Der Fall Holger
Der hängende Kopf war für Holger Badstuber keineswegs untypisch. Als der Schalker Innenverteidiger am 1. März 2017 um 22:17 Uhr nach einer gelb-roten Karte den Rasen der Allianz Arena verließ, schüttelte er sich enttäuscht, murmelte etwas in sich rein und ließ den Kopf in klassischer Badstuber-Haltung zwischen seine tiefen Schultern hängen. Aller Voraussicht nach war es das letzte Mal, dass das Münchner Publikum das FCB-Eigengewächs Badstuber, den Jungen, der bis vor einigen Jahren immer im selben Atemzug mit Thomas Müller genannt wurde, zu Gesicht bekam.
Seit seiner ersten Verletzung Anfang Dezember 2012 war Badstubers Karriereweg absteigend gewesen. Sicherlich, die Comebacks nach den Folgeverletzungen, das unendliche Lob von Pep Guardiola und die Unterstützung des Teams in Form eines in die Kamera gehaltenen Trikots nach gewonnenen Titeln waren kurze Zwischenhochs gewesen. Momente, in denen man tatsächlich kurz daran glauben konnte, dass der Allgäuer sich noch einmal auf das hohe Niveau seiner ersten Karrierejahre schrauben würde.
Die bittere Pointe
Doch es folgte allzu bald die Einsicht, dass aus Badstubers dauerhafter Rückkehr in die Spitze des Bayern-Kaders nichts mehr werden würde. Dafür gibt es mehrere Gründe. Badstuber für sein Verletzungspech auch nur den leisesten Vorwurf zu machen, wäre töricht. Gleichzeitig muss man konstatieren, dass es für ihn schlichtweg unmöglich war, mitzuhalten. Erst Recht nicht in einer Phase zwischen 2013 und 2016, in der fast alle Spieler im Kader des FC Bayern durch viel Training und individuelle Arbeit in allen Bereichen des Spiels einen großen Sprung nach vorne machten. Dass Holger ausgerechnet in der Ära des Trainers, der einen spielstarken Innenverteidiger wie ihn wohl am meisten hätte fördern können, den Anschluss verlor, ist eine besonders bittere Pointe seiner traurigen Geschichte.
Aus Sicht des FC Bayern war Badstuber ab der Saison 2013/14 keine Größe mehr, auf die man sicher bauen konnte – insofern war es nur konsequent, in der Innenverteidigung personell nachzulegen. Boateng war ohnehin gesetzt und neben ihm rotierten in den vergangenen Jahren Dante, Benatia und Martínez sowie mit Abstrichen Kimmich und Alaba in die zentrale Verteidigerrolle. Die Bayern-Abwehr zählt seit Jahren zu den besten der Welt, dementsprechend stellt sie ein grausames Pflaster für rekonvaleszente Langzeitverletze dar.
Bruch im Winter 2016/17
Die Gründe für ein Ende der Beziehung zwischen dem FC Bayern und Holger Badstuber lagen somit auf der Hand. Dennoch beschloss man vor der Saison einen weiteren Anlauf unter Carlo Ancelotti zu wagen – wobei der Trainer nicht die entscheidende Personalie darstellen sollte.
Die Variable, die das Gleichgewicht zwischen Badstuber und dem FC Bayern aufbrechen sollte, war die Verpflichtung von Mats Hummels. Mit der Rückkehr des verlorenen Sohnes, der gleichzeitig über Jahre Konkurrent von Badstuber in der Nationalmannschaft gewesen war, setzten die Verantwortlichen ein klares Zeichen: Die Zeit der bedingungslosen, romantischen, letztendlich aber rein fußballerisch illusorischen Unterstützung für Holger Badstuber war zu Ende. Stattdessen setzte man auf die sichere Weltklasse-Lösung Mats Hummels.
Die Badstuber-Seite tat sich sichtbar schwer damit, diese neue Situation anzunehmen. Die wenigen Minuten Spielzeit in der Hinrunde sorgten dem Vernehmen nach für einen endgültigen Bruch und die offene Forderung eines Vereinswechsels seitens Badstuber. Diesen Wunsch erfüllte man ihm, die Halbjahres-Leihe zum FC Schalke schien für beide Seiten eine gute Option zu sein.
Konsequenzen – für beide Seiten
Hiermit wären wir wieder im Mai 2017 angekommen, in dem nicht nur der FC Schalke mitteilte, dass man Badstuber nicht verpflichten würde, sondern gleichzeitig der FC Bayern eine vermeintliche Vertragsverlängerung dementierte. Die Konsequenzen? Holger Badstuber hat ein Problem.
Denn Fakt ist: Er ist ein weiterhin hervorragend veranlagter Innenverteidiger, der in 15 von 18 Bundesligavereinen wohl eine solide Rolle spielen könnte. Fakt ist aber auch, dass Badstuber ein hohes Gehaltsniveau gewöhnt und weiterhin verletzungsanfällig ist. Badstubers Wunsch, so hört man, sei ein Wechsel nach England – im Vergleich zu der Bundesliga-Konkurrenz dürfte dort zumindest das Gehalt kein Problem darstellen.
Doch auch der FC Bayern hat ein Problem. Der Fall Holger Badstuber zeigt einmal mehr, dass der Verein derzeit große Schwierigkeiten hat, den Spagat zwischen der familiären Miasanmia-Atmosphäre und den Anforderungen an einen internationalen Topklub zu schaffen.
Die Kommunikation des Badstuber-Wechsels, eine lieblose, knapp formulierte und mit dem grausamen Begriff „Klarstellung“ überschriebene Pressemitteilung sorgte zurecht für Entrüstung. Der Umgang mit einem der großen Fan-Lieblinge der letzten Jahre ist erschreckend unterkühlt und wird in Zukunft ein herausragendes Beispiel für alle jene Kritiker darstellen, die den FC Bayern mehr und mehr als einen der großen, durch-internationalisierten und unnahbaren Mega-Klubs sehen.
Dabei wäre es ein leichtes gewesen, das Kommunikations-Desaster zu umgehen. Eine offene Kommunikation der Vertragsinhalte von Anfang an sowie eine klare Ansage Badstubers im Januar, dass er den FC Bayern auf jeden Fall verlassen wird, hätten dafür gesorgt, dass die „Akte Holger“ zwar geschlossen, aber nicht auch noch geschreddert wird.
Mit der Presseerklärung vom Freitag hat der FC Bayern enttäuschenderweise dafür gesorgt, dass nicht nur Holger Badstubers sportlicher Abgang in der Allianz Arena ein ihm unwürdiger war.