Get ready for Dreierkette
Guardiola steht mit dem FC Bayern vor einer extrem schweren Saison. Wie immer nach einer WM hat der Rekordmeister die große Aufgabe eine Vorbereitung der zwei oder drei Geschwindigkeiten, was die Implementierung neuer taktischer Ideen extrem erschwert. Trotzdem wird Guardiola Bayerns Spiel weiterentwickeln. Eine systemische Veränderung ist dabei schon jetzt abzusehen. Die Dreierkette könnte endgültig zu einem regelmäßigen Stilmittel der Münchener werden. Das haben Guardiolas Aussagen in der Eröffnungs-Pressekonferenz am Donnerstag und die Eindrücke der bisherigen Vorbereitung bereits nahe gelegt. Es wird keine Abkehr von der Viererkette geben, sondern eine Ergänzung des bestehenden Arsenals, um eine oder mehrere Formationen mit einer Dreierkette in der hintersten Linie. Guardiola hat für diese Variante ohnehin eine Reihe von guten Argumenten an seiner Seite.
Vorteile einer Dreierkette
Defensive Stabilität: Auch wenn es auf den ersten Blick paradox klingt. Die Umstellung von Vierer- auf Dreierkette kann dem FC Bayern in der Ausrichtung Guardiolas helfen die defensive Stabilität zu erhöhen. Wenn es bei den Münchenern in einer Saison mit vier Pflichtspielniederlagen und wettbewerbsübergreifend 38 Gegentoren überhaupt eine defensive Schwäche gab, war es vor allem die Konterverteidigung. Dafür gab es vor allem zwei Gründe. Zum Einen verzichtete Guardiola über weite Strecken der Saison auf einen sichernden 6er, den Javi Martínez in der Triple-Saison beinahe in Perfektion interpretiert hatte. Vor allem wenn der FCB im 4-1-4-1 agierte, boten sich neben dem einzigen 6er große Räume für Konter, die durch die proaktiv herausrückenden Innenverteidiger risikobereit besetzt werden sollten. Stellungsfehler wurde hier durch die fehlenden, gestaffelten Absicherungen, die noch unter Heynckes stark eingesetzt wurden, häufiger bestraft. Auch die Ausrichtung der Außenverteidiger, die häufig weit vorgeschoben und/oder einrückend agierten barg Gefahren für Konter, da im Schatten der Außenverteidiger neben den Innenverteidigern große Räume entstanden, die bei Ballverlust Platz für Konter ermöglichten. Nicht selten entstand bei fortgeschrittenem Ballbesitz eine 2-2-3-3-Formation, die, wenn das Gegenpressing nach Ballverlust misslang, gerade auf den Außenpositionen zu Dysbalancen und Kontergelegenheiten führte.
Die Dreierkette könnte hier durch mehr Breite der hintersten Reihe automatisch für mehr Stabilität und Absicherung sorgen, zumal sie bei zügigem defensivem Umschalten leicht zu einer Fünferkette werden kann. Ohnehin war die Ausrichtung im ersten ernsthaften Live-Test der Dreierkette im DFB-Pokalfinale gegen Dortmund eher eine Fünferkette mit zentraler Dreierreihe, weil Højbjerg als Rechts- und Rafinha als Linksverteidiger offensiv sehr zurückhaltend und risikoarm agierten. Diese Ausrichtung war aber eher ein Kompromiss. Ich erwarte bei einer möglichen Anwendung in dieser Saison schon eine echte Dreierkette, die dann durchaus situativ zu einer Fünferkette werden könnte. Durch drei nominelle Verteidiger wird auch das Sichern und Doppeln erleichtert, weil der zentrale Verteidiger den jeweils ballnahen Halbverteidiger in eins gegen eins Duellen leicht versetzt absichern und – vor allem wenn er ein direktes Duell verliert – unterstützen kann.
Aufbau, Dreiecke und Überzahlsituationen: Auch im Spielaufbau bietet die Dreiekette einige Vorteile. Schon mit der Viererkette baute Bayern in der Vergangenheit häufig mit einer Dreierkette auf. Weil die Außenverteidiger vorschoben, zog es die Innenverteidiger in die Breite, während ein abkippender 6er (Schweinsteiger, Kroos oder Lahm) sich ins Zentrum fallen ließ, um von dort das Spiel anzuschieben. Das starke Abkippen der 6er wird bei einer Dreierkette zunehmend überflüssig, da der zentrale Innenverteidiger diese Position ohnehin ausfüllt und dem jeweiligen 6er ermöglichen kann etwas weiter vorn die Halbräume im Spielaufbau zu besetzen. Das Aufbauspiel wird so intuitiver und die Positionsfindung natürlicher. Die Außenspieler können derweil je nach Pressingsystem des Gegner entweder extreme Breite geben und das Pressing so auseinanderziehen, oder in die Halbräume im Zentrum einrücken und dort gut zu bespielende Dreiecke bilden.
Hier kann das Pokalfinale durchaus als positives Beispiel gesehen werden, da Dortmund bis auf wenige Ausnahmen durch die numerische Überlegenheit und extreme Breite der Münchener im Spielaufbau, kaum Zugriff im Pressing bekam – vor allem dann nicht wenn sich Neuer als aktive zusätzliche Anspielstation mit einmischte.
Ein Königreich für Javi Martínez: Der Baske wurde im Vorjahr vom MVP der Saison 2012/2013 zum Rollenspieler. Durch die Herausnahme des absichernden 6ers war Martínez Paradeposition entfallen. Als Innenverteidiger einer Viererkette agierte Martínez passabel, aber es blieb das Gefühl des verschenkten Potenzials. Durch die Dreierkette könnte Guardiola ein neues Königreich für den 25-Jährigen schaffen. Martínez stieg nach dem frühen Aus der Spanier bei der WM bereits Ende Juli ins Mannschaftstraining ein und wird auch körperlich einen Vorteil haben. Die Position des zentralen Verteidigers in der Dreierkette ist zudem wie gemacht für den Nationalspieler. Martínez hat zwei große Stärken. Der direkte Zweikampf auf engem Raum und das Timing im Herausrücken auf den ballführenden Spieler. Genau damit hat Martínez in der Vergangenheit unzählige Bälle im Mittelfeldzentrum erobert oder abgefangen. Im Ablaufen von konternden Stürmern oder im mannorientierten Bearbeiten von Angreifern hat Martínez gerade im Vergleich zu Boateng ein paar Defizite offenbart. Als zentraler Innenverteidiger einer Dreierkette kann Martínez seine Stärken voll ausspielen. Auch hier kann das Pokalfinale gegen Dortmund als guter Referenzpunkt dienen. Martínez machte sein bestes Saisonspiel und entnervte die Dortmunder Angreifer als unterstützender Verteidiger, der durch kluges Herausrücken oder bedachtes Abschirmen Angriffe abwehrte, Laufwege verkomplizierte und Bälle gewann. Mit Martínez, der auch im Spielaufbau allen Anforderungen dieser Position genügt, hat Guardiola die Idealbesetzung für die Position des zentralen Verteidigers in einer Dreierkette und könnte ihm so gleichzeitig endlich eine wertvolle Rolle in seinem System schaffen.
Umstellung birgt gerade jetzt auch Risiken
Klar ist, dass eine Umstellung auf eine Dreierkette gerade auf Grund der zerstückelten Vorbereitung auch Risiken birgt. Die Defensivspieler haben wenig Erfahrung in der Umsetzung der Dreierkette. Automatismen im Übergeben und Übernehmen, sowie den Abständen zwischen den Verteidigern müssen sorgsam einstudiert werden. Zeit bleibt dafür wenig, weil mit Dante und Boateng zwei von vier Verteidiger erst sehr spät in die Vorbereitung einsteigen werden. Welche Folgen eine ungeübte Dreierkette haben kann, war bei Bayerns 0:3-Tespielniederlage gegen Salzburg im Winter oder weiter zurück beim 2:5 gegen Bremen unter Jürgen Klinsmann zu beobachten.
Nach den klaren Aussagen von Guardiola bei der Pressekonferenz am Donnerstag, bei der er weiteren Verstärkungen prinzipiell eine Absage erteilte scheint auch klar, dass die Personallage für eine dauerhafte Umstellung auf eine Dreierkette vielleicht ein wenig zu dünn ist. Mit Dante, Boateng, Martínez und Badstuber gäbe es vier natürliche Lösungen für drei Positionen. Hinter Badstuber bleibt trotz vieler positiver Signale aus der Vorbereitung ein Fragezeichen, welchen Effekt die fast zweijährige Pause auf sein Spiel hat. Mit Alaba und mit starken Abstrichen Contento (falls er doch bleibt) gibt es zwei weitere Alternativen für die linke Halbverteidigerposition in der Dreierkette. Rode und wiederum mit Abstrichen Rafinha könnten im Notfall Alternativen auf der gegenüberliegenden Seite sein. Viel passieren darf hier nicht – genau deshalb ist es auch nicht ratsam bei der derzeitigen Personallage komplett auf eine Dreierkette umzustellen. Guardiola ist gut beraten diese Variante zunächst lediglich als zusätzliche Alternative einzubauen – gerade auch um den Innenverteidigern dringend benötigte Regenerationspausen zu ermöglichen.
Taktische Risiken – zum Beispiel die Anfälligkeit von Dreierketten gegen Diagonalbälle halte ich im Übrigen für nachrangig, da Bayerns Ausrichtung in der Vergangenheit ohnehin sehr risikobetont war und auch die Außenverteidiger der Viererkette die ballferne Seite nicht wirklich konsequent sicherten. Die Gefahren bei einer Dreierkette liegen hier eher in der Umsetzung als in der Ausrichtung.
Guardiola wird die taktische und spielerische Weiterentwicklung des FC Bayern voran treiben. Größtmögliche Flexibilität ist dabei Trumpf. Wie beschrieben gibt es dabei für die Dreierkette inhaltlich eine Reihe von guten Argumenten. Die Königsaufgabe wird die Umsetzung. Guardiola wird in seinem ersten Jahr in München gelernt haben, dass jede Veränderung bei Misserfolgen öffentlich sehr schnell als Erklärung heran gezogen wird. Der Coach macht sich nach zwei fast perfekten Jahren des Rekordmeisters zumindest öffentlich mit jeder Neuerung angreifbar. Bisher hat er dieses Risiko nicht im Ansatz gescheut. Es spricht also viel dafür, dass Guardiola auch in der neuen Saison Spieler, Fans und Medien durch taktische Veränderungen und Anpassungen vor neue Aufgaben stellt. Nach den ersten Eindrücken der Vorbereitung sind dabei alle Beteiligten gut beraten einen Rat zu befolgen.
Get ready for Dreierkette.