FC Bayern: Aus 4vs2 mach 6:1
Beim 6:1 durch Mathys Tel haben wir es in der vorausgehenden Situation mit einer 4v2-Überzahlsituation zu tun, in der einige beachtenswerte Details stecken, die sowohl Tel als Ballführenden betreffen als auch die Laufwege und damit Angebote seiner Mitspieler.
Tel treibt den Ball nach vorn und wird von Gnabry, Sané und Coman unterstützt. Zu viert laufen sie auf zwei Verteidiger zu und machen zunächst vieles richtig. Tel dribbelt den ballnahen Innenverteidiger direkt an und bindet ihn dadurch. Gnabry sorgt mit seinem diagonalen Laufweg Richtung Zentrum dafür, dass auch der zweite Innenverteidiger gebunden ist.
Zunächst macht Tel alles richtig, indem er den Ball in höchstem Tempo und auf kürzestem Weg selbst Richtung Tor treibt. Dadurch erhält er den Zeitvorteil gegenüber den nachrückenden drei Bremer Spielern im Rücken. Solange er nicht angegriffen/gestellt wird und kein Mitspieler in einer besseren Ausgangsposition ist als er selbst, lautet die Devise: Im Tempo bleiben und weiter „angehen“, um den direkten Gegenspieler so lange wie möglich zu binden und dadurch den mitlaufenden Spielern (in diesem Fall hauptsächlich Coman) noch mehr Zeit und Raum zu verschaffen.
Je weiter Tel angeht, desto mehr verdichtet sich das Zentrum durch Gnabrys Laufweg und das Stellungsspiel der Innenverteidiger. Auch hier entscheidet Tel sich richtig, weiter anzugehen, denn die alternativen Optionen sind in dieser Situation eher ungünstig: Sané befindet sich in einer zu großen Distanz zum ballnahen Innenverteidiger, um mit einem Steckpass bedient zu werden. Zudem läuft Gnabry genau die Lücke für einen Steckpass zu und wird auf der inneren Linie vom ballfernen Innenverteidiger eng begleitet. Auch ein Pass auf Coman ist in dieser Situation noch nicht sinnvoll – jedenfalls nicht sinnvoller als selbst anzugehen.
Ab jetzt wird’s spannend. Tel muss sich in Bruchteilen von Sekunden mehrmals entscheiden, ob er
- weiter selbst ins Dribbling geht
- den Pass auf Coman wählt
Theoretisch wäre ein Abspiel auf Coman die beste Lösung, da dieser am meisten Raum vor sich und keinen Gegenspieler hat. Aber: Comans Laufweg ist vertikal orientiert (Bild 2), wodurch sich das Anspiel nicht so logisch anbietet, wie man im ersten Moment annehmen würde. Der vertikale Laufweg gibt ihm zwar viel Raum vor sich, der gefährliche Raum, den Gnabry mit seinem Laufweg freigezogen hat, wäre aber besser mit einem diagonalen Laufweg zu erreichen.
Exkurs: Hätte, hätte, Fahrradkette
Wenn Coman sich direkt in den Raum orientieren würde, den Gnabry durch seinen Laufweg freizieht, dann wäre ein Anspiel auch zu diesem Zeitpunkt schon sinnvoll:
Zurück zur Realität
Tel erkennt sehr gut, dass Coman in diesem Moment (noch) keine sinnvolle Anspielstation ist und nimmt gleichzeitig wahr, dass sein direkter Verteidiger zu früh „rausgerückt“ ist und ihm zudem die innere Linie offen lässt (Bild 4). Mit einer kurzen Körpertäuschung verschafft Tel sich etwas mehr Platz und muss abermals eine Entscheidung treffen. Spielt er jetzt den Pass auf Coman?
Tel entscheidet sich auch hier dafür, den Ball noch zu halten. Noch ist diese Entscheidung sinnvoll, denn wie bereits analysiert hat Coman zwar viel Platz vor sich, bewegt sich aufgrund seiner vertikalen Orientierung aber nicht in den wirklich gefährlichen Raum.
Einen Augenblick später hat sich die Spielsituation jedoch verändert – Coman hat seinen Laufweg stärker diagonal ausgerichtet und befindet sich in einer besseren Position als Tel, der fünf Gegenspieler auf sich zieht. Der Pass auf Coman wäre in dieser Situation die bestmögliche Lösung, der Zeitpunkt für ein Abspiel genau richtig.
Tel jedoch entscheidet sich wieder dafür, den Ball zu halten. Durch diese Entscheidung bleiben ihm alle weiteren Optionen, die einen Mitspieler involvieren, verwehrt, da die Laufwege von Gnabry und Sané “ins Leere” gelaufen sind und Coman sich im Deckungsschatten eines der nachgerückten Bremer befindet (Bild 6).
Es gibt also keine sinnvolle Anspielstation mehr und Tel hat zwei Möglichkeiten:
- Selbst abschließen
- Tempo rausnehmen und eine neue Spielsituation erzeugen
Tel macht das, was er – wie es scheint – von Anfang an wollte: Er schließt selbst ab – und trifft.
Einordnung
Tels Abschluss ist nicht besonders platziert – Pavlenka ist sogar noch dran – kommt aber mit einer großen Wucht, die kaum zu verteidigen ist. Gewiss steckt in der Entscheidung für den Zeitpunkt und die Art des Abschlusses Können, etwas Glück ist aber durchaus dabei, da Tels Schussbahn alles andere als frei ist.
Der Erfolg im Outcome mag die vorhergehende Aktion und Tels Entscheidungen validieren, doch wenn Tel nicht getroffen hätte, wäre er für das nicht erfolgte Abspiel auf Coman vermutlich gerügt worden – und das nur teilweise zu Recht. Denn ja, es gab einen Zeitpunkt, zu dem ein Abspiel auf Coman die in dem Moment beste Wahl gewesen wäre. Dessen Laufweg hatte sich in der gesamten Spielszene aber lange nicht für ein Abspiel angeboten, weshalb es für Tel nur ein winziges Zeitfenster für die Entscheidung gab.
Entsprechend können wir resümieren: Der 17-jährige hat in dieser Situation nicht alles, aber sehr viel richtig gemacht. Wir können gespannt auf die weitere Entwicklung seiner Entscheidungsfindung sein.