Ballbesitz adé! FC Bayern München kontert den VfB Stuttgart aus!
Der ohnehin schon dünne Kader des FC Bayerns war die Tage und Stunden vor Anpfiff einer fast beispiellosen Verletzungs- und Erkältungsmisere ausgesetzt. Herausgekommen waren der Ausfall Gnabrys, Comans, Mazraouis, Ulreichs, Sarrs, Kimmichs und Goretzkas. Einzig der ebenfalls erkrankte Harry Kane meldete sich bereit, Fußball zu spielen. Die Mittelfeldschaltzentrale bildeten somit ein ungeahntes Duo aus Pavlović und Guerreiro. Vorne bekam der von Tuchel ungeliebte Müller etwas überraschend den Vorzug vor Choupo-Moting und Tel.
Sebastian Hoeneß vertraute auf die identische Aufstellung aus dem weitgehend überragenden 1:1-Unentschieden gegen Bayer 04 Leverkusen. Mitnichten wollte man den eigenen Spielstil der Allianz Arena opfern.
FC Bayern München vs. VfB Stuttgart: Der Spielverlauf
Der ungeahnte Außenseiter aus München kam schon nach wenigen Sekunden zur ebenso ungeahnten Führung. Karazor spielte einen folgenschweren Fehlpass, woraufhin es schnell und weit wurde. Sané bekam kurz vor dem Strafraumeck den Ball, schaltete bereits mit der Ballannahme den fragwürdig herausstürmenden Nübel aus und legte auf Kane quer. Selbst fieberbelastet hatte dieser dann natürlich keinerlei Probleme ins leere Tor einzuschieben.
Der FC Bayern begegnete Suttgart mit maximalem Respekt. War immer wieder mit allen Spielern in der eigenen Hälfte, bot Stuttgart Ballbesitzphasen an. Immer wieder explodierten sie dann punktuell über meist Sané oder Davies. Bayern schoss in der ersten Halbzeit zwei Abseitstore, von denen aber nur das zweite wirklich eins war. Kims Kopfballtor nach Pavlovićs Freistoß war auf gleicher Höhe, doch im bald schon investorreichen Premiumprodukt Bundesliga, fiel pünktlich zum Spitzenspiel die Technik aus.
Zur Pause wurde nicht gewechselt und auch das Spiel blieb gleich. Bayern verteidigte weiter emsig und machte vorne die Standards rein. Diesmal zählte es allerdings auch (55.). Erneut durfte Pavlović einen Freistoß in die Box gefühlvoll hieven, erneut kam Kim zum Kopfball, diesmal allerdings leitete er quer auf Kane weiter, der aus nächster Nähe zu Bundesligator Nummer 20 einnicken durfte.
Einen überragenden Standard hatte Pavlović allerdings noch im Köcher. Diesmal kam sein Ball aus der rechten Ecke erneut auf Kim, dessen Kopfball Rouault ins Tor abfälschte (63.).
Das Spiel war nun endgültig entschieden, Bayern sammelte fortan zum ersten Mal in diesem Spiel längere Ballbesitzphasen, die am Ende die Statistik ein wenig verfälscht. Am Mittwoch geht es zum Halbjahresabschluss nach Wolfsburg.
FC Bayern München vs. VfB Stuttgart: Auffälliges abseits des Platzes
Im wahrsten Sinne des Wortes “auffällig” war die Stimmung in der ersten Halbzeit. Die DFL (und vorallem deren Erstligamitglieder) hatten am Montag dem Einstieg von Investoren den Weg frei gemacht. Die Kurven des Landes quittierten dieses Vorhaben mit wütendem Protest. Zunächst gab es einen zwölfminütigen Stimmungsboykott. Mit diesem wehte ein Hauch Premier League durch die Arena. Wann immer es keine augenscheinliche Action gab, war es mucksmäuschenstill wie zu aller schlimmsten Pandemie-Zeiten. Wenn es aber dann doch explosive Sprints gab, schallte es lauter aufgeregter “Oohs!” von den Kurven.
Einige finden diese Premier-League-Stimmung ja tatsächlich erstrebenswert, doch in der Allianz Arena wirkte das ganze völlig deplatziert. Etwas fehlte. Es waren die Fangesänge. Es war echter Support.
Deren Mangel fiel auch beim Stephan Lehmanns gewohntem Ergebnisdurchsageritual auf: Ja, beim “danke, bitte” waren noch alle Feuer und Flamme im Chor vereint, doch kaum verstummte Lehmanns Mikrofon, tat es auch das Stadion. Von den gewohnten Fangesängen nach Toren war nichts zu hören.
FC Bayern München vs. VfB Stuttgart: Auffälliges auf dem Platz
29% sammelte der FC Bayern alleine in der ersten Hälfte in der eigenen Arena. Nicht gegen Manchester City in der Champions League oder gegen Real, nachdem man zuvor im Bernabeu gewann. Nein, gegen den letztjährigen Relegationsteilnehmer VfB Stuttgart in der schnöden Bundesliga. Nun gut, wichtig für den Kontext ist, dass der FC Bayern praktisch die gesamte Partie in Führung lag, dennoch: Wann gab es soetwas das letzte Mal in der Bundesliga? Dass der FC Bayern kaum mehr als 30% Ballbesitz ansammelt (am Ende waren es 37%) und trotzdem weder hergespielt, noch dominiert wird. Dass man trotzdem in jeder Minute Torgefahr ausstrahlt, weil die Konter brandgefährlich sind.
So berechtigt die Kritik an Tuchel letzte Woche war, diesmal verstand er es seine gesamte ballbesitzverwöhnte Elf hinter einer ballfernen Kontertaktik zu versammeln. Es ist schon eine beißende Ironie dabei, dass der VfB Stuttgart mit breiter Brust nach München reist, seinen Spielstil nicht umwirft und es dann ausgerechnet der Rekordmeister ist, der sich komplett nach dem Gegner richtet. Dass Bayerns Konter nicht zu einer höheren Pausenführung reichten, war jedenfalls nicht Tuchels Schuld. Mindestens einen der Gegenstöße, hätte man verwandeln müssen. Aber hätten die kalibrierten Linien auch funktioniert, hätte man ja auch schon früher 2:0 geführt, wenn auch durch einen Standard.
Spieler des Spiels: Aleksandar Pavlović
Wenn die Rede schon von Standards ist, muss man am heutigen Abend über Aleksandar Pavlović sprechen. Gleich drei Standards verwandelte der FC Bayern gegen den VfB Stuttgart (wenn auch irrtümlicherweise nur zwei davon zählten), alle drei wurden vom 19-jährigen Pavlović getreten. Pavlović zeigte dabei nicht nur sein Talent beim ruhenden Ball, sondern auch die Akzeptanz im Team, dass er diese schießen sollte.
Doch Pavlović war nicht einfach nur der Standardesel vom Dienst. Auch und gerade im laufenden Spiel zeigte er, welchen Mehrwert er dem bayerischen Spiel gibt. Wie ein Schwamm saugte er die Bälle ein und leitete sie weiter. Lief unermüdet die Räume zu, die Kimmich, Goretzka und Laimer gerne freihalten.
Pavlović mag nicht die Holding Six sein, die Thomas Tuchel möchte, dafür fehlt ihm das körperliche Element, nach dem sich Tuchel zu sehnen scheint. Doch er kann die Holding Six sein, die der FC Bayern braucht. Eine spielerische Sechs, die im Gegensatz zu allen anderen in Bayerns Mittelfeld nicht permanent nach vorne rennen möchte, sondern seinen vollauf zufrieden ist, seinen Sechserraum zu bearbeiten. Aber eben auch eine Sechs, die nicht alleine über den Kampf kommt, sondern spielerische Lösungen sucht.
Einzig die Kombination mit Raphaël Guerreiro scheint nicht die richtige Lösung zu sein. Guerreiro ließ seinen linken Partner Davies ab und an zu sehr alleine, fiel ein wenig im sonst so starken Bayern-Konzert ab. Wahrscheinlich ist Guerreiro nicht der richtige Partner für Pavlović, wahrscheinlich fehlt dann ein wenig doch das körperlich defensive Element. Dieses muss allerdings nicht unbedingt ein Athlet wie Goretzka einbringen, auch Kimmich hat dieses kämpferische, was Pavlović bislang abgeht. Bisher waren Pavlovićs beste Spiele anstelle Kimmichs, nicht an dessen Seite. Doch nichts spricht für gegenseitige Exklusivität. Es wird Zeit diese Kombination auszuprobieren.
Die Daten zum Spiel gegen den VfB Stuttgart:
Tore: 1:0, 2:0 Kane (2., 55.) 3:0 Kim (63.)
Gelbe Karten: Mittelstädt (31.), Karazor (69.) Leweling (82.)
Aufstellung FC Bayern München: Neuer – Laimer, Upamecano, M.-J. Kim, Davies (89. Krätzig) – Pavlovic, Guerreiro, L. Sané, T. Müller (83. Choupo-Moting), Musiala (83. Tel) – Kane
Aufstellung VfB Stuttgart: Nübel – Vagnoman (83. Stergiou), Anton (59. Rouault), Zagadou, Mittelstädt – Karazor, Stiller, Millot (59. Leweling), Führich (59. Silas), Undav (77. Jeong) – Guirassy