Souveränes 4:1 gegen Chelsea: Die Tickets nach Lissabon sind gebucht!
Knapp fünfeinhalb Monate ist es her seit der FC Bayern sich mit einem 3:0 auswärts bereits de facto für das Champions-League-Viertelfinale qualifiziert hatte, doch dann kam die globale Pandemie und die Unterbrechung dieses Wettbewerbs. Nach dem Abschluss aller Ligen wurden aber schlussendlich auch die europäischen Wettbewerbe aufgetaut. Bevor es nach Lissabon gehen sollte, musste der FC Bayern jedoch seinen Drei-Tore-Vorsprung auch zu Hause noch verteidigen. Wahrscheinlich war man in München sogar ganz froh dieses Spiel noch zu haben, bevor es in den K.O.-Modus geht, konnte man sich so immerhin nochmal den Rost von den Knochen schütteln.
Falls Ihr es verpasst habt
Die Aufstellung
Hansi Flick verzichtete auf Überraschungen oder Experimente. Die Rolle der verletzten Franzosen Pavard und Coman übernahmen Joshua Kimmich und Ivan Perišić. Zusammen mit Thiago blieb es somit bei der eingespielten Corona-Elf des Rekordmeisters. Jérôme Boateng, David Alaba und Alphonso Davies komplettierten die Viererkette, Leon Goretzka rückte auf die halblinke Position des Sechsers, Thiago übernahm die rechte, Müller blieb auf der Zehn in seinem 112. Champions-League-Spiel. Serge Gnabry stürmte über rechts, Lewandowski wie gehabt durch die Mitte. Kimmich und Thiago waren eine gelbe Karte davon entfernt das Viertelfinale zu verpassen.
Für den FC Chelsea kam das Spiel zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, den Vierten Englands plagten immense Personalprobleme. Azpilicueta und Pedro waren ohnehin schon verletzt, als sich im FA-Cup-Finale auch noch der Ex-Dortmunder Christian Pulišić dazu gesellte. Der vor dem Abgang stehende Willian reiste gar nicht erst nach München, vom nicht spielberechtigten Timo Werner ganz zu schweigen. Ebenfalls musste Lampard auf die wegen gelben, respektive roten Karten gesperrten Jorginho und Marcos Alonso verzichten.
Er stellte also eine absolute Rumpfelf auf, immerhin mit dem gerade erst genesenen N’Golo Kanté. Umringt wurde der amtierende Weltmeister von Mateo Kovačić und Barkley, in der Verteidigung spielte etwas überraschend Antonio Rüdiger nicht, dafür begannen in einer Viererkette Zouma und Christensen mit Emerson und James auf den Außenbahnen. Vorne stürmten Mount, Abraham und Salihamidžićs Lieblingsspieler Callum Hudson-Odoi.
1. Halbzeit
Nach einer Gedenkminute an die Opfer von COVID-19 begann die Partie etwas plätschernd. Die Bayern griffen sofort an, ließen es zunächst jedoch an der Genauigkeit vermissen. Nach sechs Minuten änderte sich dies jedoch schlagartig. Thiago öffnete stark auf Gnabry, der zu Lewandowski durchsteckte. Caballero fällte den Polen mit der Hand und der Schiedsrichter zeigte direkt auf den Punkt. Darauf folgte dann eine Abseits-Fahne, eine kurze VAR-Unterbrechung und schlussendlich gab Schiedsrichter Hațegan dochnoch Elfmeter für Bayern und die gelbe Karte für Caballero. Lewandowski verwandelte gewohnt kaltschnäuzig.
Chelsea brauchte nun schon vier Tore und machte keinerlei Anstalten einen Offensivlauf zu beginnen, stattdessen wurde das Spiel zunehmend verwaltigender. Mit jeder Minute wurde Bayern seriöser und besser im Passspiel. Auf dem Spielstand spiegelte sich dies ab der 25. Minute auch wider. Müller presste exzellent Chelsea in einen Ballverlust, Lewandowski verzögerte und zog den Fokus der Innenverteidiger auf ihn bis der Weg für Ivan Perišić frei war. Mit dem rechten (!) Fuß schoss der Kroate überlegt das zweite Bayern-Tor.
Lange durften die Bayern nicht jubeln, denn Hudson-Odoi schlenzte den Ball umringt von Bayern-Spielern wunderschön in die lange Ecke. Zur Überraschung fast aller wurde das Tor jedoch wegen der Abseitsstellung Abrahams direkt davor wieder aberkannt. Sportvorstand Salihamidžić durfte also gleich doppelt jubeln.
Sekunden vor dem Halbzeitpfiff kam Chelsea jedoch doch noch bis an vier Tore heran: Emerson brachte den Ball flach in die Mitte, Neuer war mit den Gedanken wohl noch in Kroatien, ließ fallen und Tammy Abraham staubte denkbar simpel ab. Das 2:1 (5:1) war gleichzeitig der Halbzeitstand.
2. Halbzeit
Ohne Wechsel ging es aus der Kabine. Am Spiel änderte sich indes wenig, nur dass nun die Abstände zwischen Defensive und Offensive manchmal etwas zu groß wurden. So musste Thiago per Grätsche im Strafraum in letzter Sekunde retten. In der 58. Minute verloren die Bayern doch noch etwas, nicht das Spiel, aber Jérôme Boateng. Nach einer Verletzungsunterbrechung kam er zwar wieder auf das Spielfeld, doch wechselte Flick den Stammverteidiger dann doch noch aus. Es kam etwas überraschend Niklas Süle, nicht Lucas Hernández. Ob der Weltmeister in Lissabon noch mithelfen kann, erscheint etwas fraglich, doch Flick gab nach dem Spiel leicht Entwarnung. Mit Süle kam auch Coutinho für Perišić auf das Feld.
Das Spiel dümpelte weiter vor sich hin, Chelsea versuchte es mittlerweile fast nur noch über hilflose Distanzschüsse. Einmal noch blieben die Herzen der Bayern-Fans allerdings noch stehen. Thiago foulte kurz vor der Strafraumgrenze, schlich sich schnell weg und der Schiedsrichter ließ Gnade vor Recht walten. Flick reagierte und nahm (endlich) die gelbgefährdeten Thiago und Kimmich runter. Es kamen Odriozola und erstmals in der Coronazeit auch Corentin Tolisso.
Dieser konnte sich gleich über ein doppelt gelungenes Comeback freuen, er traf nämlich fast direkt im Anschluss. Coutinho spielte einen mühelosen Außenristpass auf Teilzeitlinksaußen (!) Lewandowski, der aus der Drehung zu seinem französischen Teilzeitmittelstürmer flankte. Völlig frei gelassen konnte Tolisso aus der Luft den Ball per Volley ins Netz befördern (76.).
In der 80. Minute durfte noch Javi Martínez für Serge Gnabry kommen und Arena-Luft schnuppern. Manche dürften meinen, mit zwei Drei-Tore-Siegen würde der FC Bayern die Trikotwerbung Chelseas ehren, einer hatte jedoch ganz andere Pläne. Der beste Spieler auf dem Platz (und womöglich der ganzen Welt) wollte noch. Nach einer Ecke stemmte sich Chelsea mit aller Kraft gegen Bayerns Belagerung bis schlussendlich niemand geringeres als Odriozola die rechte Außenbahn hinunter sprintete und mit einer perfekten Flanke das Bollwerk niederriss. Lewandowski schlich sich weit vom Zentrum weg und konnte mit Anlauf meterhoch in die Luft steigen. Caballero hatte gar keine Chance (84.).
Dabei blieb es dann auch, die Passierscheine waren bereits gebucht, nun hatte Bayern das Ticket nach Portugal auch eingelöst. Nachdem Barcelona Napoli mit 3:1 bezwang, kommt es nächsten Freitag in Lissabon nun zum Duell der großen internationalen FCBs.
Dinge, die auffielen
1. Souverän
Egal ob Real Madrid, Paris St. Germain oder der nächste Gegner des FC Bayerns Barcelona: Sie alle hatten in den vergangenen Jahren nach einem hohen Hinspielsieg im Rückspiel (fast) ihr blaues Wunder erlebt. Das sollte dem FC Bayern nicht passieren, das Aufgabenprofil war somit denkbar einfach: Souverän die Partie nach Hause bringen und am besten sich für höhere Aufgaben frei spielen. Beides gelang exzellent. Mit den frühen Toren war die Resthoffnung Chelseas fast völlig erloschen, während man sich sukzessive gleichzeitig immer mehr Selbstbewusstsein im Pass- und Positionsspiel holte. Ab Mitte der ersten Halbzeit konnte man kaum mehr einen Unterschied zu den erfolgreichen Wochen nach der ersten Coronapause erkennen. Ob Staffelung, Passschärfe oder Passqualität, alles stimmte. In der zweiten Halbzeit nahm dies etwas ab, bei einer so klaren Führung war das aber auch nur menschlich.
Zudem kamen unverhofft während des Spiels zwei Spieler zu ihren Comebacks in der Champions League und konnten beide Werbung für sich machen. Nach seiner Rückkehr gegen Marseille dachte man für Süle wäre der Weg zum Champions-League-Rasen noch weit weg, gegen Chelsea erwies er sich jedoch als echte Alternative, sollte Boateng in Portugal Probleme bekommen.
Noch mehr zur Alternative kann Corentin Tolisso werden. Gegen ein bereits geschlagenes Chelsea zeigte er sich sehr präsent. Vielleicht wird er parallel zu seiner Rolle für Frankreich bei der WM auch in der Endrunde in Portugal so etwas wie der 12. oder 13. Mann seiner Mannschaft. Bei aller Euphorie gehört zur Wahrheit jedoch natürlich, dass Chelsea heute und speziell in der zweiten Halbzeit absolut kein Gradmesser war.
2. Die Rollen von Kimmich und Thiago
Joshua Kimmich musste wie erwartet zurück auf seine ungeliebte Rechtsverteidigerposition. Diese interpretierte er gegen Chelsea nicht ganz so offensiv wie zu seinen Hochzeiten als Flankenmaschine, aber trotzdem deutlich anders als Pavard. Dieser rückt oft ins Zentrum, Kimmich jedoch blieb die meiste Zeit auf dem Außenbereich, ins Zentrum ließ sich dann Thiago zurückfallen. Oft wurde so aus der Viererkette eine recht klare Dreierreihe. Abseits des taktischen, brillierte der Spanier auch sportlich, brachte 98% seiner Pässe an den Mann und überzeugte auch defensiv. Gerade sein großartiges Tackling kurz nach Beginn der zweiten Halbzeit bleibt im Gedächtnis.
Bei allem Gerede rund um seinen möglichen Abgang, blieb vielleicht etwas in Vergessenheit, dass es tatsächlich auch ein sportliches Fragezeichen bei Thiago gab. Er konnte erst im DFB-Pokalfinale Minuten sammeln, vor dem Spiel war es also durchaus fraglich, ob er an seine typische Weltklasseform anknüpfen könnte. Chelsea vermochte kein Gradmesser zu sein, doch es scheint als könne man diese Frage ruhigen Gewissens bejahen.
3. Lewandowskis astronomisches Achtelfinale
Sieben Tore schoss der FC Bayern gegen Chelsea. An allen sieben war Robert Lewandowski beteiligt. Drei Tore schoss er selbst, vier weitere legte er seinen Mitspielern auf. Er ist damit der erste Spieler seit Luis Figo 2004/05, der gegen eine einzige Mannschaft in einer Champions-League-Saison gleich an sieben Toren beteiligt war.
Weit, ganz weit ist die Diskussion des letzten Jahres, Robert Lewandowski wäre ja gar nicht so wichtig für den FC Bayern, mittlerweile entfernt. Dass mehrfach an diesem Abend Cristiano Ronaldos unfassbarer Torrekord von 17 Toren in einer Champions-League-Saison als realistisches Ziel genannt wurde, obwohl die Rückspiele in den nächsten beiden Runden ausfallen, zeigt wie astronomisch gut Robert Lewandowski in diesem Achtelfinale und der ganzen Saison schon war.
Doch nicht nur in der Statistik brilliert er, auch wenn man seine einzelnen Scorer aufbröselt, zeigt sich wie gut er eigentlich war. Im Hinspiel bereitete er das erste Tor von Serge Gnabry mit einem grandiosen Doppelpass in den Rückraum der Abwehr vor, heute verzögert er genau so lange für Perišić, bis der Verteidiger den Schritt vom Kroaten weg geht (2:0). Dazu seine heute neuentdeckte Qualität beim Flanken (3:1) und eine so noch nie dagewesene Wucht beim Kopfball (4:1). Lewandowski erzielte schon einige tolle Tore mit dem Kopf, doch so hinterlistig von den Verteidigern weggeschlichen, um dann den Ball mit einer solchen Stärke zu Köpfen, hat er selten. Das gesamte Achtelfinale ist Zeugnis davon, wie Robert Lewandowski nie besser war als jetzt in diesem Moment.