Bayern nach hartem Fight praktisch Herbstmeister

Daniel Trenner 11.12.2021

Falls Ihr es verpasst habt

Die Aufstellung 

Julian Nagelsmann wechselte weniger als manch einer vielleicht erwartet hatte. Genau ein neuer Mann rutschte in die Startelf, Lucas Hernández für Niklas Süle. Der Rest blieb gleich, inklusive der ungewöhnlichen, aber verletzungsbedingt genötigten Doppelsechs/-acht aus Tolisso und Musiala. Der sichtbarste Wechsel zum Bundesligaspiel am Wochenende waren hier die Tribünen. Wie gegen Barcelona, blieben sie komplett leer.

1. Halbzeit

Das Spiel begann flott, Bayern suchte mit gezielten Spielverlagerungen die Breite. Insbesondere Alphonso Davies bestach als früher Aktivposten. Nach einer guten Viertelstunde wachten die Münchener aber endlich auf und besannen sich auf ihre bekannten Qualitäten der letzten Wochen: Hinten den Gegner einladen, schlecht stehen und Gegentore kassieren. Wenige Sekunden nach einem beinahe gegebenen Foulelfmeter setzte sich Stach auf der linken Seite durch, gab zu Burkhardt, der wie ein Magnet die ganze Bayern-Defensive auf sich zog. Die anschließende Flanke köpfte Onisiwo frei ein.

War Bayern zu der Zeit noch dürftig, spielten sie nun sukzessive immer schlechter und schlechter. Nach vorne gelang gar nichts mehr, in den hinteren Dritteln folgte eine kopflose Aktion die nächste. Das einzige, was für die Münchener sprach, war der Mangel an echten Torchancen, die Mainz sich erspielte. Dennoch, der Halbzeitrückstand von nur einem Tor war eher noch glücklich.

2. Halbzeit 

Das Spiel ging ohne Wechsel weiter und eigentlich blieb alles weitgehend auch gleich. Dann allerdings riss Tolisso mit einem tollen Joshua-Kimmich-esquen weiten Ball die eigene Mannschaft aus dem Schlaf und Mainz auseinander, Coman vollendete kompromisslos (53.).

In der 65. Minute kamen auf einen Schlag Süle, Gnabry und Roca (!) in seinem diesjährigen Bundesligadebüt (!!) für Hernández, Sané und Tolisso. Mainz begann nun ein wenig Tribut für den hohen Aufwand bis dahin zu zahlen und erhielten auch alsbald die Quittung. Gnabry erhielt links viel Freiraum, flankte von der Grundlinie zu Pavard, der überlegt querlegte. Musiala schaltete seinen Gegenspieler schon mit dem ersten Kontakt aus, bereitete den perfekten Schuss mit einem zweiten kurzen vor und setzten dann überlegt mit dem Innenspann die Kugel ins Netz – 2:1 (76.).

Kurze Zeit später verließ der Torschütze den Platz, Nianzou kam. Mainz schob wieder mehr nach vorne, doch erfolglos. Die Bayern schaukelten die Führung nach Hause und bauten die Tabellenführung aus. Nächste Woche geht es zum Auswärtsspiel nach Wolfsburg.

Dinge, die auffielen

1. Planlos… 

Dass der FC Bayern vor gerade mal drei Tagen noch den ehemals großen FC Barcelona en passant mit 3:0 aus der Champions League warf und unisono zum großen Favoriten auf den Königstitel auserkoren wurde, war an diesem kalten Samstagnachmittag nicht zu erkennen. Gewiss hat vieles davon mit dem Gegner zu tun. Selbstverständlich ist Mainz 05 im Jahr 2021 eine ganz andere Gewichtsklasse als ein taktisch absurdes und physisch unaustrainiertes Barça. Dennoch muss sich der FC Bayern an die eigene Nase fassen, denn dass individuell zwischen den Bayern und Mainz etlige Täler liegen, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. Doch individuelle Qualität reicht nur so weit, wie es auch einen gemeinsamen Plan gibt.

Mainz 05 hatte ihn, presste ständig hoch und weit, stellte Pressingfallen. Bayern ging dieser ab. Der gepflegte Spielaufbau ist mittlerweile komplett aus der Mannschaft verschwunden. Man versucht die Kugel nur so lange zu halten, bis irgendwo einer der Supersprinter schon frei ist, um das Mittelfeld zu überspielen und vorne Chaos zu stiften. So entstand auch die einzige nennenswerte Offensivszene des ersten Abschnitts, als Davies Freiraum gewann und Mainz in Unordnung versetzte (und anschließend an seinem eigenen rechten Fuß scheiterte).

Tut der Gegner einem allerdings nicht den Gefallen, gibt es auch gar keinen Alternativplan. Diese Probleme gab es auch schon vor den ganzen Corona-Eskapaden, aber da konnte man mit Kimmich und dem immer spielstärker werdenden Goretzka noch einiges übertünchen. Tolisso und Musiala können das nicht, auch wenn Tolisso Kritiker mit seinem phänomenalen Pass vor dem Ausgleichstor verstummen lässt. Grundsätzlich ist sein Problem, dass dies immer nur Momente sind und er selten konstant eine derartige Spielstärke aufbietet.

Den FC Bayern trifft eines aber noch härter derzeit: Die Abwehrreihe kann mittlerweile kaum mehr spielerische Akzente setzen. Boatengs abgegangene Qualitäten vermisst die Mannschaft im kalten Dezember 2021 doch extrem. Verblüffend ist hier, weshalb Nagelsmann so vehement auf Niklas Süle verzichtet, der spielerisch wohl noch der spielstärkste Innenverteidiger im Kader ist.

2. … Kopflos

Dass Upamecano, Hernández, Pavard oder Davies keine Zauberpässe aus den Fußgelenken schütteln ist das eine. Wieso sie dazu aber auch immer wieder völlig kopflose Offensivvorstöße in Gegner hinein starten und so das wenige an Defensivordnung noch mal komplett einreißen, macht sprachlos. Insbesondere Davies fiel hier negativ auf.

Zur Kategorie Kopflosigkeit gehören aber auch plakativ natürlich die ganzen Defensivfehler. Inklusive der Ursünde aller Defensivverbünde, der ausschließlichen Fokussierung auf Ball, statt Gegner. Wie ein Hühnerhaufen bei der Sichtung eines Korns gingen alle Abwehrspieler auf Burkhardt los beim Mainzer Führungstreffer. Dass das Schiefgeht und nicht die gängige Praxis an guter Abwehrarbeit darstellt, steht außer Frage.

3. Die Liga ist tot, es lebe die Liga!

Was ist die Bundesliga jetzt eigentlich? Die Farmers League, die den Bayern so lächerlich unterlegen ist, dass der Wettbewerb gar nicht erst stattfinden müsste? Oder die unterschätzte Liga, bei der Bayern trotz bald eines dutzend hintereinander gewonnenen Meistertiteln sich jeden Sieg hart erkämpfen muss?

Heute war sie beides. Tot und lebendig. Bäurig und sportlich. Bayerns Sieg heute war nicht weniger hart umkämpft als gegen den BVB vor einer Woche. Er war weniger verdient, über die gesamte 90 Minuten war er es wahrscheinlich gar nicht. Mainz hat mit kompletter Physis und intelligenten Laufwegen Bayern alles abverlangt, mehr als Barcelona unter der Woche.

Und doch siegt Bayern schlussendlich. Und doch vergurkt es Dortmund parallel mal wieder. Und das bei einem schwächeren Gegner.

Dieser Samstagnachmittag ist vielleicht ein selten perfektes Stillleben der Bundesliga anno 2021. Bayern spielt weitgehend absolut schrecklich, gewinnt schlussendlich aber doch. Währenddessen verbaselt es die Konkurrenz und der Abstand wächst und wächst. Sechs Punkte sind es schon. De facto war dies die Herbstmeisterschaft. In der Rückrunde wird Bayern erneut hart um fast alle Punkte kämpfen müssen. Und doch, der Abstand wird wieder nur wachsen und wachsen. Denn die Liga lebt – aber eben nur während der 90 Minuten.

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