Einwurf: „Fußball ist keine Sportart, die heterosexuelle Männer für sich gepachtet haben“

Katrin Trenner 01.09.2020

Im vergangenen Monat sorgte ein öffentlicher Brief im Daily Mirror und in der Sun für Aufregung: ein in der englischen Premier League aktiver Fußballprofi sprach darin über seine Homosexualität.

„Nur meine Familienmitglieder und ausgewählte Freunde wissen davon“, schreibt er. „Ich fühle mich nicht bereit dazu, es mit meinem Team oder Trainer zu teilen. Es beeinträchtigt meine psychische Gesundheit immer mehr. Ich fühle mich gefangen und meine Angst ist, dass die Wahrheit über mich zu enthüllen die Sache nur verschlimmern würde.“

Weiterhin sagt er, dass er sich erst nach seinem Karriereende trauen würde, sich zu outen, da er momentan keine angemessenen Strukturen in seinem direkten Fußballumfeld sehe, die ihn ausreichend unterstützen würden.

„Die Wahrheit ist, dass ich einfach nicht glaube, dass der Fußball schon bereit dafür ist, dass sich ein Spieler outet“, lautet sein nüchternes Fazit.

Der Brief wurde mit Hilfe der Justin Fashanu Foundation veröffentlicht. Die Organisation, gegründet im vergangenen Jahr, kämpft gegen Homophobie im Fußball und unterstützt homo- und bisexuelle Fußballspieler. Sie ist benannt nach dem ehemaligen Profifußballer Justin Fashanu, dem britischen Fußballer, der sich 1990 als erster noch aktiver Spieler outete und sich acht Jahre später das Leben nahm. Seine Nichte Amal leitet die in London ansässige Justin Fashanu Foundation.

Homosexualität im Fußball ist weiterhin ein Tabu-Thema

Justin Fashanu war nicht nur der erste, sondern bislang auch der einzige Profifußballer, der sich noch während seiner aktiven Karriere outete. Einige Spieler bekannten sich erst öffentlich zu ihrer Homosexualität, nachdem sie ihre Fußballschuhe an den Nagel gehängt hatten.

2014 outete sich der ehemalige deutsche Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in einem Interview mit der Zeit als homosexuell. Zu jenem Zeitpunkt hatte er seine Karriere bereits beendet. Obwohl er viel Zuspruch und Anerkennung von Sportlern, Funktionären und Politikern erhielt, gab es auch Kommentare, die eindrücklich aufzeigen, warum sich viele Fußballspieler bis heute nicht trauen, offen über ihre Homosexualität zu sprechen – Ex-Nationaltorwart Jens Lehmann beispielsweise fiel in diesem Zusammenhang besonders unangenehm auf. Homophobe Äußerungen kommen allerdings nicht nur von Personen des öffentlichen Lebens, sondern tauchen auch in Fangesängen auf.

So gesehen ist es nicht gerade verwunderlich, dass sich seit Justin Fashanu kein aktiver Profispieler mehr als homo- oder bisexuell geoutet hat. Denn der Fußball ist trotz einiger Veränderungen und Bemühungen in den vergangenen Jahren weiterhin eine Männer-Domäne. Die Vorurteile gegenüber homosexuellen Männern – vor allem, dass sie „zu weich“ seien – passen nicht zu den hart umkämpften Spielen auf dem Platz.

Dieses Vorurteil kennen die Spieler der Streetboys München zu Genüge. Die Fußballsparte von Team München e.V. ist Deutschlands erstes homesexuelles Fußballteam, das im offiziellen Ligabetrieb des DFB unter dem Vereinsnamen Team München spielt. Letztes Jahr feierten die Streetboys, mittlerweile fast 90 Mitglieder haben, ihr 25-jähriges Bestehen. Trotzdem haben die Spieler schon einige Erfahrungen mit Homophobie machen müssen. 

„Es kommt immer wieder zu Spielen, bei denen auch Beobachter vom Bayerischen Fußball-Verband (BFV) dabei sind, um mögliche Auseinandersetzungen von vornherein zu deeskalieren“, sagt Christoph Hertzsch von Team München. „Aber ganz verhindern kann man es nie. Da kommen schon mal verbale Attacken. Das Spiel ist rauer, die Fouls härter und unnötiger. Früher gab es auch körperliche Auseinandersetzungen und Pöbeleien von der Seitenlinie, bei denen der Schiedsrichter die gegnerischen ‘Fans’ vom Gelände verwies. In unserer Spielklasse kennt man uns aber nun schon seit über 20 Jahren, dadurch entstanden Akzeptanz und Freundschaften. Die Erkenntnis, dass Schwule auch Fußball spielen können, dauert vielleicht etwas länger, aber am Ende können wir da auch noch immer jeden überzeugen.“

Christoph ist der Ansicht, dass die Menschen viele Dinge erst akzeptieren, wenn sie sich daran gewöhnt haben – sprich, alles Neue und Befremdliche muss erst zur Gewohnheit werden.

„Die Menschen müssen sehen, dass schwule Fußballer normal sind, nicht unnatürlich“, erklärt er. „Also zeigen wir Präsenz. Im normalen Ligabetrieb, aber auch bei internationalen Freizeitturnieren. Zusammen mit den anderen Sparten des Team München nehmen wir an Demos teil, veranstalten Infostände und versuchen, viel Medienpräsenz zu zeigen. Zusätzlich gehen wir auch in Jugendfreizeiteinrichtungen und sprechen mit den Kids, klären auf und spielen dann auch Fußball mit den Jungs und Mädels.“

Seit dem Outing von Thomas Hitzlsperger, so Christoph, spricht man ein wenig offener über das Thema; der Diskurs und das Interesse sind merklich größer geworden. 

„Es sind kleine Schritte, aber auch mit kleinen Schritten kann man den Berg erklimmen“, sagt Christoph. Für die Zukunft wünscht er sich – neben der Tatsache, dass die Streetboys gerne einmal wieder aufsteigen würden – dass dieser Diskurs weiter bestehen bleibt, und dass Verbände noch viel enger mit den Vereinen zusammenarbeiten. Es gilt, Normalität zu schaffen, Aufklärungsarbeit zu leisten – besonders im Jugendbereich – und keine unnötigen Männlichkeits-Klischees zu transportieren. 

„Die Jugend von heute ist in der Gesellschaft schon viel offener. Diese Offenheit muss man mit in die Sportjugendarbeit integrieren. Es fängt bei den Kleinen an und geht bis zu den Großen.“

Auch auf individueller Ebene werden Personen im Sport aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung diskriminiert. Eine Umfrage des europaweiten Projekts OUTSPORT ergab, dass Trans- und Homophobie insbesondere bei den Sportarten Fußball, Schwimmen, Tanzen und Kampfsport auftritt. In den meisten Fällen, so die Studie, handelt es sich um verbale Anfeindungen und strukturelle Diskriminierung, aber auch Bedrohungen, digitales Mobbing sowie körperliche Übergriffe finden statt.

Fans gegen Homophobie im Fußball

Homophobie im Fußball beschränkt sich nicht nur auf die Spieler, sondern betrifft auch die Fans. Inzwischen gibt es aber eine Reihe von queeren Fußball-Fanclubs, die diesem entgegenwirken – viele von ihnen gehören dem europäischen Netzwerk Queer Football Fanclubs an, das im Rahmen der Fußball-WM 2006 gegründet wurde.

Zu dem Netzwerk gehört auch QUEERPASS Bayern, der erste queere, beim FC Bayern offiziell eingetragene Fanclub, gegründet im Jahr 2006. Tom und Marcus, die beide im Vorstand von QUEERPASS Bayern sind, erzählen, dass der Fanclub entstand, nachdem ein paar homosexuelle Männer ihre gemeinsame Leidenschaft für das „Fan-Sein“ des FC Bayern München entdeckten. Seit 2018 ist QUEERPASS Bayern ein eingetragener Verein mit derzeit ca. 80 Mitgliedern in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz.

„Der Fokus unserer Aktivitäten ist neben gemeinsamen Stadionbesuchen bzw. Fußball schauen in der Kneipe bei Auswärtsspielen der Kampf gegen Homophobie und Rassismus im Allgemeinen und insbesondere im Fußball“, sagen sie.

Auch der Verein selbst unterstützt QUEERPASS Bayern.

„Na gut, es hat ein wenig gedauert, aber seit 2019 können wir uns nicht beklagen“, bestätigen Tom und Marcus. „Natürlich geht immer ein wenig mehr, aber im letzten Jahr hat der FC Bayern uns bei der Ausrichtung des Christopher Street Day (CSD) in München sehr unterstützt. Auch wurden beim letzten Heimspiel der Saison 2018/2019 auf unseren Vorschlag hin die normalen Eckfahnen durch Regenbogenfahnen ersetzt.“

Auch in diesem Jahr unterstützte der FC Bayern QUEERPASS zum CSD, der allerdings aufgrund von COVID-19 nur sehr klein ausgerichtet wurde.

„Wir haben einen Kurzclip gedreht, in welchem Karl-Heinz Rummenigge ein kurzes Statement abgegeben hat“, so Tom und Marcus. „Wir und alle anderen queeren Fanclubs der Bundesligavereine leisten hier sehr gute Arbeit, um sichtbar zu machen, dass eben auch queere Menschen sich für Fußball interessieren und Fußball keine Sportart ist, die heterosexuelle Männer für sich gepachtet haben. Wir sind zum Beispiel bei jedem Heimspiel in der Südkurve vertreten und gut sichtbar, unter anderem durch unsere Regenbogenfahne.“

Die Frage „wann outet sich der erste Fußballer“ ist für Tom und Marcus ein schwieriges Thema.

„Viele drängen ja gerade darauf, dass es endlich einer wagt. Wir sind der Meinung, wenn sich wirklich ein Spieler outen will, wäre es vielleicht gut, wenn dies gemeinsam mit anderen Spielern geschieht, damit nicht einer alleine diese Aufmerksamkeit abbekommt.“

Genau mit diesem Ansatz will sich auch GayPlayersUNITE dem Thema nähern, eine im Juli neu gegründete Lobby, Sammel- und Beratungsstelle für homosexuelle Profis mit dem Ziel, das erste Gruppencomingout im deutschen Profifußball sicher umzusetzen und so die Lebensbedingungen homosexueller Spieler nachhaltig zu verbessern.

Vorbildfunktion für homosexuelle Jugendliche

Nachfragen bei GayPlayersUNITE ergaben, dass die Lobby noch in den Anfängen steckt und von daher Interviews noch nicht umgesetzt werden können. Auf der Website jedoch findet man bereits ausführliche Informationen zu Konzept und Strategie.

„Die Profis haben eine Vorbildfunktion. Daher ist es uns wichtig, dass homosexuelle Profis sichtbar sind, um homosexuellen Jugendlichen Mut zu machen und Vorurteile zu bekämpfen, bevor daraus homophobes Mobbing oder Schlimmeres entstehen kann“, heißt es dort. „Auch möchten wir beim ersten Gruppencomingout die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, das enorme Interesse für Andere einzusetzen, um auf Ausgrenzung und Diskriminierung Homosexueller aufmerksam zu machen und diese somit einzudämmen.“

Nach eigenen Angaben auf der Website ist der Gründer von GayPlayersUNITE, der nicht namentlich erwähnt wird, ein Aktivist, der sich bereits seit Jahren mit dem Thema Homophobie beschäftigt. Er stellt sich außerdem als Berater von @Gay_Bundesligaspieler vor. Dieser anonyme Twitter-Account sorgte vor einigen Monaten für viel Aufsehen, da er augenscheinlich von einem homosexuellen Fußballer der 2. Bundesliga ins Leben gerufen wurde, der ankündigte, sich outen zu wollen (was er bislang noch nicht getan hat).

„Durch diese Erfahrung wurde über die Zeit immer mehr klar, wie die einzelnen Akteure (Fans, Vereine, DFB, Medien) agieren“, heißt es auf der Website. „Zum Beispiel wurde gut deutlich, wie sehr die Profis und Druck stehen und dass zunächst eine gute Betreuung notwendig ist. Im Laufe dieses Beratungsprozesses […] bin ich auf das Konzept und die Ziele von GayPlayersUNITE gekommen.“

Es wäre zu wünschen, dass sich die Strategie von GayPlayersUNITE erfolgreich umsetzen lässt, auch wenn der Weg dorthin noch sehr weit scheint. Eins ist jedoch klar: es ist höchste Zeit, Homophobie im Fußball stärker zu thematisieren und in den Fokus zu rücken, um der Diskriminierung so entgegenzuwirken.

Im Frauenfußball geht man mit dem Thema übrigens offener um – vielleicht auch gezwungenermaßen, da die Spielerinnen oft ohnehin schon mit einem gewissen Image behaftet sind. Hier heißt das Problem vielleicht eher Sexismus als Homophobie. Der DFB selber sagte 1955 noch: „Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand“ und verbot kurzerhand weibliche Mannschaften. Erst 15 Jahre später wurde dieses Verbot wieder aufgehoben.