Miasanrot-Roundtable zum aktuellen Transferfenster des FC Bayern
Das ist fix
Konrad Laimer und Raphaël Guerreiro wechseln ablösefrei von Bundesliga-Konkurrenten nach München. Was ist von diesen Neuzugängen zu erwarten?
Maurice: Beide erfüllen die gleichen zwei Zwecke: Zum Einen stärken sie den Kader des FC Bayern auf den Positionen 12-15 und zum Anderen schwächen sie einen direkten Kontrahenten in der Liga erheblich. Damit sind beide eigentlich klassische Hoeneß-Transfers aus den 2000ern der Marke Valerian Ismael. Wobei das für die beiden ein bisschen ungerecht ist. Denn sowohl Laimer als auch Guerreiro bringen viele Qualitäten mit, die auch auf einem internationalen Niveau gefragt sind. Bei Guerreiro führen die schwachen Defensivleistungen ein bisschen zu Sorgenfalten, aber seine Fähigkeiten am Ball sind ohne Frage.
Daniel: Guerreiro wird ein schwächerer, unflexibler Cancelo. In Bestform ist er ein immens kreativer Linksverteidiger. Seine Defensivfähigkeiten geben mir allerdings nicht einfach nur Sorgenfalten, gefühlt hat er noch nie einen Spieler gestellt. Bei Bayern wird das mehr auffallen, als es schon beim BVB oft Thema war. Seine Flexibilität wird nicht groß zum Tragen kommen, weil der FC Bayern den Mittelfeldspieler Guerreiro eigentlich nicht benötigt und dieser Portugiese zur Abwechslung leider nicht rechts verteidigen kann. Dem Münchener Mittelfeld geht doch das defensive Denken ab, weshalb weitgehend Konsens über die Notwendigkeit eines Sechsers à la Declan Rice herrscht.
Konrad Laimer wird den wichtigen Kaderplatz des Bankdrückers besetzen. Irgendeiner muss jede Saison Spiel für Spiel trostlos auf der Bank vergammeln, nach Sabitzer wird diese Ehre erneut einem Österreicher zuteil.
OK, Spaß und Gehässigkeit mal beiseite. Laimer hat punktuell durchaus angedeutet, den FC Bayern verstärken zu können. Gerade in den letzten beiden Duellen mit Leipzig fiel er positiv auf. Prinzipiell ist er ja auch genau der Typ Sechser, den der FC Bayern sucht. Zweikampfstark, solide im Passspiel. Ähnlich gut gepasst hatte damals aber auch Sebastian Rudy, trotzdem machte der kaum Minuten. Ich glaube am Ende wird der Verein ihn nicht für ausreichend gut befinden. Dazu passt ja auch, dass mittlerweile niemand mehr beim Verein ist, der ihn damals geholt hatte.
Georg: Den Laimer-Transfer habe ich ausführlich analysiert. Ich befürchte, der Transfer kommt ein Jahr zu spät, und zwar für Spieler, Verein und Ex-Trainer Nagelsmann. Raphael Guerreiro mag ich als Spieler sehr. Allein mir fehlt der strategische Plan darüber hinausgehend, Tuchel einen Wunschspieler einzukaufen. Wenn die Kaderanalyse ergab, dass es zu viele Achter und zu wenige Sechser im Kader gab, warum kommen dann mit Guerreiro und Laimer zwei Achter? Wenn die Kaderanalyse ergab, dass der Kader etwas zu breit aufgestellt sein könnte und es an Qualität in der absoluten Spitze fehlt, warum kommen dann zwei weitere Spieler für die Tiefe? Was jetzt nach Verriss klingt, soll noch kein solcher sein. Noch ist es zu früh, das Transferkomitee zu bewerten. Die großen Transfers kommen wahrscheinlich noch.
Loan Army
Der FC Bayern hat in den letzten Monaten vermehrt Leihen eingesetzt, um Spieler kurzfristig zu holen oder in anderen Vereinen Spielpraxis zu sammeln. Nur bei Arrey-Mbi ist ein Anschlusstransfer nach Hannover fix. Was passiert nun mit verbliebenen „Rückkehrern“ Sabitzer, Nübel, Tillman und Vidovic? Was hinterlassen Blind und Cancelo nach einem halben Jahr in München?
Georg: Cancelo war wichtig als Alternative zu Davies auf der linken Seite und als Alternative zu Mazraoui auf der rechten Seite, wenn Pavard innen gebracht wurde. Seine Leihe hat sich bewährt. Auch die Leihe von Blind war aus der Sicht im Winter nachvollziehbar. Dass es für ihn nur zu fünf Einsätzen gereicht hat, ist schade, aber letztlich auch der Konstanz und guten Form der anderen Verteidiger geschuldet.
Bei den Rückkehrern ist die Sache einfach. Keiner davon wird nächstes Jahr im Kader gebraucht. Sabitzer und Nübel werden verkauft. Unser Leihspieler der Saison Malik Tillmann hat in Glasgow eine starke Saison gespielt. Nachdem er nun nicht bei der Rangers bleibt, rechne ich mit Interessenten aus der Premier League und einem Verkauf dorthin. Bei Vidovic ist die Situation am kompliziertesten. Anfangs überzeugte er in Arnheim, verlor im Laufe der Saison aber seinen Stammplatz. Da er noch bis 2025 beim FC Bayern unter Vertrag steht, wäre eine erneute Leihe denkbar.
Maurice: Besonders spannend ist vor allem die Torhüterfrage bei den Münchnern. Mit Yann Sommer, Sven Ulreich und Alexander Nübel hat man nun drei Torhüter unter Vertrag, die im idealen Saisonverlauf – sprich: Neuer bleibt gesund – kein weiteres Spiel für den FC Bayern absolvieren würden. Doch wer von den dreien wird am Deadline Day noch im Kader der Münchner stehen? Bei Nübel könnte man mit einer erneuten Leihe nochmal auf Zeit spielen, doch ob der Ex-Schalker das erneut mit sich machen lässt, ist mehr als fraglich. Ein Verkauf mit Rückholklausel scheint hier wahrscheinlicher. Von Yann Sommer wird man sich nach einem insgesamt unglücklichen halben Jahr trennen. Der Schweizer hat hoch gepokert und viel verloren. Ein Wechsel außerhalb der Bundesliga ist wohl am wahrscheinlichsten. Bleibt noch der ewige Ulle.
Geht da noch was/jemand?
Bei den diskutierten potentiellen Abgängen gibt es einen Mix aus dem Versuch, Spieler nach mittelprächtigen Leistungen noch zu Geld zu machen und Spielern, denen andernorts mehr Geld für ihre Leistung geboten wird als in München. Was passiert noch bei Sané, Hernandez, Pavard, Gravenberch, Yann Sommer oder Alphonso Davies in diesem Transferfenster?
Daniel: Alphonso Davies abzugeben wäre mit das aller dümmste, was der FC Bayern tun könnte. Nicht nur darf man ihn nicht abgeben, man muss alles daran setzen, mit ihm zu verlängern. Ich sehe Davies’ letzte zwei Saisons grundsätzlich stärker als andere, aber selbst wenn: Davies’ Talent ist nicht nur unbestritten: Wenn es drauf ankommt ist er auch da. Einer seiner (zu wenigen) Assistpunkte sammelte überragend bei PSG, in der Hinrunde war er gegen Barcelona voll da. Niemand auf der Welt hat auch nur ansatzweise dieses Potenzial aus Speed, Explosivität, Dribblingfähigkeiten, Flankenstärke und ja, defensiver Klasse.
Lucas Hernández ist durch. Wenn PSG diesem verletzungsanfälligen Spieler so viel Geld bietet, kann man ihm die Wechselabsichten auch nicht vorwerfen. Bei Pavard bin ich nach dieser Rückrunde tatsächlich wieder dafür mit ihm zu verlängern, da er allerdings selber nicht möchte, sollte auch hier der Schlussstrich gezogen werden. Sommer war nur ein 6-Monats-Mann. Seine Leistungen waren nicht gut genug, als das er in ein Duell mit Manuel Neuer gehen könnte. Danke für die Leistung, Deutscher Meister, aber für alle wäre eine Trennung besser. Leroy Sané sollte nicht so kritisch gesehen werden, wie Serge Gnabry. Dieses eine Jahr wird er noch bekommen, kommt allerdings von ihm nicht dieser Entwicklungsschritt, den man bei Coman die letzten Jahre sah, dürfte dies sein letztes Jahr gewesen sein.
Ryan Gravenberch nervt denke ich alle im Verein mit seinen ständigen Interviews. Ich denke seine Person wird noch am Ende des Fensters relevant. Bislang haben zwei Bayern-Trainer ihm kaum Vertrauen geschenkt. Er gilt als großes Talent, nur ist mir nicht ganz klar weshalb. Positiv ausgedrückt besitzt er die Bewegungen eines 00er-Jahre-Spielmachers. Leider allerdings auch deren defensive Unfähigkeit. Im modernen Fußball reicht das nicht für das Mittelfeld. Meine Prophezeiung ist ja, dass er den Verein verlassen wird und man ihn irgendwann in 10 Jahren in Bildergalerien sieht und sich erinnern wird: “Stimmt, der galt ja mal als Riesentalent!”
Maurice: Ich hoffe doch innigst, dass der FC Bayern weder bei Sané noch bei Davies die Reißleine zieht. In einer insgesamt durchwachsenen Saison war Sané für längere Phasen der gefährlichste Flügelstürmer. Leider fiel seine Form im Frühjahr rapide ab, weshalb er – ohne den Welpenschutz eines Musiala – zum Scapegoat für das schwache Halbjahr der Bayern wurde. Bei Davies sieht die Lage ähnlich aus. Der Kanadier hat in den letzten Jahren seine stellare Entwicklung aus der Triple-Zeit nicht fortführen können. Das zu erwarten, wäre aber auch übertrieben. Nach vielen kleineren Verletzungen hatte Davies Probleme in Form zu kommen und wirkte oft unkonzentriert. At his best ist der kanadische Nationalheld aber dennoch eine absolute Waffe im Münchner Spiel, sowohl als offensiver Gestalter als auch als defensiver Notanker.
Kategorie Mondpreise
Mit Kim Min-jae, Kyle Walker, Dusan Vlahovic, Randal Kolo Muani, Victor Osimhen, Harry Kane, Niclas Füllkrug und weiteren Namen platzt die Gerüchteküche aus allen Nähten. Welcher Transfer würde Sinn ergeben und welcher ist auch realistisch?
Maurice: Dem FC Bayern fehlen ein Stürmer von Weltformat und ein Ankersechser. Die Gerüchteküche im Bereich der Schaltzentrale ist mittlerweile etwas ruhiger geworden, daher fällt meine Wahl auf Harry Kane. Der Engländer käme als einer der Top-5 Stürmer Europas nach München und steht für all jene Qualitäten, die den Bayern seit dem Abgang von Lewandowski fehlen. Als klassisches Strafraummonster traf Kane seit 2015 in neun Premier-League-Jahren in Folge mindestens 15-mal, davon in sechs Jahren sogar mindestens 20-fach. In den Jahren 2021 und 2022 zeigte er auch seine Qualitäten als Vorbereiter mit 14 bzw. 9 Assists. Der 29-Jährige würde zudem die Lücke als Elfmeterschütze schließen. Natürlich ist der Transfer eines Fast-30ers nie ganz ohne Risiko, doch gerade Lewandowski und Benzema zeigten zuletzt, dass klassische Neuner auch im hohen Alter noch eine erhebliche Anzahl Tore schießen können.
Daniel: Ich war monatelang kritisch gegenüber eines Transfers Harry Kanes. Pünktlich zum heißer werden dieses Gerüchts, bin ich allerdings herumgekommen. Ich sehe einfach keine Alternativen. Vlahović ist in meinen Augen einfach zu schlecht, er ist für mich ziemlich genau eine Art jüngerer Edin Džeko – nur allerdings in allen Bereichen schwächer als der Bosnier in seiner Blütephase. Bei Victor Osimhen habe ich ähnliche Bedenken. Grundsätzlich halte ich ihn für qualitativ stärker, aber er ist eben auch sehr viel teurer. Für 80 Millionen könnte man es mal versuchen (eigentlich unglaublich dieser Satz), aber für 120-150? Nein, da darf es keine Zweifel geben.
Zweifel, wie sie der Verein sicherlich bei Gonçalo Ramos hat. Der gefiel mir zwar immer, aber mein 5-Spiele-Scouting reicht auch nicht aus für ein ausreichend aussagekräftiges Urteil.
Kolo Muani ist leider kein Mittelstürmer. Bislang war er ein spielstarker Halbstürmer. Vielleicht klappt es perfekt, wenn man ihn auf die Neun packt. Vielleicht geht es aber auch in die Hose und man spielt erneut eine Saison unter dem Motto: Ohne Choupo-Moting geht nichts. Zu riskant.
Zu Füllkrug habe ich den hot-take: Wenn er will, kann man ihn ruhig holen. Beim DFB funktioniert er irritierend gut, neben dem Knipsen, schirmt er erstaunlich gut Bälle ab. Wenn er auf einen Stammplatz verzichten mag, kann das ein überraschend guter Transfer sein.
Somit sind wir wieder bei Kane. Ja, er ist nicht die nachhaltige Lösung, aber ehe ich viel Geld in Halbgares (Vlahović) oder in Wetten (Kolo Muani) setze, kann man das gleiche Geld auch sicher anlegen und hätte Ruhe für die nächsten 3 Jahre.
Beim Thema Sechser hat man das Pech, dass der Markt gerade jetzt völlig ausgetrocknet ist. Möglicherweise holt man neben Laimer noch jemanden für diese Position, doch am Ende wird man beim FC Bayern beten, dass Leon Goretzka seine Herbst-Form wiederfindet.
Bezüglich der neuen Innenverteidigung habe ich ein wenig Bauchschmerzen. Mit Kim scheint ein neuer passstarker Innenverteidiger seinen Weg nach München zu finden. Toll, aber er ist eben auch alles andere als schnell. Ich werde das Gefühl nicht los, hier einen neuen Benatia vor mir zu haben.
TK-Frage
Durch die Demission von Kahn und Salihamidzic musste die Transferkommission kurzfristig neu besetzt werden. Welchen Eindruck hinterlassen die aktuellen Entwicklungen?
Maurice: Die kurzfristige Transferkommission ist auf jeden Fall spürbar – alleine anhand der Anzahl von kursierenden Namen. Teilweise sind diese klar dem Hoeneß-FC-Deutschland-Lager zuzuordnen, teilweise kommen sie aus dem Rummenigg’schen-EM/WM-Scouting-Department und teilweise schwingt Tuchels persönliche Historie und Präferenz durch. Ein roter Faden fehlt jedenfalls vollends. Sicherlich einer der ganz großen Löcher, vor denen man ohne Sportvorstand oder Sportdirektor steht. Diese Lücke versucht natürlich jeder der Beteiligten möglichst für sich zu füllen. Georg hat bereits letztens im Blog erwähnt, dass ein Trainer automatisch kurzfristiger denkt, was auch Tuchels Affinität für gealterte Premier-League-Spieler erklärt. Gerade Hoeneß und Rummenigge werden sich spätestens im nächsten Frühjahr an ihren Transfers diesen Sommers messen lassen müssen.
Daniel: Viele Jahre lang hat man Top-Trainern Top-Wunschspieler vorenthalten. Wie sehr wünscht man sich doch, hätte Pep seinen De Bruyne bekommen. Jetzt hat ein Trainer endlich das Sagen und man merkt, dass die frühere Dynamik doch seine Richtigkeit hatte. Georg erläuterte, wieso Tuchel Spieler wie Kyle Walker oder Azpilicueta möchte, der Verein wäre bestens beraten, diese Wünsche konsequent abzutun und gleichzeitig Lehren zu ziehen, wie sehr man einen starken Sportdirektor braucht.
Georg: Daniel bezieht sich auf einen Tweet von mir. Trainer haben andere Anreize als Vereine. Trainern geht es verständlicherweise um sehr kurzfristige Erfolge und Planbarkeit. Deshalb kaufen Trainer gerne erfahrene, ihnen bekannte Spieler ein. Als Verein ist das aber der falsche Weg für eine nachhaltige Kaderphilosophie. Der FC Bayern könnte – noch ist das meiste Konjunktiv – in diesem Sommer einige strategische Transferfehler machen.
Apropos Fehler. Die eigentlich wichtigste Aufgabe für die Transferkommission bzw. Interimssportdirektion läuft ohnehin im Hintergrund. 2025 laufen die Verträge von Joshua Kimmich und Alphonso Davies aus. Mit beiden müsste jetzt verlängert werden, um Notverkäufe und schlechte Verhandlungspositionen im nächsten Sommer zu verhindern.