Am Ende des Tages – Karl-Heinz Rummenigge verabschiedet sich vom FC Bayern
Karl-Heinz Rummenigge war schon als Spieler jemand, der westfälisch nüchtern seine Arbeit erledigte: Tore schießen, Titel gewinnen. Etwas, das er zu seiner Zeit besser konnte als die meisten anderen. Ebenso westfälisch nüchtern, ziemlich uneitel eigentlich, füllte er später seine Funktionärskarriere beim FC Bayern aus. Aber der Reihe nach:
1974 – 1984 Weltklassestürmer
Karl-Heinz Rummenigge war Europas Fußballer des Jahres 1980 und 1981. Mehrfacher Torschützenkönig der Bundesliga. Europameister 1980. Vizeweltmeister 1982 und 1986. Mit dem FC Bayern gewann er zweimal die Meisterschaft (1980 und 1981), zweimal den DFB-Pokal (1982 und 1984) und zweimal den Europapokal der Landesmeister (1975 und 1976). Dazu 1976 auch den Weltpokal.
Rummenigges Zeit als Spieler beim FC Bayern dauerte zehn Jahre. Es war eine Ära, deren Ende ein zwar sportlich großer Verlust, aber wirtschaftlich ein großer Gewinn war: Mit seinem Verkauf an Inter Mailand für über 11 Millionen Mark wurde der wirtschaftlich marode FC Bayern schuldenfrei.
Niemand hätte im Jahr 1984 für möglich gehalten, dass auf die Ära des Spielers Rummenigge eine dreimal so lange Ära als Funktionär in München folgen sollte. 30 Jahre, in denen Karl-Heinz Rummenigge den FC Bayern auf seine Weise prägte. Gemeinsam mit Uli Hoeneß machten beide den Verein zur AG und den nationalen Primus zum europäischen Spitzenclub. Die Chronologie der Ereignisse:
1992 – 2021 Vizepräsident und CEO
„In der Saison 1991/92 gab es ja eine relativ große Krise für unsere Verhältnisse. Der Klub war Zwölfter in der Liga, dramatisch deutlich gegen einen kleinen Verein aus Kopenhagen im UEFA-Cup rausgeflogen. In dieser Lage kam der damalige Präsident Fritz Scherer zu Franz Beckenbauer und mir und hat uns gefragt, ob wir uns vorstellen könnten, Vizepräsidenten zu werden. Um die sportliche Kompetenz im Club zu verbreitern.“Karl-Heinz Rummenigge im Interview mit dem Autor 2017
In einer sportlich und wirtschaftlich schwierigen Situation arbeitete Rummenigge sich Anfang der 90er Jahre mit Fleiß und Sachlichkeit in die Materie ein. Er knüpfte ein Netz aus internationalen Kontakten, seine italienischen und französischen Sprachkenntnisse halfen ihm dabei. Hier wurde systematisch durch Rummenigge etwas erschaffen, was dem FC Bayern bis dahin fehlte: internationale Geltung.
Rummenigge erahnte bereits damals, dass der Fußball zum globalisierten Unterhaltungszirkus mutieren würde. Erst durch seine Kontakte in die Wirtschaft und zu anderen wichtigen europäischen Clubs konnte der FC Bayern zu einer europäischen Top-Marke im Fußball werden.
Ohne Karl-Heinz Rummenigge hätte der FC Bayern vermutlich kein eigenes Stadion und ohne seine leitende Tätigkeit von 2008 bis 2017 bei der ECA, der Vereinigung europäischer Fußballvereine, ganz sicher nicht den wirtschaftlichen – und damit sportlichen Erfolg. Es gab immer größere Redner als Rummenigge. Aber, bis heute als UEFA-Exekutivmitglied, kaum einen einflussreicheren Funktionär in Fußballeuropa.
Vier Jahrzehnte in Diensten des FC Bayern
Der FC Bayern ist nicht nur das Lebenswerk von Uli Hoeneß. Sondern auch das von Karl-Heinz Rummenigge: 40 seiner 65 Lebensjahre verbrachte er an der Säbener Straße. Durch seine prägende Tätigkeit der letzten 30 Jahre als Vizepräsident und schließlich CEO wuchsen Verein und AG zu einem Fußballunternehmen mit Milliardenwert. Mit Uli Hoeneß bildete er ein im Weltfußball einzigartiges Manager-Duo. Zwei denkbar unterschiedliche Charaktere mit sich ideal ergänzenden Eigenschaften: Dort der Bauchmensch und Kümmerer. Hier der Stratege und beharrliche Netzwerker. Dort der von Rummenigge so bezeichnete „Vater Teresa vom Tegernsee“. Hier der „eiswürfeläugige Technokrat“ (Süddeutsche Zeitung, 2009). Beide mit großem Fußballsachverstand, die sich zum Wohl des FC Bayern immer wieder zusammenrauften und meist nach außen eine gemeinsame Linie vertraten. Die sportliche und wirtschaftliche Bilanz der vergangenen drei Jahrzehnte ist zweifellos das Ergebnis dieser Konstellation, die ein historischer Glücksfall für den FC Bayern gewesen ist (Von peinlichen Auftritten, wie bei der Grundgesetz-Pressekonferenz, abgesehen. Die Rummenigge übrigens schnell öffentlich als Fehler eingestanden hat).
Keine Ruhestätte auf dem Friedhof der Kuscheltiere
Bei seinem vorgezogenen Abschied zeigte sich Karl-Heinz Rummenigge als jemand, der nicht an seinem Sessel klebt. Bereits im Interview mit dem Autor Ende 2017 antwortete Rummenigge auf die Frage nach seiner Zukunft beim FC Bayern: „Ich muss rechtzeitig erkennen, wann ich meine Aufgaben in neue, jüngere Hände legen sollte. Ich habe da immer einen Spruch: Der Friedhof der Kuscheltiere derer, die sich für unersetzlich halten, ist viel zu groß. Am Ende des Tages ist jeder ersetzbar.“
Die dunkle Seite der Macht
Wer wie Rummenigge in den vergangenen Jahrzehnten an den Schaltstellen der Macht saß, ist auch mitverantwortlich für all das, was im europäischen Fußball verkehrt läuft. Mehrere Reformen der Champions League wurden vom CEO des FC Bayern mit auf den Weg gebracht. Das juristische Gedankenspiel des FC Bayern mit der Europäischen Superleague gehört genauso zu seiner Zeit, wie die letztendliche Absage an dieses Projekt. Als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern setzte er alles daran, die internationale Position des Clubs zu stärken. Dabei nahm er in Kauf, dass die Schere in Deutschland zwischen dem FC Bayern und dem Rest der Liga immer weiter auseinanderging. Rummenigge war durch seine Lobbyarbeit bei DFL, ECA und UEFA aktiv daran beteiligt, dass das Fußball-Geschäft an der Spitze – und damit auch der FC Bayern – mit immer wahnsinnigeren Summen spielen konnte. Gleichzeitig wurde ihm schwindelig angesichts der auch von ihm in Gang gesetzten Spirale. So machte er sich noch im Februar 2021 stark für eine Gehaltsobergrenze im europäischen Fußball. Zudem forderte Rummenigge immer wieder die konsequente Umsetzung des Financial Fairplay ein. Man konnte den nicht gerade als basisnahe geltenden Boss dafür kritisieren, wenn er mit manchen Äußerungen die Südkurve gegen sich aufbrachte. Und mit einigen Vermarktungsambitionen übers Ziel hinausschoss. Man musste Rummenigge immer wieder dafür sensibilisieren, dass das Wohl des FC Bayern auch vom Wohl der ganzen Bundesliga abhängt. Die Vereinbarung geschäftlicher Beziehungen zum Staat Katar (über Qatar Airways) wurde von ihm abgenickt.
Neben aller berechtigten Kritik kann man Karl-Heinz Rummenigge jedoch dafür respektieren, was er für den FC Bayern in vier Jahrzehnten geleistet hat.
Und das ist „à la bonne heure“.
Zum 1. Juli 2021 tritt nun Oliver Kahn in die großen Fußstapfen Rummenigges. Der Zeitpunkt ist der richtige. Der Übergang ist von langer Hand geplant und vorbereitet worden. Der FC Bayern steht heute sportlich und wirtschaftlich erheblich besser da, als zu Rummenigges Einstieg vor 30 Jahren. Es wird sehr spannend zu verfolgen sein, wie Kahn den FC Bayern von dieser sehr gesunden Ausgangslage in die Zukunft führt. Welchen Schwerpunkt er in seiner Arbeit setzen wird. Wie er mit seinen Vorstandskollegen zusammenarbeiten möchte. Welchen Einfluss er auf die Kaderplanung nehmen will. Und wie er sich ohne einen Beckenbauer oder Hoeneß entwickeln wird; Koryphäen an denen Rummenigge sich in seinen Anfangsjahren orientieren konnte.