Borussia Dortmund: Wirtschaftlicher Steckbrief vor den Bayern

Alexander Trenner 08.10.2022

442 Millionen EUR statt Aufstellung 4-4-2, Hauptsponsor statt Hauptrivale lautet das Motto. Die Meisten kennen die sportlichen Profile der Gegner der Bayern, aber wie steht es eigentlich um ihre wirtschaftliche Situation? Wie viel Geld erlösen die Vereine von ihrem Hauptsponsor? Von ihrem Ausrüster? Von der DFL? Machen sie Verluste oder Gewinne und wie investieren sie ihr Geld? In Steine? In Beine? Und wie stehen sie eigentlich im Vergleich zum FC Bayern da? Nach einem Blick auf die Zahlen schließt der Artikel mit einem kurzen Ausblick auf das Sportliche.

Die Eckdaten

Der „Ballspielverein Borussia 09 e. V. “ (BVB) wurde im Jahr 1909 in Dortmund ursprünglich als Leichtathletikverein gegründet, die Fußballabteilung folgte 1910. Der Legende nach stammt der Name „Borussia“ von einer Werbeplakette der Borussia Brauerei, die einer der Gründer an der Wand der Kneipe, in der der Verein gegründet wurde, beim Ausklamüsern des Namens hat hängen sehen sollen. Neben dem Herrenfußball samt Amateuren und Jugend hat der BVB auch eine Damenfußballmannschaft sowie in weiteren Abteilungen eine Handball-Damenmannschaft und Mannschaften für Blindenfußball und Torball. Die Fußballmannschaften des BVB sind seit 1999 in die „Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA“ ausgegliedert, deren Aufgabe der wirtschaftliche und erlösorientierte Betrieb sämtlicher Fußballmannschaften des BVB ist. Die „Kommanditgesellschaft auf Aktien“, wofür „KGaA“ steht, wird seit dem Jahr 2000 an der Börse gehandelt, zwischen Juni 2014 und September 2021 war die Aktie sogar im SDAX gelistet. Bedeutende Einzelaktionäre sind der Geschäftsmann Bernd Geske mit 8,24 %, das Chemieunternehmen Evonik mit 8,19 %, der Versicherer Signal Iduna mit 5,98 %, der Sportartikelhersteller Puma mit 5,32 %, die Ralph Dommermuth Beteiligungen GmbH mit 5,03 % und der BVB e. V. selbst mit 4,61 %. Die restlichen ca. 62 % der Anteile befinden sich im Streubesitz und können von Jedermann an der Börse erworben und verkauft werden. Einzige Komplementärin und persönlich haftende Gesellschafterin der KGaA ist die „Borussia Dortmund Geschäftsführungs-GmbH“, deren einziger Gesellschafter wiederum der e. V. ist. Diese Konstruktion in Verbindung mit einer restriktiven Satzung ermöglicht dem BVB (dem e. V.) in Bezug auf alle zentralen geschäftlichen Belange die weitgehend autonome Entscheidungshoheit und gewährleistet so trotz des breit gestreuten Aktienbesitzes die vollständige Einhaltung der 50+1-Regel. So bedarf der BVB laut Satzung der Zustimmung des Aufsichtsrats (vereinfacht gesagt) nur bei Geschäften im Wert von über 40 Mio. EUR pro Transaktion, etwa für den Erwerb und Verkauf von Grundstücken und Unternehmensbeteiligungen oder bei der Aufnahme von Darlehen. Die Kommanditaktionäre haben gar kein Mitspracherecht. Zudem können weder Aufsichtsrat noch Kommanditaktionäre die geschäftsführende Komplementärin abberufen. Der BVB kann also im eigenen Hause mehr oder weniger schalten und walten, wie er will.

Die Spielbetriebs-KGaA ist alleiniger 100-%-Gesellschafter bei zahlreichen Tochtergesellschaften. Das Portfolio umfasst eine Reisegesellschaft, die die Spieltagsreisen der BVB-Mannschaften organisiert und Urlaubs- und Erlebnisreisen für Dritte anbietet, eine Stadionmanagement-GmbH, eine Merchandising-GmbH, eine Event-&-Catering-GmbH, die BVB Fußballakademie und eine Asien-Dependance in Singapur. Darüber hinaus hält der BVB eine 33-%-Beteiligung an einem medizinischen Leistungs- und Rehabilitationszentrum. 

Die Geschäftsführung der KGaA setzt sich zusammen aus Hans-Joachim Watzke als Vorsitzendem mit Verantwortung für die Geschäftsbereiche Strategie, Kultur und Kommunikation, Thomas Treß für die Bereiche Finanzen, Organisation und Recht sowie Carsten Cramer für die Bereiche Marketing, Vertrieb und Internationalisierung. Namhafte Mitarbeiter auf zweiter Ebene sind Sebastian Kehl mit Verantwortung für den Sport und Sascha Fligge mit Verantwortung für die Unternehmenskommunikation. Präsident des e. V. ist Dr. Reinhard Rauball. Mit gut 157.000 Mitgliedern ist der BVB nach Schalke 04 (164.000) und Bayern München (293.000) der nach Mitgliedern drittstärkste Fußballverein Deutschlands.

Hans-Joachim Watzke folgte als Geschäftsführer im Jahr 2005 auf Dr. Gerd Niebaum, der mit dem damaligen BVB-Manager Michael Meier Anfang Anfang der 2000er Jahre auf dem Rücken der frisch aus dem Börsengang erlösten gut 140 Mio. EUR und beflügelt vom Gewinn der Bundesligameisterschaften 1995 und ’96 sowie der Champions League 1997 eine sehr riskante Geschäftsstrategie fuhr, die auf schnelles und starkes wirtschaftliches Wachstum und sportlichen Erfolg ausgerichtet war. Teil dieser Strategie waren sogenannte „Sale-and-lease-back“-Geschäfte, im Rahmen derer der BVB beispielsweise Eigentums- und Markenrechte am Westfalenstadion sowie an der erst kurz zuvor gegründeten, vereinseigenen Sportartikelmarke „goool.de“ an externe Investoren verkaufte und dann für viel Geld zurückleaste – das Stadion beispielsweise für bis zu 20 Mio. EUR pro Jahr, für damalige (und auch heutige) Verhältnisse ein unfassbarer Betrag. Das Ziel war, unter Inkaufnahme langfristiger Zahlungsverpflichtungen kurzfristig große Mengen an Kapital zu generieren, um dies in einen sehr ehrgeizigen (und sündhaft teuren) Stadionausbau, aber auch in teure Spieler wie den als „50-Millionen-Mark-Transfer“ berühmt gewordenen Márcio Amoroso, Evanilson oder auch Tomas Rosicky zu investieren. Die Strategie, obwohl noch einige Jahre mit mehr oder weniger legalen Bilanztricks erfolgreich verschleiert, scheiterte schließlich spektakulär an einem über Jahre völligen Missverhältnis von Einnahmen zu Ausgaben und erst unter dem neuen Vorsitzenden Watzke gelang es dem BVB ab 2005 mittels mehrerer Kapitalerhöhungen und Kreditrestrukturierungen in Zusammenarbeit mit Banken und Hedgefonds die veräußerten Unternehmensanteile sukzessive zurückzuerwerben, die Verschuldung zu reduzieren und den Verein, der zwischenzeitlich nur um ein Haar dem Tod durch Insolvenz von der Schippe gesprungen war, wieder auf einen Pfad gesunder Wirtschaftlichkeit zurückzuführen. Symbolisch für den langen Weg zurück mag vielleicht stehen, dass der BVB sich erst 2012 erstmalig in der Lage sah, eine Dividende auszuschütten, ganze 12 Jahre nach dem initialen Börsengang.*

Die erste dauerhafte Spielstätte des BVB war in den 1910er Jahren das sogenannte „Weiße Feld“, das nach einer Erweiterung auf 10.000 Plätze ab 1924 „Borussia-Sportplatz“ hieß. Zwischen 1937 und 1974 spielte der BVB in der „Kampfbahn Rote Erde“, danach folgte das nach drei Jahren Bauzeit 1974 pünktlich zur WM in Deutschland mit einer Kapazität von 54.000 Zuschauern eröffnete „Westfalenstadion“, das seit Dezember 2005 offiziell „Signal Iduna Park“ heißt. Das Westfalenstadion wurde zwischen Anfang der 90er Jahre und 2005 in mehreren, teilweise sehr kostspieligen und zur damaligen finanziellen Misere des BVB massiv beitragenden Stufen großzügig erweitert und modernisiert. Seit dem Abschluss der letzten Stufe in Vorbereitung auf die WM 2006 schwankt die offizielle Kapazität des Stadions um einen Wert von etwas mehr als 81.000 Plätzen (bedingt durch mehrere weitere Umbauten danach, aktueller Stand: 81.365). Das Stadion wurde 2004 zum damaligen beizulegenden Zeitwert („Fair Value“) von gut 177 Mio. EUR in die Bilanz des BVB aufgenommen, in dessen Eigentum es sich nach wie vor befindet, und ist seither bis heute für weitere schätzungsweise (konservativ) 30 bis 40 Millionen EUR im Laufe der Jahre immer wieder umgebaut und modernisiert worden. Der Signal Iduna Park ist das größte Fußballstadion Deutschlands und das fünftgrößte Europas. Da das Stadion mit Ausnahme der COVID-Zeiten fast immer ausverkauft ist, hat der BVB auch den höchsten Zuschauerschnitt Deutschlands.

Der BVB ist der zweiterfolgreichste Verein in der Geschichte der Bundesliga. Kurioserweise zählen gerade die turbulenten Zeiten Ende der 90er und Anfang der 2000er sowie die Jahre rund um die erste Dividendenausschüttung 2012 zu den sportlich erfolgreichsten des BVB in seiner Bundesligageschichte. In dieser Zeit konnte der BVB in den Jahren 1995, 1996, 2002, 2011 und 2012 alle seine fünf Bundesliga-Meisterschaften gewinnen, in der Champions-League-Sieg 1997 den Titel und 2013 die Finalteilnahme gegen den FC Bayern und im UEFA-Cup 2002 das Finale erreichen sowie 2012 das DFB-Pokal-Finale gegen die Bayern gewinnen. Insgesamt ist der BVB achtmal deutscher Meister geworden, unter anderem auch im letzten Jahr vor der Gründung der Bundesliga. Während die erste sportlich sehr erfolgreiche Periode Ende der 90er unter den Vereinsverantwortlichen noch einen – salopp formuliert – vorübergehenden Anfall von Großmannssucht produziert zu haben schien, hat der BVB dieses Gebaren, gebranntes Kind, das er war, nach der zweiten sportlich erfolgreichen Phase Anfang der 2010er Jahre unter Jürgen Klopp nicht noch einmal wiederholt – manche sagen glücklicherweise, andere hasenfüßigerweise. Immerhin ist der BVB seit der Meisterschaft 2012 noch zweimal DFB-Pokal-Sieger geworden, einmal 2017 im Finale gegen Eintracht Frankfurt und zuletzt 2021 gegen RB Leipzig. 

*Die turbulenten Jahre des BVB am Rande des wirtschaftlichen Abgrunds sind in zahlreichen Medien und Büchern verarbeitet und dokumentiert worden. Für alle Leser mit weitergehendem Interesse sei hier zum Einstieg beispielsweise diese Dokumentation auf der Webseite „anstageslicht.de“ oder auch die 2005 mit dem Henri-Nannen-Preis-gekrönte Recherche von Freddie Röckenhaus und Thomas Hennecke sowie das darauf aufbauende Buch „Die Akte Schwarzgelb“ von Frank und Sascha Fligge empfohlen.

Die Finanzkennzahlen

Seit dem Geschäftsjahr 2017/18 veröffentlicht die DFL jedes Jahr im Zuge einer Transparenzverpflichtung eine Reihe wesentlicher Finanzkennzahlen der Bundesligavereine. Einige ausgewählte davon für den BVB sind (Angaben in EUR):

*Rohrergebnis = Umsatz – Materialaufwand
Quelle: DFL Finanzkennzahlen

Der Jahresabschluss des BVB ist der mit Abstand umfangreichste und informativste aller Bundesligavereine. Wenn Vereinssympathien nach der Qualität der Jahresabschlüsse verteilt würden, müsste ich mit vollem Herzen BVB-Fan sein. Andere Vereine dürften sich an der Publikationsqualität des BVB gerne ein Beispiel nehmen. Der Jahresabschluss des BVB ist viel zu umfangreich, um ihn an dieser Stelle auch nur ansatzweise umfassend würdigen zu können. Ich werde mich daher in Form einiger schlaglichtartigen Beobachtungen auf die aktuelle finanzielle Lage des Vereins beschränken.

Bereits auf den ersten Blick fällt auf, dass die zwei zentralen High-level-Indikatoren, die die DFL in ihrem Reporting ausweist, nämlich der Umsatz (durch das näherungsweise Rohrergebnis) und der Gewinn, beim BVB in der Periode von 2018 bis 2021 dramatisch zurückgegangen sind. Wie kaum ein anderer Bundesligaverein hat der BVB in den Jahren der Pandemie wirtschaftlich gelitten. Der Umsatz hat in dieser Zeit um gut ein Drittel abgenommen, das Jahresergebnis ist sogar regelrecht abgestürzt, im Jahr 2021 auf sage und schreibe -73 Mio. EUR, ein für die Verhältnisse der Bundesliga atemberaubender Negativwert.+ Immerhin konnte sich der BVB im Geschäftsjahr 2021/22, das die DFL in ihrem Berichtswesen noch nicht erfasst, der BVB allerdings schon publiziert hat, wieder etwas erholen. Der Umsatz stieg wieder leicht auf etwas über 400 Mio. EUR und das Ergebnis lag bei nur noch -35 Mio. EUR. 

+…der noch im selben Jahr von Hertha BSC mit -78 Mio. EUR getoppt wurde.

Von den Vereinsverantwortlichen um Hans-Joachim Watzke sind während der Corona-Pandemie immer wieder die ausbleibenden Zuschauer als Hauptursache für die massiven finanziellen Verluste des Vereins ins Feld geführt worden. Diese Darstellung ist höchstens in Teilen korrekt. Gerade bei großen Vereinen wie dem BVB oder den Bayern machen die Einnahmen aus dem Spielbetrieb in regulären Jahren ohne Geisterspiele nur etwa 10 bis 15 % der Umsatzerlöse aus. Beim BVB sind dies bei durchgängig ausverkauftem Stadion etwa 45 Mio. EUR jährlich, bei Jahresumsätzen von in normalen Zeiten 450 bis 550 Mio. EUR. Die starken Umsatz- und Ergebnisschwankungen mit deutlichem Abwärtstrend des BVB in den letzten Jahren hängen weniger mit dem Spielbetrieb als vor allem mit einem Rückgang der Einnahmen aus den Transfergeschäften zusammen, die im Jahr 2021 auf ein Langzeittief von nur noch 23 Mio. EUR fielen, nachdem sie in den Jahren zuvor noch bei 124, 120, und 223 Mio. EUR gelegen hatten. Da sich der BVB gleichzeitig strategisch hohe spielerkaderbezogene Aufwendungen leistet, etwa für Gehälter, Transfers, Scouting und Berater, und die klassischen operativen Einnahmequellen des Vereins (Werbung, Sponsoring, Merchandising, TV-Vermarktung) nicht auf Knopfdruck kurzfristig bedeutend gesteigert werden können – erst recht nicht in einer Pandemie – schlägt ein Absacken der Transfererlöse um ungefähr 100 Mio. EUR sofort und ziemlich unmittelbar auf das Ergebnis durch. 

Diese hohen spielerkaderbezogenen Aufwendungen des BVB und seine Abhängigkeit von Erfolgen auf dem Transfermarkt sind nicht etwa ein Versehen oder Ausweis schlechten Wirtschaftens, sondern bewusst geplantes Ergebnis einer strategischen Entscheidung für eine „buy low, (finish), sell high“-Strategie auf dem Spielermarkt zum Aufbau einer weiteren, substanziellen und mit deutlich mehr Aufwärtsdynamik versehenen Erlössäule, als es die klassischen operativen Erlöskategorien Werbung, Sponsoring, Merchandising, TV-Vermarktung und Spielebetrieb jemals sein könnten. Inzwischen ist das Prinzip des „buy low, sell high“ zu einer wesentlichen Einnahmenkomponente des Vereins geworden und wird es auch weiterhin mindestens so lange bleiben (müssen), bis die operativen Einnahmequellen des BVB so weit aufgewachsen sind, dass sie den Verein unabhängiger von kurzfristigen Erlösnotwendigkeiten auf dem Transfermarkt machen, ohne dass er dafür im Gegenzug auch gleich seinen sportlichen Anspruch opfern müsste. Dies kann aber noch dauern und im Prinzip befindet sich der BVB gerade im „uncanny valley“ der Vereinsstrategie: sportlich bereits zu anspruchsvoll, um es sich leisten zu können, jeden halbwegs guten Spieler beim ersten hören Angebot abzugeben, aber gleichzeitig aus dem operativen Geschäft heraus noch nicht finanzkräftig genug, um es sich leisten zu können, dies nicht zu tun. Um den sportlichen Anspruch, den er erhebt, einzulösen, benötigt der BVB finanzielle Mittel, die er momentan nur die durch Spieleverkäufe erzielen kann, die den ursprünglichen sportlichen Anspruch gleichzeitig sabotieren. Ein dilemmatischer Teufelskreis.

Abseits solcher eher strategischen Fragen war eine große Herausforderung des BVB während der Corona-Pandemie die Sicherstellung der kurzfristigen Liquidität. Diese galt es trotz eines hohen negativen Cashflows infolge eines signifikanten Überhangs der Auszahlungen aus den Transfergeschäften über die Einzahlungen aus dem operativen Geschäft mit Werbung, Handel, medialer Vermarktung und Spielbetrieb zu gewährleisten. Im Geschäftsjahr 2020/21 hatte der BVB Zahlungsverpflichtungen aus Investitionen (fast ausschließlich Transfers) von 62 Mio. EUR, denen aber lediglich operative zahlungswirksame Einnahmen in Höhe von 15 Mio. EUR gegenüberstanden. Im Jahr darauf betrug das Verhältnis etwas weniger düstere, aber immer noch deutlich negative 51 zu 35 Mio. EUR. Dass diese Abflüsse von Liquidität in hoher zweistelliger Millionenhöhe nicht zu kurzfristigen Liquiditätsengpässen – und damit akuter Insolvenzgefahr – führten, gelang dem BVB zunächst durch die Aufnahme eines Kontokorrentkredits in Höhe von 57 Mio. EUR im Jahr 2020, gefolgt von einer seinerzeit medial ausführlich rezipierten Kapitalerhöhung in Höhe von 86,5 Mio. EUR im Herbst 2021, die der BVB neben der Sicherung der Zahlungsfähigkeit auch zur Rückführung des 57-Mio.-EUR-Kredits verwendete. Die verfügbaren Zahlungsmittel des Vereins lagen zum Stichtag 30.06.2022 bei gut 10 Mio. EUR und die kurzfristigen Forderungen bei gut 46 Mio. EUR, während sich die kurzfristigen Verbindlichkeiten zum selben Stichtag auf ca. 110 Mio. EUR beliefen, eine Unterdeckung im Verhältnis von 1:2. Weil sich der BVB allerdings nach der Kreditaufnahme 2020 auch für die Zukunft einen großzügigen Kontokorrentrahmen i. H. v. 75 Mio. EUR bei seinen Hausbanken hat einräumen lassen, halte ich die Gefahr einer akuten Zahlungsunfähigkeit des Vereins in näherer Zukunft für praktisch Null, selbst im Falle eines weiterhin negativen freien Cashflows in zweistelliger Millionenhöhe.

Eine weitere Konsequenz des finanziellen Abschwungs des BVB in den vergangenen Jahren ist ein erheblicher Rückgang der Eigenkapitaldecke des Vereins, die im Geschäftsjahr 20/21 vorübergehend auf sogar nur noch 233 Mio. EUR abgeschmolzen war (Höchststand 355 Mio. EUR 2019), sich danach aber im Geschäftsjahr 21/22 aufgrund der Kapitalerhöhung auf immerhin 281 Mio. wieder erholen konnte, trotz eines zeitgleich weiterhin hohen Millionenverlusts von 35 Mio. EUR. Aber ähnlich wie die Liquidität bereitet mir auch die gestresste Kapitalstruktur des Vereins gegenwärtig wenig Anlass zur Sorge. Zwar ist das Eigenkapital in den letzten Jahren wie dargestellt substantiell geschrumpft und die Verbindlichkeiten des Vereins parallel dazu fast schon explosionsartig gestiegen (+100 % von 2019 auf 2020, auch wegen des Kredits), aber im Geschäftsjahr 21/22 betrug die Eigenkapitalquote nach Kapitalerhöhung und Rückführung des Kredits 61 %, ein sehr gesundes Verhältnis und in der coronageplagten Bundesliga nach wie vor ein Spitzenwert. Mit der in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit seinen strategischen Partnern rund um Signal Iduna, Evonik und Puma beschlossenen Kapitalerhöhung von 86,5 Mio. EUR hat sich der BVB zudem grundsätzlich als sehr eigenfinanzierungsfähig und strukturell krisenfest gezeigt. Erst im Februar dieses Jahres hat darüber hinaus Signal Iduna seine langfristige Werbepartnerschaft mit dem BVB bis ins Jahr 2031 verlängert, ein starkes Zeichen, dass sich der BVB auf die wichtigen Partner auch weiterhin wird verlassen können.

Da ein organisches, aus der laufenden, regulären Geschäftstätigkeit heraus erfolgendes Wachstum des BVB in den Feldern Marketing, Sponsoring, Werbung, Merchandising und mediale Vermarktung in den kommenden Jahren ein schwieriger und komplizierter Pfad zu navigieren sein wird, ist der Verein gefangen in einer Art Zwischenwelt zwischen Anmeldung eines höheren sportlichen Anspruchs, der eine größere globale Attraktivität des Vereins und damit auch steigende operative Einnahmen begründen könnte, und parallel dazu wirtschaftlichen Verkaufszwängen für die entscheidenden Unterschiedsspieler, um diesen Anspruch kurzfristig einzulösen. So wird für den BVB wirtschaftlich in den nächsten Jahren viel davon abhängen, wie erfolgreich er seinen aktuellen, gut erprobten und bisher finanziell sehr erfolgreichen Weg der „buy low, finish, sell high“-Transferstrategie in bestmöglicher Balance mit der Realisierung seiner sportlichen Ansprüche weiter wird beschreiten können. Bevor der Verein allerdings größere wirtschaftliche Sprünge vollziehen und damit auch ein kalkuliertes Nicht-Verkaufen entscheidender Spieler auf dem Transfermarkt ins Auge wird fassen können, wird er sich zumindest in den nächsten zwei bis drei Jahren erst einmal der Rekuperation verlorener Substanz während der Corona-Pandemie widmen müssen. Wer auch immer also darauf hofft, dass etwa Jude Bellingham noch viele lange, erfolgreiche Jahre mit dem BVB verbinden werden, sollte womöglich nicht zu sehnsüchtig hoffen…

Hauptsponsor, Ausrüster, DFL-TV-Einnahmen

Hauptsponsor

Hauptsponsoren (im Sinne von Trikotsponsoren) des BVB sind in einem bundesligaweit einmaligen Arrangement gleich zwei Unternehmen, Evonik und Ionos (1&1). Evonik ziert die Brust des BVB seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 2006, 1&1 kam im Jahr 2020 hinzu. Seither prangt 1&1 während der Bundesligaspiele auf den Trikots des BVB und Evonik während der Pokalspiele. Die Einnahmen des BVB aus dem Vertrag mit Ionos sollen sich auf ungefähr 15 Mio. EUR pro Jahr belaufen, die Bezüge aus dem Vertrag mit Evonik sind sehr stark leistungsbezogen und skalieren mit der Anzahl der gespielten Spiele. Im Jahr 2021 etwa, in dem der BVB bereits in der Gruppenphase aus der Champions League und im Achtelfinale aus dem DFB-Pokal ausschied, sollen die Einnahmen etwa 8 Mio. EUR betragen haben, in guten Jahren kann es auch das Doppelte sein. Beide Unternehmen sind mittelbar und unmittelbar auch Anteilseigner an der Borussia Dortmund KGaA (Ionos über die Ralph Dommermuth Beteiligungen GmbH).

Quellen: Sponsors, ISPO, Kicker, verschiedene Tageszeitungen

Ausrüster

Ausrüster des BVB ist seit der Saison 12/13 in Nachfolge von Kappa der deutsche Sportartikelhersteller Puma. Puma soll dem BVB ca. 30 Mio. EUR pro Jahr überweisen, ein im Bundesligavergleich ausgezeichneter Wert, der weit vor sportlich ähnlich stark einzuschätzenden und international ähnlich präsenten Konkurrenten liegt. Auch Puma ist Anteilseigner an der Borussia Dortmund KGaA.

Quellen: Sponsors, ISPO, verschiedene Tageszeitungen

DFL-TV-Einnahmen

Aus den Ausschüttungen der TV-Zentralverteilung der DFL erhält Borussia Dortmund in der laufenden Saison planmäßig 82 Mio. EUR, was die sportlichen Erfolge des Vereins in den letzten Jahren widerspiegelt.

Quelle: www.fernsehgelder.de

Der Vergleich mit dem FC Bayern

Der direkte Vergleich des BVB mit den Bayern ist aus zwei Perspektiven interessant, einer eher langfristig-generellen und einer eher kurzfristig-spezifischen. Der BVB ist wirtschaftlich nach wie vor Deutschlands klare Nummer 2, ungeachtet des Aufkommens von RB Leipzig. Der langfristig-generelle Vergleich mit den Bayern zeigt aber deutlich, wie groß der Abstand zwischen beiden Vereinen unverändert ist. Wenn er im Laufe der Zeit überhaupt kleiner wird, dann nur sehr langsam, denn im gleichen Maße, wie der BVB seine operativen Einnahmen erhöht, tut dies der FC Bayern auch: Auf jeden neuen, besser dotierten Werbevertrag der Dortmunder kommt ein neuer, noch besser dotierter Werbevertrag der Bayern. Wenn der BVB diesen strukturellen Gap langfristig schließen möchte, dann wird er meiner Überzeugung nach (weiter) auf unkonventionelle Einnahmequellen (wie Spielertransfers) angewiesen sein, die geeignet sind, den (relativen) Gleichschritt beider Vereine im Aufwuchs ihrer organischen, operativen Einnahmen zu durchbrechen. 

Der kurzfristig-spezifische Blick wiederum zeigt auf, wie hoch die verlässliche, fest kalkulierbare operative Basis beider Vereine ist, wenn der BVB es einmal nicht schafft, einen teuren Spieler am Transfermarkt zu veräußern oder in der Champions League die Gruppenphase zu überstehen. Überschlägig gerechnet liegt die strukturelle Basis, definiert als langfristige untere Schwelle der Einnahmen, des BVB beim Spielbetrieb bei 40 Mio. EUR – bei den Bayern sind es 90. Bei der Werbung liegt sie bei 100 Mio. EUR – bei den Bayern sind es 200. Beim Merchandising sind es 30 Mio. EUR – bei den Bayern sind es 90. Nur bei den Einnahmen aus der TV-Vermarktung, die zentral von der DFL im Wesentlichen nach sportlichem Abschneiden in der Bundesliga verteilt werden, liegen beide Vereine ungefähr gleichauf.

Transfers

Die Transfers zur Saison 22/23

Der BVB hat sich zur Saison 22/23 nicht mit dem einen, „großen“ Spieler oder alternativ vielen kleinen, sondern zielgerichtet mit genau den passenden Spielern verstärkt für die Stellen, an denen es am meisten weh tat. Mit Süle und Schlotterbeck kamen zwei Stabilisatoren für die Verteidigung im Vorgriff auf Akanjis Abgang, mit Özcan kam der benötigte Sechser und mit Haller der Zielspieler als Ersatz für Haaland sowie mit Adeyemi der nächste große Multimillionentransfer ‚in the making‘. (Dass Haller später durch Modeste ersetzt werden musste, war nicht geplant und ist bitter für den Verein.)

Auf der Abgangsseite waren mit Haaland und Akanji die inzwischen üblichen Umsatzbringer vertreten und mit der Verabschiedung von Witsel, Zagadou, Bürki und Hitz hat sich der BVB einigen überzähligen Totholzes entledigen können. Unter dem Strich hat der BVB rund 90 Mio. EUR für Transfers ausgegeben und knapp 80 Mio. eingenommen (alle Zahlen und Daten zu den Transfers wie immer von transfermarkt.de).

Der Kaderwertvergleich zwischen dem BVB und den Bayern zeitigt eine Premiere. Der BVB ist der erste Verein in dieser Serie, der einen wertvolleren Spieler als die Bayern im Kader hat. In Bezug auf den gesamten Kaderwert jedoch ist der BVB erst kürzlich von RB Leipzig überholt worden und liegt nur knapp vor Bayer Leverkusen. „Die Breite in der Spitze“ wird enger, aber der FC Bayern zieht am oberen Rand weiter einsam seine Kreise.

Die genauen Gehälter der BVB-Spieler sind wie gewohnt unbekannt, aber werden von deutlich mehr Medien thematisiert, als das mal vielen anderen Vereinen in der Bundesliga der Fall ist. Topverdiener sollen Niklas Süle, Mats Hummels, Marco Reus und Sébastien Haller sein, die bei ungefähr 11 Mio. EUR pro Jahr liegen sollen. Adeyemi, Bellingham und Schlotterbeck liegen dem Vernehmen nach zwischen 4 und 6 Mio. EUR jährlich. Dies sind sogar im Vergleich zu den Bayern ordentliche Gehälter, mit denen der BVB auf dem Transfermarkt durchaus wuchern kann.

Transferflüsse zwischen dem BVB und den Bayern

Zwischen beiden Vereinen gibt es historisch einen viel geringeren Spieleraustausch, als man es vielleicht anhand solcher Spektakulär-Transfers wie Lewandowski, Götze und Hummels vermuten könnte. Alleine Mats Hummels und Mario Götze stellen mit ihren Wechseln in beide Richtungen einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der Spielerbewegungen zwischen beiden Vereinen. Interessant sind aber fast alle Namen, bis hinunter zu Jürgen „Kobra“ Wegmann (der über den Umweg Schalke übrigens auch ein „Doppel-Pendler“ zwischen beiden Vereinen ist). 

Der sportliche Ausblick auf die Begegnung am Wochenende

Der BVB ist ein Gründungsmitglied der Bundesliga, musste in den 70er Jahren einmal kurz für vier Jahre in die zweithöchste Spielklasse, trifft aber seit dem Aufstieg der Bayern 1965 ansonsten in diesem Wettbewerb in jeder Saison zweimal auf den FC Bayern. Das hat für bisher 106 Begegnungen beider Mannschaften gereicht, von denen die Bayern 52 gewinnen konnten (Siegquote 49 %). Das bis dato torreichste Spiel beider Mannschaften gegeneinander in der Bundesliga ist ein 11:1 Heimsieg der Bayern aus dem Jahr 1971. Die höchste Niederlage der Bayern ist ein 6:3 auswärts aus dem Jahr 1967. Bemerkenswert ist eine Periode zwischen den Jahren 2010 und 2013, in denen die Bayern sechs Bundesligaspiele in Folge nicht gewinnen konnten und die ersten vier sogar verloren. Auf der Habenseite steht indes eine gegenwärtig andauernde Periode von inzwischen sieben Spielen in Folge, die der FC Bayern gewonnen hat, einige davon deutlich. Wir auch schon die Partie gegen Leverkusen ist die Begegnung beider Mannschaften häufig eine torreiche Angelegenheit. Insgesamt fielen in der Bundesliga bis dato 213:129 Tore oder knapp 2:1,2 Tore pro Spiel zugunsten der Bayern. 

Screenshot: www.fussballdaten.de

Für den heutigen Samstagabend im Signal Iduna Park sind auf der Seite der Bayern Lucas Hernández mit einem Muskelbündelriss und Bouna Sarr mit seinen Patellasehnenproblemen und Thomas Müller mit einer Erkältung nicht verfügbar, Kingsley Coman soll für einen Kurzeinsatz wieder bereit sein. Auf Seite der Dortmunder fehlen Sébastien Haller, Marco Reus, Mahmoud Dahoud, Jamie Bynoe-Gittens, Mateu Morey aus medizinischen Gründen und der nicht berücksichtigte Nico Schulz.

Die Bayern scheinen nach überzeugenden Siegen in der Champions League und in der Liga wieder zurück auf Kurs zu sein, aber der „Klassiker“ heute Abend gegen den BVB wird sicher ein Härtetest dessen, wie belastbar dieser Kurs tatsächlich schon wieder ist. Der BVB pendelt wie gehabt zwischen Anspruch und Wirklichkeit, „Mentalität“, auch wenn sie so nicht mehr genannt werden darf („Haltung“ ist die neue Losung), ist nach wie vor ein großes Thema. Die Torausbeute des BVB in dieser Saison ist wenig ergiebig, auch wenn es mit dem 4:1 gegen Sevilla zuletzt einen Ausreißer nach oben gab. Allerdings steht zu befürchten, dass wenn die Bayern heute Abend nicht für das Spiel sorgen werden, es sehr zähe 90 Minuten werden können. Nur: Die Bayern haben sich historisch auch schon mal in besserer Torlaune präsentiert, als sie es in den letzten Wochen getan haben. Wenn das Spiel so verläuft, wie es die aktuellen Kontextparameter suggerieren, dann sehen wir heute Abend ein umkämpftes, aber letztlich torarmes 0:1 oder 1:2 für die Bayern. Die Wettquoten sagen eine Chance von etwa 20% auf einen Heimsieg der Dortmunder, 25% auf ein Unentschieden und 55% auf einen Auswärtserfolg der Bayern voraus. 

Anstoß ist am Samstagabend um 18:30 Uhr MESZ im Dortmunder Signal Iduna Park. Viel Spaß!

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Die vorherigen Ausgaben dieser Serie befinden sich hier: VfL Bochum, Borussia Mönchengladbach, 1. FC Union Berlin, VfB Stuttgart, FC Augsburg, Bayer Leverkusen.