Einwurf: Von den Kuttenträgern bis zur Schickeria – die Fangeschichte des FC Bayern
Mehr als neun Monate ist es her, dass der FC Bayern ein Heimspiel vor Zuschauern austragen konnte: Am 8. März feierte der Rekordmeister einen 2:0-Sieg gegen den FC Augsburg. Danach kam die Zwangspause durch Corona. Als diese überstanden war, folgte die Phase der Geisterspiele, die mit kurzen Unterbrechungen bis heute anhält. Es wird zwar wieder gekickt, aber immer noch ohne singende und feiernde Fans auf den Rängen.
Der FC Bayern und seine Fans, das ist eine Beziehung voller Höhen und Tiefen, die in den 1920er Jahren ihren Anfang hatte und bis heute leidenschaftlich gelebt wird. Der freie Journalist und Autor Christoph Leischwitz, der unter anderem für die Süddeutsche Zeitung schreibt, hat der Geschichte der rot-weißen Fankultur ein ganzes Buch gewidmet. „Mia san die Bayern!“ erschien im vergangenen Monat beim Verlag Die Werkstatt.
Für sein Buch hat er mit vielen Fans des FC Bayern gesprochen. Einige von ihnen sind bereits über Jahrzehnte mit Leib und Seele dabei und haben maßgeblich zur Entwicklung und Organisation der Fangemeinde beigetragen.
Die wilden 70er und 80er Jahre
Christoph Leischwitz nimmt seine Leser*innen mit auf eine Entdeckungsreise durch die verschiedenen Fußballstadien Münchens, die Klubhäuser und die Zugfahrten zu Auswärtsspielen. Er erzählt von (Brief-)Freundschaften mit den Anhängern anderer Vereine, den ersten Fangesängen und Choreos sowie dem Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein. Es geht aber auch um Rivalitäten, Derbys, Ärger mit der Polizei und massiven Ausschreitungen.
„Jetzt ging es nicht mehr so sehr um das Stadionerlebnis, noch weniger um das Endergebnis, sondern um den Kick, den der Fußball alleine nicht mehr bieten konnte,“ schreibt der Autor in dem Kapitel „Wir wolln euch kämpfen sehn!“, in dem er die Hooliganwelle in Deutschland und München genauer unter die Lupe nimmt. „Fußballfans gab es unter den Hooligans genug, aber Priorität hatte von Mitte der 1980er bis Anfang der 1990er ganz klar der eigene Kampf.“
Zusätzlich zu den vielen Geschichten rund um das Dasein als Bayern-Fan in den vergangenen hundert Jahren ist das Buch mit zahlreichen Abbildungen von Zeitungsartikeln sowie Fotos gespickt. Die meisten Bilder waren bislang unveröffentlicht und stammen aus Privatbesitz.
So werden die Leser*innen von „Mia san die Bayern!“ selbst zu Zeitzeug*innen und erhalten einen spannenden Einblick in ein Stück Fangeschichte aus jedem Jahrzehnt, die sich sowohl im als auch außerhalb des Stadions abspielte.
Die Berichte aus erster Hand verleihen dem Buch eine persönliche Note. Die Erinnerungen derjenigen, die schon in der ersten Spielstätte des FC Bayern, dem Grünwalder Stadion, mit dabei waren, sind dabei genauso spannend wie die detaillierte Beschreibung eines ehemaligen Hooligans, der bei einem Auswärtsspiel in Paris randalierte.
Obwohl die überwältigende Mehrheit der Fans am Anfang männlich war, gab es auch schon in den 1970er Jahren das ein oder andere Fan-Mädel. Dazu gehörte auch Karin, die bereits mit 14 Jahren jedes Wochenende ins Stadion ging, um ihre Jungs spielen zu sehen. Bald darauf ging sie in der Parkstraße, in dem die SK73 Kellerräume bezogen hatte, ein und aus.
„Vieles, was sie in der Gruppe erlebt hat, würden die meisten Menschen heute als sexistisch bezeichnen. Damals sahen die jungen Mädels lediglich Herausforderungen, sich behaupten zu müssen,“ schreibt Christoph Leischwitz.
„Du musstest mehr über den Verein wissen als die Jungs, um ihnen zu beweisen, dass wir nicht nur wegen der knackigen Hintern der Spieler rausgehen ins Stadion,“ wird Karin zitiert. „Da war es nicht damit getan zu wissen, was Abseits ist.“
Engagement im Stadion und in der Gesellschaft
Auch wenn Bayern-Fans heute als erfolgsverwöhnt und langweilig belächelt werden, bestimmt für viele von ihnen die Liebe zum Verein ihr Leben, damals wie heute. Dies spiegelt sich auch oft in ihrem gesellschaftlichen Engagement wider. Beispielsweise war die Schickeria grundlegend daran beteiligt, dass der Klub sich in den vergangenen Jahren ausführlich mit der Geschichte des ehemaligen Präsidenten Kurt Landauer beschäftigte.
Kurt Landauer führte den FC Bayern 1932 als Präsident zur ersten Meisterschaft. Kurze Zeit später musste er wegen seiner jüdischen Herkunft vor den Nazis fliehen, überlebte den Holocaust und kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg zurück nach München. Es gelang ihm, den Verein wiederaufzubauen und die Weichen Richtung Zukunft zu stellen.
„Die Entdeckung der Vergangenheit des Klubs dürfen sich maßgeblich die Fans auf die Fahnen schreiben,“ heißt es in „Mia san die Bayern!“
„Das Bewusstsein für die eigene Historie habe bei der Fangruppe Schickeria schon immer zum Selbstverständnis gehört, sagt Simon Müller [Anm.: einer der Initiatoren der Schickeria]. Denn dieses Bewusstsein habe etwas Identitätsstiftendes und sei darüber hinaus ein Wert an sich.“
Die Schickeria erhielt 2014 den Julius-Hirsch-Preis des DFB, für ihren Einsatz für den von den Nazis verfolgten Vereinspräsidenten. Dass sich die Ultra-Gruppierung gegen Rassismus und Homophobie einsetzt, stößt wiederum bei anderen auf Unverständnis, die meinen, dass Politik nicht in ein Fußballstadion gehöre.
Zwischen Fans und Verein gab es oft genug Reibungspunkte. Unvergessen etwa die Wutrede von Uli Hoeneß bei der Jahreshauptversammlung im November 2007, als ihm der Kragen platzte, nachdem einige Fans sich über die hohen Eintrittspreise und die schlechte Stimmung in der Allianz Arena beschwerten.
„Eure Scheiss-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwortlich und nicht wir!“ Und: „Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert? All die Leute in der VIP-Loge, denen wir das Geld aus der Tasche ziehen!“
„Gute Freunde kann niemand trennen“
Mit der Internationalisierung und der Kommerzialisierung kam es zu einem gewissen Grad an Entfremdung zwischen Verein und Fankurve. Vor allem die Partnerschaft mit Katar stößt vielen sauer auf. Trotzdem wächst die internationale Fangemeinde stetig: Weltweit gibt es laut Autor 360.000 Mitglieder in mehr als 4.500 Fanklubs (Stand Mai 2020). Das gefällt nicht allen eingefleischten Fans, denn so wird es zum Beispiel immer schwieriger für sie, an Tickets für die Spiele zu kommen.
„Die Arena gleicht einer Eventlocation, bei der alle am Eingang auf der Liste stehen, der Türsteher aber nur 69.000 (international) oder 75.024 (national) hereinlassen darf,“ sagt Christoph Leischwitz. „Zugang bekommen zur Hälfte Dauerkarteninhaber. Wer eine Dauerkarte besitzt, der gibt sie logischerweise so schnell nicht mehr her. Allein von 2013 bis 2019 gab es laut Verein mehr als 80.000 Neuanfragen.“
Doch trotz der Kritik, der Auseinandersetzungen und der Uneinigkeiten überwiegt am Ende die Liebe zum FC Bayern, schreibt Christoph Leischwitz. Die Entfremdung zwischen Verein und Fans, besonders die aus der Südkurve, mag am Ende nur eine Phase sein, die es zu überstehen gilt.
So endet das Buch mit einem positiven Ausblick des Autors: „Der FC Bayern ist unglaublich reich an großartigen Geschichten, die Fans und Verein gemeinsam erlebt haben. Für die Bewahrung der Fankultur sind sie wichtiger als das gut gefüllte Festgeldkonto. Es ist zu hoffen, dass sie sich wieder zusammenraufen. Wahrscheinlich werden sie das auch tun. Und dann geht es weiter, immer weiter.“
Fazit
Das Buch ist dann am spannendsten, wenn der Autor auf seiner Reise durch die verschiedenen Jahrzehnte FC Bayern-Fankultur die Fans als Zeitzeugen zu Wort kommen lässt. Das sind starke Passagen, bei denen das Lesen viel Spaß macht.
Natürlich ist es so gut wie unmöglich, auf gerade mal 220 Seiten die gesamte Fankultur der Bayern einzufangen und darzustellen. Der Autor muss Schwerpunkte setzen, und dies gelingt ihm weitestgehend sehr gut. Dennoch hätten bestimmte Themen noch mehr Beachtung finden können, wie beispielsweise die Rolle der FC Bayern Amateure und vielleicht ein paar Worte zu der Frauenfußball-Abteilung des Vereins.