sie mir gegenüber Respekt haben. Dazu kommt, dass ich natürlich eine der Älteren im Team bin und viel Erfahrung in anderen Mannschaften sammeln konnte, um zu wissen, worauf es ankommt.
Bei der WM in Kanada im Sommer ist Norwegen zusammen mit Thailand und der Elfenbeinküste in der deutschen Gruppe. Das sollte sowohl für Deutschland als auch für Norwegen machbar sein, oder?
Die ersten Zwei der Gruppe kommen weiter, das sollten wir schon anstreben. Thailand hat das Testspiel gegen die Niederlande im Februar 7:0 verloren. Über die Elfenbeinküste weiß ich noch gar nichts, aber das wird sich in der Vorbereitung noch ändern. Unser Ziel ist es ganz klar, die Gruppenphase zu überstehen. Wir können auch Deutschland schlagen. Das haben wir schon im Gruppenspiel bei der EM gezeigt. Es ist zwar schwer und acht von zehn Mal gewinnt Deutschland, aber wir können es schaffen.
Bei der EM hast Du ausschließlich in diesem Gruppenspiel gegen Deutschland gespielt. Warst Du verletzt oder woran lag das?
[Räuspert sich] Nein. Aus meiner Sicht wäre ich gut genug gewesen, um zu spielen, aber wir hatten bereits zwei ausgezeichnete, ältere Innenverteidigerinnen im Team und der Trainer hat sich für sie entschieden. Ich habe mich in der Zwischenzeit aber weiterentwickelt und bin heute eine bessere Spielerin als damals.
Vielleicht kommt Dir bei der WM auch zugute, dass Du viele deutsche Spielerinnen aus der Liga kennst… Welche Pläne und Ziele hast Du für Deine Zukunft?
Im Dezember habe ich meinen Vertrag bei Bayern verlängert und bleibe bis zum Sommer 2017. Mit Bayern Champions League zu spielen, wäre schon supercool. Mit Norwegen wäre es ein Traum, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, aber das wird sehr schwer, da muss uns das Glück ein bisschen in die Karten spielen. Ansonsten mache ich ein Fernstudium in Norwegen, um nach dem Fußball in die Arbeitswelt einsteigen zu können. Ich will nicht erst mit 32 ein Studium beginnen, das wäre schlimm.
Die kommenden vier Jahre hast Du also schon noch vor, Fußball zu spielen?
Da lege ich mich heute noch nicht fest, sondern muss auf meinen Körper hören. Wenn sich Verletzungen häufen, macht es keinen Sinn mehr und auch keinen Spaß. Jetzt geht es erstmal weiter bis 2017 und dann schauen wir weiter.
Bayern hat es jetzt selbst in der Hand, sich für die Champions League zu qualifizieren. Wie geht Ihr damit in der Mannschaft um?
Wir sprechen nicht so viel über die Situation. Wir reden immer nur über das jeweils nächste Spiel. Es hört sich langweilig an, aber so ist es. Das haben wir die ganze Saison über so gehandhabt. Denn wenn du dir jetzt über das übernächste Spiel Gedanken machst, hast du das davor schon verloren. Den ersten Platz können wir aus eigener Kraft nicht erreichen, dafür müssen wir auf einen Patzer von Wolfsburg hoffen, das ist sehr schade. Aber vielleicht ist es sogar ganz gut für uns, dass wir auf dem zweiten Platz stehen. Hätten wir gegen Duisburg gewonnen, wäre der Druck sicher höher und wir haben noch keinerlei Erfahrung, wie man mit so etwas umgeht. So fällt es uns vielleicht leichter, uns auf unseren Job zu konzentrieren. Jetzt brauchen wir allerdings noch ein bisschen Glück.
Das wünsche ich Euch. Vielen Dank.
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