Kimmich, Boey oder Stanišić: Wer wird Nachfolger von Noussair Mazraoui beim FC Bayern?

Jonas Trenner 06.08.2024

Sein Transfer zu West Ham United ist zwar noch gescheitert, dass Noussair Mazraoui den FC Bayern verlassen wird, scheint dennoch nur eine Frage der Zeit. Manchester United wird mehreren Medienberichten zufolge die nächste Station des 26-Jährigen. Transferexperte Fabrizio Romano berichtet beispielsweise bereits von einer Einigung zwischen dem Spieler und dem Club. Auch eine Übereinkunft mit dem FC Bayern soll kein Problem darstellen.

Dass es den Verantwortlichen des Rekordmeisters so leicht fällt, den Marokkaner gehen zu lassen, hat vielfältige Gründe. Unter anderem politische, da Mazraoui nicht nur einmal mit Statements beispielsweise zum Nahost-Konflikt negativ auffiel und damit der Social-Media-Abteilung des FC Bayern einige Probleme bereitete. Auch die Ausfallzeiten des Rechtsverteidigers werden den Verantwortlichen aufgefallen sein. Insgesamt 164 Tage und 29 Pflichtspiele stand der Marokkaner dem Verein verletzungsbedingt nicht zur Verfügung.

Dass Mazraoui sein Heimatland stets dem Club vorzog, werden die Verantwortlichen des FCB ebenso nicht vergessen haben. Beispielsweise als er sich verletzt zum Afrika-Cup dieses Jahres schleppte oder trotz Coronainfektion die Weltmeisterschaft in Katar absolvierte und folglich mit einer Herzmuskelentzündung monatelang ausfiel.

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Dass der Marokkaner dem Club zudem eine anständige (wenn auch keine üppige) Ablösesumme einbringt, spricht ebenfalls für einen Verkauf. Der Umbruch muss schließlich auch irgendwie finanziert werden. Doch was bedeutet sein Abgang für den Kader des Rekordmeisters? Wer ist der optimale Ersatz für den Marokkaner auf der Rechtsverteidiger-Position? Wer passt am besten zu Vincent Kompanys pressing- und ballbesitzorientiertem Spiel? Miasanrot macht den Check.

Joshua Kimmich: Hinten rechts zurück zu alter Stärke?

Mit der Ankunft von João Palhinha und der Wiedergenesung von Aleksandar Pavlović könnte Bayerns gewünschte Schaltzentrale für die kommende Spielzeit stehen. Zumindest auf dem Papier wäre damit kein Platz mehr für Joshua Kimmich, den nach seiner starken EM und Rückrunde sowieso viele als Außenverteidiger sehen. Aber auch Kompany? Zumindest im Testspiel gegen Tottenham stellte der Belgier den DFB-Kicker im Mittelfeldzentrum auf – neben Pavlović.

Zwar ist ein Verbleib alles andere als sicher, doch solange er im Kader der Münchner steht, sollte und wird er eine ernsthafte Option für beide Positionen darstellen. Besonders für Kompanys Ballbesitzstil könnte Kimmich kaum passender sein. Der Belgier schiebt seine Außenverteidiger gerne ins Zentrum, um sie am Spielaufbau zu beteiligen.

Sowohl in der ersten Linie in einem Dreieraufbau mit zwei Innenverteidigern als auch im Mittelfeld, um Pavlović zu entlasten, könnte der Nationalspieler hier seine Stärken am Ball optimal einbringen und ähnlich wie Phillipp Lahm 2016 unter Pep Guardiola als Hybridspieler im Ballbesitz ins Zentrum und erst gegen den Ball nach rechts hinten rücken.

Diese Rolle hängt jedoch von der Besetzung der Linksverteidiger-Position und dem rechten Flügel ab. Je nach Konstellation könnte Kimmich auch eine offensivere Rolle einnehmen und als klassischer Außenverteidiger die Linie rauf und runter rennen sowie die Breite halten. Dass er das kann, hat er sowohl bei der EM als auch (mehrfach) beim FC Bayern unter Beweis gestellt.

Joshua Kimmich überzeugte bei der EM als Rechtsverteidiger. Wird er zukünftig auch beim FC Bayern hauptsächlich als Außenverteidiger agieren?
(Alexander Hassenstein/Getty Images)

Eigentlich ist der 29-Jährige für diese Interpretation der Position ja zu langsam und zu wenig dribbelstark. Mit 0,4 gewonnen Dribblings pro 90 Minuten (Quelle: Sofascore) weist er beispielsweise die schwächste Quote im Vergleich zu den anderen beiden Kandidaten (Stanišić: 0,6; Boey: 0,9) und Verkaufskandidat Mazraoui (0,6) auf.

Doch sein Einrückverhalten im letzten Drittel, sein herausragendes Auge für freistehende Mitspieler sowie seine starken Flanken aus dem Halbfeld machen das wieder wett. Nicht umsonst kam Kimmich im flankenlastigen Spiel unter Niko Kovač 2018/19 auf überragende 19 Torvorlagen. Auch in der vergangenen Spielzeit kommt er auf 2,3 erfolgreiche Flanken pro Spiel. Stanišić (0,3), Boey (0,5) und Mazraoui (0,2) können hier nicht mithalten.

Bei all dem Lob dürfen Kimmichs defensive Schwächen jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Dazu zählen vor allem seine oftmals fehlende Robustheit im Zweikampf und seine Geschwindigkeitsnachteile. Gegen schnelle, dribbelstarke Außen tut sich der 29-Jährige damit regelmäßig schwer.

Besonders sein Auftritt im Champions-League-Halbfinale gegen Vinicius Junior bleiben dahingehend negativ in Erinnerung. Trotzdem bewies er in der Rückrunde (und bei der EM) abermals sein Können auf der Position, was ihn zum heißen Anwärter auf einen Stammplatz unter den drei Kandidaten macht – wenn Kompany nicht doch mit ihm auf seiner Stammposition im Mittelfeld plant.

Sacha Boey: Neustart nach Seuchen-Halbjahr?

Dass Kimmich die Rückrunde überhaupt als Rechtsverteidiger aufgestellt wurde, lag vor allem an der verletzungsbedingten Absenz vom in der Winterpause verpflichteten Sacha Boey, der bisher lediglich auf zwei Auftritte für den Rekordmeister kommt. Für die neue Saison hat sich der Franzose somit natürlich einiges vorgenommen, verkürzte sogar seinen Urlaub und macht zumindest körperlich bereits einen starken Eindruck.

Diese Körperlichkeit zeichnet auch den Spielertypen Boey aus. Der 23-Jährige agiert gegen den Ball meist sehr aggressiv und hartnäckig. Bei seinen 1,4 Interceptions und 5,9 gewonnenen Bällen pro 90 Minuten können weder seine beiden Konkurrenten (Kimmich: 0,5 und 5,0; Stanišić: 0,5 und 4,4) noch Mazraoui (1,1 und 3,3) mithalten.

Auch wenn diese Zahlen aus seinem letzten Halbjahr von Galatasaray Istanbul stammen, sagt das einiges über den Franzosen aus, der durch seine unermüdliche Art, Gegenspieler ständig unter Druck zu setzen, eine echte Waffe gegen tiefstehende Teams werden kann. Natürlich muss er diese Qualitäten noch auf Bayernniveau übertragen und konstant nachweisen. Gegen Tottenham im Testspiel sah das phasenweise schon ganz gut aus.

Was ihn zudem auszeichnet, ist sein Offensivdrang. Boey hat eine starke Quote bei Dribblings und ist stärker im Eins-gegen-eins als seine Kontrahenten, er kann aber auch präzise und schnell kombinieren. Seine bei Gala nachgewiesene hohe Spielintelligenz wird seinem derzeitigen Trainer sicher gefallen. Der 23-Jährige wählt kluge Laufwege und weiß sich in Ballbesitz immer gut zu positionieren, auch wenn seine Entscheidungsfindung noch zu wünschen übrig lässt.

Auch seine aggressive Spielweise gegen den Ball kann durchaus zu Problemen führen, besonders bei Boeys noch nicht ganz ausgereifter Entscheidungsfindung. Oftmals agiert er noch zu ungestüm und greift zum Foul (1,6 Fouls pro Spiel) oder wird überspielt, weil er ein wenig zu schnell rausrückt (0,9 Mal pro Spiel).

Hier haben seine Konkurrenten Kimmich (0,4 Fouls pro Spiel und 0,5 Mal überdribbelt) und Stanišić (0,3 und 0,6) sowie Mazraoui (0,5 und 0,4) die Nase vorn, auch wenn der Vergleich aufgrund der unterschiedlichen Spielweisen der jeweiligen Clubs ein wenig hinkt. Gleichzeitig besitzt Boey ja auch noch eine Menge Entwicklungspotential. Die Sommervorbereitung dürfte demnach eine entscheidende Rolle für dessen kommendes Halbjahr spielen.

Josip Stanišić: Rückkehr in die Startelf oder auf die Bank?

Entwicklungspotential besitzt selbstverständlich auch Josip Stanišić. Der 24-jährige Spätentwickler bewies schon etliche Male, dass man ihn niemals abschreiben sollte. Das Münchner Eigengewächs etablierte sich bei seiner Leihstation Leverkusen beispielsweise auch erst in der Rückrunde in der Startelf, trug in 38 Pflichtspielen dennoch seinen Teil zur Fabelsaison der Werkself bei. Nicht ohne Grund wollte der Doublesieger ihn auch behalten. Nun kehrt der kroatische Nationalspieler in seine Heimat zurück und muss sich dem Konkurrenzkampf stellen.

Zwar kann der Deutsch-Kroate sowohl außen als auch innen verteidigen, in einem System mit Viererkette liegen seine Stärken jedoch eher auf der Rechtsverteidiger-Position. In der vergangenen Saison präsentierte sich Stanišić dabei meist souverän und überzeugte durch eine gute Pass- und Zweikampfquote. Er stach und wird auch nicht durch Flankenläufe oder offensive Dribblings hervorstechen, sondern spielt einen defensiv ausgerichteten Rechtsverteidiger, der einrücken und im Spielaufbau mithelfen kann.

Je nach Konstellation kann ihm diese Ausrichtung – ähnlich wie in Leverkusen – zu einem Stammplatz (oder zumindest zu zahlreichen Startelfeinsätzen) verhelfen. Und zwar als Gegenentwurf zu einem offensiv agierenden Alphonso Davies (in Leverkusen Alejandro Grimaldo). Denn der kroatische Nationalspieler wird dabei konstant die Position halten und eine solide Leistung bringen. Für einen Stammplatz müsste er jedoch defensiv noch konstanter werden. Auf starke Leistungen wie einst in der Champions League gegen Kylian Mbappé folgten nicht selten schwächere Defensivleistungen.

Es darf daher bezweifelt werden, ob es für Stanišić zum erweiterten Stammspielerkreis reichen wird. Denn nennenswerte Stärken, die ihn von seinen Widersachern absetzen, besitzt der 24-Jährige ebenso wenig. Zwar bewies er es auch in Leverkusen allen Zweiflern, doch der Druck und die Erwartungshaltung sind in München einfach nochmal eine andere Hausnummer.

Zudem profitierte der Deutsch-Kroate bei der Werkself vom Afrika-Cup und der Abwesenheit seiner Konkurrenten. Hat Stanišić wirklich das Zeug dazu, sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen? Oder wird er vermehrt auf der Ersatzbank Platz nehmen? Das wird die Zukunft zeigen.

Ist der Verkauf von Noussair Mazraoui möglicherweise sogar ein Fehler?

Zugegebenermaßen hätte Mazraoui wohl auch ziemlich gut zum Ansatz von Vincent Kompany gepasst. Ähnlich wie Kimmich hätte der Marokkaner als einrückender Rechtsverteidiger mit seinen Stärken am Ball das Münchner Spiel bereichern können.

Gegen den Ball ist der 26-Jährige sogar ein wenig stärker einzuschätzen als der deutsche Nationalspieler. Seine offensiven Qualitäten und seine Vielseitigkeit machen Mazraoui im Vergleich zu den anderen drei Spielern derzeit vielleicht sogar zum komplettesten Außenverteidiger im Kader.

Deshalb darf durchaus auch infrage gestellt werden, ob ein Verkauf überhaupt notwendig ist. Die anfangs angeführten Gründe reichen dennoch aus, um die Entscheidung zu begründen. Eine Trennung macht für beide Seiten Sinn. Nicht ohne Grund steht medial eine Verkaufssumme unter 20 Millionen Euro im Raum, trotz eines geschätzten Marktwerts von 30 Millionen Euro (Quelle: transfermarkt.de).

Mit der nachgewiesenen Klasse eines Kimmichs und dem Entwicklungspotential von Boey und Stanišić ist der FC Bayern ohnehin sowohl quantitativ als auch qualitativ gut genug besetzt. Auch in einem System mit Dreierkette würden alle drei aufgrund der genannten Stärken einen Platz finden. Entweder als Flügelverteidiger oder in der Innenverteidigung.

Ein Kimmich-Abgang noch in diesem Sommer könnte die Verantwortlichen des Rekordmeisters jedoch noch einmal zum Handeln auf dem Transfermarkt zwingen und würde zusätzlich ein anderes Licht auf den Verkauf von Mazraoui werfen. Aktuell sieht es aber so aus, als würden sich beide Seiten wieder etwas annähern.



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