Schwaches Spiel, glücklicher Sieg: Bayern gewinnt gegen die Hertha

Tobi Trenner 23.02.2019

Statt “You’ll never walk alone” lief wieder “Forever number one”, statt feuchtem nordenglischen Abendwetter zog äußerst kühle Alpenluft durch das Stadion und weil auch die mintgrünen Trikots nicht benötigt wurden, hätte man meinen können, dass von Joshua Kimmich bis unters Stadiondach jeder Anwesende verstanden hatte: Champions League war unter der Woche, es gilt immerhin einen Rückstand gutzumachen. Allein, es war beim 1:0 gegen die Hertha nicht allen Bayern-Spielern anzumerken, dass die Umstände sich im Vergleich zum Mittwoch geändert hatten.

Trainer Niko Kovač sah personell keinen Grund zu ausufernden Veränderungen, im Gegenteil: Bis auf den erkrankten Mats Hummels, für den Jérôme Boateng neben Niklas Süle rückte sowie Leon Goretzka und Franck Ribéry für Thiago und Kingsley Coman blieb das Konstrukt dasselbe wie noch in der Königsklasse.

Die Startformationen im Heimspiel gegen die Hertha.

Bei der Hertha setzte Pál Dárdai unterdessen auf eine andere Taktik als bei den letzten starken Auftritten gegen die Bayern in der Hinrunde (2:0-Sieg für Berlin) und im Pokal (Verlängerung) und versuchte es mit der zuletzt sehr stabilen Dreier-/Fünferkette, in die Fabian Lustenberger rückte, weil der wieder fitte Arne Maier ins Mittelfeld zurückkehrte. Zudem fehlte Torjäger Vedad Ibišević mit einer Gelbsperre, Davie Selke und Salomon Kalou bildeten das Sturmduo.

Die Münchner kamen im Bundesliga-Modus in eine Bundesliga-Partie – so weit, so problematisch, denn das heißt aktuell: Wenig Tempo, wenig Kreativität im Spiel nach vorne und kaum Überraschendes. In der ersten Halbzeit kontrollierten die Münchner zwar das Spiel, wirkten defensiv stabil und hatten vergleichsweise wenige Probleme mit dem Berliner Pressing, allerdings hatte gerade die Mittelfeldzentrale Goretzka-Martínez-James Probleme, den Ball in die Offensive zu verlagern.

Mehr als Halbchancen konnten sich die Bayern über die ersten 45 Minuten nicht erspielen, auch weil die Außenspieler nicht in Szene gesetzt wurden. Fünf Torschüsse bei 64 Prozent Ballbesitz waren in Halbzeit Eins klares Indiz dafür, dass mehr als Kontrolle gegen eine gut organisierte Hertha nicht möglich war. Der einzigen wirklich hochkarätigen Gelegenheit durch Ribéry in der 33. Minute ging eine Abseitsposition voraus.

Kovač reagierte dementsprechend mit einem Wechsel und brachte Thiago für den blassen Goretzka und tatsächlich: Etwa zehn Minuten lang schien es, als würden die Münchner zu mehr Kombinationen kommen, dann jedoch hatte die Hertha aus dem Nichts die große Gelegenheit zur Führung: Über Ondrej Duda gelangte der Ball an Boateng vorbei zu Davie Selke, dessen Abschluss Kimmich gerade so auf der Linie klären konnte.

Sechs Minuten später gingen aber die Bayern in Führung: An einer Ecke von James flog Hertha-Torwart Rune Jarstein recht spektakulär vorbei, sodass vor ihm Martínez nur einköpfen musste. Dass das 1:0 auf diese Weise fiel, hatte sich tatsächlich schon etwas angedeutet, die gut getretenen Ecken des Kolumbianers waren auch in den gut 60 Minuten davor die gefährlichsten Bayern-Aktionen in der Offensive gewesen.

In der Folge kontrollierten die Münchner wiederum das Spiel, mussten allerdings erneut einen Schreckmoment verkraften: Der kurz zuvor eingewechselte Kingsley Coman brach eine Sprintaktion ohne Einwirkung des Gegners ab und musste nach nur neun Minuten wieder ausgewechselt werden.

In bester Hitzfeld-Manier verwalteten die Bayern nach der Coman-Auswechslung die Führung, am Ende gegen nur noch zehn Berliner, weil Innenverteidiger Karim Rekik nach einem Schlag gegen Lewandowski die rote Karte sah. Den anschließenden Freistoß von Alaba kratzte Jarstein von der Linie, im Nachschuss verpasste der eingewechselte Thomas Müller die Entscheidung in einem äußerst dürftigen Bundesligaspiel, das den Bayern jedoch drei Punkte und damit eine vorübergehende Punktgleichheit mit Borussia Dortmund verschaffte.

Dinge, die auffielen

1. Bürokratenfußball

Unter der Woche waren die Stimmen laut. Von “große Spiele können die Bayern” bis “sie sind wieder da” war alles dabei. In Liverpool noch kurz davor, das glückliche 0:0 auf dem Vereinsbriefkopf zu verewigen, krachte der FC Bayern gegen die Hertha wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

Spielwitz, Kreativität oder gar eine taktische Raffinesse? Fehlanzeige. Die wiedergefundene Leidenschaft steckt wohl noch an der Anfield Road im Stau. Insbesondere die erste Halbzeit war so ereignisarm, dass selbst die Bundeskanzlerin ungeduldig geworden wäre.

Fraglos könnte man ein solches Spiel als Alltag abschreiben, schließlich kann nicht jede Woche ein Feuerwerk gezündet werden. Bei einem FCB, der sich seit Monaten eine Leistungsexplosion erhofft, ist dies jedoch vielsagend. Durch individuelle Motivation und eine pragmatische Spielweise können große Abende weiterhin ordentlich verbracht werden. Von einer akzeptablen Normalform sind die Bayern aber – ausdrücklich trotz der positiven Ergebnisse – so weit entfernt wie die Sechziger von der Bundesliga.

2. Die kleinste Rotation seit Gerd Müller im Strafraum

Ribéry für Coman (angeschlagen), Goretzka für Thiago (geschont), Boateng für Hummels (erkältet) – ganze drei Wechsel nahm Kovac im Vergleich zum intensiven Defensivkampf unter der Woche vor. Damit bestätigt der Bayerntrainer erneut sein engstirniges Kadermanagement.

Seitdem die Vereinsführung in aller Öffentlichkeit die Rotation als Krisengrund ansprach, meidet Niko Kovač ebensolche gänzlich. Kurzfristig noch als Stabilisator der Spielanlage zu rechtfertigen, wird diese Art der Kaderführung mittel- bis langfristig zum großen Fragezeichen.

Auch in dieser Partie hätte man den zweifelnden Thomas Müller bringen können. Der Doppelbackup Rafinha agiert weiterhin mit rationierter Spielpraxis. Renato Sanches, in der Hinrunde noch mit einigen Lichtblicken versehen, mutiert zur talentierten Kaderleiche.

Alphonso Davies befindet sich in der Ausbildungsphase und bekommt dies Woche für Woche zu spüren. Wie einst Kimmich, Højbjerg und Co. würde man auch dem jungen Kanadier mal eine echte Bewährungsprobe gönnen. Namen wie Mai oder Jeong existieren in der Allianz Arena nur auf dem Papier.

Stattdessen verkleinert Kovač den bereits geschrumpften Kader weiter auf nur 14 oder 15 Spieler. Dem Trainer hilft dies im Sinne der kurzfristigen Erfolgsmaximierung. Eine Entwicklung über die nächsten 90 Minuten hinaus erreicht man damit aber nicht. Auch kadertechnisch schleppt sich der FC Bayern von Spiel zu Spiel.

3. Ribéry?

Franck Ribéry stand heute in der Startelf. Viel aus der Chance gemacht hat der Franzose nicht. Tempoduelle verliert er verlässlich, kreative Momente sind Mangelware. Als offensiver Zehner könnte er inzwischen geeigneter sein, für das Flügelspiel reicht es zumeist nur noch gegen erschöpfte oder tiefstehende Gegner.

Die Alterserscheinungen des Franzosen wären nicht so schlimm, wenn Kingsley Coman die heutige Partie nicht nach zehn Minuten verletzungsbedingt hätte verlassen müssen. Eine genaue Diagnose steht noch aus, der erste Eindruck ließ aber auf eine Muskelverletzung schließen. Sein Einsatz im CL-Rückspiel wäre damit gefährdet.

Da eine Formationsumstellung (zum Beispiel auf ein 5-3-2 mit Gnabry und Lewandowski als Spitzen) unter Kovač nicht wahrscheinlich ist, könnte Ribery somit im bis dahin wichtigsten Spiel der Saison in die Startelf rücken. Gegen das temporeiche, aggressive Liverpool müsste er sich gewaltig steigern.