France's midfielder Corentin Tolisso is pictured ahead of the friendly football match France vs Paraguay on June 2, 2017 at the Roazhon Park stadium in Rennes. / AFP PHOTO / FRANCK FIFE

Scouting Report: Corentin Tolisso

Steffen Trenner 14.06.2017

Der 22-Jährige kommt für eine Sockelablöse von 41,5 + 6 Millionen Euro von Olympique Lyon und unterzeichnet einen Vertrag bis 2022. Wir haben uns den jungen Mann in den letzten Tagen genauer angeschaut.

Der französische Markt ist seit mehreren Jahren zu einem Kerngebiet des Münchner Scoutings geworden. Immer wieder sind die Münchner Späher in den vergangenen zwei Jahren vor Ort gewesen, um Diamanten im immer größer werdenden Pool der französischen Top-Talente zu finden. Tolisso ist dabei alles andere als ein Geheimtipp. Der 22-Jährige hat sich über drei Jahre als Stammspieler in Lyon festgespielt. Dem Verein gehörte er seit 2007 an und spielte sich zunächst als Rotationsspieler auf der Rechtsverteidiger-Position in die erste Mannschaft. Seit einiger Zeit ist er jedoch fester Bestandteil auf allen drei Positionen im zentralen Mittelfeld. Auch Didier Deschamps hat den ehemaligen Kapitän der U21 der Tricolore bereits in den Kader der Nationalelf berufen. Der Weg zu regelmäßiger Spielzeit ist dort auf Grund der starken Konkurrenz in Person von Paul Pogba und N’Golo Kanté jedoch weit.

Eher Partner als Spielmacher

Der 181cm-Mann wirkt durch seine athletische, wuchtige Spielart auf dem Feld größer, als er ist. Gleichzeitig sollte man sich von seinen raumgreifenden Bewegungen, die ihn gerne auch mal auf den Flügel führen nicht täuschen lassen. Tolisso hat ein feines Füßchen. Es gibt keinen Pass, den er nicht spielen kann. Die weite Verlagerung, den kleinen Nadelpass am Strafraum, den stabilisierenden Querpass, den steilen Assist – Tolisso kann das grundsätzlich alles und entscheidet sich bei mehreren Optionen gerne auch mal für den überraschenden, komplizertesten Ball. Ein Grund für eine unspektakuläre Passquote von 83% in der Ligue 1 und 80% in der Europaleague. Insgesamt ist er eher ein Allrounder als ein Spezialist. Er beherrscht die weite Flügelverlagerung nicht auf dem Niveau von Alonso und den Strafraumpass nicht in der Qualität von Thiago. Er liegt irgendwo dazwischen und ist so mehr Partner als alleiniger Spielmacher.

65 Pässe spielte Tolisso in der abgelaufenen Saison in Lyon pro Spiel – so viele wie kein anderer seiner Mitspieler. Das zeigt, wie viel Verantwortung der junge Franzose für das Spiel seiner Mannschaft übernahm. Er führte das Team von Bruno Génésio auf Platz 4 der Ligue 1 und scheiterte in der Europaleague erst im Halbfinale an Ajax Amsterdam. Auf sich aufmerksam machte er schon früh in der Saison beim Duell mit Juventus Turin in der Champions League-Gruppenphase: Beim 1:1-Unentschieden im Rückspiel traf Tolisso kurz vor dem Ende per Kopf zum Ausgleich. Schon zuvor war er mit fast 100 Ballkontakten und mehreren ordentlichen Abschlüssen der auffälligste Spieler der Gäste gewesen.

Ohnehin ist seine Torgefahr ein spannendes Element in seinem Spiel. In seinen drei Jahren als Stammspieler war er immer mindestens an 9 Toren direkt beteiligt, in der abgelaufenen Saison sogar an 13. Tolisso schießt gerne (und manchmal zu häufig) aus der Distanz und überzeugt dabei mit einer sehr überlegten, zielgenauen Schusstechnik, die in ihrer Ausführung an Mario Götze erinnert. Zudem ist er gefährlich mit dem Kopf.

Corentin Tolisso erzielte 14 Pflichtspiel-Treffer in der Saison 2016/17
(Foto: AFP PHOTO / ROMAIN LAFABREGUE)

Sehr wohl fühlt sich Tolisso auch mit dem Rücken zum Tor. Aus der Verteidigung im Zentrum angespielt, hat er ein gutes Gefühl für den Gegner und ist in der Lage sich mit wunderbaren Drehungen auch aus engen Situationen zu befreien. Auffällig ist auch, wie überlegt er häufig agiert und Pässe erst im letzten Moment spielt, um den Gegner zunächst aus seiner Position zu locken. Bastian Schweinsteiger hatte das in seiner Endphase in München perfektioniert. Am stärksten ist Tolisso im Übergang vom Mittelfeld in den Angriff, wenn er sich durch gute Positionierungen Raum verschafft und dann mit engagierten Läufen den Ball in Richtung Strafraum trägt. Man fragt sich allerdings, wie oft es solche Momente im Spiel der Münchner gegen oft tiefstehende Gegner gibt.

Tolisso ist noch kein fertiger Spieler

Auch wenn es widersprüchlich klingt: Tolissos Spiel leidet manchmal, wenn er zu viel Einfluss hat. Er neigt dann dazu, etwas zu träge zu werden und sich mit sicheren, aber wenig konstruktiven Pässen zufrieden zu geben. Steigerungsmöglichkeiten hat er auch in der Defensivarbeit. Er verlässt sich zu viel auf seine Wucht im Zweikampf und hat nicht die allerbeste direkte Zweikampftechnik. Auch im Herausrücken in Pressingsituationen ist er manchmal zu ungelenk. Alles Dinge, die man verbessern kann.

Noch etwas unklar ist, was seine Verpflichtung für den Rest des Kaders bedeutet. Natürlich ist durch den Abgang von Alonso ein Platz frei geworden, andererseits war das Angebot im zentralen Mittelfeld schon jetzt sehr groß. Mit Rudy wurde zudem bereits ein Spieler für das Mittelfeld verpflichtet. Fest scheint nun zu stehen, dass Kimmich in der Tat als Rechtsverteidiger eingeplant ist. Auch Gerüchte um eine Rückkehr von Martínez ins zentrale Mittelfeld scheinen sich nun eher nicht zu bewahrheiten. Ob durch den Tolisso-Transfer eine nun naheliegende Leihe oder gar Verkauf von Renato Sanches beschleunigt wird, bleibt abzuwarten.

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