Der FC Bayern München bei der WM, Teil I
Ursprünglich sollte es hier bei Miasanrot, allen Umständen im Vorfeld zum Trotz, zur WM eine begleitende Kolumne geben. Doch dann gingen Katars Unmöglichkeiten auch während der WM weiter und spätestens als Katar stolz die Inquisition auf alles Regenbogenfarbene ansetzte, verging jegliche Lust auf sportliche Berichterstattung.
Nun jedoch ist das Turnier eine Woche vorüber und zwei sportliche Blicke auf die Geschehnisse im Winter-Trainingslager-Land des FC Bayerns möchten wir doch werfen.
Frankreich
Das Beste kommt nicht zum Schluss, wir gehen absteigend des sportlichen Abschneidens durch das Turnier.
Saisonaus für Lucas Hernández
Vier Franzosen schickte der FC Bayern in die Wüste, einer jedoch hielt keine 10 Minuten durch. Beim 1:0 Australiens riss Lucas Hernández sich ohne Kontakt mit einem Gegenspieler das Kreuzband. Die WM und Saison war beendet, fortan ersetzte ihn sein jüngerer Bruder vom AC Mailand. Theo Hernández wird gemeinhin als bester Linksverteidiger der Welt bezeichnet und nicht selten schüttelten Beobachter den Kopf, wieso Didier Deschamps nur dem “falschen” Hernández zu vertrauen beliebte.
Das Turnier offenbarte jedoch eine ziemlich gute Antwort auf diese Frage. Gewiss, Theo war fabelhaft im Angriff gegen unterlegene Gegner. Das Duo Hernández und Mbappé bildete die mit Abstand gefährlichste linke Seite des Turniers. Doch so gut er im Angriff auch war, so sehr war er eine klare Schwachstelle defensiv. Kaum vorstellbar, dass sein Bruder sich im Viertelfinale von Bukayo Saka ähnlich in Grund und Boden spielen lassen würde und einen diletantischeren Elfmeter als sein Foulspiel sah man selten.
Gegen Marokko zückte manch einer nach seinem brillanten Tor bereits die Elogen auf den besten linken Verteidiger des Turniers, doch Hakimi und Ziyechs spielten Katz und Maus mit dem von Mbappé das ganze Turnier über alleine gelassenen Theo. Im Finale war er schließlich Messi und De Paul dermaßen unterlegen, dass sein Trainer lieber den eigentlichen Sechser Camavinga links verteidigen ließ.
Insbesondere wenn Didier Deschamps weiterhin Trainer Frankreichs bleibt, ist Lucas Hernández mit womöglich nur acht gespielten Minuten paradoxerweise einer der Gewinner der WM, zeigte dieses Turnier doch wieso der Trainer hinter Mbappé lieber einen defensiven Mann bevorzugt.
An Dayot Upamecano kam niemand vorbei
Derweil war Lucas’ Kollege und Konkurrent im Verein und Nationalmannschaft, Dayot Upamecano, ohne jeglichem Zweifel der stärkste Bayern-Spieler im Turnier. Im Sommer noch die Enttäuschung der Saison, wurde er für die damaligen Länderspiele gar nicht erst nominiert. Nun, nicht einmal sechs ganze Monate später ist er Stammspieler. Nicht Liverpools Konaté. Oder Arsenals exzellenter Saliba. Einzig das unwichtige dritte Gruppenspiel und grippebedingt das Halbfinale verpasste er. Er ist der erste Stammspieler einer Final-Mannschaft, der im gesamten Turnier nicht ausgedribbelt wurde. Gegen starke Dänen gewann er in der Gruppenphase jeden einzelnen seiner Zweikämpfe. Wäre Frankreich Weltmeister geworden – seine zwei Blocks in der zweiten Spielhälfte des Endspiels wären womöglich noch legendärer geworden.
Freilich hatte auch er seine Schattenseiten. Kane foulte er im Viertelfinale plump, hatte Glück, dass seine indirekte Torvorbereitung zum 1:0 nicht durch Foul aberkannt wurde. Beim 0:2 der Argentinier war er wie die gesamte französische Mannschaft schlecht positioniert und gestaffelt, ging dann zu ungestüm auf Messi, öffnete somit den Raum für dessen zidanesquen Pass.
Doch hatte er es hier eben mit absoluter Weltklasse zu tun und davon, wie man gegen Lionel Messi alt aussieht, kann sein einziger Konkurrent um den inoffiziellen Titel des besten Abwehrspielers des Turniers, Joško Gvardiol, ein ganzes Lied singen.
Benjamin Pavard – Der Aussortierte
Der FC Bayern schickte noch einen dritten französischen Abwehrspieler zur WM, doch Benjamin Pavards Weltmeisterschaft wäre mit desaströs wohl noch milde umschrieben. Wieder einmal als Stammspieler in ein Turnier gegangen, verlor er seinen Posten nach nur einem Spiel. Offenbar war er Deschamps zu offensiv, widersetzte sich seinen Anweisungen. Es folgte eine beispiellose Ausbootung, Pavard spielte keine Sekunde mehr, schien kaum mehr Teil der Mannschaft zu sein. Als einziger Spieler lief er fast demonstrativ bei der Siegerehrung im Finale im Trainingsshirt umher, in französischen Medien folgten in den Tagen vernichtende Exposés.
Ob nun Wahrheit oder Dichtung, gut möglich, dass Pavards Nationalmannschaftskarriere in Katar ihr abruptes Ende gefunden hat. Deschamps wird ihn kaum mehr nominieren, einen ähnlichen Fürsprecher wird er nie wieder finden, kein neuer Trainer wird ihm ähnlich absolut vertrauen, wie Deschamps es die letzten vier Jahre tat. Vor der Saison sah ich Pavard vor einem Jahr der Entscheidung beim FC Bayern und es scheint sich zu bewahrheiten. Beim Verein scheinen die Zeichen wie in der Nationalmannschaft auf Trennung.
Kingsley Coman, der Joker mit Licht und Schatten
Zum Glück nur schickte der Rekordmeister aber nicht nur Abwehrspieler ins französische Camp, auch Kingsley Coman durfte dieses Mal endlich an einer WM teilnehmen. Dessen Weltmeisterschaft indes, ist die wohl am schwierigsten zu greifende. Vor einem halben Jahr konnte Coman sich noch gute Chancen ausrechnen als Stammspieler in Doha aufzulaufen. Doch so sehr wie Deschamps Upamecanos exzellente Hinrunde auffiel, ließ sich Comans schwache nicht verbergen. Er verlor seinen Stammplatz an Barcelonas Ousmane Dembélé, war zunächst erster Offensivjoker. Zu Beginn noch mit Erfolg, seine Ballbehauptung gegen Dänemark bescherte den 2:1-Siegtreffer zum Gruppensieg. Doch seine einzige Chance von Beginn an gegen Tunesien im durchrotierten dritten Gruppenspiel, vergab er kläglich. Fortan schien Deschamps’ Vertrauen in den Bayern-Stürmer geschwächt. Gegen England wartete er bis zur 79. Spielminute, als er endlich Dembélé ersetzen durfte, dabei bettelte der förmlich schon eine halbe Stunde lang völlig wirkungslos um den Wechsel.
Von der Grippewelle erwischt, verpasste er das Halbfinale (wenn auch auf der Bank Platz nehmend) und dort war es auch, als Kolo Muani ihn in der Rangordnung überholt haben schien. Denn als Deschamps im Finale zu seinen Signalwechsel noch vor der Pause ausholte, blieb Coman draußen. Womöglich hatte dies immer noch mit der Krankheitspause zu tun, doch als Coman schließlich doch von der Leine gelassen wurde, war davon nichts mehr zu spüren. War Mbappé auch der Vollstrecker des französischen Aufschwungs, Coman war das verdeckte Gesicht im Schatten.
Weit besser als Muani und Thuram fand er sofort ins Spiel, stellte Argentinien unmittelbar vor Probleme und begann vor dem 2:2 sogar den Frevel, dem großen Lionel Messi einfach den Ball abzuluchsen. Übrigens: Wer Coman noch immer Emotionslosigkeit vorwirft, beachte in dieser Szene dessen Jubel im unteren Bildrand der normalen Stadionkamera.
Auch hier lässt sich das Spiel des Konjunktiv spielen: Hätte Frankreich am Ende den goldenen Pokal verteidigt, Coman wäre so etwas wie ihr Götze geworden. Vor dem Turnier als Stammspieler gehandelt, folgte ein brutal enttäuschendes Turnier, um dann ganz am Ende doch da gewesen zu sein. Wie gut Coman im Finale war, lässt sich auch daraus ablesen, dass er an den Elfmeterpunkt schritt. Etwas, was man noch nie zuvor sah. Bedauerlicherweise parierte Argentiniens Hexenmeister Martínez diesen jedoch, was natürlich sofort Rassisten auf den Plan rief.
Die Knockoutler
Historischer Höhenflug – mit Bauchklatscher – für Noussair Mazraoui
Die Story des Turniers ist natürlich Marokkos Weg ins Halbfinale. Mit rigoroser Defensivtaktik machten sie die erste WM im arabischen Raum zu ihrer WM. Das nordafrikanische Land ist mit zwei exzellenten Rechtsverteidigern gesegnet, wie man beide auf das Feld bekäme, war vor dem Turnier also eine bestimmende Frage. Eine Option wäre es, den offensiveren und gleichsam defensiv anfälligeren Achraf Hakimi als Offensivspieler aufzustellen um so zusammen mit Noussair Mazraoui ein furchteinflößendes Tandem zu bilden. Doch Trainer Regragui hatte andere Pläne. Er teilte die beiden auf, Mazraoui sollte den Linksverteidiger mimen.
Ähnlich wie Lucas Hernández bei Frankreich verletzte sich Mazraoui im ersten Spiel, ihn kostete es jedoch nicht die Saison. Das ganze Turnier beeinträchtigt blieb er dennoch, obwohl der eigentliche Sturz auf den Bauch gar nicht so schlimm aussah.
In der Gruppenphase noch war er ein echter dynamischer Motor nach vorne, über ihn liefen teilweise mehr Angriffe als über Hakimi, sogar in Abschlusspositionen gelang er des öfteren. Mit dem Wechsel in den K.O.-Modus jedoch, rührte Marokko endgültig Beton an und Mazraoui fügte sich. Die Viertelfinal-Gala gegen Portugal verpasste er mit seinen Becken-Problemen, gegen Spanien allerdings glänzte er mit wahrem Kämpferherz, ließ gegen Ferran Torres gar nichts zu.
Noussair Mazraoui hat seine zunehmend besser werdende Form beim Verein auch in die Nationalmannschaft transferiert und sich im Gegenzug dort auch als Linksverteidiger für den Club empfohlen. Gerade mit Pavards zunehmenden Problemen und Hernández’ Verletzung, steht er vor einer Rückrunde als Stammspieler.
Josip Stanišić, über Social Media zu Bronze
Josip Stanišić hatte die zweifelhafte Ehre vier Wochen lang in jedem Social-Media-Post des FC Bayerns als Gesicht der kroatischen Nationalmannschaft zu fungieren, ohne jedoch selbst auch nur eine Sekunde spielen zu dürfen. In der Nations League bekam Stanišić noch erhebliche Spielanteile, deckte einmal sogar Mbappé fast vollständig aus dem Spiel, seine Rolle nun war also ein Rückschritt. Sie war jedoch durchaus logisch nach einer Hinrunde, in der er ebenfalls kaum Spielzeit bekam. Zu seinem Glück durfte er am Ende im Spiel um Platz 3 doch noch ran.
Keine Gladiolen für Matthijs de Ligt
In der holländischen Nationalmannschaft wurde Matthijs de Ligt Opfer des Louis van Gaal. Jeder andere Trainer hätte eine Mannschaft um seine Weltklasse-Innenverteidiger van Dijk und de Ligt gebaut, doch van Gaal steht einfach nicht auf de Ligt. Das ist in den Niederlanden ein offenes Geheimnis, de Ligt bestätigte es während der WM sogar selbst. Sein Startelf-Einsatz im ersten Spiel kam selbst für ihn überraschend, doch de Ligt konnte leider keine Werbung für sich machen. Der Senegal traf zwar nicht, trotzdem sah de Ligt in mehreren Szenen schwach aus, fortan spielte Aké.
Louis van Gaal verabschiedete sich mit Beton
Dass sich Louis van Gaal während der WM zu einem echten Publikumsliebling avancierte, täuschte über seinen absolut unansehnlichen Fußball hinweg. Es ist schon verrückt: Beim FC Bayern stand er noch für bedingungslosen Offensivfußball, ließ kompromisslos nach vorne spielen, selbst als es ihnen das Genick brach. Die Bayern-Verantwortlichen bettelten ihn zur Rückrunde 2011 regelrecht an, konservativer spielen zu lassen, doch van Gaal blieb dickköpfig.
Obwohl er sich in seinen späteren medialen Auftritten unbelehrbar gab, veränderte die Zeit beim FC Bayern ihn offenbar doch. Als er bei der WM 2014 noch destruktiven Kampffußball zeigte, war dies zwar kontra van Gaals bisherigem Mantra, doch in Anbetracht des kaders durchaus logisch und sehr wohl begründbar. Sein Team bestand aus kaum mehr als Arjen Robben auf dem Gipfel seines Schaffens und einem Haufen Altstars über ihrem Zenit.
Bei Manchester United konnte er den aufregenden Fußball seiner Bayern-Jahre nicht replizieren. Bis heute verbinden United-Fans den Namen van Gaal mit biederen, langweiligen Schachbrett-Fußball, bar jeglichen Bisses.
Zugegeben, diesem niederländischen Team stand in der Offensive kein Arjen Robben zur Verfügung. Von den jungen Sneijder oder van Persie ganz zu schweigen. Doch van Gaals Aussage, das 2022er Team sei insgesamt stärker als seine 2014er-Halbfinal-Mannschaft, ist durchaus zutreffend. Mit dieser Innenverteidigung, de Jong, Bergwijn, Depay und Gakpo, muss man nicht knallharten Ergebnis-Fußball spielen.Doch van Gaal ist mittlerweile Papst der Defensive, nicht des offensiven Ballbesitzes und so feierte er sich für den neuentdeckten – manche mochten sagen deutschen Pragmatismus. Bloß war es das wirklich wert? Man schaffte es bloß, die mit Abstand schwächste WM-Gruppe zu gewinnen und ein blutjunges US-Team auszukontern. Gegen Argentinien sah man 75 Minuten lang kein Land, und als man dann doch zur Offensive gezwungen wurde und die argentinische Schwäche in der Luft identifizierte, verschanzte man sich völlig ohne Not in der Verlängerung wieder, kassierte im Elfmeterschießen dann die berechtigte Quittung. Das ist nicht mehr der Louis van Gaal des FC Bayerns. Diesen Van-Gaal-Fußball braucht keiner.