Doppelpack: Mario Götze und die komplexe Situation
Justin (@LahmsteigerDE) und Christopher (@rammc) haben sich mit dieser Thematik beschäftigt und versuchen zusammen Götzes Vergangenheit aufzuarbeiten, die aktuelle Situation zu analysieren und einen Blick in die Zukunft zu wagen.
Beide Autoren nehmen einen Standpunkt ein, um die Komplexität der Situation abzubilden. Beginnend mit diesem Text, wird es bei angebrachten Themen einen „Doppelpack“ der misanrot.de Redaktion geben. Das eigentliche Fazit überlassen wir dabei den Lesern.
Die Zukunft gehört Götze
Für mich liegt der Ursprung dieser Diskussion schon in seiner letzten Dortmund-Saison und deshalb möchte ich auch da ansetzen. Oftmals wird er mit seiner erfolgreichen Zeit beim BVB verglichen. Mario Götze war auch bei Borussia Dortmund nie der eine Schlüsselspieler, der in jedem Spiel für den Unterschied sorgte. Er war zu dieser Zeit ein sehr junger, talentierter Fußballspieler, der in einer starken Mannschaft funktionierte. Aber er war nicht unersetzlich. Vor allem war es aber eine gewisse Leichtigkeit die ihn auszeichnete, denn er hatte keinen Druck. In der Folge – rund um seinen Wechsel nach München – wurde der Anspruch höher. Medial wurde Götze als das größte deutsche Talent seit Ewigkeiten gefeiert und gelegentlich sogar mit Lionel Messi verglichen. Schon damals hätte aber jeder darauf kommen können, dass er niemals auch nur annähernd die Qualität des Argentiniers erreichen könne. Allein schon weil Götze ein ganz anderer Spielertyp ist. Der Wechsel zum FC Bayern war dennoch der logische Schritt, weil Mario Götze ein richtig guter Fußballer ist und diese sind bekanntlich in München gern gesehen.
Der spätere Weltmeister überzeugte in seiner ersten Bayern-Saison und war im Schnitt alle 100 Minuten an einem Tor direkt beteiligt. Auch jenseits seiner Torbeteiligungen wusste der Mittelfeldspieler zu überzeugen. Mit dem Wissen, dass Götze zu diesem Zeitpunkt 21 war, konnte man also hochzufrieden sein. Für ihn folgte eine Weltmeisterschaft mit Höhen und Tiefen. Als Final-Torschütze und mit dem bekannten Messi-Zitat von Joachim Löw im Rücken, kam er dann zurück zu den Bayern. Wie viele junge Spieler vor ihm zeigte er schwächere Leistungen als in seiner starken ersten Saison. Zwar konnte er mit neun Torbeteiligungen alleine in der Bundesliga eine gute Hinrunde spielen, brach in der Rückrunde jedoch komplett ein. Diese Phase war zeitgleich der Start einer riesigen Diskussion um seine Person. Eine Diskussion, die vor allem offenbarte, wie falsch die Einschätzung des Spielers Mario Götze in weiten Teilen der Öffentlichkeit war und immer noch ist.
Auf die starke erste Saison und die wirklich schwache Rückrunde in seinem zweiten Bayern-Jahr folgte ein guter Start in die aktuelle Spielzeit. Mit auffälligen Auftritten gegen Hoffenheim, Wolfsburg und Dortmund steigerte er sich von Spiel zu Spiel. Bis zu seiner Verletzung dauerte es in allen drei Wettbewerben im Schnitt nur 102 Minuten, bis Mario Götze an einem Tor direkt beteiligt war. Dass dann die Verletzung folgte, war großes Pech für den Weltmeister. Gerade zu dem Zeitpunkt, wo er sich endlich wieder so präsentierte wie im ersten Jahr unter Pep Guardiola. Götze brauchte, wenn man die Rückrunde 2015 mal ausklammert, in allen Spielzeiten weniger als 115 Minuten für eine Torbeteiligung. Damit zählte er in seinen fast drei Jahren zu den torgefährlichsten Bayern-Spielern.
Der nun 23-Jährige zeigte sich aber auch aufgrund der statistisch belegbaren Weiterentwicklung optimistisch und arbeitete hart an seinem Comeback. Dieses sollte jedoch ebenfalls zu einem für ihn sehr unglücklichen Zeitpunkt kommen. In den letzten Wochen hatten die Bayern mit dem VfL Wolfsburg, Borussia Dortmund und Juventus Turin starke Gegner. Gerade in solchen Spielen ist es für einen Trainer nicht einfach, einen Spieler zu bringen, der aus einer langen Verletzung kommt und darüber hinaus noch keine Spielpraxis hat. Der Vorsprung in der Liga beträgt nur fünf Punkte und Pep Guardiola ist nicht gewillt, den Erfolg der Mannschaft für Einzelschicksale hinten anzustellen. Das Spiel gegen den FSV Mainz 05 wäre auf dem Papier die ideale Begegnung für eine erste Einwechslung gewesen, doch der Spielverlauf ließ es nicht zu. Auch Sebastian Rode macht derzeit eine ähnliche Phase durch und bekam vielleicht genau deswegen in Köln den Vorzug. Als Götze dann nach dem Bremen-Spiel – seinem bisher einzigen Einsatz in der Rückrunde – auch gegen Juventus und Köln keine einzige Minute sammelte, nahm die Diskussion deutlich Fahrt auf.
Seine ursprüngliche Position, die des Zehners, existiert beim FC Bayern nicht. Eine weitere Problematik, die zu einer verzerrten Wahrnehmung in der Öffentlichkeit führt. Die bestmögliche Position für ihn wäre unter Guardiola die Achter-Position, doch da hat er mit Thiago einen Spieler vor sich, der eine noch höhere Qualität mitbringt. Alternativ startete Götze auf dem Flügel, wo er sicherlich einige gute Auftritte hatte, aber ebenfalls einer großen Konkurrenz gegenübersteht. Kingsley Coman, Douglas Costa, Arjen Robben, Franck Ribéry, Thiago Alcantara, Thomas Müller, Robert Lewandowski und gegebenenfalls sogar Arturo Vidal heißen die Konkurrenten, die derzeit vor dem 23-Jährigen stehen. Es ist aus meiner Sicht lediglich den vielen wichtigen Spielen in den letzten Wochen sowie der stark eingespielten Mannschaft geschuldet, dass Götze so wenig Einsatzzeit bekam. Er steht sportlich aufgrund seiner langen Verletzung hinter jedem der genannten Spieler und es bleibt nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren und auf die Chance zu warten. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass er diese während und nach der Länderspielpause erhalten wird, wenngleich er wohl niemand mehr für die großen Spiele in dieser Saison wird.
Ich bin der Meinung, dass Mario Götze sehr gut zum FC Bayern passt. Er hat mit Ausnahme einer Rückrunde eine gute Zeit bei uns gehabt, wenngleich er kein Schlüsselspieler geworden ist. Gerade letzteres ist in der Öffentlichkeit nicht gut angekommen. Dennoch hat Mario Götze in seiner Zeit beim FC Bayern so viele Minuten gespielt, wie nur wenige andere im Kader. Er war in der Gesamtbetrachtung immer wichtig, auch wenn er in einigen entscheidenden Spielen wenig Einfluss hatte oder nicht spielte. Im Sommer müssen er und Ancelotti zusammen bewerten, wie es weitergeht. Die Konkurrenz auf den Positionen wird nicht weniger, aber im 4-3-3 oder 4-2-3-1 des Italieners könnte der Weltmeister eventuell eine zentralere Rolle einnehmen.
Götze selbst scheint seine Situation jedenfalls richtig einzuschätzen, da er mehrmals betonte, dass er einen anderen Anspruch an sich selbst hat als die Öffentlichkeit. Die Erwartung, dass er Woche für Woche Spiele alleine entscheidet, ist schlichtweg utopisch. Götze gibt einem Spiel Struktur und schafft Verbindungen auf dem Feld. Er lässt eher Spieler um sich herum gut aussehen, als selbst für eine Entscheidung zu sorgen. Das hat Götze zu seiner BVB-Zeit gemacht und das macht er auch beim FC Bayern. Der 23-Jährige war damals nicht der unersetzliche Individualist für den ihn viele gehalten haben und er ist es auch bei den Bayern nicht. Dass er weniger Minuten sammelt als in Dortmund, liegt nicht daran, dass er qualitativ abgebaut hat, sondern daran, dass seine Mitspieler viel stärker sind und der Konkurrenzkampf viel höher ist. Mit realistischerem Anspruch, Geduld und einem Neustart unter Carlo Ancelotti sehe ich durchaus Chancen für ihn, nicht nur an seine erfolgreiche erste Bayern-Saison anzuknüpfen, sondern sich auch weiterzuentwickeln.
Auf der zweiten Seite dieses Doppelpacks nimmt Christopher die Gegenposition ein und analysiert, welchen Kaderplatz Mario Götze derzeit beim FC Bayern München eigentlich ausfüllt.