Holger Badstuber – erneut am Boden
Einen besseren Start in die Saison hätte sich Badstuber wohl kaum vorstellen können. Viel war vor der Saison geredet und geschrieben worden: Er würde sehr viel Zeit brauchen, müsste sich erst wieder von neuem gegen die etablierte Verteidigung hochkämpfen, dabei seien in Guardiolas System mit Dreierkette ohnehin die Plätze rar. Am Ende aber führte eines zum anderen. Hervorragende Disziplin in der Rehaphase und ein unbändiger Wille, gepaart mit der essentiellen Portion Geduld, die es nach einer solch langwierigen Verletzung braucht, verhalfen Badstuber zu einem guten Einstieg in das Training der Nicht-WM-Fahrer. Und Guardiola, der den Langzeitverletzten immer wieder gelobt hatte, ohne ihn je trainiert zu haben, war hellauf begeistert. Unvergessen sind seine unabsichtlich gefilmten Aussagen gegenüber Hermann Gerland („Hermann, Holger ist der beste Innenverteidiger, den wir haben!“). Durch das Training mit der zweiten Garde, bzw. den Daheimgebliebenen, ab Anfang Juli empfahl er sich für einen höheren Status als „der Verletzte, der lange brauchen wird“. Und Pep kam ihm entgegen. In seiner Heimatstadt Memmingen feierte Badstuber sein Comeback und wurde in den Vorbereitungsspielen als Kapitän ausgewählt. Eine kleine Geste mit großer Wirkung, die erneut die Wertschätzung zeigte, die ihm der FC Bayern entgegenbrachte. Zu seinen guten Leistungen und dem optimalen Verlauf der Vorbereitung kam hinzu, dass sich seine Konkurrenten schwer taten oder ausfielen. Javi Martinez, der Spieler, um den die Dreierkette entstehen sollte, kam zwar früh zurück, verletzte sich dann allerdings im Supercup gegen Dortmund. Jerome Boateng traf erst in den USA auf die Mannschaft und würde, wie alle deutschen Nationalspieler, noch einige Zeit brauchen, wobei er nach seiner Sperre in der ersten Bundesligapartie wieder ausgezeichnete Leistungen zeigte. Und Dante? Eine, vorsichtig formuliert, unglückliche WM mit Brasilien, gekrönt von einer miserablen Leistung im Halbfinale, führte ihn in ein fußballerisches Tief, aus dem er bis heute noch nicht ganz draußen ist. Neuzugang Benatia wurde als Konsequenz der Martinez-Verletzung geholt – für Badstuber kein Problem. Während der aus Rom gekommene Neuling noch seinen Faserriss auskurierte, bot sich Holger im Training an und hatte seinen Stammplatz sicher.
Gute Leistungen, zentraler Platz mit Orientierung nach links
Diesen sicheren Platz in der ersten Elf rechtfertigte er zu Saisonbeginn mit guten Leistungen. Sicher, gerade der Spielaufbau war noch etwas zaghaft, aber defensiv gab sich Badstuber keine Blöße. 90 Prozent angekommene Pässe, 76 Prozent gewonnene Zweikämpfe in seinen 224 Bundesliga-Minuten 2014/15 – gute Werte. Zum Vergleich: Jerome Boateng kommt in 150 Minuten auf 82 Prozent Passgenauigkeit und „nur“ 73 Prozent gewonnene Zweikämpfe. Man merkte bei Badstuber, dass mit jeder Spielminute ein wenig mehr von der alten Sicherheit zurückkam und er sich mehr und mehr zutraute. Bestes Beispiel aus dem Spiel gegen Stuttgart: Zweimal ließ er seinen Gegner unter Druck gekonnt aussteigen, Szenenapplaus gab es dafür aus dem weiten Rund der Allianz Arena. Im guardiolaschen Dreier-/Vierketten-Hybrid war die Nummer 28 essentiell und mit Orientierung auf die linke Seite ausgestattet. An seiner Person sollte sich in den nächsten Wochen vermutlich Medhi Benatia halten, der noch einiges an Aufholbedarf hat. Kurz vor seinem Comeback auf der europäischen Bühne (vieles deutete auf einen Startelf-Einsatz gegen Manchester City hin) hat sich Badstuber nun leider doch schwerer verletzt als zunächst angenommen.
Der Muskelsehnenriss ist zwar nicht in den Top-10 der häufigsten Verletzungen, aber schafft es sicher in die Hitliste der langwierigsten. 2-5 Monate ist die grobe Prognose, nachfragen kann Badstuber bei Jan Moravek vom FC Augsburg, der sich dieselbe Verletzung im März 2014 zuzog und sein „Comeback“ erst beim Trainingsauftakt im Juli feierte. Wie der Verein heute bekannt gab, werde man bei Badstuber nicht konservativ behandeln, so wie die Verletzung in der Regel bei Otto Normalsportler gehandhabt wird. Operation, danach Ruhigstellung über mehrere Wochen und anschließend sanftes und langsam steigerbares Aufbauprogramm – so der Fahrplan. Eins steht fest: Für Holger Badstuber ist in den nächsten Wochen nicht nur die Physiologie, sondern auch die Psychologie entscheidend. Wer sich erfolgreich zurückkämpft und dann wiederum ausfällt, muss im Kopf viel durchmachen.
Zu früh zu viel? Eher nicht.
Einwände werden in den nächsten Tagen ebenfalls auf ihn und alle Beteiligten zukommen. Wurde er zu früh zu viel belastet? Hätte man nicht gerade ihn auch schonen müssen? Die Beantwortung dieser Fragen ist von außen fast nicht möglich, zu viele medizinische Interna spielen dabei eine Rolle. Fest steht jedoch: Holger Badstuber hatte genug Zeit, körperlich auf ein Top-Level zu kommen. Man darf zum einen nicht außer Acht lassen, dass er bereits in der Endphase der vergangenen Saison mit der Mannschaft trainierte und so seit Ende April fußballerische Belastungen auf seinen Körper ausübt. Hinzu kommt, dass er einer der wenigen Spieler im Kader ist, die jeden Tag der Vorbereitung mitgemacht haben und somit, im Vergleich zum Rest, der die WM noch in den Knochen hat, körperlich eigentlich fitter sein dürfte. Eine Verletzung etwa von Mario Götze, bei dem eine ähnliche Situation besteht (Mangels Alternativen muss er spielen), wäre eher auf zu viel Belastung bei zu wenig Regeneration zurückzuführen. Die medizinische Abteilung beim FC Bayern entscheidet in den meisten Fällen konservativ – wenn ein Spieler nur zu 90 Prozent fit ist, wird er kaum von Anfang an auflaufen. Hätte es daher bei Badstuber Indizien für eine Überlastung gegeben, wäre am Samstag sicherlich jemand anderes an seiner Stelle auf dem Platz gestanden.
Anstatt im Konjunktiv zu diskutieren, muss sich der FC Bayern nun erneut umstellen, Pep Guardiola steht vor einer weiteren, großen Herausforderung. 77 Stunden vor dem Spiel gegen Manchester City, dem Gradmesser in der Gruppenphase der Champions League, stellt sich die Frage: Back to the roots? Die Viererkette verspricht ein eindeutiges Plus an Sicherheit, was gegen Agüero, Navas & Co. von Vorteil sein dürfte. Lahm, Boateng, Dante und Alaba – die Erfolgsabwehr aus der Triple-Saison als Problemlösung? Die Alternativen dazu halten sich in Grenzen: Lahm in die Dreierkette zu ziehen, hieße, im Mittelfeld Alaba, momentan nicht gerade in der Form seines Lebens, eine große Verantwortung zu übertragen. Umso mehr hinge dann von Xabi Alonso ab, eine Entwicklung, die der Trainer bereits nach dem Stuttgart-Spiel bekritelte. Benatias erster Einsatz in einem so wichtigen Spiel wirft ebenfalls die Frage nach zu viel Risiko auf. Er könnte an der Seite von Dante und Boateng verteidigen, müsste dann allerdings sofort zeigen, dass sein Spielaufbau dem von Martinez gleichkommt.
Am Ende wird Guardiola eine Lösung finden. Und bei all dem Positionsgeschachere wird er, wie jeder andere im Verein, nicht vergessen, an den Spieler Badstuber zu denken, der erneut vor schwierigen Monaten in seiner Karriere steht. Was Hoffnung macht? Wer nach zwei Kreuzbandrissen hintereinander so zurückkommt, schafft es auch ein weiteres Mal. Alles Gute, Holger.