EM-Blog: 14 Bayern-Spieler, ein großer Traum – die Vorschau

Justin Trenner 10.06.2021

Wie schon bei den letzten großen Turnieren werden wir auch in diesem Jahr die EM begleiten und dabei vor allem schauen, was die Bayern-Spieler machen. 14 Akteure stellt der Rekordmeister beim Turnier, das erstmals paneuropäisch stattfinden wird und nicht in einem oder zwei festgelegten Ländern – auch die Allianz Arena wird als „Fußball Arena München“ ein Austragungsort sein. Das Finale findet in London statt.

Die Bayern stellen ihre Spieler vor allem für Deutschland und Frankreich ab. Auch Polen und Österreich sind aber mit je einem Spieler der Münchner am Start – je nachdem, ob man David Alaba noch dazu zählt. Offiziell geht sein Vertrag bei Real Madrid aber erst im Juli los.

Wir wollen die Münchner Akteure während des Turniers begleiten und nach jedem Spieltag eine Einschätzung liefern, wie sie sich geschlagen haben. Darüber hinaus werden wir immer mal wieder über den Tellerrand schauen. Vielleicht kann sich der eine oder andere Spieler ja so stark in den Vordergrund spielen, dass sich auch für den FCB-Transfersommer noch die eine oder andere Alternative bietet.

Deutschland als große Unbekannte

Nach dem Debakel bei der WM 2018 ist die Skepsis im Land groß. Trainer Joachim Löw hat stark an Kredit verloren und auch die Vorbereitung auf das diesjährige Turnier lief alles andere als optimal. Und so klammern sich nahezu alle, die es gut mit den Deutschen meinen, an Phrasen wie: „Das ist eine Turniermannschaft“, oder: „Wenn es drauf ankommt, sind die Deutschen meistens da.“

Der Kader ist insbesondere nach der richtigen Entscheidung von Löw, Mats Hummels und Thomas Müller wieder ins Aufgebot zurückzuholen, durchaus konkurrenzfähig. Gerade im Mittelfeldzentrum hat der Trainer die Qual der Wahl. Toni Kroos, Ilkay Gündogan, Leon Goretzka, Joshua Kimmich – das ist absolutes Spitzenniveau. Auch im Angriff bieten sich dem Bundestrainer viele verschiedene Spielertypen, die er variabel einsetzen kann. Rund um Leader Müller sind wohl vor allem Kai Havertz, Leroy Sané, Serge Gnabry, Timo Werner und auch Kevin Volland zu nennen, der meist etwas unter dem Radar läuft, mit seinen Läufen aber durchaus wichtig werden könnte. Wenn auch von der Bank.

Traditionell wenig diskutiert werden muss über die Torwartposition. Bayern-Kapitän Manuel Neuer ist längst wieder über jeden Zweifel erhaben und darf sich vielleicht sogar auf eine nun wieder stabilere Abwehr freuen. Antonio Rüdiger hat ein hervorragendes Jahr hinter sich und ist bereit, auch in der Nationalmannschaft unter Beweis zu stellen, dass er ein hohes Niveau gehen kann. Neben ihm kommt mit Mats Hummels ordentlich Erfahrung zurück ins Team. Der Ex-Münchner hat zwar Tempodefizite, aber gerade in der von Löw aktuell präferierten Dreierkette ist das wohl aufzufangen. Sein Spiel mit dem Ball dürfte ein klares Upgrade für den Spielaufbau sein.

Schwächen haben die Deutschen auf den defensiven Außenbahnen und im Sturmzentrum. Ein klarer Vollstrecker geht dem Team ebenso ab wie ein Rechtsverteidiger. Löw hat sich hier selbst unnötigerweise eine große Baustelle aufgemacht, indem er Ridle Baku nicht nominiert hat. Baku dürfte bei der U21-EM ebenfalls auf seine Kosten gekommen sein, für die A-Nationalmannschaft wäre er aber fast noch wichtiger gewesen. Lukas Klostermann ist in dieser Rolle schlichtweg einen Tick zu behäbig und gerade offensiv zu wenig beteiligt. Der Unterschied offenbarte sich, als Kimmich gegen Lettland einsprang. Es ist möglich, dass Löw auch bei der EM umdenkt und Kimmich rechts einsetzt, weil er dort vermeintlich mehr gebraucht wird. Andererseits würde das eine Lücke im Mittelfeld reißen. Keiner der zweifellos großartigen Spieler im Zentrum bringt ein solches Komplettpaket aus Pressingintensität und -genauigkeit sowie technischen Fähigkeiten mit wie Kimmich.

Auch links hinten ist trotz der Qualität von Robin Gosens noch nicht ganz klar, wie gut die Deutschen dort aufgestellt sind. Wird Gosens so eingebunden, dass er seine Offensivläufe nach innen machen kann, ist er durchaus ein Mehrwert für die Mannschaft – wie beim Tor gegen Lettland gezeigt. Oftmals war er aber nicht gut eingebunden. Löws Baustellen könnten am Ende doch zu groß sein. Zumal es gegen Frankreich, Portugal und Ungarn gleich richtig zur Sache gehen wird.

Vieles wird auch davon abhängen, ob die Deutschen endlich eine Struktur finden, in der sich ihre großartigen Einzelspieler wohlfühlen. Löw hat es in den letzten Jahren nicht geschafft, diese zu finden. Dabei geht es auch gar nicht so sehr um die Frage nach der Dreierkette oder ob ein 4-2-3-1 nicht doch besser wäre. Viel mehr ist es problematisch, dass einzelne Spieler noch keine feste und passende Rolle im gesamten System gefunden haben. Beschränkt sich Deutschland gegen Frankreich und Portugal zu sehr darauf, aus Respekt vor dem Gegner in lange Verteidigungsphasen zu rutschen, könnte das fatale Folgen haben. Gerade mit Spielern wie Goretzka, Kimmich oder auch Gündogan ist ein wenig mehr Aggressivität durchaus möglich. Ob Löw aber die Balance aus einem kontrollierten Ballbesitzspiel, einer stabilen Defensive und einem dynamischen Offensivspiel finden kann, ist höchst fraglich. Die letzten Jahre lassen daran zweifeln.

Prognose: Der Erfolg der Deutschen Nationalmannschaft wird auch bei diesem Turnier wieder maßgeblich davon abhängen, wie die Bayern-Spieler drauf sind. Immerhin sind gleich acht Bayern-Spieler nominiert. Löw dürfte bei seinem letzten Turnier zu großen Teilen auf diesen Block vertrauen, um eine stabile Achse zu haben. Allerdings deutete sich zuletzt an, dass der Bundestrainer ein in Phasen recht passives Mittelfeldpressing spielen lässt. Insbesondere im Bayern-Block gibt es einige Spieler, denen dieser Stil nicht optimal liegt. Die Herausforderung, die einzelnen Spielertypen möglichst gut zusammenzubasteln, könnte am Ende zu groß sein. Deutschland ist trotzdem besser aufgestellt, als viele glauben und durchaus in der Lage, beim Turnier weit zu kommen. Zumal auch die vier besten Gruppendritten in die nächste Runde einziehen. Für den Titel wird es aber wohl nicht reichen, dafür sind die Probleme kurz vor dem Turnier wahrscheinlich zu groß.

Frankreich als großer Favorit

Der Kader der Franzosen dürfte der einzige im Turnier sein, der auf dem Papier keinerlei Schwächen hat. Trainer Didier Deschamps könnte sogar auf fast jeder Position noch einen weiteren gleichwertigen Spieler bringen. Es ist fast schon beängstigend, welche Qualität diese Mannschaft mitbringt. Und schaut man sich die Jugendteams der Équipe genauer an, wird sich daran auch nicht so schnell etwas ändern.

Mit Corentin Tolisso, Kingsley Coman, Lucas Hernández und Benjamin Pavard kann Deschamps auch auf vier Bayern-Spieler zurückgreifen. Interessanterweise war zuletzt vor allem Coman außen vor, während Tolisso die letzten beiden Partien von Anfang an bestreiten durfte. Dabei wich Deschamps sogar von seiner Grundformation ab. Er ließ zweimal ein 4-3-1-2 mit Mittelfeldraute spielen, um ein möglichst kompaktes und spielstarkes Mittelfeld aufzubieten. Auch Rückkehrer Karim Benzema konnte so neben Kylian Mbappé eingebunden werden. Die Ergebnisse der vergangenen Jahre und die Stärke des Kaders sprechen eine eindeutige Sprache: Der Titel geht nur über die Franzosen.

Allerdings sollten sich andere Nationen nicht gleich aus Angst verstecken. Gerade im taktischen Bereich konnten die Franzosen nie so richtig überzeugen. Selbst beim WM-Sieg vor drei Jahren waren sie zwar gut, aber auch schlagbar. Trotz der enormen Qualität in Mittelfeld und Angriff haben die Franzosen mitunter große Probleme damit, die Räume zwischen den Linien zu besetzen. Stattdessen laufen sich die Spieler teilweise gegenseitig den Raum zu und behindern damit den Spielfluss. Kommen Gegner in diesen Momenten an den Ball, lassen sich die Franzosen auch gern mal überrumpeln.

Die offensive Durchschlagskraft besteht größtenteils aus der enormen Qualität der Einzelspieler und weniger aus wiederkehrenden Angriffsmustern, die eindeutig auf die Trainingsarbeit hinweisen. Das ist natürlich Kritik auf sehr hohem Niveau, ist Frankreich doch trotzdem die Mannschaft, die es erstmal zu schlagen gilt. Aber anders als ihr Kader auf dem Papier ist die französische Nationalmannschaft als Komplettpaket nicht überragend.

Aus Bayern-Sicht wird zudem interessant, ob und wie oft Corentin Tolisso zum Zug kommt. Der zuvor lange verletzte Mittelfeldspieler wurde etwas überraschend nominiert. Da die Bayern offenbar an einem Verkauf interessiert sind, wären viele Einsätze gut, um sich in den Fokus einiger Klubs spielen zu können.

Prognose: Frankreich wird weit kommen und womöglich auch wieder den Titel gewinnen, weil es letztendlich eben doch die Spieler sind, die Fußballspiele entscheiden. Eine simple Rechnung. Für den FC Bayern wäre es nicht so verkehrt, stellen sie doch einige Spieler im Kader der Équipe. Trotzdem denke ich, dass für sie spätestens im Halbfinale Schluss ist, weil ein Gegner einen guten Tag erwischt und die taktischen Schwächen der Franzosen ausnutzen kann.

Polen als One-Man-Show?

Wer „Polen“ sagt, muss auch „Lewandowski“ sagen. Und wer den Kader der polnischen Nationalmannschaft liest, der entdeckt zwar den einen oder anderen bekannten Namen, wird aber wohl eher nicht auf die Idee kommen, dass das eine große Überraschung des Turniers sein wird. Doch das könnte eine Fehleinschätzung sein. Mit Paulo Sousa haben die Polen einen sehr interessanten Mann an der Seitenlinie, der viel Flexibilität und Unterhaltung verspricht.

Gerade weil viele Nationalmannschaften eher für Stabilität, Rhythmus und ein eingespieltes System stehen, stechen die Polen hervor. Bei Sousa kann man sich nie sicher sein, welche Formation er letztendlich auf den Rasen bringt. Und selbst wenn man dann weiß, welche Zahlenkombination es ist, ist die Umsetzung längst nicht klar. Eine Dreierkette mit dem Ball wird unter ihm gern auch mal zur Viererkette ohne Ball und andersherum.

Sousa ist erst seit Januar 2021 für den polnischen Verband tätig, was die Einschätzung nochmals erschwert. In den bisherigen fünf Spielen war Polen jeweils immer taktisch anders ausgerichtet. Und auch strategisch reicht das Spektrum von einer defensivorientierten und abwartenden Ausrichtung bis hin zum Angriffspressing. Beeindruckend ist aber vor allem, was Sousa aus dem Positionsspiel der Mannschaft in Ballbesitz gemacht hat – trotz der kurzen Zeit.

Polen ist mehr als Robert Lewandowski.
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Es wird für viele Gegner bei der EM schwer sein, diese Mannschaft zu Ballverlusten zu zwingen. Oder präziser: Zu Ballverlusten, die direkt in gefährliche Konter umgemünzt werden können. Ein Schlüssel für das gute Positionsspiel ist Grzegorz Krychowiak, der neben, ja wirklich neben(!) Lewandowski als der wichtigste Spieler bezeichnet werden kann. Der Sechser organisiert seine Mitspieler, positioniert sich klug als erste Anspielstation im Spielaufbau und verteilt die Bälle weiter.

Allgemein ist das Freilaufverhalten der Mannschaft überdurchschnittlich gut. Es ist damit zu rechnen, dass die Polen bei der EM eine Rolle spielen können. In jedem Fall aber könnte die Ausrichtung von Sousa auch Bayern-Stürmer Lewandowski entgegenkommen, der in den letzten Jahren sein Land nahezu allein durch die einzelnen Spiele tragen musste. In diesem Jahr ist er zwar wieder der alles überstrahlende Superstar, aber kann sich womöglich auf ein stärkeres Team verlassen. Polen ist vielleicht so etwas wie die Antithese zu Frankreich: Taktisch sehr stark und extrem flexibel, dafür aber individuell in vielen Bereichen nicht so gut besetzt. Auch an der Ordnung in Umschaltmomenten wird Sousa noch arbeiten müssen, um weit zu kommen. Denn hohe Flexibilität erfordert gerade bei ungeplanten Ballverlusten oder im Gegenpressing eine gewisse taktische Sauberkeit, die nicht immer gegeben ist bei den Polen. Auch weil Sousa eben noch nicht lange da ist. Dass Stürmer Arkadiusz Milik ausfällt, ist zudem ein großes Handicap.

Prognose: Polen wird viele überraschen. Dass eine polnische Nationalmannschaft in ein Viertelfinale der Europameisterschaft einziehen kann, ist jetzt vielleicht nicht der Geheimtipp, auf den niemand kommen würde, aber auch das „Wie“ wird viele begeistern. Es ist durchaus möglich, dass die französische Antithese dann im Viertelfinale auf Frankreich trifft. Das wäre ein spannendes Duell. Und vielleicht sind die Polen ja sogar die Mannschaft, die einen guten Tag erwischt und Frankreichs taktische Schwächen ausnutzen kann. Wer weiß?

Österreich als Bundesliga-Vertretung

Über Österreich wurde zuletzt viel geschrieben. Ein großes Thema war immer wieder, dass die Nachbarn auffällig viele Spieler aus der deutschen Bundesliga stellen. Darunter auch David Alaba. In einer Gruppe mit der Niederlande, der Ukraine und Nordmazedonien ist ein Weiterkommen für die Österreicher Pflicht. Danach wird es je nach Platzierung komplizierter. Schon im Achtelfinale drohen beispielsweise Italien oder Frankreich.

Die Stimmung ist bei den Österreichern trotz eines eigentlich recht ordentlichen Kaders eher schlecht. Kaum jemand traut ihnen bei der EM einen großen Erfolg zu und kaum jemand ist überzeugt davon, dass dieses Team funktioniert, wenn es drauf ankommt – quasi die Antithese zu Deutschland? Egal. Viele Österreicher sehen in Trainer Franco Foda den Fehler. Zu behäbig wirkten die Österreicher in ihren letzten Länderspielen, zu wenig Dynamik kam auf den Platz. Gegen den Ball sind sie zwar gut organisiert, aber mit dem Ball machen sie zu viele einfache Fehler.

Bei der EM wird alles davon abhängen, ob Foda es schafft, aus den vielen guten Einzelspielern eine Einheit zu formen, die all ihre Probleme in den vergangenen Monaten vergessen kann. Denn auch intern soll es zuletzt viel Unruhe gegeben haben. Für Noch-Bayern-Spieler Alaba wird es ebenfalls ein wichtiges Turnier. Anfangs noch verehrt, bröckelte auch sein Status in den letzten Jahren im Heimatland. Mit einer guten EM kann er da sicher einiges reparieren. Als Schlüsselspieler, der zuletzt wieder auf der linken Außenbahn eingesetzt wurde, wird er vorangehen müssen. Etwas, was ihm in seiner Karriere nicht immer lag.

Prognose: Manchmal sind es ja gerade die offensichtlichen Tipps, die nicht hinhauen. Trotzdem traue ich Österreich nur wenig zu. Vielleicht schaffen sie es knapp ins Achtelfinale, aber spätestens da ist dann Schluss. Ein Jammer, haben sie doch viele interessante Spieler in ihren Reihen.

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