FC Bayern – Miasanrot-Adventskalender, Nummer 23: Owen Hargreaves
Von null auf Champions League
„Ils sont les meilleurs – sie sind die Besten – these are the champions“, hallt die Hymne aus den Lautsprechern im Olympiastadion. Halbfinalrückspiel in der Champions League. Der FC Bayern empfängt den Titelverteidiger. Die Kamera passiert die Gesichter von Elber, Roberto Carlos, Lizarazu, Figo, Raúl, Kahn und Hierro. Aus den Gesichtern spricht die Erfahrung zahlloser Schlachten.
Einer, der gemacht ist für solche Momente, fehlt: Kapitän Stefan Effenberg verpasst das Spiel gelbgesperrt. Und so schwenkt die Kamera zum Gesicht eines schüchtern wirkenden 20-Jährigen Lockenkopfs, der den „Cheffe“ vertritt. Fünf Wochen zuvor hatte Owen Hargreaves noch an der Grünwalder Straße gegen die Sportfreunde aus Siegen gespielt.
Spätberufener Frühstarter
Geboren und aufgewachsen in Kanada verbrachte Hargreaves seine Jugend klassisch nordamerikanisch: Eishockey, American Football und Basketball waren seine Sportarten. „Michael Jordan war mein Held. Deshalb trug ich die Nummer 23 bei Bayern München“, erklärte Hargreaves die Wahl seiner Rückennummer im Interview mit der BBC.
Erst als Teenager trat er in die Fußstapfen seines Vaters, der einst als Engländer in der Canadian Soccer League aktiv war, und schloss sich den Calgary Foothills an. Von dort wechselte er als 16-jähriger zur U19 des FC Bayern.
Im August 2000 debütierte er im Alter von 19 Jahren für die Profis, verbrachte den Großteil der Saison aber noch bei den Amateuren in der Regionalliga.
In der Champions League hatte er in der ersten und zweiten Gruppenphase und im Viertelfinale insgesamt acht Minuten geschnuppert, bevor Ottmar Hitzfeld ihn an jenem Mittwochabend im Mai 2001 für die Startelf gegen Real Madrid nominierte. Nun also Claude Makélélé und Luís Figo statt Martin Willmann und Artur Platek von den Sportfreunden.
Der Rest ist Geschichte. Durch Tore von Giovane Elber und Jens Jeremies siegte der FC Bayern 2:1 und zog ins Finale gegen den FC Valencia ein. Dort lief Hargreaves an der Seite von Effenberg auf und half dabei, die so lange ersehnte Königstrophäe des Vereinsfußballs wieder nach München zu holen und das Trauma von 1999 zu überwinden.
Hargreaves als Techniker und Freistoßkünstler
Hargreaves’ natürliches Habitat war im zentralen, defensiven Mittelfeld. Er verkörperte den fleißigen, laufstarken Arbeiter, der auch mal rustikal zu Werke ging. Aber Hargreaves war mehr als das. Der Anglokanadier konnte auch mit feiner Technik begeistern.
Jahre später prägte Jürgen Klinsmann an der Säbener Straße die Vision, seine Spieler “jeden Tag besser machen zu wollen”. Hätte er seinen Spielern ein Video dazu gezeigt, Owen Hargreaves wäre die Idealbesetzung für eine Hauptrolle. Man konnte Hargreaves förmlich dabei zusehen, wie er von Saison zu Saison besser wurde. Seine Entwicklung ging so weit, dass er trotz Mitspielern wie Ballack, Deisler oder Zé Roberto immer öfter auch Freistöße schießen durfte – und regelmäßig direkt verwandelte.
Auch in der englischen Nationalmannschaft schaffte er es, trotz namhafter Konkurrenz von Carrick, Lampard und Gerrard, eine Rolle zu erobern und Teil dieser unvollendeten Generation zu werden. Obwohl er jeweils verwandelte, schieden die Three Lions bei der Europameisterschaft 2004 und bei der Weltmeisterschaft 2006 jeweils im Elfmeterschießen gegen Portugal aus.
Zu frühes Karriereende zwischen vielen Welten
Die Kanadier und Waliser waren sauer auf ihn, weil er nicht für ihr Nationalteam auflief. Bei den englischen Fans und Experten wiederum hatte er einen schweren Stand, weil sein Akzent und Auftreten zu kanadisch und zu deutsch waren. Umso höher ist es einzuschätzen, dass er 2006 im Alter von 25 Jahren von der FA zu Englands Fußballer des Jahres gewählt wurde.
Nachdem er wegen eines Beinbruchs große Teile der Saison 2006/07 verpasst hatte, wechselte er im Sommer 2007 zu Manchester United. Er vollbrachte damit ein Kunststück, das in den letzten 30 Jahren nur wenigen Bayernspielern gelang: Er verließ den FC Bayern zum für den Verein perfekten Zeitpunkt für einen guten Preis. Die 25 Millionen Euro, die Manchester United bezahlte, bedeuteten einen neuen Rekorderlös für den FC Bayern. Vorher lag der Bestwert bei acht Millionen, die Barcelona für Patrick Anderson bezahlte.
Im ersten Jahr schien sich der Wechsel für Hargreaves und United auszuzahlen. Hargreaves übernahm bei United eine wichtige Rolle – und traf trotz Ronaldo zweimal per Freistoß. Die Saison endete für das Team von Alex Ferguson mit dem Gewinn des Doubles aus Premier League und Champions League. Im Finale gegen Chelsea traf Hargreaves wieder einmal im Elfmeterschießen.
Hargreaves ahnte nicht, dass das Champions-League-Finale eines seiner letzten Highlights sein würde. Die nächsten Jahre verbrachte er meist in der Reha und auf Krücken. In drei weiteren Jahren bei Manchester United kamen nur fünf Einsätze dazu. Seine letzte Saison verbrachte er bei Manchester City, wo es noch zu drei Einsätzen reichte, bevor er 2012 seine Karriere offiziell beendete.
Und so mag die Karriere des Anglokanadieres zu früh zu Ende gegangen sein, in gewisser Weise vollendet war sie dennoch. Nicht zuletzt sollte Hargreaves ein Vorbote für weitere erfolgreiche Spieler und Spielerinnen mit kanadischen oder englischen Wurzeln beim FC Bayern sein.