Der FC Bayern München bei der WM, Teil II

Daniel Trenner 27.12.2022

Deutschland

Ach, Fußball-Deutschland, was soll man nur mit dir machen? Da absolviert man eigentlich zweieinhalb gute Spiele und ist dann doch wieder in der Gruppenphase raus. Im Nachgang gab es ein befremdliches Zerreden des Costa-Rica-Spiels, dabei war die zweite Halbzeit doch die Definition eines Freak-Spiels. Mit der japanischen Führung im Parallelspiel sah man etwas, was es so nur ganz selten im Fußball gibt: Eine Mannschaft voller Weltklasse-Athleten war nicht mehr des eigenen Glückes Schmied.

Als das Team sehr schnell auf Costa Ricas Führung antwortete, war somit wahrscheinlich gar ein Fehler. Spaniens Luis Enrique gab an, gar nicht bemerkt zu haben, dass man zwischenzeitlich ganz raus war. Wäre das mittelamerikanische Land länger in Führung geblieben, hätten die Spanier vielleicht doch den letzten Schalter umgedreht.

Doch all diese Gedankenspiele interessierte die deutsche Fußball-Prominenz nicht. Hitzlsperger, Schweinsteiger und Lahm verwendeten das Wort “Wille” zwar nicht, doch meinten sie alle genau das: Es lag mal wieder an der fehlenden Mentalität. Als hätte es die diskursive Evolution im Fußball der letzten 20 Jahre nie gegeben.

Doch lag es nicht am fehlenden Willen, hätte Spanien noch ein Tor geschossen, man wäre voll des Lobes über die “Willensleistung” drei Tore innerhalb von 15 Minuten geschossen zu haben.

Leon Goretzka – Eine Frage des Willens

Und manchmal gibt es auch zu viel Willen! Nach dem 1:2 Japans wollte man unbedingt den Ausgleich erzwingen, rannte wütend nach vorne und erspielte sich nichts brauchbares mehr. Dabei hatte man noch zehn gute Minuten, um den Gegner mit kühlem Kopf zu bespielen. Leon Goretzka war hier eine Schlüsselfigur für die deutschen Probleme. Ohne jede Not begab er sich nach vorne, war fortan Mittelstürmer, da Japan Deutschland jedoch nicht den Gefallen tat, sich zurückzuziehen, konnten Kimmich und die Abwehr kein anständiges Spiel mehr aufziehen, sie waren im Aufbau auf einmal schlichtweg ohne Not in Unterzahl. Goretzka stabilisierte sich wenigstens noch mit einer wahren Weltklasse-Leistung gegen Spanien.

Joshua Kimmich – Das Gesicht des Scheiterns

Joshua Kimmich war im Nachgang das Gesicht des deutschen Scheiterns, machte er seine Furcht “in ein Loch” zufallen, doch publik. Leider war Kimmich tatsächlich symbolhaft für die deutsche Leistung bei diesem Turnier. In den guten Phasen -den ersten 60 Minuten gegen Japan und der kompletten Partie gegen Spanien- war er der gewünschte Dominator im Mittelfeld. Doch in den letzten 30 Minuten im Eröffnungsspiel ging er mit unter. Er konnte sein Team nicht mehr zur Ruhe bringen, das Spiel nicht mehr aufziehen. Ähnliches gilt für die Chaos-Minuten gegen Costa Rica.

Manuel Neuer – Vom Pech verfolgt

Zum dritten Mal in Folge erlebte Manuel Neuer ein glückloses Turnier, indem er sein Team keine Punkte retten konnte. Diesmal zeigte er wenigstens zwei Weltklasse-Paraden gegen Japan und Costa Rica, doch am Ergebnis änderte es nichts. Gegen beide Teams fielen Gegentore unter seiner Teilhabe.

Sollte Neuer nun nicht doch Marc-André ter Stegen den Vorzug geben mit einem Rücktritt? Nunja, rein sportlich ist die Analyse: Man ist erneut nicht wegen des Torhüters rausgeflogen. Ter Stegen ist zwar weiterhin ein Keeper von Weltklasse, doch in Deutschland geht ein wenig unter, dass er nicht mehr ganz so stark hält, wie er es zwischen 2017 und 2019 noch tat.

Die Gründe, die Torhüter auszutauschen, liegen eher in weichen Faktoren. Neuer ist Kapitän, Weltmeister, Führungsspieler. Gute Argumente finden sich also leicht, tabula rasa zu machen.

Wie dem auch sei, durch Neuers Verletzung beim Skitourengehen muss er zunächst wortwörtlich wieder auf die Beine kommen. Dass Hansi Flick jedoch wirklich Manuel Neuer absägt, scheint wenig vorstellbar.

Thomas Müller – Falsch aufgerieben

Thomas Müller spielte mit Ball am Fuß eine absolut wirkungsfreie Weltmeisterschaft. Kaum etwas gelang ihm. Gegen den Ball jedoch war er Flicks wichtigster Spieler. Da Flick in den Monaten vor der WM kein Team einspielen vermochte, musste nun Müller das deutsche Pressing dirigieren. Dies war dann auch der Grund, weshalb Flick ihn trotz dessen Verletzung in die Mannschaft nahm und nie fallen ließ.

Zum ganzen Bild gehört jedoch auch, dass Hansi Flick Müller gegen Spanien und Costa Rica als Mittelstürmer auflaufen ließ und so gut er dies vor zehn Jahre auch konnte, im Jahr 2022 ist Thomas Müller schlichtweg einfach keine Neun. Medienberichten soll nun ja sogar sein Vereinstrainer diesen Versuch wagen. Sollte das zutreffen, wird auch Julian Nagelsmann diese Lektion lernen.

Thomas Müller war direkt nach dem Spiel gegen Costa Rica bereits halb zurückgetreten, sich nun jedoch immer noch nicht erklärt. Im Gegensatz zum zweiten Rücktrittskandidaten Gündoğan, hat Müller den Vorteil als Offensivspieler auch über eine klassische Joker-Rolle kommen zu können. Ähnlich wie bei Manuel Neuer, sind es eher unsportliche Faktoren, wie die Hierarchie, die den DFB dazu drängen könnte, nun Schluss zu machen. Alternativ wäre bei Thomas Müller eine Rolle ähnlich der Mehmet Scholls zu seinem Ende beim FC Bayern in 17 Monaten denkbar.

Lerge Sanbry – Doppelte Inkonstanz

Serge Gnabry und Leroy Sané konnten nur selektiv glänzen. Gnabry konnte seine wiedergefundene Kaltschnäuzigkeit aus dem Verein vor dem Tor nicht in den ersten Spielen reproduzieren, schoss wenigstens gegen Costa Rica sein WM-Tor. Sané war gegen Spanien der wahre Gamechanger, keiner konnte ihn fassen. Zwei Großchancen bereitete er vor, eine führte zum Ausgleich. Doch im dritten Spiel blieb wiederum er blass.

Jamal Musiala – Der Lichtbringer

Jamal Musiala. Ach, Jamal Musiala. Er hätte wahrlich besseres verdient. 19 erfolgreiche Dribblings absolvierte er in den drei Spielen. Neun-zehn! Das sind mehr als Messis 15, geschlagen nur von Mbappés 25 und die beiden Spieler hatten vier Spiele mehr!

Musiala beim Zauber im Duell mit den anderen überragenden Talenten seiner Altersklasse.
Foto: Nicolas Tucat/AFP via Getty Images)

Musiala wuselte und zauberte sich durch die drei Spiele, gegen Japan und Costa kreierte er aus dem Stand Chancen für sich selbst. Nur müssen die am Ende auch rein, die Kaltesblüte aus dem Verein – man erinnere sich an die zahlreichen 1:0s – versandete. Einige wirklich gehaltvollen Diskutanten verleitete dies zur bestechenden Diagnose, Musiala fehle es am Endprodukt. Nur ein Schönspieler sei er. Eine wunderbare Analyse, offenbart sie doch plastisch, wieso das große Fußballland Deutschland auf kaum fünf gute Spieler in seiner Geschichte kommt, die Spieler aussteigen lassen konnten. Jamal Musiala ist ja ein ausgebildetes englisches Talent und betrachtet man hier den Diskurs und die deutsche Schule der letzten Jahre, kann man immer wieder nur dankbar für seinen Weg auf die Insel sein.

Die Außenseiter

Choupo – Einsam talentiert

Noch zwei weitere Spieler, beide mit relativ bescheidenen Achtelfinal-Chancen, schickten die Bayern in die Wüste. Beide kommen mit einem unklaren Zeugnis nach Hause. Eric Maxim Choupo-Moting schoss vor dem Turnier bekanntlich alles kreuz und quer. Bei seiner Nationalmannschaft, muss er jedoch mit dem mangelnden Talent seiner Mitspieler kämpfen. Die Qualität in der Breite, ist im Vergleich zu etwa Sadio Manés Senegal bei Kamerun einfach nicht gegeben. Außer dem Torjäger ist einzig André Onana von hohem internationalen Niveau – und der wurde prompt nach dem ersten Spiel aussortiert, weil er gefälligst den langen Hafer prügeln sollte.

Ein Tor gelang “Tschuppo” aber trotz allem, er konnte zum 3:3-Endstand beim Duell der Verlierer im zweiten Spiel einschieben. Am Ende muss man vielleicht konsternieren, dass gegen starke Brasilianer und aufregenden Generationen von Schweizern und Serben einfach nicht viel mehr drin war.

Alphonso Davies – Starboy

Alphonso Davies hat bei Kanada ja schon so gut wie alles gespielt. Vor dem Turnier war er oft eine Art Zehner, doch pünktlich zur WM, wurde es um Kanada rationaler. Davies war nun auch dort Wing-Back und Außenstürmer. Als solcher half er zentral mit, Kanada als sehr erfreuliches, aber auch furchtbar blauäugiges Team zu zeigen. Die Nordamerikaner versuchten es mit der Hansi-Flick-Schule und suchten ihr Heil in der Offensive. Dies brachte ihnen viele Fans, doch waren sie auch der Beweis, wieso das Thema Risikovermeidung im internationalen Fußball so elementar ist. In einem Format, in dem jedes Gegentor das Aus bedeuten kann, sahen die Kanadier diesen unsympathischen Ungestüm ins Auge – und lachten.

Davies war stets im Fokus und die Kanadier vermochten es gut, ihn einzubinden. Natürlich war er auch der einzige kanadische Torschütze bei dieser und jeder anderen WM. Viele in Deutschland schrieben Davies einen mentalen Knacks wegen seines verschossenen Elfmeters zu, doch schien er dies bereits im zweiten Spiel gegen Kroatien hinter sich gelassen zu haben – inklusive eines wahrlich herrlichen Kopfball-Tores. 

Die Kanadier schienen das frühe Aus recht locker zu nehmen, womöglich wollten sie mit frischem Fußball auch einfach nur Werbung für den Sport in der Heimat machen und so gleich Erfahrung für die Heimspiele in vier Jahren sammeln. 

Die Bayern bei der WM – So schlimm war’s nicht

Oft wurde in den letzten Tagen geschrieben, wie katastrophal die WM 2022 für den FC Bayern war. Die Verletzung Lucas Hernández‘ und wenn man möchte Manuel Neuers und Sadio Manés war es das natürlich auch, doch auf dem zweiten Blick waren die gezeigten sportlichen Leistungen gar nicht so arg schwach. Die Deutschen zeigten sich verbessert gegenüber den vergangenen Turnieren, scheitern an 30 unnötigen Minuten gegen Japan und die Reservistenrolle de Ligts und Stanišićs war so erwartet worden. Coman zeigte sich am Ende formverbessert und bei den anderen aus der Gruppenphase ausgeschiedenen Spielern, war einfach nicht mehr drin. Das allergrößte Handicap ist am Ende dann doch der Engpass auf der Position des Torhüters.

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