Doppelpack: Frauenfußball. Eine Kontroverse. Teil 1/2

Alexander Trenner 28.03.2022

Zwei Autoren, zwei Meinungen – vielleicht aber doch ein gemeinsames Fazit? Alex und Justin diskutieren die Bedeutung des Frauenfußballs aus mehreren Perspektiven und blicken unter anderem auf wirtschaftliche Aspekte, aber auch gesellschaftliche Verantwortung.

Teil 1: Attraktivität des Sports, Vorurteile, Professionalisierung, Interesse, ökonomische Nachhaltigkeit

Interesse und Vorurteil

Alex: Justin, kürzlich hatten wir eine hitzige Diskussion über Frauenfußball bei uns im Teamchat, die sich an einer Beobachtung von mir über Frauenfußball entzündet hat. Man muss an dieser Stelle wissen, dass ich mich nicht für Frauenfußball interessiere. Ich weiß über den professionellen Frauenfußball das, was man als halbwegs informierter Sportfan über eine Sportart, die einen nicht interessiert, eben so weiß: Die professionellste und modernste Liga mit dem meisten Geld ist (natürlich) die in England, hier in Deutschland sind der VfL Wolfsburg und seit einigen Jahren auch die Bayern die beiden bestimmenden Klubs (andere holen aber auf). 

Die bekannteste Fußballerin der Welt ist gegenwärtig wohl Megan Rapinoe, aber irgendwann in den Nuller-Jahren war die Brasilianerin Marta mal der größte Star weltweit. Die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft ist irgendwann einmal Weltmeister geworden (ich wüsste nicht einmal genau, wann) und gilt als eine der stärksten der Welt, aber international sind auch die Amerikanerinnen und die Engländerinnen stark – und sogar die Japanerinnen spielen vorne mit.

Aber ich habe in meinem Leben noch kein einziges Frauenfußballspiel gesehen und habe auch kein gesteigertes Verlangen, dies demnächst nachzuholen. Der Sport geht an mir vorbei, er interessiert mich einfach nicht. Das war zwar nicht der Ausgangspunkt unseres Disputs, aber es soll mein gegenwärtiges Verhältnis zum Frauenfußball erklären.

Justin: Lass mich doch an dieser Stelle kurz mal einhaken, bevor du gleich zu deinem eigentlichen Punkt zurückkommst. Denn weshalb unsere Diskussion intern an einer bestimmten Stelle etwas entglitten ist, hängt sicher auch damit zusammen, dass wir unsere Ausgangspunkte nicht genügend erklärt haben. Ich bin jemand, der sich seit einigen Jahren immer intensiver mit dem internationalen Frauenfußball befasst und der großes Interesse daran hat, gesellschaftliche aber auch den Sport direkt betreffende Stereotype aufzulösen oder zumindest aufzulockern.

Alex: … womit du aber automatisch implizierst, dass Kritik am Frauenfußball auf Stereotypen basiert und keine eigentliche Kritik an der Sache selbst ist oder sein kann.

Justin: Ich habe das Gefühl, dass dies oft genauso ist. Aber wir sitzen ja nicht hier zusammen, um uns gegenseitig Vorwürfe an den Kopf zu werfen. Insofern würde mich interessieren, weshalb genau der Sport dich kalt lässt. Denn auch umgekehrt glaube ich, dass ich großes Verständnis für einige Argumente, die womöglich aus Sicht eines Fußball-Fans gegen den Frauenfußball sprechen könnten, aufbringen kann. Also, welche Gründe sprechen für dich dagegen, regelmäßig oder auch unregelmäßig Frauenfußball zu schauen und wann hast du das letzte Mal ein Spiel zwischen zwei Frauenteams gesehen?

Alex: Wie gesagt habe ich tatsächlich noch nie ein einziges Frauenfußball-Spiel gesehen, und zwar sowohl auf Vereins- als auch Nationalmannschafts-Ebene. Ich habe mir sogar kaum je einmal längere Ausschnitte angeguckt, nicht etwa, weil ich etwa per se etwas gegen sporttreibende Frauen hätte, sondern weil ich einfach keinerlei Beziehung zu dem Sport habe. Mich interessiert zum Beispiel auch kein Cricket oder Baseball oder Pferderennen, ganz unabhängig vom Geschlecht der Aktiven, weil ich mit diesen Sportarten keinerlei Berührungspunkte in meinem Leben habe.

Ich glaube, dass die Begeisterung oder das Interesse für einen bestimmten Sport ganz entscheidend biographisch geprägt ist: Hat man in Laufe seines Lebens Berührungspunkte mit einem Sport oder nicht? Viele Fußballfans werden ja Fans, weil sie schon als Kind mit ihrem Vater ins Stadion gegangen sind oder schon als Knirpse selbst gespielt haben oder weil sie in einem fußballverrückten Milieu aufwachsen, wo einfach alle Leute Fußballfans sind und man gar nicht anders kann, als selbst auch Fußballfan zu werden. Andere, bei denen das nicht so ist, entwickeln nie ein Verhältnis zu dem Sport. Das ist historisch höchst kontingent und kleinste Zufälle in der Biographie können über viel entscheiden.

Zum Frauenfußball fehlen mir solche biographischen Berührungspunkte, ich hatte nie welche. In meinem Alltag gibt es auch keinerlei Umstände, die dazu geneigt sein könnten, dies zu ändern. Mein einziger konkreter Berührungspunkt bist im Prinzip du. Wenn ich dich nicht kennen würde, hätte ich wahrscheinlich in meinem ganzen Leben noch keine 60 Minuten über Frauenfußball nachgedacht.

Justin: Aber dann hast du jetzt ja zumindest mal einen entfernten Berührungspunkt – nämlich mich. Ich will dich selbstverständlich nicht zu etwas zwingen, was schlicht nicht in deinem Interesse liegt, aber ich habe dich als jemanden kennengelernt, der Sachverhalte gern mit einem wissenschaftlichen, mindestens aber mal fundierten Ansatz angeht. Wäre es für dich nicht reizvoll, mal auszuprobieren, ob Frauenfußball nicht doch eine kleine Begeisterung in dir wecken kann?

Du hast bereits eine Affinität zum Männerfußball, insofern fände ich diesen Gedanken gar nicht abwegig. Vielleicht erweisen sich die zahlreichen Vorurteile, die ich oben ansprach, die du wahrscheinlich hast (was gar nicht wertend gemeint ist), ja am Ende als falsch. Eine Überprüfung dessen wäre ja eigentlich das korrekte wissenschaftliche Vorgehen, um dann zu entscheiden, ob das etwas für dich ist oder nicht. 

Alex: Ja, Vorurteile habe ich ganz sicher. Aus dem Stand heraus würde ich zum Beispiel annehmen, dass ich den Sport für zu langsam halte um mich wirklich begeistern zu können. Eine Sache, die mich im modernen Männerfußball von heute mit am meisten fesselt, ist die beeindruckende Athletik und die Geschwindigkeit der Akteure im Grenzbereich der menschlichen Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig hoher technischer Präzision. Es ist für mich sportlicher Ausdruck der höchsten Form, wenn die Aktiven an ihre körperlichen und kognitiven Grenzen gehen und versuchen, diese Grenzen immer weiter zu verschieben. 

Aber natürlich ist die Annahme, dass mir Frauenfußball nicht gefallen könnte, weil er zu langsam sei, ein Vorurteil, weil ich ja noch nie ein Spiel gesehen habe. 

Justin: Das Argument kann ich verstehen und ich habe auch gar kein Problem damit, dass dir und wahrscheinlich vielen anderen der Frauenfußball zu langsam ist. Mir macht das Spaß, weil es dadurch auf taktischer Ebene nochmal deutlich interessanter wird und auch die Entwicklung nach oben weiterhin gegeben ist. Beim Männerfußball habe ich immer mehr das Gefühl, dass eine Obergrenze erreicht wurde. Dass das dennoch nicht alle so attraktiv finden wie ich, ist vollkommen klar, aber ich finde eine solche Diskussion immer angenehmer, wenn der Option wenigstens eine Chance gegeben wurde, dass man sich mit seiner Skepsis irrt. Zumal ich es auch faszinierend finde, wie sich der Frauenfußball athletisch entwickelt hat. Der korrekte Vergleich ist schließlich nicht der heutige Männerfußball, sondern der Frauenfußball von vor zehn oder zwanzig Jahren und da ist der Unterschied enorm. Ich freue mich bereits auf die nächsten Sprünge.

Alex: Recht hast du. Das bin ich mir, meiner intellektuellen Redlichkeit und nicht zuletzt jetzt auch dir schuldig. Das Rückspiel der Bayern-Frauen gegen PSG oder ein Pokalspiel oder sonst ein Highlight-Spiel demnächst, das du mir empfehlen kannst, werde ich mir angucken. Danach sprechen wir uns noch einmal wieder.

Justin: Deal. Ich bin gespannt auf deine Eindrücke. Gerade die Women’s Champions League ist sehr zu empfehlen. Die Viertelfinals haben nicht nur mir, sondern sehr vielen Menschen großen Spaß bereitet. Aber kommen wir doch jetzt zu deinem eigentlichen Punkt.

Ökonomisches Profil: Gegenwart und Zukunft

Alex: Gerne. Der Anlass unseres eigentlichen Disputs war im Prinzip banal. Vor ungefähr einem Monat bin ich zufällig über die Nachricht gestolpert, dass der Frauenfußball in Deutschland seine Bemühungen um Professionalisierung auch in den nächsten Jahren weiter unter dem Dach des DFB fortsetzen wolle, statt zu den Männern unter das Dach der DFL zu schlüpfen oder gleich eine ganz eigene Vermarktungsgesellschaft zu gründen.

Zum einen habe ich gedacht: Professionalisierung unter dem Dach des DFB? Das ist ja fast schon ein Widerspruch in sich, never gonna happen. Zum anderen machte mich die Nachricht als jemand, der sich für Zahlen und ökonomische Zusammenhänge interessiert, aber auch neugierig. Professionalisierung, Modernisierung – Wie steht es eigentlich um den Frauenfußball in Europa, ökonomisch betrachtet, wie sind die Vereine aufgestellt, welchen Status haben die Ligen, wie viel Geld wird da insgesamt bewegt? 

Da ich viele englische Medien konsumiere, war mir bewusst, dass im sportverrückten England neben einer ganzen Reihe anderer Sportarten auch der Frauenfußball eine breite öffentliche Resonanz erfährt, medial umfangreich begleitet und als Veranstaltung sehr professionell aufgezogen wird. Mir war klar, dass wenn im Frauenfußball irgendwo Geld unterwegs ist und wenn der Frauenfußball irgendwo groß ist und Öffentlichkeit genießt, dann muss es auf jeden Fall England sein. Also habe ich mit meiner Recherche dort begonnen.

Meine erste Erkenntnis: Es gibt im gesamten englischen Frauen-Profifußball, insgesamt 24 Teams in Liga 1 und 2, überhaupt nur zwei Vereine, die unabhängig sind (London City Lionesses, Durham), der Rest gehört zu einem der bekannten Männervereine, wobei die großen Namen der Männer auch im Frauenfußball groß sind: Chelsea, Manchester City, Arsenal, Liverpool. 

Justin: Was übrigens ganz grundsätzlich auch damit zusammenhängt, dass in England bereits seit mehreren Jahren hart daran gearbeitet wird, den Frauenfußball zu professionalisieren. Das geht von den Nachwuchsbereichen bis hin in die oberste Spielklasse. Meinen Informationen nach wurden seit 2015 auch hinter verschlossenen Türen immer mehr Anreize für große Klubs geschaffen, in den Frauenfußball zu investieren. Das Resultat sehen wir heute.

Alex: Diese Klubs haben natürlich auch das meiste Geld und können es sich am ehesten leisten, ihre Frauenteams großzügig mit Kapital und sonstigen Ressourcen auszustatten. Etwas baff war ich dann jedoch, als ich beim Blick in den jeweils neuesten Geschäftsbericht herausfand, dass die Chelsea Women im Geschäftsjahr 19/20 lediglich 3,8 Millionen Pfund Umsatz gemacht hatten – und dabei 1,4 Millionen Pfund Verlust angehäuft. Die Manchester City Women: 2,8 Millionen Pfund Umsatz, 300.000 Verlust. Liverpool: 1,7 Millionen Pfund Umsatz, 5.000 Verlust. Arsenal: 3,8 Millionen Pfund Umsatz, aber immerhin 9.000 Pfund Profit!

Das hatte ich so nicht erwartet. Zum einen hätte ich im englischen Frauenfußball mit Umsätzen in deutlich höheren Größenordnungen gerechnet und zum anderen wäre ich nicht davon ausgegangen, dass die einzelnen Clubs teilweise ein derart mieses Umsatz/Gewinn-Verhältnis haben.

Justin: Natürlich sprechen die Fakten aktuell nicht dafür, dass der Frauenfußball sich selbst tragen kann. Ich denke aber, dass man hier etwas einordnen muss: Zunächst mal dürfte, wie du richtig angedeutet hast, der Verlust im Bereich des Verkraftbaren für diese Klubs liegen. Wenn Klubs wie Liverpool in dieser Größenordnung Geld verlieren, können sie das an anderen Stellen wieder kompensieren. Einen Verlust von 5.000 Pfund oder gar einen kleinen Profit von 9.000 Pfund sehe ich sogar als kleinen Beweis dafür, dass sich die Investitionen womöglich mittel- oder langfristig bezahlt machen können.

Wir dürfen nicht vergessen, dass wir hier die Anfangsphase einer Entwicklung bewerten. Zumal diese auch noch, wie der Männerfußball ebenfalls, durch Corona negativ beeinflusst wurde. Auch wenn die Zahlen aus der Zeit vor der Pandemie stammen, so ist eher nicht damit zu rechnen, dass die letzten zwei bis drei Jahre hilfreich dabei waren, die Frauenabteilungen weiter dahin zu bringen, sich irgendwann selbst tragen zu können.

Alex: Natürlich stimmt es, dass der professionelle Frauenfußball sich global gesehen noch sehr am Anfang seines Lebenszyklus befindet und massiv mit Geld gepusht wird, gerade in England. Bei kapitalintensiven Investitionsprojekten sind in der frühen Phase Verluste vollkommen normal. Da sind wir uns einig.

Aber auf den ersten Blick war ich doch ziemlich überrascht – und bin es eigentlich immer noch – ob der insgesamt geringen Geldbeträge, die im englischen Frauenfußball insgesamt bewegt werden. Ich dachte, da wäre mehr Masse an der Sache und ich hatte vermutet, dass der Frauenfußball – zumindest in England – auch ökonomisch ein größeres Profil hätte als es tatsächlich der Fall ist. 

Ob sich die Investitionen auf lange Sicht finanziell für die Investoren auszahlen werden, wie du es dir erhoffst, ist in meinen Augen noch nicht ausgemacht und kann zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht abschließend beurteilt werden. Dafür ist die Entwicklung noch zu neu und mit zu vielen Unsicherheiten behaftet. Was Deutschland angeht, scheint mir eine langfristig ökonomisch rentable Entwicklung des Frauenfußballs noch weniger absehbar. Zwar gibt es auch hier die Tendenz, dass zunehmend mehr Frauenmannschaften zu etablierten Männervereinen gehören und der Frauenfußball auch in den Medien immer mehr stattfindet, aber die Zuschauerzahlen in den Stadien sind noch sehr dürftig und die ökonomische Aufwand/Ertrag-Relation dürfte hierzulande vermutlich noch einmal deutlich schlechter sein als in England. Ich weiß nicht, ob und wie schnell es gelingen kann, diesen Sport in Deutschland zu einem wirklich großen Zuschauersport zu machen, der auch ökonomisch für die Vereine attraktiv ist.

Justin: Investitionen sind häufig mit Risiken belegt, keine Frage. Und ob der großen Skepsis, die in der deutschen Gesellschaft demgegenüber wahrnehmbar ist, kann ich die Bedenken verstehen. Andererseits haben die Bayern mit dem Spiel in der Allianz Arena gegen Paris Saint-Germain zumindest einen ersten Schritt in die richtige Richtung gemacht. Von den rund 13.000 Zuschauer:innen waren nach meinen Informationen mehr als 90 Prozent zahlendes Publikum. Der Ticketpreis lag zwischen 5 und 15 €. Ich finde das schon bemerkenswert dafür, dass dies das erste Spiel der FC-Bayern-Frauen auf dieser großen Bühne war. Fakt ist, und da können wir unsere Argumente wahrscheinlich zusammenführen: Wirtschaftlich gibt es eine Unsicherheit für die Zukunft, die es aber einzukalkulieren gilt, wenn man denn eine ernsthafte Entwicklung anstoßen möchte. Dafür braucht es durchaus Mut. Es gibt auf beiden Seiten Argumente. Ob der Frauenfußball insgesamt tatsächlich der Wachstumsmarkt ist, den nicht wenige aktuell sehen, wird sich erst in einigen Jahren zeigen.

Damit endet Teil 1 des Gesprächs der beiden. Im nächsten Teil kommen Alex und Justin darauf zu sprechen, wie sich über diese eigentlich harmlose ökonomische Debatte ein handfester Disput zwischen ihnen entfachen konnte und welche Bedeutung der Frauenfußball jenseits der ökonomischen Dimension für die Gesellschaft hat.