Musterschüler und Spätstarter: Halbjahreszeugnisse für die Neuen beim FC Bayern

Georg Trenner 15.11.2022

Bis zur WM-Pause absolvierte der Rekordmeister 24 Pflichtspiele. Einige Neuzugänge spielten regelmäßig, andere nicht so oft wie erhofft. Wir ziehen ein Zwischenfazit und bewerten das erste Halbjahr der Neuen. 

Die Note spiegelt dabei nicht nur die Leistung auf dem Platz, sondern ist ein Zusammenspiel aus Leistung, Kosten und der Erwartung an den Spieler beziehungsweise des Spielers. 

Sadio Mané: strebsamer Musterschüler, 1-

21-mal in der Startelf, Platz 3 nach Pflichtspielminuten.

Der FC Bayern wollte einen Weltstar. Der FC Bayern bekam einen Weltstar. Von der Transferankündigung über sein Debüt, den Ballon d’Or und das Drama um die WM-Teilnahme: Sadio Mané spielt kommunikativ auf der ganz großen Bühne. Auch das zählt für den FC Bayern 2022. 

Rein sportlich war Mané gemessen an Whoscored-Noten der achtbeste Bayernspieler in der Bundesliga und der viertbeste Bayernspieler in der Champions League. Fünfzehn Scorerpunkte (elf Tore und vier Assists) bedeuten Platz vier im Bayernkader. 

Die Einstufung passt zur Wahrnehmung. Mané spielte gut, keine Weltklasse. Für die ganz großen sportlichen Highlights sorgten im Bayernkader und im europäischen Fußball in den vergangenen Monaten andere.

Die Eins verdient er sich mit einer der vielleicht unterschätztesten Eigenschaft von Weltklassespielern: Beständigkeit. Seit acht Jahren schaffte es kein Neuzugang beim FC Bayern in seiner ersten Saison unter die Top-3 nach Einsatzzeit. (In der Saison 2014/15 gelang das Kunststück gleich zwei Neuzugängen: Juan Bernat und, natürlich, Robert Lewandowski.)

Robert Lewandowski und Thomas Müller waren jahrelang die Fixpunkte in der Offensive des FC Bayern. Lewandowski ist weg, Müller stand auch verletzungsbedingt nur in 45% der Spielzeit auf dem Platz. Umso wichtiger war Mané als neuer Anker für die Offensive. Vom ersten Spiel an legte er den Grundstein, neben dem Musiala, Sané, Gnabry und Choupo-Moting abwechselnd strahlen konnten. 

Mané verkörpert Weltklasse durch Beständigkeit und Ausdauer. Mehr Eliud Kipchoge als Usain Bolt.

Matthijs de Ligt: gebremster Leader, 3

14-mal Startelf, Platz 9 nach Pflichtspielminuten. 

Matthijs de Ligt reiht sich ein in die lange Liste von Niederländern beim FC Bayern. Der mit mindestens 67 Millionen Euro teuerste Neuzugang kam von Juventus Turin zum FC Bayern. 

Zu Beginn der Saison war ihm ein Trainingsrückstand deutlich anzumerken. Sobald er körperlich voll da war, stimmte seine Leistung, bevor zwei kleinere Verletzungen ihn wieder etwas zurückwarfen. 

Phasenweise demonstrierte er, warum er im Alter von 23 Jahren bereits über 150 Millionen Euro Ablöse einspielte. De Ligt dominierte im Kopfballspiel, organisierte die Abwehr und eroberte Bälle. Lange Bälle, Aufrücken ins Mittelfeld oder gar eigene Dribblings suchte man bei ihm bisher jedoch vergebens. Upamecano und Hernández zeigten sich offensiv deutlich engagierter als de Ligt. 

Seine Leistung ist grundsolide. Und 14 Startelfeinsätze trotz anfänglichen Trainingsrückstandes und Verletzungen belegen das Vertrauen, das Julian Nagelsmann bereits in ihn gesetzt hat.

Gemessen an den Erwartungen hat de Ligt noch Luft nach oben. 

Noussair Mazraoui: einrückender Spätstarter, 2

11-mal Startelf, Platz 12 nach Pflichtspielminuten. 

Platz 12 in der Einsatzstatistik spiegelt den Stellenwert wider, den Noussair Mazraoui sich mittlerweile beim FC Bayern erarbeitet hat: Er ist nah dran an der Wunschelf. Denkt man zurück an den Saisonstart, ist das eine beeindruckende Entwicklung innerhalb weniger Wochen. 

Der 25-jährige Marrokaner kam ablösefrei von Ajax Amsterdam. Ihm war zu Saisonbeginn vielleicht am deutlichsten anzumerken, dass er Zeit brauchte, um sich anzupassen. Entsprechend spielte sein Konkurrent Benjamin Pavard sich als Rechtsverteidiger in der Startelf fest.

In den ersten zwölf Spielen stand Mazraoui 334 Minuten auf dem Platz (31% der Spielzeit). In den letzten zwölf Spielen absolvierte er 716 Minuten beziehungsweise 66% der möglichen Spielzeit. 

Mazraoui ist beim FC Bayern mehr als die lange gesuchte offensive Alternative als Rechtsverteidiger. Klassische Läufe zur Grundlinie hat er zwar auch, doch seine große Stärke ist das Lahm-eske Einrücken ins Zentrum. In Ballbesitz schiebt er in den Sechserraum und überzeugt dort durch Kombinationsspiel, Ballsicherheit und immer öfter auch im Gegenpressing. 

Noussair Mazraoui ist der klare Preis-Leistungs-Sieger unter den Neuzugängen. 

Ryan Gravenberch: Halbjahr zum Vergessen, 5+

3-mal Startelf, Platz 19 nach Pflichtspielminuten.

Der dritte Neuzugang mit Ajax-Vergangenheit. 18,5 Millionen Euro überwies der FC Bayern für Ryan Gravenberch, an dessen Verpflichtung halb Europa interessiert war. Mehr als 100 Pflichtspiele für Ajax, vierzehn davon in der Champions League und zehn Länderspiele für Oranje waren ein beeindruckendes Resümee für einen Zwanzigjährigen. 

In München angekommen ist er noch nicht. Kaum Einsatzzeit, nur zwei Scorerpunkte – beide im Pokal gegen den Drittligisten Viktoria Köln – und als persönlicher Tiefpunkt die Nichtnominierung zur Weltmeisterschaft. 

Rein sportlich hätte es kaum schlechter laufen können. Daran ändern auch einige Highlights in seinen wenigen Einsätzen nicht. Gravenberch hat gezeigt, warum der FC Bayern ihn unbedingt wollte. Er hat alle Anlagen, ein kompletter Mittelfeldspieler zu werden. Er überzeugt mit Ballbehauptung und Übersicht in unübersichtlichen Situationen. Er deutet an, dass er ein wichtiges Rädchen in der bayerischen Schaltzentrale werden kann. 

Aber er ist es noch nicht. Joshua Kimmich sowie anfangs Marcel Sabitzer und später Leon Goretzka liegen in der Trainergunst klar vor Gravenberch. Alle drei dankten das Vertrauen mit guten bis herausragenden Leistungen. Daran konnte Gravenberch bisher nicht anknüpfen. 

Gravenberchs erste Monate beim FC Bayern sind Monate zum Vergessen. Er erhält mit einer Fünf die schlechteste Note der Neuzugänge. Eine harte Note? Ja. Aber das ist der FC Bayern. Eine solche Hinrunde kann nicht „ausreichend“ oder besser sein. Wäre es so, wäre er falsch beim FCB. 

Die schlechte Note fürs Halbjahr bedeutet kein Urteil als Fehleinkauf und keine Bewertung von Gravenberchs Potentials. In der Rückrunde stehen 22 bis 30 weitere Pflichtspiele für den FC Bayern an. Spiele, in denen es für Gravenberch darum gehen wird, Anschluss zu finden. 

Vor sieben Jahren wechselte schon einmal ein damals 20-jähriger Mittelfeldspieler zum FC Bayern. Jener Spieler musste sich damals hinter Thiago, Xabi Alonso, Javi Martínez und Arturo Vidal anstellen und schaffte es in den ersten 24 Spielen nur fünfmal in die Startelf. Später startete er durch. Sein Name: Joshua Kimmich. 

Mathys Tel: Versprechen für die Zukunft, 3+

2-mal Startelf, Platz 21 nach Pflichtspielminuten.

Der junge Franzose wechselte für 20 Millionen Euro von Stade Rennes zum FC Bayern. In Rennes schnupperte der im Mai 2022 17 gewordene Tel erstmals Profiluft. In zehn Einsätzen als Joker kam er auf insgesamt 77 Spielminuten. Ein Tor blieb ihm dabei verwehrt. 

Insofern überraschte Bayern-Trainer Julian Nagelsmann, als er zehn Tore für Tels erste Saison im Bayerntrikot prognostizierte. Eine Prognose, die Tel beflügelt zu haben scheint. In seinen bisher 347 Minuten für den Tabellenführer traf er bereits viermal. 

Sinnbildlich für sein Talent und seine für einen 17-jährigen sehr gesunde Portion Unbekümmertheit und Egoismus war sein Tor zum 6:1 gegen Werder Bremen, als er trotz 4-zu-2-Überzahl selbst abschloss.

Mathys Tels Bilanz im ersten Halbjahr ist rundum zufriedenstellend. Doch für Euphorie oder eine bessere Note ist es noch zu früh. Dafür ist die Stichprobe von 347 Minuten zu klein und die Ablöse zu hoch. 



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