FREIBURG IM BREISGAU, GERMANY - MARCH 30: Jerome Boateng of FC Bayern Muenchen and Mats Hummels of FC Bayern Muenchen save a ball on the line during the Bundesliga match between Sport-Club Freiburg and FC Bayern Muenchen at Schwarzwald-Stadion on March 30, 2019 in Freiburg im Breisgau, Germany. (Photo by Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

FCB-Transfersommer: Öffnet das Fenster!

Justin Trenner 19.06.2019

Dieser Text wurde gestern (Dienstag, 18.06.19) auf Patreon als monatliche Kolumne veröffentlicht und heute (Mittwoch, 19.06.19) nach den Ereignissen um Mats Hummels überarbeitet. Hinweis: Nicht jede der monatlichen Kolumnen wird auch im Blog veröffentlicht. Wir freuen uns über jede*n, der*die uns bei Patreon unterstützt und wollen mit exklusiven Kolumnen etwas zurückgeben.

Heiß ist es dieser Tage. 30 Grad und heißer – auch in München kommen Menschen ins Schwitzen. Ins Schwitzen dürften auch Fans des FC Bayern kommen. Ganz unabhängig von der Temperatur sieht es momentan nicht so aus, als hätten die Münchner Macher einen guten Plan.

Ein Mittel gegen heiße Temperaturen ist Durchzug. Wenn es draußen windig ist und man die Fenster öffnet, kann das eine Erfrischung sein. Im Fall der Bayern gilt es aber noch zu warten: Das Transferfenster öffnet erst im Juli. Vielerorts wagen sich die Sportdirektoren der Klubs trotzdem schon an die Fenster, sehen sich um und klappen sie teilweise sogar schon an.

An der Säbener Straße hingegen scheint es wegen des geschlossenen Transferfensters so stickig zu sein, dass Mats Hummels den Klub sogar verlässt. Man schwitzt. Und wartet. Man wolle zwar noch einiges tun, doch man müsse „warten und sehen, was möglich ist“, so zumindest die Meinung von Hasan Salihamidžić. 

Die Ausgangslage

Betrachtet man allerdings den aktuellen Kader des FC Bayern, so intensiviert sich der Schweiß gleich nochmal: 15 Profi-Feldspieler sind es im Moment, die den Münchnern auch in der kommenden Saison zur Verfügung stehen (könnten). Darunter Jérôme Boateng – dessen Wechsel bis vor ein paar Tagen noch als wahrscheinlich galt. Dann wären es nur noch 14. Zieht man Davies und Arp noch ab, die sich in der vergangenen Rückrunde eher für die 3. Liga oder eine Leihe als für die Profis empfohlen haben, sind es nur noch 12. Auch bei Renato Sanches ist die Lage noch unklar. Die Bayern müssen in diesem Sommer bereits Robben, Ribéry, Rafinha, Hummels und James ersetzen – viel Erfahrung, die den Klub verlassen hat. Spieler, die leistungstechnisch nicht immer den Unterschied gemacht haben, aber wissen wie man Titel gewinnt. Dortmund hingegen gewinnt gerade einen solchen Spieler von den Münchnern.

In der abgelaufenen Saison bestand der Kader der Bayern aus 18 Feldspielern plus Wagner in der Hinrunde und Davies in der Rückrunde – exklusive der Jugendspieler. Eine Konstellation, die von vielen kritisiert wurde und die Münchner auch im Laufe der Saison vor Probleme stellte. Bis zur Verpflichtung Carlo Ancelottis war es ein von Michael Reschke etabliertes Prinzip, dass 20, mindestens 19 Feldspieler plus Torhüter und Jugendspieler im Kader stehen sollten. Dadurch war eine gesunde Breite gegeben, die gerade noch von den Trainern zu moderieren war.

Nun kann man im Moment also von 13 Feldspielern und Davies sowie Arp als Ergänzung ausgehen. Es fehlen also 6, um das ehemalige Reschke-Prinzip zu erfüllen. Es fehlen 5, um den Status-quo der letzten Saison wiederherzustellen. Und selbst wenn Kovač aufgrund der jüngeren Kaderstruktur von weniger Verletzungen ausgeht und somit den Kader auf 18 Profi-Feldspieler reduzieren möchte, fehlen immer noch 4 Verpflichtungen.

Kaderanalyse

Grün markierte Ersatzspieler stehen nicht in der Startelf; rot markierte Ersatzspieler sind bereits in der Startelf oder in einer anderen Rolle zu finden.

Der Angriff

Für den FC Bayern ist es also noch ein weiter Weg bis zum Trainingsauftakt am 8. Juli. Während sich vor allem die nationale Konkurrenz schon gut aufgestellt hat und lediglich nach Ergänzungen sucht oder sogar noch Spieler verkaufen muss, ist bei den Bayern ungefähr ein Viertel des Kaders noch unklar.

Doch wie sollten diese Leerstellen gefüllt werden? Was ist von Salihamidžić und den Münchnern zu erwarten? Anhand der Gerüchte lässt sich bereits schlussfolgern, welche Spielertypen die Bayern für die neue Saison suchen. Schaut man sich die Grafik oben an, fällt direkt auf, wie unterbesetzt die Offensive nach den Abgängen von James, Robben und Ribéry ist. Mit Alphonso Davies und Fiete Arp sind nur zwei Ersatzspieler grün markiert, die nicht schon in der Stammelf stehen oder auf einer anderen Position gebraucht werden. Die Schlussfolgerung: Verletzt sich einer aus Lewandowski, Gnabry oder Coman, gibt es bereits große Probleme – auch weil Davies und Arp allein vom kurzfristigen Niveau her große Fragezeichen sind.

Die Gerüchte um Leroy Sané sind deshalb nur logisch. Der 23-Jährige wäre die Idealbesetzung für den FC Bayern. Auch wenn er gerade im Defensivverhalten noch Verbesserungsbedarf hat, wäre er offensiv nicht nur in der Breite, sondern vor allem in der Spitze eine klare Verstärkung. So teuer sein Preis ist, so sinnvoll wäre seine Verpflichtung schon deshalb, weil keine Alternative auf dem Markt ist, die im Komplettpaket annähernd so reizvoll ist wie er.

Zwei für den Flügel, einer für die Zentrale?

Als deutscher Nationalspieler passt er perfekt in die vermeintliche Einkaufspolitik der Bayern-Bosse. Da Davies und auch Jugendspieler wie Batista Meier noch nicht so weit sind, braucht es aber noch einen weiteren Flügelspieler. Hier würde sich der Transfer eines Spielers anbieten, der am Anfang seiner Entwicklung steht, gleichzeitig aber schon Profi-Level nachweisen konnte. Pépé und Hudson-Odoi waren Gerüchte, die in diese Kategorie passen.

Mit 2 Transfers stünden die Bayern nun also bei 16-17 Feldspielern – Platz für 3-4 weitere Transfers, je nachdem wie man mit Fiete Arp plant. Für das offensive Zentrum gibt es derzeit weniger Gerüchte, doch ausgerechnet Robert Lewandowski machte die Diskussion um einen Backup für ihn wieder auf: Zwar kursierte der Name Timo Werner immer wieder, doch der Angreifer ist trotz seiner Geschwindigkeit niemand, der gegen tiefstehende Gegner in engen Räumen kluge Entscheidungen trifft. Gleichzeitig ist er technisch zu limitiert, um regelmäßig auf den Flügeln zum Einsatz zu kommen. Für die geschätzten 40 Millionen Euro wäre das Risiko so hoch, dass es für die Bayern wenn überhaupt sinnvoller wäre, Werner ein Jahr später ablösefrei zu holen.

Ein weiterer Name ist Kai Havertz. Er ist eher jemand, der aus der Tiefe kommt, könnte aber sowohl die Leerstelle auf der Zehn als auch die auf der Neun (wenn richtig eingebunden) füllen. Auch hier ist es aber wahrscheinlicher, dass die Bayern ein Jahr später zuschlagen. Eine interessante Übergangslösung wäre Max Kruse, der mindestens auf nationalem Niveau eine Verstärkung in der Breite wäre – hier deutet aber vieles auf einen Wechsel nach Frankfurt hin.

Das Mittelfeld

Es ist also eher davon auszugehen, dass die Bayern nur bei einer einmaligen Möglichkeit zuschlagen – somit sind es im Gedankenspiel weiterhin 16-17 Feldspieler. Der Wechsel von James hat aber noch eine andere Baustelle aufgerissen als die in der Offensive: Es fehlt ein Spieler, der dem Mittelfeld der Münchner eine Grundstruktur geben kann und der für kreative Momente sorgt.

Deshalb gab es Gerüchte um Rodrigo (Atlético Madrid) – kein Zehner, sondern ein Sechser. Der junge Spanier ist vom Typus her eher ein Martínez als ein James. Robust, zweikampfstark, groß – Rodrigo bringt fast alles mit, um ein Mittelfeld zu stabilisieren. Offensive Akzente setzt er eher nicht. Dafür ist er bereits jetzt technisch und strategisch auf einem höheren Niveau als Javi Martínez. Er kann das Spiel von hinten aufziehen, sich clever positionieren und sich aus engen Pressingsituationen befreien. Kein Wunder also, dass Pep Guardiola ihn haben möchte.

Sollte Rodrigo zu Manchester City wechseln, wäre es schwer, eine gute Alternative zu finden. De Jong (Barcelona) ist längst vom Markt und bei den meisten anderen Spielern gäbe es größere Fragezeichen. Hier muss man dann eine Alternative finden, um Thiagos Rolle zu entlasten.

Die Abwehr

Mit einem weiteren Transfer stünden die Bayern nun bei 17-18 Feldspielern. In der Abwehr haben sich die Bayern aber ein weiteres Problem geschaffen: Hummels verstärkt den Rivalen aus Dortmund. Boateng , Pavard, Hernández und Süle besetzen aktuell die Innenverteidiger-Positionen.

Es kann durchaus von einem großen Risiko gesprochen werden, das der Klub hier eingeht: Pavard hatte ein schweres Jahr in Stuttgart und muss das ganz große Niveau erst noch nachweisen. Hernández und Süle gelten nicht als die besten Aufbauspieler, wenngleich sie hier zuletzt Fortschritte machten. Bei Boateng bleibt die Frage, ob er überhaupt nochmal sein eigentliches Niveau erreichen kann. 

Auf dem Papier wäre es okay, mit den vier Spielern in die Saison zu gehen. Optimaler wären aber wahrscheinlich ein Boateng-Verkauf sowie ein Hummels-Verbleib gewesen. Doch nun macht man sich davon abhängig, Boateng mindestens ein letztes gutes und für die jungen Spieler wichtiges Jahr zu entlocken oder auch ihn noch adäquat ersetzen zu müssen. Noch problematischer könnten die Außenverteidiger-Positionen sein. Hier sind Kimmich und Alaba zwar gesetzt, doch Pavard und Hernández sind als Backups schon in der Innenverteidigung im Einsatz. Diese doppelte Besetzung ist ein weiteres Risiko, das sich besonders dann erhöht, wenn Boateng auch noch gehen sollte. Spätestens dann müssen die Bayern nochmal aktiv werden: Kabak ist derzeit ein deutlich realistischeres Gerücht als de Ligt, der zu viel Geld binden und so wichtigere Transfers auf anderen Positionen verhindern würde.

Weitere Handlungsoptionen

Es gibt aber abseits des Kaufs eines weiteren Innenverteidigers noch drei weitere Möglichkeiten, um das Risiko in der Abwehr zu verringern. Nummer 1: Lukas Mai. Der 19-Jährige braucht in der kommenden Saison ein deutlich höheres Niveau als das der 3. Liga. Als vierter Innenverteidiger könnte er einige Minuten in Bundesliga und Pokal sammeln und den nächsten Schritt schaffen. Pavard könnte dann immer wieder als Rechtsverteidiger aushelfen. 

Wahrscheinlicher sind aber die anderen beiden Varianten. Nummer 2: Martínez in die Innenverteidigung schieben, wenn er gebraucht wird. Der Baske offenbart in Ballbesitz immer mehr Schwächen, die in der Innenverteidigung weniger ins Gewicht fallen. Gegen den Ball erfüllt er hingegen auch auf internationalem Niveau alle Anforderungen.

Die dritte Option ist die Verpflichtung eines Außenverteidigers, der wie Rafinha auf beiden Seiten spielen kann. Auch hier wäre aber Salihamidžić gefragt, denn der Markt gibt solche Spieler nur selten her. In der abgelaufenen Saison hatten die Bayern mit nur 3 Außenverteidigern und 3 Innenverteidigern (plus Martínez) keine großen Probleme. Doch dass das auch anders laufen kann, zeigte die Saison 2015/16: Plötzlich mussten Alaba und Kimmich im Zentrum aushelfen. Ein weiterer Spieler wäre deshalb nicht schlecht. Es soll zudem Pläne mit Alphonso Davies geben, die ihm Spielzeit auf der Linksverteidiger-Position verschaffen – eine Idee, die interessant ist, aber einiger Tests bedarf.

Die eigene Jugend mehr einbeziehen?

Nachdem viel über ihn geredet wurde, ist er jetzt da: Der Umbruch! Viele junge Spieler werden den nächsten Schritt in München gehen müssen, einige Spieler wie Thiago oder Alaba werden eine Hierarchiestufe nach oben rücken. Ältere Spieler hingegen haben den Klub verlassen oder müssen in der Hierarchie zurückstecken. 

Möglich wäre es auch, bewusst einige Jugendspieler enger einzubinden, um den Kader aufzufüllen. Aus dem ehemaligen Prinzip der 20 Profi-Feldspieler plus Jugendspieler könnte eine Art 18 plus Jugend werden. Lukas Mai ist nur einer der Kandidaten, die für die Profis als Ergänzung wertvoll sein könnten. Auch Zirkzee wäre als natürliche Backup-Option für Lewandowski interessant.

Es ist höchst fraglich, ob die Bayern sich diesen Schritt zutrauen – zumal auch der Klassenerhalt in der dritten Liga eine gewisse Priorität haben sollte. Ein dünnerer Kader mit der bewussten Vorgabe, dass junge Talente dadurch mehr Einsatzzeiten sammeln, wäre jedoch ein unterstützenswerter Schritt. Man würde damit zwar einen oder zwei Schritte zurückgehen, könnte langfristig aber vielleicht eine ähnliche Erfolgsgeschichte starten wie 2009. Das Talent ist bei einigen Spielern vom Campus gegeben. Die Frage ist nur, ob das in den Köpfen der handelnden Personen eine Rolle spielt.

Fazit: Macht das Fenster auf!

Geht man nun davon aus, dass für alle Leerstellen mindestens 4 neue Spieler (2 Flügelstürmer, 1 Mittelfeldspieler, 1 Verteidiger oder Angreifer) geholt werden, stünden die Bayern bei 18-19 Feldspielern. Angesichts der letzten Jahre wäre das ein geringer Wert. Allerdings sind mit Robben und Ribéry auch zwei Spieler weg, die anfällig für Verletzungen waren. 

Durch die dann jüngere Kaderstruktur könnte das gutgehen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist aber noch nichts fix. Das gibt zu denken. Gerade Hasan Salihamidžić wird sich wie kein Zweiter an diesem Transferfenster messen lassen müssen und alles, was er derzeit zu verkünden hat, ist die Aufforderung zum Warten. Es ist vielleicht der wichtigste Transfersommer der letzten Jahre. Der viel zitierte Umbruch findet genau jetzt statt und Salihamidžić trägt eine große Verantwortung dafür, die Hoeneß und Rummenigge sogar immer wieder bekräftigen.

Mit Sané und Rodrigo kursieren zwei große Namen. Kommen keine Spieler dieser Qualität, wäre das ein weiterer Imageschaden für den Sportdirektor. Bestreitet er den Transfersommer allerdings positiv, könnte er auch in der Außendarstellung einen wichtigen Schritt machen. Es bleibt spannend in München. Wann hat man an der Säbener Straße genug geschwitzt und öffnet endlich das Transferfenster? Geduld ist sicher oft ein guter Ratgeber. Doch warten und schwitzen die Bayern zu lange an der stickigen Säbener Straße, drohen sie zu dehydrieren – die gewünschten Spieler und die Konkurrenz auf dem Markt wird nämlich auch nicht warten. Es ist Zeit, das Fenster zu öffnen.