Aufsteiger des Jahres 2017: Joshua Kimmich
Die Suche nach der perfekten Rolle
Das Jahr 2017 begann für Kimmich dabei eher ernüchternd; nachdem er in der Hinrunde 2016/17 auch aufgrund diverser Verletzungen seiner Mitspieler regelmäßig zum Einsatz gekommen war, musste der Rottweiler in den wichtigen Spielen der Rückrunde auf der Ersatzbank Platz nehmen. In der Champions-League kam er ab dem Achtelfinale lediglich zu 49 Einsatzminuten, blieb im Hinspiel gegen Madrid sogar ganz ohne Einsatz. Auch gegen Dortmund im Halbfinale des DFB-Pokals saß der Jungnationalspieler auf der Bank.
In der vollbesetzten Bayern-Elf gab es keinen Platz für Kimmich.
Dieser Platz wurde erst frei, als Philipp Lahm im Mai seine unvergleichliche Karriere beendete und somit der Rechtsverteidiger-Posten neu besetzt werden musste. Im Verein machte sich unter anderem der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge dafür stark, diese Position mit Kimmich zu besetzen.
Eine Position, die der einstige Stuttgarter Jugendspieler in der Vorsaison unter Trainer Ancelotti nur fünf Mal bekleidet hatte. Der Italiener gab dem Allrounder vor allem Einsätze im zentralen Mittelfeld – der Position, auf der sich auch Kimmich selbst am Stärksten sah. Eine erste kleine Parallele zu Lahm, der in seiner gesamten Karriere auch auf mehreren Positionen Zuhause war und dennoch seine Stärken in der Zentrale sah.
Alleine in der Nationalmannschaft hatte Kimmich Erfahrungen auf der Position des Außenverteidigers gesammelt. Erstmals bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich und dann über die gesamte Saison 2016/17, in der er alle Spiele für die deutsche Nationalelf in dieser Rolle bestritt.
Dauerbrenner als Außenverteidiger
Schnell wurde der 22-Jährige hinten rechts in der Viererkette zum Dauerbrenner. Am 18. Oktober gegen Glasgow bestritt Kimmich erstmals nicht ein Pflichtspiel über die komplette Spielzeit, sondern wurde nach 80 Minuten ausgewechselt.
Zu Beginn der Saison, als die Leistungen des FC Bayern stark variierten, war es ausgerechnet der junge Kimmich, der immer konstant ablieferte. In einer Phase, in der Bayern eine Handschrift vermisste, konnte er das Spiel der Münchner häufig von seiner Position aus ankurbeln.
Ein Spiel als Außenverteidiger prägen zu können, war über Jahre die herausragende Fähigkeit eines Philipp Lahm. Er verstand es wie nur wenige in Europa, Passsicherheit und offensive Akzente mit höchstem defensiven Niveau und starkem Stellungsspiel zu verbinden. Einen Spieler wie Lahm würde Bayern stark vermissen, so war die einhellige Meinung im Mai.
Nach der ersten Halbsaison ohne den Kapitän der Weltmeistermannschaft von 2014 sind die Rufe nach diesem jedoch weitaus weniger schmerzlich als erwartet. Dies kann Kimmich gar nicht hoch genug angerechnet werden.
Ab Tag Eins und Spiel Eins gegen Leverkusen zeigte er all das, was Jogi Löw in ihm als Rechtsverteidiger bei der Nationalmannschaft sieht.
Sein Spiel wird sehr stark von seinem ausgeprägten Offensivdrang geprägt. Noch mehr als Lahm will Kimmich nicht nur regelmäßig seinen offensiven Außenpartner hinter- und überlaufen, sondern drängt auch immer wieder selbst in Richtung Sechzehner.
Seine Flanken, wenn diese auch teils zu stark forciert sind, erinnern bereits heute an die legendären Willy-Sagnol-Halbfeldflanken, die stets gefährlich durch gegnerische Strafräume in ganz Europa segelten. So bereitete Kimmich diese Saison bereits sechs Tore in der Bundesliga vor. Zum Vergleich: Der Saisonbestwert von David Alaba liegt bei sechs Torvorlagen – und der Österreicher ist sicher kein reiner Defensivspezialist. Auch Lahm selbst schaffte nur zweimal mehr als sechs Vorlagen: Acht in 2011 und elf in der Triple-Saison 2013.
Wettbewerbsübergreifend steht Kimmich sogar bereits bei 10 Torvorlagen und damit gefährlich nahe an der Vorhersage unseres Autors Justin.
Weiteres Potenzial ist vorhanden
In der Defensive setzt Kimmich, ähnlich wie Lahm, darauf, direkte Eins-gegen-Eins-Duelle mit ihm körperlich überlegenen Flügelstürmern im Voraus durch gutes Stellungsspiel und hohes Angehen zu vermeiden. In den wenigen direkten Duellen mit starken gegnerischen Außenspielern zeigte sich, dass sich der 22-Jährige hier noch steigern kann. Zu ungewohnt war das isolierte direkte Duell noch für ihn. Gerade gegen Neymar in Paris unterliefen ihm kleinere Fehler.
Für einen Spieler in dieser Phase seiner Karriere ist es natürlich mehr als verzeihlich, gegen einen Weltklasse-Außen mal einen Zweikampf zu verlieren. Hier wird ihm die über die Zeit steigende Erfahrung genauso helfen, wie das kompaktere Defensiv-Konzept von Heynckes, mit dem es zu weniger isolierten Defensivaktionen kommen sollte. Dennoch kann es Kimmich nicht schaden, sich die Lahm-Grätsche von seinem Vorgänger anzueignen.
Am anderen Spielfeldende ist Kimmichs starke Neigung zu Flanken immer wieder ersichtlich. Während diese für einige Torvorlagen sorgten, sollte er dennoch auf ein sinnvolles Maß achten. Gerade in Spielen, in denen Bayern zum einfallslosen Schieben des Balles neigte, versuchte Kimmich häufig, durch eine Flanke dieser Monotonie ein Ende zu setzen. Manchmal ist der einfache Pass nach hinten inklusive neuem Aufbau des Angriffs sinnvoller als eine aussichtslose Flanke.
Ein Grund hierfür könnte auch darin liegen, dass Kimmich bisher noch keinen festen Partner auf der Außenbahn hat. Der etatmäßige Rechtsaußen Robben war für lange Abschnitte der Saison verletzt und Coman wurde vermehrt auf der linken Seite aufgestellt. Somit wechselte der offensive Partner häufig zwischen James, Müller und selbst Tolisso – drei Spieler, deren Interpretation der Rolle sich zum Teil deutlich unterscheidet. Das macht es schwer für Kimmich, sich auf einen Spielertypen einzustellen und seine eigene, unterstützende Funktion auszuarbeiten.
Alle diese Schritte kann man von Kimmich nicht auf einmal und nicht in dieser Saison erwarten. Dennoch hat der junge Schwabe alle Voraussetzungen, um seine Potenziale selbst zu identifizieren und abzuarbeiten. Bis dahin gratulieren wir erstmal zum MiaSanRot Aufsteiger des Jahres.