“Ich bin die erste Reihe der Südkurve”

Maurice Trenner 20.01.2020

“Mein Job ist mit unseren Fotos zu begeistern und zu faszinieren”

Seit wann begleitest du den FC Bayern?

Ich begann 1990 beruflich mit der Sportfotografie. Ganz genau erinnern kann ich mich nicht mehr, wann mein erstes FCB-Spiel war. Ich denke, das war im Jahr 1992 im Olympiastadion. Je älter ich werde, fasziniert es mich immer wieder, wie lange ich Spieler und Offizielle schon kenne.

Die meisten habe ich auch zu ihrer aktiven Zeit bereits fotografiert: Lothar Matthäus fotogafiere ich seit 1990, Oliver Kahn habe ich schon damals in Karlsruhe fotografiert, Hassan Salihamidžić beim HSV, bei Bayern und in Wolfsburg spielend.

Seit 2007 wohne ich in Bayern und begleite den FC Bayern München sowie die deutsche Nationalmannschaft regelmäßig.

Begleitest du auch weitere Vereine und Sportarten?

Durch meinen Job bei Getty Images als festangestellter Sportfotograf, fotografiere ich alle Arten von Sport. Ich habe das große Glück, bereits 14 Olympische Spiele, 12 Leichtathletik-Weltmeisterschaften, 15 Champions-League-Finals und 5 FIFA-Fussball-Weltmeisterschaften für Getty Images fotografiert haben zu dürfen. 

Bist du selbst auch Fan oder gewinnt man da eine gewisse Distanz zu den Abläufen auf dem Rasen?

Zuallererst ist es mein Job und meine Verpflichtung, die Welt mit unseren Fotos zu begeistern und zu faszinieren. Das geht niemals ohne Leidenschaft und echtem Interesse für das, was ich fotografiere. In der Allianz Arena sitze ich ja ganz vorne vor den Fans, ich bin die erste Reihe der Südkurve!

In 30 Jahren Sportfotografie habe ich gelernt, dass das Leben wie der Sport ist – oder auch andersrum, der Sport wie das Leben: Gewinnen wollen und verlieren können. Auch wir Sportfotografen stehen täglich im Wettbewerb, messen uns, wer das beste, schnellste und „geilste“ Foto beim jeweiligen Event oder in 90 Minuten macht. Da möchte ich für mich und mein Team schon das Maximale liefern. 

Gute Features, saubere Einzelaktionen oder aussagekräftige Portraits der Spieler aus dem Spiel mitzubringen, ist für mich das Ziel.”
(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Ich fotografiere dabei zwar auf dem Spielfeld alleine, aber ich habe ein Team bei Getty Images, welches mit mir meine Bilder gleich weiterverarbeitet und unseren Kunden sofort weltweit zur Verfügung stellt. Einzelkämpfer und Teamplayer. Wie im Sport, wie im Leben.

Mit der Zeit baute ich auch Freundschaften zu Athleten auf. Man kennt sich gut und oft auch das Private.  Und dann leide ich auch mit, wenn es mal nicht läuft …

Wie kann man sich einen “normalen Spieltag” bei dir vorstellen?

Für Sportfotografen ist es Teil des Berufes viel zu Reisen, was bei unserer umfangreichen Technik nicht immer ganz so leicht ist. 

Bei einem Spieltag in der Allianz Arena mit Anpfiff um 15:30 Uhr bin ich gegen 13 Uhr in der Arena. Dann heißt es zunächst Technik aufbauen und erste Preview-Bilder von Ankunft und Warm-Up der Teams machen. Ab ca. 15 Uhr bin ich mit meinem Getty-Images-Team online verbunden, welches in den meisten Fällen in London sitzt und dort zentral alle Bilder unserer Getty-Images-Fotografen von anderen Spielen der Bundesliga, Premier League und anderer internationaler Ligen live editiert, bearbeitet und an unsere Kunden weitersendet bzw. unsere Webseite damit bespielt. 

Nach dem Spiel bearbeite ich alle weiteren, aktuell nicht relevanten Bilder noch in der Allianz Arena mit mehr Ruhe – meistens verlasse ich die Arena gegen 21 Uhr, also nach gesamt acht Stunden.

Du sprichst die Zusammenarbeit mit dem Team in London an. Wie läuft das konkret ab?

Nehmen wir ein Beispiel: Robert Lewandowski schiesst einen Elfmeter in der 70. Minute. Ich fotografiere seinen Torschuss und seinen Jubel.

Nachdem er geschossen hat und (hoffentlich) jubelt, suche ich schnell auf dem Kameradisplay das beste Bild aus Torschussserie und Jubelserie heraus, bespreche einen kurzen Text auf die Bilder, sende diese Bilder direkt aus der Kamera mit WLAN oder 4G an meinen Editor in London. Der hat das Bild nach wenigen Sekunden auf seinem Computer, nebenher bekommt er parallel weitere Bilder von anderen Spielen, bearbeitet mein Bild und beschriftet es. Hierbei greift er auf die von mir auf das Bild besprochenen Daten zurück (“Bayern Number 9 scores the first goal by penalty”, “Bayern Number 9 celebrates scoring first goal” usw.). 

Nicht immer kann das Editoren-Team alle Spiele live mitverfolgen, oder kennt jeden Spieler – deshalb ist dies sehr wichtig. Bei meiner Arbeit ist Schnelligkeit gefragt, ebenso bei der Weiterverarbeitung. Gemeinsam sind wir ein Team – und wollen gewinnen. Unsere Bilder sind in weniger als einer Minute online verfügbar, Robert trifft und jubelt nach knapp einer Minute auch bei unseren Kunden.

“Das linke Auge schaut mehr in die Runde, das rechte in die Kamera”

Wie nimmst du denn so ein Spiel wahr bzw. ist das durch die Linse überhaupt möglich?

Ich habe alles im Blick: Natürlich, was auf dem Spielfeld passiert und auch, was bzw. wer sich auf der Bank bewegt – oder auch immer mal wieder, was sich auf den Fantribünen bzw. in den Zuschauerrängen so tut. Auch das möchte bebildert werden, wenn die Fankurve Choreographien, Reaktionen oder Transparente zeigt. Zudem auch die Anzeigetafel, was sich so in anderen Stadien tut, aber auch um die Zeit im Blick zu behalten.

Das linke Auge schaut mehr in die Runde, das rechte in die Kamera.

Bei einem Spieltag in der Allianz Arena mit Anpfiff um 15:30 Uhr bin ich gegen 13 Uhr in der Arena.
(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Im Laufe der Jahre in dem Job, hat sich der Blick und mein Instinkt geschärft, wo etwas passiert oder passieren könnte. Mir ist es wichtig, unseren Kunden nicht nur journalistische Topfotografie anzubieten, sondern dazu auch noch immer auf das “besondere Bild” zu achten. Tore und Reaktionen aktuell live und am nächsten Tag zu haben, ist ein Muss. Gute Features, saubere Einzelaktionen oder aussagekräftige Portraits der Spieler aus dem Spiel mitzubringen, ist für mich das Ziel. Alles zu haben, ist Champions League – und das ist mein und unser Anspruch bei jedem Spiel.

Ganz am Ende des Tages, wenn alles ruhig geworden ist, stelle ich für mich immer noch eine Serie für meinen Instagram-Account @alexanderhassenstein und unseren Getty-Fussball-Account @gettyfc zusammen, meine besten Bilder des Spiels, als Abschluss des Spieltages.

Wie viele Fotos kommen an solch einem Tag zusammen und wie lange dauert es, diese ganzen Bilder zu sortieren? 

Am Tag sind es ca. 1.500 Bilder, davon finden 200 Bilder Verwendung auf unserer Webseite. Gegen 21 Uhr ist der Spieltag für mich beendet. Die Lichter sind aus. Meist sind da nur noch die Greenkepeer in der Arena und pflegen den Rasen.

Kannst du dir die Spiele und Sportevents, die du besuchst, frei aussuchen oder wirst du hier eingeteilt oder beschränkt?

Wir sind ein Team. Ich habe das große Glück neben dem Geschehen um Bayern München auch für andere Sportevents neben Fussball eingeteilt zu werden. Dies wird bei uns zentral geregelt, wir besetzen mit unserem Team jedes 1. Bundesliga-Spiel, manchmal bin ich auch in Augsburg. 

Es sind bei Bayern ja nicht nur die Spiele, es geht auch um Trainingstage, Pressekonferenzen und alles was neben dem Platz und außerhalb der Allianz Arena sonst noch so im Sportlichen passiert. Zudem fotografiere ich auch das Frauen-Team und das Basketball-Team des FCB.

Jetzt im Winter ist es viel Wintersport, ich war gerade bei der Vierschanzentournee und fahre weiter zum Biathlon. Am 25.2.2020 bin ich um 11 Uhr auf der Streif beim Hahnenkamm-Abfahrtsrennen und danach um 18:30 Uhr in der Arena zum Spiel gegen Schalke.

“Da ist man schon sehr nah dran”

Wie nah bist du am Verein bzw. den Spielern gerade auch auf Reisen?

Da ist man schon sehr nah dran, nicht nur weil wir oft auf internationalen Reisen mit dem gleichen Flugzeug fliegen dürfen. Aber es ist sehr angenehm zu sehen, dass wir alle normale Menschen bleiben, fair, freundlich und respektvoll miteinander umgehen – ob man nun gemeinsam gewinnt oder auch mal nicht. 

Zudem lädt die Presseabteilung des FC Bayern vor jedem CL-Spiel im Ausland die mitgereisten Journalisten immer am Abend zuvor zu einem gemeinsamen Abendessen ein. Ein feiner Zug der Kollegen aus München und ein sehr schöner Abend für uns alle.

Wie unterscheidet sich dein Beruf von den schreibenden Journalisten? Gibt es da untereinander Kontakt?

Ja, sehr intensiven Kontakt und große Freundschaften. Es ist eigenartig: Wenn Du ganz nah dran bist und alles nur zweidimensional vor Dir auf dem Spielfeld live siehst, bekommst Du manchmal wirklich nur das mit, was genau vor Dir passiert.  Wir haben keine Zeitlupe. Oft ist irgendwas verdeckt, sodass man vieles nicht sieht, geschweige fotografieren kann. Ich habe auch schon Tore verpasst, passiert …

Zuallererst ist es mein Job und meine Verpflichtung, die Welt mit unseren Fotos zu begeistern und zu faszinieren. Das geht niemals ohne Leidenschaft und echtem Interesse für das, was ich fotografiere.
(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Parallel bin ich mit den Gedanken immer auch bei der Technik, um zu kontrollieren, ob die Bilder korrekt senden und alles läuft. 

Manchmal, wenn’s besonders turbulent hergeht und alles auf einmal passiert, sind meine erste Fragen nach dem Spiel an meine Freunde oder Kollegen im Presseraum, was die Geschichte des Spiel ist. Einfach nur um mich zu vergewissern, daß ich alles “im Kasten” habe.

Gibt es auch Motiv- oder Bild-Anfragen von Spielern?

Ja, die gibt es, und ganz oft mit respektvollen Gesten der Spieler für besondere Fotos. Große Freude bei mir!

Welches Equipment verwendest du und wie hat es sich über die Jahre verändert?

Ich fotografiere mit Canon und habe die Ehre auch Canon-Ambassador zu sein. Den Beruf des Fotografen habe ich noch richtig als Handwerk gelernt.  Angefangen mit Schwarz-Weiß-Fo­to­gra­fie auf Negativfilm. Dann sind wir nach dem Spiel schnell ins Büro gefahren, haben Filme und Bilder entwickelt und in die Post oder auf einen Nachtzug gebracht. Die waren am nächsten Tag dann bei den Redaktionen, und am übernächsten Tag in der Zeitung. 

Heute schaue ich mir mein Foto vom Elfmeterschuss von Robert Lewandowski und den Torjubel auf den Social-Media-Kanälen vom FCB oder anderen Webseiten schnell mal wenige Augenblicke danach live auf dem Spielfeld an …

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Alexander Hassenstein für das Gespräch und seine interessanten Einblicke in das Leben als Sportfotograf. Wer Alexanders Arbeiten gerne weiterverfolgen möchte, dem empfehlen wir seine Social-Media-Accounts.

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  1. Klasse.
    Danke an Maurice für die guten Fragen und Danke an Alexander für die sehr ausführliche und interessante Beantwortung.
    Gerne mehr davon.

    Antwortsymbol1 AntwortKommentarantworten schließen
    1. Danke für die Fragen Maurice und es hat echt Spass gemacht, etwas aus meiner Sicht zu berichten. Die Überschrift passt – in meinen vielen Wort das Beste gefunden!

  2. netter Artikel.
    Wobei ich mich frage, warum Alex näher an der Mannschaft ist, nur weil er zu den internationalen Spielen mit dem gleichen Flugzeug fliegt. Wenn er im selben Flieger sitzen würde, dann wäre das sicher interessanter ;-)

    Antwortsymbol5 AntwortenKommentarantworten schließen
    1. @Stiepel-Arne: ja so meinte ich das auch, wir fliegen zu internationalen Spielen gemeinsam im gleichen Flugzeug.

      1. …dann sitzen wir ja oft z’sammen ganz hinten ;-)

    2. Jessas, würde mich mal interessieren, wie viele Leute den kapiert haben… :)

      1. In Zeiten, in denen Sachen Sinn machen und man nicht mehr erinnert, wann “dass” (für Nostalgiker: daß) oder “das” zu verwenden ist, ist wohl auch die Unterscheidung von “gleiches” und “selbes” im Sprachgebrauch nicht mehr vorauszusetzen.

        Davon abgesehen verdient der gute Mann aber sein Geld mit Fotografie und nicht mit dem geschriebenen Wort. Danke für die interessanten Eindrücke aus dem Leben als Sportfotograf!

  3. Vielen Dank für den interessanten Einblick in die Arbeit eines Sportfotografen.
    Was mich interessieren würde ist, ob Herr Hassenstein die Möglichkeiten der digitalen Fotografie uneingeschränkt als Bereicherung und tolle Möglichkeit sieht, die man heutzutage dadurch hat. Oder ob die analoge Fotografie, die anstrengend, umständlich und langsam letztendlich auch gewisse Vorteile in sich barg, weil dadurch evtl. die Arbeit bewusster sein musste, da man oft nur einen “Schuss” zur Verfügung hatte.

    Antwortsymbol1 AntwortKommentarantworten schließen
    1. Danke @wlandowski für Ihre Frage! Ein ganz klares JA zur digitalen Fotografie. Zunächst gibt es für uns Fotografen viel mehr technische Freiheiten sich auf Motiv und Aktion zu konzentrieren. Die Kameras verarbeiten die Lichtsituationen viel besser als Film. Manchmal “bremst” uns nur noch die Abspeicherzeit der Bilder auf die Speicherkarten und nicht mehr das Filmende… Mit der Masse an digitalen Dateien hat jeder gelernt umzugehen. Man darf aber auch nicht vergessen, daß viele Bilder ebenso viel “Arbeit” bedeuten. Wenn ein Torschuss passiert und anschließender Jubel, kommen schon mal 30 Bilder zusammen. Daraus dann ganz schnell das beste Motiv jeweils herauszusuchen, haben wir auch im Gefühl. Kurz: Ich sah/sehe keinen Vorteil der analogen Fotografie. Beste Grüße, Alexander

  4. […] Schäfer, auch Sportfotograf ist ein schöner Beruf. Das bayern-Blog „Miasanrot“ hat den Profi-Sportfotografen Alexander Hassenstein interviewt. Dazu passend hab ich auf youtube ein interessantes Video gefunden: ein Spiel aus der […]

  5. Wirklich schön geschriebener Artikel. Viele können sich immer nicht vorstellen, wie viel Arbeit hinter diesem Beruf steckt.
    Was mir allerdings auch neu war ist, dass Getty Images auch fest anstellt.

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