Vorschau: Svensson, denn schon!

Justin Trenner 11.12.2021

Vor ungefähr einem Jahr deutete nahezu alles darauf hin, dass der 1. FSV Mainz 05 den Gang in die zweite Liga antreten wird. Am 12. Dezember 2020 verloren sie das Duell mit dem direkten Konkurrenten aus Köln mit 0:1. Die Tabelle sah damals verheerend aus: Elf Spiele, nur ein Sieg, acht Niederlagen, 12:25 Tore und fünf Punkte. Nur weil Schalke 04 noch einen Zähler weniger sammelte, hielt man sich auf Platz 17 – allerdings mit einem nun angewachsenen Rückstand von fünf Punkten auf Köln, die Platz 15 belegten.

Mainz spielte nicht gut. Es war kein Zufall, dass dieses Team da unten drin stand und es war auch nicht ausschließlich Pech. Letztendlich schien es so, als hätte man in den vergangenen Jahren seine fußballerische Identität verloren. Der Tempofußball, das mitunter druckvolle Pressing, das direkte Spiel in die Spitze – davon war nur noch wenig zu sehen.

Im Winter reagierte der Klub. Sowohl die sportliche Führung als auch der Trainer wurden ausgetauscht. Christian Heidel, Martin Schmidt und Bo Svensson hießen die neuen Lenker und Denker des Klubs. Und was folgte, war sensationell. Am Ende der Saison standen die Mainzer auf Platz 12 – sechs Punkte vor dem Relegationsplatz, den eben jene Kölner belegten, gegen die man im Dezember 2020 noch verlor. In der Rückrundentabelle standen sie gar auf Platz 5.

Mainz 05: Wieder mit alten Stärken

Svensson, Heidel und Schmidt haben es geschafft, innerhalb eines Jahres fast alles auf den Kopf zu stellen. Das betrifft die Rückkehr der fußballerischen Identität, aber auch das Schaffen einer besonderen Kultur innerhalb des Klubs. In Mainz weiß man zwar, dass der aktuelle siebte Platz nicht dem Etat und auch nicht der individuellen Qualität des Kaders entspricht, doch warum sollte man diesen nahezu unglaublichen Lauf des Kalenderjahres nicht noch etwas strecken können?

In Mainz ist man nicht mehr zufrieden, wenn das Team an einem schlechten Tag noch einen Punkt gegen formstarke Kölner erringt. Es wurde ein Anspruchsdenken entwickelt, das irgendwo zwischen Realismus und angemessener Träumerei liegt. Eines, an dem sich der Klub kontinuierlich hochzuziehen scheint.

Vor allem aber ist Ruhe eingekehrt. Auch das war immer ein Merkmal in den erfolgreichen Zeiten des FSV. Über Mainz spricht kaum noch jemand – was einerseits ein Ungleichgewicht in der Medienlandschaft offenbart, andererseits aber auch gut für sie zu sein scheint.

Intensität, Druck und taktische Cleverness

Mainz kommt über eine hohe Intensität, weiß diese aber auch taktisch richtig zu kanalisieren. 41-mal setzen die Nullfünfer ihre Gegner pro Spiel im Angriffsdrittel unter Druck (Platz 2 in der Bundesliga), 75,5-mal im Mittelfelddrittel (Platz 4) und nur 49,6-mal im Defensivdrittel. Angesichts der geringen Ballbesitzquote von rund 44 % ist der hohe Gesamtwert an „Pressures“, also Drucksituationen nicht verwunderlich. Dennoch unterstreichen die Werte, dass Mainz möglichst hoch die Bälle gewinnen will.

Ein gefundenes Fressen also für die Bayern, weil endlich mal Räume im Defensivbereich entstehen? Wenn sie das Pressing der Mainzer gut auflösen, dann ja. Aber ganz so einfach ist das nicht.

Strukturell stellte Svensson bisher in jedem Saisonspiel eine Dreier- beziehungsweise Fünferkette auf – die Staffelung davor variierte je nach Gegner. Prinzipiell ist aber zu erkennen, dass Mainz seine Gegner über ein kompaktes Mittelfeldzentrum auf die Flügel lenkt, um dort dann die Räume stark zu verknappen. Nur wenige Bundesligisten machen das so effizient, druckvoll und sauber wie die Mainzer: 14,6 Interceptions pro Spiel sind der Bestwert in der Bundesliga.

Schwachstelle Alphonso Davies?

Durch die vielen Spieler in Ballnähe gewinnen die Mainzer nicht nur viele Bälle, sondern sie schaffen es dann auch, sich mit wenigen Kontakten hinter die Kette des Gegners zu kombinieren, wo vor allem Angreifer Jonathan Burkardt mit Tempo und Abschlussstärke glänzt. Gerade auf der eigenen rechten Seite ist das Team von Bo Svensson stark aufgestellt – sowohl gegen als auch mit dem Ball. Hier sticht Silvan Widmer mit guter Positionierung, guten Tiefenläufen und Ballgewinnen hervor.

Aber auch im Zentrum ist der FSV stark aufgestellt. Zuletzt Stach hier Anton besonders heraus, aber auch die anderen Positionen im Mittelfeld sind physisch und technisch ordentlich bis gut besetzt. Stach jedoch bringt ein Komplettpaket mit, das so selbst bei vielen anderen Bundesligisten seinesgleichen sucht.

Angesichts dieses Stärken- und des Schwächenprofils der Bayern ist es absehbar, dass Mainz auch in der Allianz Arena die eigene rechte Seite als Schlüssel zum Punktgewinn ausmachen könnte. Denn hier spielt wahrscheinlich Alphonso Davies, der in Ballbesitz weit aufrückt und so Lücken für Umschaltmomente lässt. Aber auch wenn er den Ball tiefer bekommt, ist er ein durchaus sinnvolles Pressingziel. Zwar kann sich der Kanadier in vielen Situation über Dribblings befreien, dabei geht er aber tendenziell ein hohes Risiko ein, wenn die Passoptionen zugestellt sind. Packt Mainz hier entsprechend zu, können sie ihre Stärken ausspielen.

Bayerns Lösungen gegen Mainz

Bayern wiederum wird sich auf diesen besonderen Druck in Ballnähe einstellen müssen. Gerade aus dem Mittelfeldzentrum kam zuletzt in Ballbesitz wenig Unterstützung. Wenn sie es Mainz nicht schaffen, sofort über das Zentrum zu eröffnen, müssen sie ihren Außenspielern mehr Optionen anbieten als zuletzt gegen den BVB und auch in anderen Partien.

Mainz ist immer dann anfällig, wenn Gegner die ballfernen Räume bespielen können. Entweder über eine Zwischenstation im engen Zentrum, oder über eine direkte Verlagerung. Beispielsweise in der fünften Minute gegen Köln:

Den Kölnern ist es hier gelungen, aus der engen grünen Zone in die ballferne größere grüne Zone zu verlagern, indem sie den ebenfalls eng gestaffelten roten Bereich in den Zwischenräumen gut besetzt haben. Über außen erfolgte zunächst ein Steilpass, der dann klatschen gelassen werden konnte und es dem Passempfänger so ermöglichte, schnell in den rechten Halbraum zu verlagern, wo Köln dann mit Tempo auf die unsortierte Mainzer Hintermannschaft zulief.

Defensivprobleme des FC Bayern

Darüber hinaus wird Mainz die Defensivtauglichkeit des FC Bayern nicht erheblich weniger prüfen als die Dortmunder in der vergangenen Woche. Auch die Münchner haben Probleme damit, die ballferne Seite zu verteidigen, wenn sie keinen Druck auf die ballführenden Spieler bekommen – und das passiert in den vergangenen Wochen ein paar Mal zu oft. Der BVB beispielsweise erzielte beide Treffer im Topspiel über Verlagerungen in ballferne Bereiche. Vor allem das zwischenzeitliche 2:2 durch Erling Haaland deckte dabei die aktuellen Schwächen des Rekordmeisters auf – ab 04:18 hier:

https://youtu.be/ax3noo1AodU?t=259

Dortmund eröffnet über rechts und die Bayern sollten eigentlich sortiert sein. Noch ist die Situation für die Münchner auch nicht problematisch, wenngleich sich hier schon eine gewisse Offenheit im Zentrum bei gleichzeitigen potentiellen Schwierigkeiten in der Innenverteidigung bei einem Durchbruch über die rechte Seite erkennen lässt:

Denn Davies steht links recht hoch und Hernández kann nicht nachschieben, weil Haaland ihn und Upamecano im Zentrum gut bindet und auch Pavard ballfern aktuell zwei Gegenspieler hat. Dass diese strukturellen Probleme hier aber aufgedeckt werden können, liegt an einem Missverständnis zwischen Davies und Sané auf dem Flügel, die beide den Passempfänger der Dortmunder pressen wollen. Dadurch steht Brandt im Halbraum frei und Davies öffnet die Außenbahn für einen Tiefenlauf. Außerdem stehen sowohl Tolisso als auch Goretzka nicht gut. Letzterer müsste spätestens nach der Spieleröffnung etwas tiefer den Sechserraum absichern, während Tolisso hoch keinen Passweg zustellt und auch keinen Gegenspieler presst. Er könnte in tieferer Position den Halbraum mit absichern.

Abstimmungsprobleme, individuelle Fehler und das Verlassen darauf, dass die Hintermannschaft das schon verteidigen wird – das sind die talentfreien Situationen, von denen Nagelsmann immer wieder spricht. Allerdings ist es in diesem Fall aber auch ein strukturelles Problem, wenn zwei Sechser/Achter nicht in der Lage sind, den markierten Raum abzusichern.

Dortmund kombiniert sich auf der rechten Außenbahn durch, bekommt den Ball ins Zentrum geflankt und hat dann auch Glück dabei, dass Upamecano nicht klären kann. Das Gegentor aber nur am Franzosen festzumachen, greift zu kurz. Einerseits wegen der beschriebenen Entstehung des Angriffs, andererseits aber auch, weil die Bayern ballfern in eine Unterzahlsituation gerannt sind. Upamecano ist gleich von drei Dortmundern umgeben, die ihn unter Druck setzen.

Goretzka, Tolisso und Coman hätten alle die Möglichkeit gehabt, mit einem beherzten Sprint nach hinten mindestens eines der strukturellen Probleme aufzulösen. Stattdessen aber erkannten sie zu keinem Zeitpunkt den Ernst der Lage. Auch diese Bereitschaft zum Verteidigen hatte Nagelsmann mehrfach angesprochen.

Mainz wird dafür sorgen, dass es abermals ein intensives Spiel wird. Bis zur Winterpause sind es noch drei Spiele für den FC Bayern. Um die drei Punkte aus dem Topspiel zu veredeln, wird es drei Siege brauchen. Aber eben auch die Bereitschaft und die Einstellung, die insbesondere derart offensiv ausgerichtete Teams wie die Münchner brauchen.



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