Einwurf: Die schönste Nebensache der Welt

Katrin Trenner 23.03.2020

Champions-League-Spiele waren eine andere Geschichte: durch den Zeitunterschied von fünf bzw. sechs Stunden und die Terminierung an den Wochentagen Dienstag und Mittwoch, musste ich mir genau überlegen, ob ich wirklich mitten in der Nacht aufstehen und mich früh am nächsten Morgen ins Büro schleppen wollte. Anfangs klappte das zwar noch ganz gut, aber mit zunehmendem Alter fiel es mir tatsächlich immer schwerer. Auf die Spiele des FC Bayern in der Gruppenphase verzichtete ich am Ende schließlich ganz, und wenn ich mir die Partien in der K.-o.-Phase ansehen wollte, nahm ich mir am nächsten Tag vorsichtshalber frei.

Umso schöner dann die Rückkehr nach Deutschland – zumindest in fußballerischer Hinsicht. Auf einmal konnte ich nach Belieben so viel Fußball sehen, wie ich wollte (mit den entsprechenden Abos), und das auch noch zu einer normalen Uhrzeit! Plötzlich war meine Fußballwelt enorm gewachsen – natürlich waren alle Bayern-Spiele nach wie vor Priorität, aber warum sollte ich mir nicht das ein oder andere Derby anschauen, beobachten, was die Konkurrenz macht oder verfolgen, wie sich die anderen deutschen Teams in internationalen Wettbewerben schlagen?

Dieses breite Angebot an Fußball füllte meine Wochenenden und Abende für eine Weile sehr gut aus, aber irgendwann setzte bei mir ein Fußball-Übersättigungsgefühl ein. Ich begann, wieder gezielter Fußball zu schauen, und nicht, „um mal kurz reinzusehen.“ Doch jetzt, da mir diese Entscheidung durch den Coronavirus wieder genommen wurde, leide ich so langsam wieder unter Entzug.

Das letzte Spiel, das der FC Bayern in der Bundesliga bestritt, war der Heimsieg gegen Augsburg am 8. März. Es fühlt sich so an, als wäre es vor einer Ewigkeit gewesen, denn danach ging auf einmal alles ganz schnell. Zunächst überlegte man noch, die kommenden Partien als Geisterspiele auszutragen, doch kurz danach wurde klar, dass auch das nicht mehr möglich ist.

Natürlich ist es vollkommen richtig und notwendig, alle Spiele bis auf weiteres abzusagen – da müssen wir gar nicht weiter drüber diskutieren. Aber gerade jetzt, da mir der Fußball genommen wurde, wird mir klar, wie sehr ich ihn eigentlich liebe. Es ist nicht nur das Interesse an dem Sport selbst, sondern auch das Drumherum.

Für mich sind Fußballspiele Familienangelegenheit. Wenn Bayern München spielt, sind meine Schwester und ich immer bei unseren Eltern, um uns gemeinsam die Spiele anzusehen, meist auch noch die Sportschau im Anschluss. Momentan beschränkt sich der Kontakt mit unseren Eltern darin, täglich zu telefonieren, vor ihrer Haustür Einkaufstüten abzustellen und ihnen durchs Fenster zuzuwinken.

In den letzten Jahren wurde oft – berechtigterweise – die Kommerzialisierung des Fußballs beklagt, angefangen von den Namen der Stadien bis hin zu den Übertragungsrechten im Fernsehen und den Transfers der Spieler selber. Doch was dabei oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass Fußball verbindet, egal ob im Stadion, in der Kneipe oder zuhause mit Freunden. Es ist dieses Gefühl, das mir gerade am meisten fehlt.

Es sieht so aus, als müssten wir uns in Geduld üben und noch eine ganze Weile auf den Fußball verzichten – zumindest den Fußball, so, wie wir ihn kennen. Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, sagte am Wochenende im Interview, dass er in der nächsten absehbaren Zeit nicht mit vollen Stadien und einem normalen Fußballbetrieb rechnet. Im Gegenteil, er sprach sogar davon, dass sich diese Situation noch bis ins nächste Jahr hinziehen könne.

Das sind traurige Nachrichten für Fußballfans. Obwohl Gesundheit und Sicherheit selbstverständlich vorgehen, kann ich mir momentan kaum vorstellen, wie mein Alltag längerfristig ohne Fußball aussehen wird. Früher habe ich auch ab und zu mal Fußball-Pausen eingelegt, aber für diese habe ich mich immer ganz bewusst entschieden. Es ist so ähnlich wie mit der Ausgangssperre: ich bin gerne zuhause, aber wenn man mir verbieten will, mich mit Freunden zu treffen, ins Museum zu gehen oder mich stundenlang in einem Buchladen aufzuhalten, verspüre ich plötzlich einen nie gekannten Bewegungsdrang.

„You don’t know what you got till it’s gone” – diese Aussage ist in diesen Tagen so wahr. Natürlich rückt der Fußball in den Hintergrund, denn er ist nichts Anderes als Nebensache. Aber für mich, das habe ich jetzt verstanden, ist er die schönste Nebensache der Welt.