EM-Blog: „Wir sind angekommen“

Justin Trenner 19.06.2021

„Wir sind angekommen“, twitterte Leon Goretzka nach dem Spiel. Beim 4:2 gegen Portugal kann die deutsche Mannschaft in vielen Spielphasen überzeugen – und muss nur am Ende nochmal kurz zittern. Nachdem Ronaldo Portugal mit 1:0 in Führung brachte, legten die Deutschen zu und kamen über zwei Eigentore, die zuvor gut herausgespielt wurden, zur verdienten Halbzeitführung.

Im zweiten Durchgang machten sie dann den Deckel mit Toren von Kai Havertz und Robin Gosens drauf. Portugal kam zwar nochmal zurück, aber nicht mehr ran. Endstand: Ein mehr oder weniger deutlicher 4:2-Erfolg, der vielerorts für Überraschung sorgte. Thomas Müller war indes nach der Partie darum bemüht, die Euphorie zumindest ein bisschen zu bremsen und appellierte an die Sachlichkeit. Wohl auch wissend, dass diese Leistung durchaus verschiedene Gesichter seiner Mannschaft offenbart hatte.

Doch alles nacheinander: Die Deutschen begannen wie gegen Frankreich ordentlich. Von Beginn an waren sie um Ballkontrolle bemüht und schafften es auch, die Portugiesen hinten reinzudrücken. Höhere Pressingversuche des Gegners konnten sie leicht umspielen. Nicht nur, weil die 3-2-Staffelung im Aufbau gut funktionierte, sondern auch, weil Portugal kaum Aggressivität zeigte und eigentlich nur Räume zustellte, statt aktiv anzulaufen.

Löw dreht an den richtigen Stellschrauben

Nach wenigen Minuten merkte der Europameister, dass mit einer höheren Ausrichtung wenig zu holen ist. Also zogen sie sich zurück und verteidigten in einem tieferen 4-4-2. Wie Frankreich legten sie dabei viel Wert auf Kompaktheit im Mittelfeld. Und wie Frankreich versuchten sie, vor allem Spielmacher Joshua Kimmich auf der rechten Seite auszuschalten. Dabei nutzten sie eine flexible Ausrichtung gegen den Ball. Die äußeren Mittelfeldspieler Diogo Jota und Bernardo Silva sollten immer wieder doppeln und so wurde Portugals Vierer- hin und wieder zur Fünfer und in seltenen Fällen sogar zur Sechserkette.

Deutschland aber baute die guten Ansätze in den ersten beiden Dritteln im Vergleich zur ersten Partie aus und agierte im viel diskutierten letzten Drittel deutlich offensiver. An drei wichtigen Stellschrauben konnte Bundestrainer Löw vor der Partie offensichtlich drehen: Erstens die Besetzung der letzten Linie, zweitens die Unterstützung des ballnahen Flügelverteidigers und drittens mehr Seitenverlagerungen.

Schon früh in der Partie zeigte sich, wie die Deutschen den portugiesischen Defensivblock knacken wollten. Nach der Eröffnung über den Sechserraum (siehe Analyse des Frankreich-Spiels) spielte man abermals die Flügelverteidiger an. Diesmal waren die Zwischen- und Halbräume aber viel besser besetzt. Am deutlichsten zeigte sich das beim zwischenzeitlichen 3:1 durch Kai Havertz, als sich die deutsche Mannschaft auf der rechten Seite schnell und mit guten Laufwegen durchkombinierte. Gerade rechts funktionierte das Zusammenspiel von Matthias Ginter, Kimmich, Müller und Gündogan sehr gut.

Portugiesische Überforderung

Was sich an diesem Tor ebenfalls gut zeigte: Die Deutschen bekamen mehr Diagonalität in ihr Spiel und schafften es dadurch auch, gefährlich mit hohem Tempo auf die ballferne Seite zu verlagern. Insbesondere Robin Gosens profitierte sehr davon.

In letzter Linie positionierte sich die DFB-Elf meist mit fünf Spielern, was die Viererkette Portugals ständig in Entscheidungsnot brachte. Zu Beginn konnten die Außenspieler hin und wieder gut in die Breite aufstocken, aber Deutschland reagierte variabel. Wenn Portugal mit der Fünferkette verteidigte, spielten sie mehr über die Halbräume und die zentralen Räume, die sich im Mittelfeld ergaben. Ergab sich dann aber der Raum für einen Flügelverteidiger, wurde schnell und meist präzise verlagert. Portugal war mit dieser Geschwindigkeit in der ersten Stunde des Spiels überfordert, fiel in einigen Phasen sogar derart auseinander, dass sie gar keinen Druck mehr auf den Ball bekamen.

Letztendlich führte genau das auch zum Zusammenfall der Portugiesen: Hinten agierten sie zu oft in Gleich- oder Unterzahl, vorne bekamen sie keinen Druck auf den Ball. Gerade wenn man hinten aber keine Überzahl herstellen kann, muss man vorn aggressiver und druckvoller pressen. So aber hatte die deutsche Mannschaft trotz guter Leistung in einigen Momenten fast schon ein zu einfaches Spiel.

Deutsche Präzisionsarbeit

Doch das soll die Leistung der DFB-Elf keinesfalls schmälern. Auch diese Räume müssen erstmal so effizient bespielt werden. Zumal sie diesmal eine gute Mischung aus kontrolliertem Ballbesitz und Tempoangriffen mit viel Vertikalität fanden. Mit zunehmender Spieldauer funktionierte die Ballzirkulation der Deutschen immer zuverlässiger. Obwohl sie früh einem Rückstand hinterherliefen, blieben sie ihrem Spiel treu und wurden immer druckvoller. Die zwischenzeitliche 4:1-Führung, sie war hochverdient. Auch weil Deutschland sich in ein Spiel reingearbeitet hatte, das zunächst gegen sie zu laufen schien. Ein knappes Abseitstor, das zurecht aberkannt wurde und eben der Rückstand, der beim ersten Konter zustande kam – es gab zumindest schon glücklichere Spielverläufe. Die Mannschaft aber ließ sich nicht beirren und legte nach der ordentlichen Anfangsphase nochmal zu.

In der Offensive konnten sie durch das höhere Risiko im Positionsspiel mehr Variabilität und Dynamik einbringen. Statt auf Portugal zu reagieren, drückten sie dem Gegner ihr Spiel diesmal selbst auf. Die Flanken auf den zweiten Pfosten und Gosens waren eine klare taktische Vorgabe, die sich letztendlich bezahlt machte. Wenngleich die Deutschen es in der ersten Halbzeit mitunter ein wenig übertrieben haben mit den Flanken und so der Eindruck entstand, dass es das einzige Mittel sein würde. Dann aber kam insbesondere Müller immer besser in die Partie. Er trieb sich gewohnt effizient in den Zwischenräumen der Portugiesen herum, unterstützte die Außenspieler und ermöglichte so diagonale Kombinationen wie vor dem 3:1. Deutschland zeigte sich viel variabler als in vorangegangenen Partien.

Auch im Pressing hat die Mannschaft von Löw wieder eine gute Performance gezeigt. Schon gegen Frankreich funktionierten Gegenpressing und Herausschieben aus tieferen Verteidigungsphasen gut, diesmal agierte das Team sogar noch sauberer. Portugal fand nur selten in sein Ballbesitzspiel. Müller war ein wesentlicher Faktor dafür. Er ging viele wichtige Wege, trieb seine Mitspieler gewohnt an. Den Sechserraum hatten Kroos und Gündogan diesmal ebenfalls besser im Griff, sie wurden aber auch weniger gefordert als von den Franzosen. Dennoch bestätigt sich der positive Eindruck, dass beide gegen den Ball eine für das Team wichtige Grundaggressivität einbringen. Gerade Kroos wurde das nicht zugetraut, aber er gewinnt viele wichtige Zweikämpfe. Problematisch ist hingegen, dass dennoch zu viele Fouls in der Nähe des Sechzehners begangen werden – gerade mit Blick auf die Anfälligkeit bei Standards.

Wechsel zerstören den Rhythmus

Nach einer Stunde war die Luft dann aber raus. Löw war zu zwei Wechseln gezwungen, die der Mannschaft den Rhythmus nahmen. Gosens ging anscheinend die Luft aus und Mats Hummels war leicht angeschlagen. Es kamen Emre Can und Marcel Halstenberg. Beide konnten aber nicht überzeugen. Halstenberg fehlt die offensive Durchschlagskraft von Gosens und Can enttäuschte auf allen Ebenen – technisch, taktisch, gegen den Ball. Statt das Spiel im Mittelfeld zu beruhigen, brachte er zunehmend Unruhe ein. Portugal kam zum zweiten Tor und dank eines verschenkten Eckballs von Can beinahe auch noch zum 3:4 durch Ex-Münchner Renato Sanches, der aus der Ferne nur knapp am Pfosten scheiterte. Löw verpasste es, rechtzeitig zu reagieren und Kimmich ins Zentrum zu ziehen, um wieder Kontrolle reinzubringen. Andererseits verpuffte die kurze Druckphase der Portugiesen auch wieder schnell und so sah er womöglich keine Notwendigkeit.

Es war am Ende dann ein mal mehr und mal weniger souveränes Herunterspielen, bei dem die Deutschen das angesprochene Risiko merklich reduzierten, um den Ball möglichst lange laufen lassen zu können. Wäre das dritte Tor noch gefallen, hätten sie wohl nochmal arge Probleme bekommen, aber so gehen sie mit einem verdienten Sieg aus dem zweiten Gruppenspiel heraus. Wie wichtig Mats Hummels als Organisator mit und gegen den Ball ist, haben diese 30 Minuten jedenfalls eindrucksvoll nachgewiesen. Seine Ruhe und Gelassenheit fehlten sehr.

Ein Sieg macht noch keinen Europameister

Deutschland hat alles in allem erneut bewiesen, dass mit ihnen mehr zu rechnen ist, als es ihnen viele zutrauen. Aber sie haben ebenfalls erneut gezeigt, dass ihnen viele Automatismen fehlen und das Spiel nach vorn nicht immer reibungslos abläuft. Zwar war das Offensivspiel deutlich verbessert und die mutige Fünferbesetzung der letzten Linie mit in der Mitte drei rotierenden Spielern öffnete viele Räume, die gegen Frankreich noch gefehlt haben, aber Portugal konnte auch nicht das Niveau der Franzosen erreichen.

Dass die Portugiesen mitunter so auseinanderfielen und kaum Druck auf den Ball bekamen, ist maßgeblich der Leistung der Deutschen zuzuschreiben, die mit einer anderen Aggressivität auftraten und gut auf Portugal vorbereitet zu sein schienen. Und doch lag es zugleich auch an individuellen Fehlern der Portugiesen, die Frankreich in der Form vielleicht nicht gemacht hätte.

Auch Standards werden ein Thema bleiben. Das erste Gegentor resultierte aus einer sehr schwachen Absicherung beim eigenen Eckball, beim zweiten Gegentreffer ist es ein Freistoß der Portugiesen, der ihnen um die Ohren fliegt. Weil die Abwehrspieler nach dem ersten Kopfball von Ronaldo am langen Pfosten passiv stehen bleiben, statt mit ihren Gegenspielern mitzugehen, kann Jota locker einschieben. Bei vielen Standards wurde es gefährlich, weil die Deutschen relativ schnell ihre Zuordnung verloren und zu schnell abschalteten. Insbesondere bei quergelegten Bällen vom langen Pfosten aus schienen sie anfällig zu sein – wie eben beim zweiten Gegentor.

Joachim Löw und seine Dreierkette

Der offensiv durchaus ansehnliche 4:2-Erfolg hat aber vor allem eines gezeigt: Joachim Löw ist kein Berufsanfänger, der den Job mal eben per Los zugeteilt bekam. Auch wenn die Kommentare der 82 Millionen Bundestrainer das manchmal vermuten lassen. Bei aller berechtigten Kritik daran, wie die letzten Jahre verliefen, ist es durchaus angebracht, hervorzuheben, dass er mit einer Aussage vor dem Spiel sehr richtig lag: Sinngemäß sagte er, dass man nicht die Formation oder das Personal ändern müsse, um taktische Wechsel vorzunehmen.

Gegen Frankreich agierte die deutsche Mannschaft einen Tick zu vorsichtig. Nachvollziehbar, wollte man angesichts der überragenden Offensive der Franzosen nicht gleich ins offene Messer laufen. Doch gerade am Ende der Partie war es dann doch enttäuschend, dass man nicht „komplett riskierte“, wie es Joshua Kimmich formulierte.

Beim Sieg gegen Portugal riskierte die Mannschaft mehr. Sie spielte mutiger nach vorn, suchte konsequenter die Schnittstellen und besetzte die letzte Linie mit deutlich mehr Offensivpower. Das half den Außenspielern, das half auch den drei Angreifern und es half ebenso den beiden zentralen Mittelfeldspielern Ilkay Gündogan und Toni Kroos, die in dieser Ausrichtung eine große Verantwortung haben, der sie diesmal gerecht werden konnten. Sie müssen bei jedem Angriff auch die Absicherung im Blick haben, was zwar dazu führt, dass manchmal ein nachstoßender Spieler im Stile von Leon Goretzka fehlt, dem Spiel aber auch eine gesunde Balance gibt.

Und auch, wenn die Diskussionen um die Dreierkette weitergehen werden, so liefert diese Partie ein Argument dafür, dass sie eine Berechtigung im Baukasten vom Bundestrainer hat. Ein Spiel macht angesichts der immer noch vorhandenen, wenn auch leichten Abstimmungsprobleme zwar noch keinen Europameister. Aber die Schritte nach vorn sind beachtlich.

Ungarn wird das schwerste Spiel

Und doch muss der Blick jetzt schnell nach vorn gehen, ohne sich zu lange mit dem Zwischenerfolg zu beschäftigen. Denn auch wenn die drei Punkte jetzt eine gute Ausgangsposition sind, steht das für die Deutschen schwerste Spiel noch bevor – und die Lage ist nach wie vor gefährlich. Nicht Top-Favorit Frankreich, nicht Europameister Portugal, sondern Außenseiter Ungarn könnte Deutschland letztendlich vor die größten Probleme stellen.

Sowohl bei der viel zu hoch ausgefallenen 0:3-Niederlage gegen Portugal als auch beim 1:1-Achtungserfolg gegen Frankreich wussten sie mit einer extrem kompakten Defensive zu überzeugen. Deutschland wird sich im letzten Gruppenspiel in Phasen mit einem sehr tiefen 5-4-1-Block auseinandersetzen müssen, der die beiden Flügelverteidiger wieder mehr in die Zange nehmen wird. Die Ungarn verteidigen sehr aggressiv, mit viel Leidenschaft und taktisch gut organisiert – mal im 5-3-2, mal im 5-4-1. Auch das Verschieben nach Verlagerungen funktioniert gut, wie sich gegen Frankreich und Portugal herausstellte.

Deutschland tat sich in den letzten Wochen und Monaten immer wieder schwer mit solchen Gegnern. Jetzt müssen sie im Gruppenfinale beweisen, dass sie sich auch dahingehend weiterentwickelt haben. Die Qualität haben sie allemal und im Gegensatz zu den anderen beiden haben sie den Vorteil, Ungarn „daheim“ in der Münchner Arena zu empfangen.

Ziehen sie ins Achtelfinale ein, ist mit dieser Mannschaft einiges drin. Dass sie nicht zu den absoluten Top-Favoriten zählen und die Erwartungen von außen nach wie vor gering sind, könnte ihnen dabei in die Karten spielen. Aber erstmal muss die unscheinbare und doch sehr komplizierte Hürde „Ungarn“ genommen werden.

Kurzbewertung der Bayern-Spieler

Die Bewertungsskala umfasst den Bereich von 1-10, wobei auch halbe Punkte möglich sind. 10 ist perfekt, 1 ist der schlechteste Wert.

David Alaba – 4 – Elfmeter verursacht, wenig Einfluss in einer taktisch schwachen Mannschaft
Robert Lewandowski – 8 – drei gefährliche Szenen gegen starke Spanier, ein richtig starkes Tor, einen Abschluss nach ungünstiger Annahme vergeben, insgesamt aber so präsent wie möglich, führte sein Team zum etwas glücklichen 1:1-Erfolg; erster Bayern-Spieler, der ein Tor bei dieser EM erzielt
Benjamin Pavard – 3 – viele Fehler, sehr unsauber, offensiv schwach
Manuel Neuer – 7,5 – bei den Gegentoren machtlos, glänzte mit herausragenden Pässen
Joshua Kimmich – 7 – deutlich besser eingebunden als gegen Frankreich, Spielmacher von außen, sehr gute Flanken auf den zweiten Pfosten, Matchwinner Gosens dankt
Thomas Müller – 7,5 – immer noch einige Ungenauigkeiten, trotzdem einer der Matchwinner für Deutschland; viel unterwegs, viele Verbindungen geknüpft und Räume erlaufen
Serge Gnabry – 6,5 – im Grunde wie gegen Frankreich: sehr aktiv, viele Bälle klug abgelegt, etwas Pech im Abschluss, gute Dribblings gegen Pepe
Leon Goretzka (eingewechselt) – 6 – gewohnt druckvoll gegen den Ball, hatte eine gute Chance, als er die Latte traf, hatte in einer schwächeren Schlussphase aber wenig Einfluss
Niklas Süle (eingewechselt) – 5 – wirkt athletischer als vor der EM, hatte aber kaum Szenen
Leroy Sané (eingewechselt) – ohne Bewertung, kam zu spät
Corentin Tolisso (eingewechselt) – 5 – war um Einfluss bemüht, kam in nur ca. 20 Minuten immerhin auf 28 Ballkontakte und einen Torschuss; Einfluss blieb dennoch mager

Ohne Einsatz: Lucas Hernández Jamal Musiala, Kingsley Coman.

Bayern-Spieler des zweiten Spieltags: Robert Lewandowski. Was wurde der Angreifer nach dem ersten Spiel und der Enttäuschung gegen die Slowakei kritisiert? Gerade im eigenen Land ist der Druck auf Lewandowski riesig. Auf seinen Schultern lastet der Druck einer ganzen Nation. Und das sah man auch in dieser Partie. Gegen Spanien ist es für einen Stürmer seiner Art gleich doppelt und dreifach kompliziert. Der Vorteil liegt auf der Hand: Gibt es mal Kontersituationen, hat er mehr Platz als im ersten Spiel.

Aber der Nachteil dürfte überwiegen: Spanien spielt so erdrückend, dass Polen sich kaum aus der eigenen Hälfte traut. Und so laufen Konter meist über zwei oder drei Spieler. Exemplarisch dafür ist eine Szene, als Lewandowski den Ball nach einem spanischen Standard bekommt und tief aus der eigenen Hälfte heraus einen Sprint ansetzt. Wie beim American Football treibt er den Ball vertikal, geht an einigen Spaniern vorbei, muss dann aber letztendlich kurz vor dem Ziel doch einsehen, dass seine Willenskraft allein nicht ausreicht und geht zu Boden. Kein Touchdown.

Doch Lewandowski gibt nicht auf. Noch in der ersten Halbzeit hat er nach einem vom Torwart unglücklich abgewehrten Schuss die Chance, den Ausgleich zu erzielen. Sein erster Kontakt ist aber zu schlecht und so muss er den Ball aus der Luft nehmen. Der wuchtige Abschluss ist nicht platziert genug. Chance vertan. Die Abgesänge in den heimischen Zeitungen dürften schon fertig sein. Dabei war dieser Ball keinesfalls einfach zu verwerten. Doch die Erwartungen an ihn, sie sind riesig. Zurecht.

Aber Lewandowski arbeitet weiter. Gegen den Ball spielt er diszipliniert, immer wieder holt er seine Mitspieler aus einer zu tiefen Verteidigungsposition heraus, motiviert sie zu etwas mehr Mut. Und der macht sich bezahlt: Nach einer perfekten Flanke von Swiderski setzt sich Lewandowski im Zentrum durch, steigt nach oben und köpft ein. Ein Tor, das abermals zeigt, welch enorme Qualitäten dieser Mann hat. Spanien vergibt kurz darauf einen berechtigten Elfmeter, kommt darüber hinaus aber nicht mehr zu den ganz großen Chancen. Auch weil Lewandowski vorn immer wieder für Entlastung sorgen kann.

Robert Lewandowski jubelt ausgelassen über seinen Treffer zum Ausgleich. Nicht im Bild: Die ganze Nation Polen, die auf seinen Schultern lastet.
Foto: LUKASZ GROCHALA/CYFRASPORT / NEWSPIX.PL / Imago Images

Beim Abpfiff ist die Erleichterung aller Polen deutlich zu spüren. Sie sind noch drin. Sie haben noch eine Chance gegen Schweden. Gewinnen sie, sind sie im Achtelfinale. Das realisiert auch Lewandowski, als ihm mit Abpfiff fast schon ungewollt, so macht es zumindest den Anschein, ein kleines Lächeln entweicht. Doch dann wieder Fokus. Er trommelt seine Mitspieler zusammen, versammelt sie in einem Kreis um sich und hält eine Ansprache. Lewandowski im Jahr 2021. Nicht nur ein herausragender Stürmer, sondern auch ein Führungsspieler. Und der Bayern-Spieler des zweiten EM-Spieltags.