EM-Blog, Tag 3: Hamburg ist Oranje! Endlich wieder Stimmung

Philip Trenner 17.06.2024

Es waren spektakuläre Bilder, die der heutige EM-Tag bereits vor Anpfiff des ersten Spiels lieferte: Um die Mittagszeit versammelten sich tausende niederländische Fans zu einem Marsch durch den Hamburger Stadtteil St. Pauli, um sich auf das erste Spiel der Elftal gegen Polen einzustimmen, das für 15 Uhr im Volksparkstadion angesetzt war.

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Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, dass hier Bilder aus Amsterdam, Den Haag oder Eindhoven gezeigt werden. Schon am Samstagabend hatten sich laut Angaben der Polizei so viele Anhänger aus den Niederlanden und auch vom Gegner Polen auf der Reeperbahn versammelt, dass diese vorübergehend gesperrt werden musste. Besonders positiv hervorzuheben ist, dass es dabei nicht nur im Wesentlichen friedlich blieb, sondern die Fanlager teilweise auch zusammen gefeiert haben sollen.

Hamburg ist jedoch, auch wenn wir erst drei Tage dieser EM hinter uns haben, beileibe kein Einzelfall. Bereits gestern spielten sich in Dortmund unglaubliche Szenen ab, wo die albanischen Fans fast die gesamte Stadt in Beschlag nahmen und ihrem Team den Eindruck vermittelten, es befände sich bei einem Heimspiel. Ein ARD-Reporter äußerte in einem Interview nach dem Spiel sogar, er habe das Stadion noch nie so laut erlebt – das soll angesichts der Stimmung bei so manchem BVB-Spiel schon etwas heißen.

EM 2024: Ausgelassene Stimmung

Und die Liste lässt sich – wenn auch mit leichten Abstrichen bei den Ausmaßen – fortführen: Auch bei den heutigen Spielen in Stuttgart und Gelsenkirchen sowie den gestrigen in Köln und Berlin war bereits die ausgelassene Stimmung der Fans spürbar, ganz zu schweigen vom Auftaktspiel der Deutschen am Freitagabend. Von 200.000 Schotten war in München die Rede, während am Sonntag 3.000 Dänen das Bier eines Biergartens komplett leer getrunken haben sollen.

Ist das nun etwas Besonderes? Dass Fußball in vielen Teilen der Welt die Massen begeistert, ist ja nun eigentlich nicht wirklich etwas Neues – in Deutschland haben wir sogar das Privileg, das an jedem Bundesligawochenende zu erleben. Und doch ist es aus zwei Gründen dieses Mal speziell.

Zum einen lohnt sich ein kurzer Blick auf die letzten großen Turniere. Da war vor nicht allzu langer Zeit die WM 2022 in Katar, die aus so vielen oft besprochenen Gründen hierzulande kein normales Turnier war und nie auch nur ansatzweise zu den Fanfesten geführt hat, wie wir sie aus Deutschland und auch anderen Ländern kennen.

EM 2024: Die Partien von Tag 3 im Überblick

  • Polen 1:2 Niederlande
  • Slowenien 1:1 Dänemark
  • Serbien 0:1 England

Dann gab es die EM 2021, die zwar trotz der Corona-Pandemie stattfand, aber bei vielen angesichts der immer noch brenzligen Lage eher Bauchschmerzen verursachte. Besonders die Frage, ob große Menschenansammlungen in Stadien angebracht sind, wo doch wenige Monate zuvor noch Schulen, Restaurants usw. geschlossen waren, sorgte für teils hitzige Diskussionen.

Und davor wiederum gab es die WM 2018 in Russland, die zwar zum damaligen Zeitpunkt nicht so absurd erschien, wie es das aus heutiger Sicht auf die Ereignisse der letzten Jahre tut, aber auch damals schon alles andere als unumstritten war. Schon die von Korruptionsvorwürfen überschattete Doppelvergabe der WM 2018 und 2022 hatte beide Turniere bereits vor der Austragung in Verruf gebracht.

Folglich liegt das letzte große Turnier, das einen Fokus auf das Sportliche guten Gewissens zuließ, bereits acht Jahre zurück: Es war die EM 2016 in Frankreich. Das soll nicht heißen, dass sich nicht auch zu jener oder der diesjährigen EM kritische Aspekte anführen lassen, beispielsweise zu den verursachten Kosten. Aber man hat nach langer Zeit mal wieder den Eindruck, dass der Fokus auf der Freude am sportlichen Ereignis liegen kann, wofür nicht zuletzt die Begeisterung der Fans an den verschiedenen Spielorten Ausdruck ist.

Die EM ist ein Kontrast zur Weltlage

Dass dieser Fokus jedoch überhaupt zustande kommen kann, ist auch insofern bemerkenswert, als die aktuelle Weltlage bekanntlich nicht gerade viel Positives vermittelt. Man könnte einwenden, dass das auch vor einigen Jahren schon nicht der Fall war, aber in den letzten Jahren scheinen die Themen (u.a. Klima, Ukraine, Israel/Palästina, Inflation, Rechtsextremismus) in besonders gehäufter und zudem noch existenziellerer Form aufzutreten.

Man könnte meinen, angesichts dessen ist es beinahe etwas ignorant, hierzulande ein unbeschwertes Fußballfest feiern zu wollen. Schließlich wird sich keines der genannten Probleme dadurch lösen lassen. Andererseits kann man dafür argumentieren, dass viele Menschen vielleicht so eine Ablenkung gerade brauchen – sei es, um dem Alltag einfach mal wieder für ein paar Wochen zumindest ein Stück weit zu entfliehen, sei es, um Kraft für die kommenden Monate zu tanken.

In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass wir auch in den folgenden Wochen noch viele begeisterte Anhänger zu sehen bekommen und Zwischenfälle wie vor dem Spiel Serbien gegen England, wo einige Fans aus den unterschiedlichen Lagern in der Gelsenkirchener Innenstadt aneinandergerieten, die Ausnahme bleiben werden.

Eine Erinnerung an die vergangenen Turniere oder ein Blick hinaus in die Welt sollte dafür Motivation genug sein.

Was sonst noch auffiel

Von Justin

  • 1.100 Tage nach seinem Herzstillstand bei der letzten Europameisterschaft feierte Christian Eriksen ein beeindruckendes EM-Comeback für Dänemark. Der 32-Jährige war der Dreh- und Angelpunkt des sehr kontrollierten dänischen Spiels und erzielte zudem in einem sehr emotionalen Moment das 1:0 für sein Team.
  • Slowenien erkämpft sich einen Überraschungspunkt gegen die Dänen – und zeigt dabei, dass es manchmal ganz plumpe taktische Mittel sind, die ausreichen können. Vor allem im zweiten Durchgang kauften die Außenseiter den Dänen den Schneid durch viel Aggressivität, Physis und ein plumpes Spiel nach vorn ab. Standardsituationen, lange Bälle, viele Flanken, das bewusste Erzwingen von zweiten Bällen – schön anzusehen war es nicht, aber eben erfolgreich.
  • Wo wir schon bei nicht schön anzusehen sind: England gewinnt mit 1:0 und knüpft an die Leistungen vergangener Turniere an: Nach dem Führungstreffer kam fast nichts mehr – außer schwer zu ertragende Defensivarbeit ohne Ambitionen im Offensivspiel. Man könnte meinen, die Engländer sind das Real Madrid der Nationalmannschaften. Nur ist das bereits Frankreich – denn die gewinnen mit ihrem pomadigen Stil wenigstens Titel. Bis England das gelingt, sind sie allenfalls eine billige Kopie. Schade ist es allemal mit diesem tollen Kader.
  • Serbien hingegen machte den Engländern das Spiel auch in vielen Phasen schwer. Zu Beginn wurden sie für fehlenden Mut und ein sehr passives Spiel bestraft, dann kamen sie immer besser rein. Gerade in der Offensive war es dann aber zu oft zu ideenlos und monoton. England konnte sich auf die Flankenläufe links gut einstellen und hatte am Ende dann weniger Probleme als zu Beginn der zweiten Hälfte. Man darf gespannt sein, wie erfolgsversprechend die beiden sehr unterschiedlichen Stile von Serbien und Dänemark (die sehr kontrolliert Fußball spielen) jeweils sind.
  • Die Niederländer zeigten den Klassiker aller ballbesitzorientierten Nationalmannschaftsleistungen: 81 Minuten lang spielten sie guten Fußball, erspielten sich zahlreiche gute Chancen, aber trafen ohne echten Mittelstürmer das Tor nicht. Dann kam Wout Weghorst und es dauerte keine zwei Minuten, ehe es 2:1 für Oranje stand. Ein verdienter Sieg der Niederländer, die aber unbedingt etwas Zielwasser für die kommenden Spiele brauchen.

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