Bayern-Rondo: Köln will Bayern wegflanken

Justin Trenner 13.01.2022

Vorab ein persönlicher Hinweis: Das klassische Vorschauformat wird es vorerst nicht mehr geben. Bei mir wird sich in diesem Jahr beruflich einiges verändern, was insbesondere für englische Wochen bedeutet, dass zwei einzeln geplante und durchdachte Vorschauen pro Woche nicht mehr realisierbar sind. Ersetzt wird das Format durch einen wöchentlichen Text von mir, in dem ich auf mehrere Themen eingehe, die in der jeweiligen Woche relevant sind. Das kann solche betreffen, die ohnehin auch für eine Vorschau wichtig gewesen wären, das kann vom bisherigen Muster abweichen. Lasst euch überraschen. Der vorläufige Name des Formats lautet ‚Bayern-Rondo‘.

So sehr die Bayern vor der Niederlage gegen Mönchengladbach auch versucht hatten, ihre Emotionen zu zügeln und die Herausforderung seriös anzugehen, nach den ersten 90 Minuten des Jahres herrschte eine andere Stimmung. Die Coronasituation hatte den Tabellenführer dazu gezwungen, eine Elf auf den Platz zu schicken, die einerseits positiv überraschte, andererseits aber auch in vielen Aspekten nicht ausreichend Qualität vorwies – sei es aufgrund von Fitness, Rhythmus oder unbekannter Positionen.

Dass der Frust nicht noch mehr Aufregung über die Regelungen der DFL nach sich zog, lag auch an der Tabellensituation. Bayern führt die Bundesliga mit sechs Punkten an und es besteht noch kein akuter Grund zur Sorge. Außerdem war absehbar, dass Gladbach der vorläufige Tiefpunkt sein würde – zumindest was das Personal betrifft.

Die Rückkehrer, eine wichtige Vertragsverlängerung, der kommende Gegner der Herrenmannschaft und eine unabhängige Aufarbeitung der Vereinsgeschichte sind die Themen dieser Woche.

Nagelsmann darf hoffen

Gegen Gladbach hatte Julian Nagelsmann so gut wie keine Optionen für die Startelf. Mit nur zehn mehr oder weniger gestandenen Profis ging er die Partie an. Darunter Sven Ulreich, der zuletzt angeschlagene Niklas Süle, ein unfitter Joshua Kimmich, Marcel Sabitzer auf ungewohnter Position und Benjamin Pavard, der zwar auf seiner Lieblingsposition spielte, auf dieser aber schon länger nicht mehr eingesetzt wurde.

Für die Partie in Köln kehren mit Manuel Neuer, Leroy Sané, Dayot Upamecano, Alphonso Davies, Omar Richards und Tanguy Nianzou wichtige Spieler zurück. Auch Corentin Tolisso und Kingsley Coman hatten die Quarantäne wieder verlassen. Wer es letztendlich in den Kader oder sogar in die Startelf schaffen wird, ist noch unklar. Medienberichten zu Folge wird Coman die Partie gegen Köln wahrscheinlich verpassen.

Über den Berg ist Nagelsmann mit seinem Rumpfkader also noch lange nicht, die Zeichen vor dem 19. Spieltag sind aber deutlich positiver als jene von vor einer Woche. Vor allem in der Defensive wird der Trainer vermutlich einiges umstellen, denn da sah man gegen Mönchengladbach alles andere als gut aus. Nagelsmann darf jedenfalls darauf hoffen, dass sich die Situation bald wieder entspannt.

FC Bayern München verlängert Vertrag mit Coman

Gehofft hat er wohl auch darauf, dass Kingsley Coman bald seinen Vertrag verlängern würde. Sein altes Arbeitspapier wäre im Sommer 2023 ausgelaufen und somit hätte man den Franzosen wohl in diesem Jahr verkaufen müssen, wenn noch eine Ablösesumme angepeilt war.

Dass die Bayern in den vergangenen Wochen Druck gemacht haben, zeigte sich auch an dem einen oder anderen Gerücht. So wurden die Namen Ousmane Dembélé und Raphinha beispielsweise immer wieder genannt. Nun aber hat Coman seinen Vertrag bis 2027 verlängert, was ihn zum Spieler mit der längsten Laufzeit beim FC Bayern macht.

Auch bei Coman zeigt sich die Strategie, mit der der Klub durch die Coronapandemie zu kommen versucht. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG hat kürzlich die Kennzahlen der acht Meister in den wichtigsten europäischen Ligen verglichen. Dabei ist der FC Bayern der einzige, der einen Gewinn erzielt hat, während Inter und Atlético Madrid große Verluste verzeichneten.

Bayern investiert in den bereits vorhandenen Kader

Wie die Bayern finanziell durch die Pandemie kommen, ist bemerkenswert gut. Zu großen Teilen liegt das auch daran, dass man in der Kaderplanung langfristig vieles richtig gemacht hat. Nach der Ära von Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Arjen Robben und Franck Ribéry fürchteten viele im Umfeld des Klubs, dass eine Zeit der Erfolglosigkeit eintreten könnte.

Heute blicken die Münchner mit Spielern wie Joshua Kimmich, Serge Gnabry und eben Coman auf ein weiteres Triple zurück – und sparen sich damit auch die eine oder andere Investition in Zeiten der Pandemie. Das Grundgerüst des Kaders steht, es geht mehr darum, ihn auch in der Breite zukünftig zu vervollständigen. Dementsprechend fließen die vorhandenen Mittel aber auch eher in die Vertragsverlängerungen.

Coman ist dafür abermals das Paradebeispiel. Zwar hat er das Siegtor im Champions-League-Finale 2020 erzielt und auch sein Talent blitzt in nahezu jedem Einsatz durch, aber für Konstanz stand er bisher nicht. Für so einen Spieler ein kolportiertes Jahresgehalt im Bereich von rund 15 bis 17 Millionen Euro zu zahlen, mag auf den ersten Blick nicht selbstverständlich wirken.

Coman hat noch Potential nach oben

Verletzungen und Formschwächen haben den Franzosen immer wieder zurückgeworfen. Auch seine Quote bei direkten Torbeteiligungen ist ausbaufähig. In 217 Partien und 13.062 Pflichtspielminuten für den FC Bayern kommt er auf einen Scorerpunkt alle 133 Minuten. Trotz schwächerer letzter Saison kommt Leroy Sané bei den Münchnern beispielsweise auf einen Schnitt von einem alle 101 Minuten, Serge Gnabrys Wert liegt bei 102 Minuten.

Comans Vertragsverlängerung ist gewissermaßen also auch eine Wette auf die Zukunft. Eine, deren Ausgang vor allem davon abhängen wird, ob der Franzose über einen längeren Zeitpunkt fit bleiben kann. Denn in einzelnen Phasen seiner bisherigen Bayern-Karriere hat er gezeigt, dass er dazu in der Lage ist, genau das abzuliefern, was Sané und Gnabry etwas regelmäßiger zeigen.

In jedem Fall aber kann sich der FC Bayern damit sicher sein, dass er mindestens zwei potentielle Weltklasse-Flügelspieler langfristig in seinen Reihen haben wird. Mit Serge Gnabry, dessen Gespräche mit dem Klub insgesamt auf einem guten Weg sein sollen, könnte bald der dritte folgen.

Köln und Baumgart wollen die Bayern schlagen

Auf einem guten Weg befindet sich darüber hinaus der 1. FC Köln. In der Bundesliga stehen sie momentan auf dem sechsten Tabellenplatz und nach drei Siegen in Folge träumt man in der Domstadt schon ein wenig von Europa. Zumal am Wochenende ein Gegner wartet, der ihnen in die Karten spielen könnte. 25 Flanken schlagen die Kölner pro Partie und damit deutlich mehr als jeder andere Bundesliga-Klub. Auf dem Papier lässt eigentlich auch kein Team so wenig Flanken zu wie die Bayern, nämlich 13 pro Partie. Dennoch sind die Münchner genau dort besonders anfällig. 13 der bisher 18 Gegentore fielen nach Ecken, Flanken, Chipbällen oder Abschlüssen von außen.

Auch gegen Mönchengladbach zeigte sich wieder, dass es der Mannschaft von Julian Nagelsmann nicht gelingt, Flanken effizient zu verteidigen. Vor allem ballfern schalten Spieler zu schnell ab, wenn es nicht gelingt, den Flankengeber entsprechend unter Druck zu setzen.

Kölns Spiel ist prinzipiell darauf ausgelegt, die Flügel zu überladen und dort entweder eine Flanke auf Anthony Modeste zu schlagen, oder eine Gegenpressingsituation zu erzwingen. Aus ihrer Mittelfeldraute heraus unterstützen vor allem die beiden Achter sehr aktiv die offensiven Halbräume. 2,1 von 3,8 Modeste-Abschlüssen pro Spiel sind Kopfbälle, neun seiner zwölf Bundesliga-Tore resultierten aus solchen. Kann Köln eine präzise Flanke auf ihn schlagen, ist es meist schon zu spät – selbst wenn er gedoppelt wird.

Bayern wird von Köln Räume bekommen

Gerade weil die Bayern dort so anfällig sind, darf sich Köln durchaus Hoffnungen auf den einen oder anderen Treffer machen. Im Hinspiel trafen sie ebenfalls zweimal nach Flanken. Doch auch Bayern hat gute Karten auf einen Torerfolg. Nicht nur deshalb, weil sie sowieso nahezu immer treffen, sondern vor allem, weil Köln ihnen Räume anbieten wird.

Zwar ist ihr Pressing in einigen Spielphasen vor allem ballnah sehr druckvoll, aber sobald ein Gegner sich daraus befreit, laufen sie schnell ungeordnet hinterher. Zwischen Abwehr und Angriff entstehen mitunter große Lücken, die Spieler wie Thomas Müller oder Sané für sich nutzen können. Gerade die recht offensiv agierenden Rautenachter der Kölner hinterlassen im Rücken immer mal wieder Platz für gegnerische Offensivspieler.

Dass Bayern die Qualität hat, sich aus hohem Pressing zu befreien, haben sie ebenfalls schon mehrfach in dieser Saison gezeigt. Allerdings wird vieles auch davon abhängen, wie sehr Nagelsmann die Defensive umbauen kann. Mit den Spielern vom vergangenen Wochenende dürfte es auch gegen Köln kompliziert werden.

Bayern hat NS-Geschichte aufarbeiten lassen

Kompliziert ist aber nicht nur die sportliche Gegenwart des FC Bayern. Auch die Vergangenheit ist mal mehr und mal weniger schillernd. Vor allem seine Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus war aber immer umstritten. Erst in den vergangenen Jahrzehnten kam mehr Bewegung in die Aufarbeitung dieses Kapitels der Geschichte. 2017 hat der Klub das Institut für Zeitgeschichte München damit beauftragt, eine unabhängige Forschung dazu zu starten.

Das Institut hat dafür tausende Dateien, Akten und Notizen aus dutzenden Archiven untersucht. In dieser Woche wurden die Ergebnisse veröffentlicht, die einiges bisher Bekannte bestätigen, in anderen Aspekten aber auch ein neues Licht oder zumindest eine neue Perspektive einbringen. Die Ergebnisse lassen sich hier abrufen.

Beispielsweise kam die Arbeit zu der Erkenntnis, dass „der FC Bayern [in seiner Gänze] nicht als Beispiel für einen ‚liberalen‘ Fußball dienen“ könne. „Stattdessen bildete er charakteristische Konflikte der Weimarer Gesellschaft ab.“ Bisher wurde häufig angenommen, dass der Klub aufgrund seiner Treue zu jüdischen Mitgliedern systematisch benachteiligt, oder ihm anderweitig geschädigt wurde. Für diese Interpretation gebe es aber „keine stichhaltigen Argumente“.

„Judenklub“? Studie widerlegt einige Thesen

Zwar treffe es zu, dass der Verlust jüdischer Funktionäre und Förderer dem FC Bayern schadete, doch die seien nicht durch eine vom Regime diktierte Zwangsmaßnahme gegen, sondern in vielen Fällen aufgrund einer selbstbestimmten Reaktion auf Geschehnisse im Verein gegangen. Es habe beispielsweise öffentliche antisemitische Äußerungen des FC Bayern gegeben. Darüber hinaus betont die Arbeit die Heterogenität des FC Bayern an sich, aber auch der jüdischen Mitglieder. So habe es von überzeugten Nazis bis hin zu Gegnern der Nazis alles beim heutigen Rekordmeister gegeben und auch die Identifikation der jüdischen Mitglieder mit dem Verein sei unterschiedlich stark gewesen.

Ein oft verwendetes Narrativ wird indes nahezu komplett widerlegt: Die prägnante Vokabel Judenklub „ist für den FC Bayern vor 1945 […] nirgends belegt. Ob jemand Jude war oder nicht, spielte keine Rolle im Verein“. Trotzdem sei es wahrscheinlich, dass der Klub zumindest als „jüdisch“ konnotiert wahrgenommen wurde. Der FC Bayern habe aber, „so lassen sich die Ergebnisse des abgeschlossenen Projekts zusammenfassen, […] in seinem Verhältnis zum Nationalsozialismus keine Sonderrolle eingenommen, sondern war anderen Vereinen ähnlicher als bisher angenommen.“ Die These, dass es einen grundsätzlichen Dissens zwischen dem FC Bayern und dem Nationalsozialismus gegeben habe, lässt sich „durch die abgeschlossene Studie nicht erhärten.“

Immerhin aber habe sich der FC Bayern noch 1934 und 1935 öffentlich zu den Namen jüdischer Mitglieder bekannt. In der Spannweite der Verhaltensweisen einzelner Mitglieder gebe es zur NS-Zeit aber kein Spezifikum der Bayern. Dass der FC Bayern seine Geschichte von unabhängigen Expert:innen aufarbeiten ließ und lässt, ist ein wichtiger Schritt für die Erinnerungskultur rund um den Ehrenpräsidenten Kurt Landauer und die Verantwortung, die daraus für heute entstanden ist.