2:1-Heimsieg gegen Chelsea: FC Bayern Frauen schreiben Klubgeschichte

Justin Trenner 25.04.2021

Die beiden Halbfinal-Duelle mit dem FC Barcelona (beide mit 0:1 verloren) vor 2 Jahren waren bis zum heutigen Sonntag die einzigen und letzten des FC Bayern in der Champions League. Dementsprechend groß war die Vorfreude bei allen Beteiligten. Chelsea, so viel vorweg für alle, die den internationalen Frauenfußball nicht so intensiv verfolgen, ging mit einer leicht favorisierten Rolle in diese Partie. Eine starke englische Liga dominieren sie aktuell mit 51 Punkten aus 20 Spielen. Spielerinnen wie Pernille Harder oder die Ex-Münchnerin Melanie Leupolz zählen zum Besten, was der Frauenfußball zu bieten hat. Und davon gibt es bei Chelsea noch einige mehr – insbesondere in der Offensive.

Umso gespannter war man natürlich, wie Trainer Jens Scheuer die Partie angehen würde. In den letzten großen Begegnungen mit dem VfL Wolfsburg oder mit Lyon vor einem Jahr gab es immer wieder den leisen Vorwurf, er würde seine Mannschaft zu mutlos und passiv einstellen. Auch diesmal entschied sich der Trainer vor allem für defensive Stabilität und stellte auf eine 5-3-2-Formation um. Die Umsetzung allerdings wusste in einigen Phasen zu imponieren.

Falls Ihr es verpasst habt: Ein Spiel der Phasen

Gerade zu Beginn kommt seine Mannschaft gut rein. Immer wieder schieben die Flügelverteidigerinnen weit heraus, um das Mittelfeldpressing zu verstärken und Chelsea in der zweiten Phase des Spielaufbaus zu stören. Die nominell als Stürmerinnen aufgebotenen Lineth Beerensteyn und Klara Bühl sind dafür zuständig, die Bewegungen der Mittelfeldspielerinnen Chelseas zu verteidigen und mögliche Zuspiele abzufangen. Das machen sie in der Anfangsphase so gut, dass die Engländerinnen oft den Weg über die Außenbahnen wählen, wo Hanna Glas und Carolin Simon meist zur Stelle sind.

Kurz vor dem ersten Tor der Münchnerinnen erreicht diese starke Pressingleistung ihren vorläufigen Höhepunkt. Chelsea sieht sich hinten im eigenen Spielaufbau derart zugeschnürt, dass sie den Ball leichtfertig herschenken. Nach kurzem Hin und Her kombinieren die Münchnerinnen aber clever Hanna Glas auf der rechten Seite frei, die sich durchsetzt und eine scharfe Flanke in den Strafraum schlägt. Dort hatte sich Sydney Lohmann zuvor unbemerkt an den zweiten Pfosten geschlichen. Die Mittelfeldspielerin kommt zwar nur an den Ball, weil Torhüterin Ann-Katrin Berger einen Fehler macht, aber das ist ihr dann auch herzlich egal. Kopfball, Tor. Das erste in einem Champions-League-Halbfinale überhaupt für die FC Bayern Frauen.

In den folgenden fünf Minuten sind nur noch die Münchnerinnen am Drücker. Doch sie machen zu wenig aus ihren Chancen. Stattdessen findet Chelsea langsam Lösungswege, um mit dem Ball auch von den Außenpositionen Wege nach vorn zu kreieren. Gerade auf der eigenen linken Seite findet Außenverteidigerin Jonna Andersson immer wieder diagonale Passwinkel, die zwischen die Linien der Bayern führen. Auch weil sich dort Leupolz, Harder und die nun vermehrt abkippende Samantha Kerr gut freilaufen. Chelsea erarbeitet sich durch kleine Anpassungen in den Laufwegen mehr Ballkontrolle und entkommt so dem Pressing der Bayern zunehmend. Die reagieren darauf, indem sie sich ein paar Meter zurückziehen und die vertikalen Abstände noch kompakter halten.

Ausgleich und zunehmende Dominanz von Chelsea

Wirklich viele Chancen können sich die Engländerinnen nicht erarbeiten. Auch in der Tiefenverteidigung bleiben die Bayern zunächst aktiv und aggressiv, sodass sich kaum Räume ergaben. Gerade beim Aufeinandertreffen mit Lyon in der letzten Saison war eines der Grundprobleme, dass sich die Bayern irgendwann recht passiv hinten reindrücken ließen.

Gegen Chelsea droht zumindest die Gefahr der Passivität erstmal nicht. Trotzdem fehlt den Münchnerinnen jetzt Entlastung nach vorn. Verstärkt wird diese Entwicklung durch ein sehr unglückliches Gegentor. In der 22. Minute wird Leupolz von Martina Hegering angeköpft und der Ball segelt unhaltbar ins lange Eck. Danach ist Chelsea drin im Spiel. Bayern kommt mit dem Ball kaum noch zu guten Chancen, schenkt das Leder im Gegenteil viel zu schnell wieder her. Die 5-3-2-Grundformation rückt dementsprechend immer weiter in die eigene Hälfte.

Die individuelle Leistung der Verteidigerinnen ist aber durchgängig auf einem sehr hohen Niveau. So klärt Hegering beispielsweise in der 29. Minute spektakulär gegen Kerr. Bayern rettet sich in die Pause, die genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.

Führung und großer Kampf

In der zweiten Halbzeit kommen beide Teams mit Ambitionen nach vorn heraus. Zunächst verpassen die Bayern ein-, zweimal die Führung bei gut herausgespielten Angriffen, dann trifft Chelsea beinahe nach einem Freistoß. Den Schlagabtausch entscheiden schließlich aber die Bayern für sich. In der 56. Minute nutzen sie einen Konter, um über Klara Bühl und Lina Magull erneut Glas freizuspielen. Die Rechtsverteidigerin zieht in die Mitte und schlenzt den Ball sehenswert mit dem linken Fuß in den Winkel. 2:1.

Je länger die Partie nun dauert, umso mehr ziehen sich die Bayern aber zurück, was dem eigenen Spiel nicht unbedingt zu Gute kommt. Zunächst bringt Scheuer mit Lea Schüller zwar eine frische Offensivkraft für Bühl, aber richtig Druck bekommen sie nicht mehr auf den Spielaufbau der Engländerinnen. In der 73. Minute musse sogar die Latte herhalten. Aus 17 Metern knallt So-Yun Ji den Ball an den Querbalken. Glück für die Bayern.

Aber nicht nur, denn wie schon im ersten Durchgang lassen die Bayern nur wenig zu. Chelsea versucht zwar nochmal, fast alles nach vorn zu werfen, fängt sich dabei aber fast das dritte Gegentor. Mehrfach gewinnen die Bayern in gefährlichen Zonen, schaffen es dann aber nicht, die Konter auszuspielen. Auch das ist eine Geschichte dieses Spiels, in dem am Ende für die Bayern sogar mehr drin ist als das 2:1. Umso überraschender, dass die Münchnerinnen in den letzten Minuten nur noch verteidigen. Chelsea bietet Räume an, aber Bayern scheint sich mit dem Ergebnis zufrieden zu geben. Und so bringen auch die überzogenen fünf Minuten Nachspielzeit nichts mehr.

Die Bayern gewinnen verdient mit 2:1 gegen Chelsea und schreiben damit Klubgeschichte. Die ersten beiden Tore sowie der erste Sieg in einem Champions-League-Halbfinale. Außerdem zeigen sie mit dieser Leistung, dass sie sich vor niemandem verstecken müssen.

Dinge, die auffielen:

1. Keine Selbstverzwergung mehr

Vor allem auf individueller Ebene haben die Bayern bewiesen, dass sie ebenfalls großartige Fußballerinnen in ihren Reihen haben. Das Niveau dieser Mannschaft ist schon jetzt enorm, das Potential sogar noch größer. Der Kader wurde über die letzten Jahre klug zusammengestellt. Allein die Tatsache, dass Scheuer für Bühl, Laudehr und Beerensteyn Spielerinnen wie Schüller, Wenninger und Dallmann bringen kann, spricht für sich. Nicht nur in der Breite, sondern auch in der Spitze sind diese Fußballerinnen dazu in der Lage, es mit der Weltspitze aufzunehmen. Für die Zukunft bedeutet das auch: Es gibt keine Ausreden mehr. Ab jetzt kann es nur noch den Weg nach oben geben.

2. Defensivbollwerk

Die eingangs erwähnte Kritik lässt sich nach dem 2:1-Erfolg über Chelsea nicht reproduzieren. Scheuer hat zwar wieder eine eher auf die Defensive blickende taktische Anpassung gewählt, diesmal hat seine Mannschaft aber in vielen Phasen gut nach vorn durchgeschoben und den Druck auf Chelseas Schaltzentrale aufrecht erhalten. Nur am Ende der jeweiligen Halbzeiten gerieten die Bayern zu sehr unter Druck, weil sie sich tief hinten reindrücken ließen.

Individuell und gruppentaktisch haben die Münchnerinnen den Raum in der eigenen Hälfte aber klug verknappt und verteidigt. Immer wieder standen sie den Gegenspielerinnen auf den Füßen und schafften es so, Chelsea nur selten zur Entfaltung kommen zu lassen. Eine sehr starke Defensivleistung, die Anerkennung verdient. Der nächste Schritt muss es sein, Phasen zu erkennen, in denen das Team zu weit in der eigenen Hälfte steht und sich dann gemeinsam aus dieser Drucksituation nach vorn zu befreien.

3. Mit dem Ball immer noch ausbaufähig

Dazu zählt aber auch das Spiel mit dem Ball. Gerade am Ende der Partie schafften die Bayern es nicht oft genug, Entlastung zu finden. Sie verteidigten zu viel und gerieten damit immer wieder in unangenehme Situationen. Hatten sie dann mal den Ball, haben sie ihn zu schnell wieder verloren. Sara Zadrazil, Magull und Lohmann haben insgesamt ein gutes Spiel gemacht und sich diesmal häufiger in den Zwischenräumen im Mittelfeld angeboten als noch gegen Wolfsburg (Lohmann fehlte dort), aber trotzdem fehlt den Bayern auf diesem Niveau noch etwas mehr Geduld, Ruhe und Abgeklärtheit.

Gegen Ende ging es verständlicherweise auch nur noch darum, das Ergebnis über die Zeit zu bringen. Dabei wäre es durchaus sinnvoll gewesen, Chelsea noch mehr mit Kontern zu beschäftigen. Statt mit acht oder neun Spielerinnen abzusichern, hätte man etwas ausbalancierter angreifen können. Die Engländerinnen boten einiges an Raum für das 3:1, den die Bayern nicht nutzten, weil sie es nicht wirklich wollten. Das könnte sich im Rückspiel rächen.

Auch bleibt ein Problem, dass den Bayern trotz großer Qualität in der Offensive die Durchschlagskraft nach Ballbesitzphasen fehlt. Zu viele Flanken und zu wenig Tiefenläufe und Schnittstellenpässe machen das Offensivspiel vorhersehbar. Allerdings ist das Kritik auf sehr hohem Niveau. Die Bayern befinden sich nach wie vor in einer Entwicklungsphase, die noch lange nicht abgeschlossen ist. Nur sind das eben auch Punkte, die recht wiederkehrend sind. Und wenn man sieht, was diese Mannschaft kann, sind die Ansprüche natürlich riesig.

4. El Glasico!

Es ist ein Phänomen, das Philipp Lahm gut kennt: Verteidiger:innen bekommen in der Regel wenig Aufmerksamkeit. Auf dem Entwicklungsweg, den die FC Bayern Frauen gehen, ist Rechtsverteidigerin Hanna Glas aber ein extrem wichtiger Transfer gewesen. Die Ex-Pariserin bringt Erfahrung, Ruhe und Klasse in diese Mannschaft. Hinten verteidigt sie mindestens solide, mit dem Ball hat sie meist eine gute Entscheidungsfindung und befreit sich und ihre Kolleginnen häufig aus engen Situationen. Nicht nur, weil sie das erste Tor vorbereitet hat und das zweite selbst erzielte, ist sie die Spielerin des Spiels, sondern auch, weil sie in vielen kleinen Momenten dafür gesorgt hat, dass die Bayern die entscheidenden Phasen auf ihre Seite gezogen haben.

Durch Positionsspiel, durch kluge kurze und lange Pässe, durch einzelne Zweikämpfe, durch ihre Läufe in die Spitze, durch das ständige Verbinden von Defensive und Offensive, durch ihre klugen Pressingläufe – Hanna Glas spielt schon die ganze Saison konstant auf einem hohen Niveau, läuft nahezu chronisch unter dem Radar, aber heute hat sie sich selbst nochmal übertroffen. Und so wurde dieses Champions-League-Halbfinale fast schon zum El Glasico.

5. Tückisches Ergebnis, aber historische Chance

Die Bayern haben in dieser Partie gemerkt, dass sie mithalten können mit den überragenden Fußballerinnen von Chelsea. Das sollte ihnen einen ordentlichen Schub für das Selbstvertrauen geben. Im Rückspiel wird es darum gehen, die heutigen Fehler und Schwachstellen nicht im Jubel über die großartige Gesamtleistung zu vergessen, sondern sie knallhart zu analysieren, um im Rückspiel nochmal ein bisschen zulegen zu können. Das ist bei aller berechtigten Begeisterung über den Erfolg der Weg, den die Besten in diesem Sport regelmäßig gehen.

Denn das 2:1 ist ein tückisches Ergebnis. In London wird Chelsea wohl ein anderes Gesicht zeigen und die Bayern werden mehr brauchen als eine erneut starke Defensivleistung. Gerade im Spiel nach vorn ist noch Luft nach oben. Es liegt an den Spielerinnen und am Trainerteam, das herauszukitzeln. Am heutigen Sonntagabend haben die Bayern eine sehr gute Leistung auf den Platz gebracht, auf die sie stolz sein können und müssen. Es ist ein klarer Schritt nach vorn im Vergleich zu den vergangenen Jahren. In einer Woche wird es im Auswärtsspiel aber eine große Leistung brauchen. Die Ausgangslage ist gut, Geschichte ist bereits geschrieben, aber ein Weiterkommen wäre der wohl größte Erfolg der bisherigen Klubgeschichte. Und das wird die Bayern Frauen in dieser Woche besonders antreiben und antreiben müssen.



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